Die juristische Presseschau vom 18. April 2018: Urwald in Polen / Jobs bei der Kirche / Gut­achten des EGMR

18.04.2018

Der EuGH entscheidet im Streit um Abholzungen in polnischem Urwald zugunsten der Kommission. Außerdem in der Presseschau: konfessionsgebundene Einstellungen bei Kirchen werden schwerer und der EGMR führt ein neues Gutachten-Verfahren ein.

Thema des Tages

EuGH zu polnischem Urwald: Die von polnischem Umweltministerium genehmigte Abholzung im urwaldartigen Forstgebiet Białowieża verstößt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie. Die fraglichen Maßnahmen waren im vergangenen Jahr nach der Androhung eines Zwangsgeldes im Eilrechtsschutzverfahren eingestellt worden, schreibt die taz (Christian Rath). Hiermit habe sich der EuGH ein neues Instrument zur Disziplinierung "renitenter EU-Mitgliedstaaten" geschaffen. Diesen Aspekt hebt auch die Analyse von spiegel.de (Valerie Höhne) hervor. Der Bericht der FAZ (Marlene Grunert/Konrad Schuller) geht daneben auch auf Änderungen der umstrittenen Justizreform in Polen ein, mit denen die Regierungspartei offenbar eine Beilegung des Konflikts mit der EU-Kommission zu erreichen versuche. Die "dem Anschein nach die Macht des Justizministers über die Gerichte" einschränkenden Änderungen seien von der Opposition "als bloße Kosmetik abgetan" worden.

Der EuGH habe durch seine Białowieża-Entscheidung auch dazu beigetragen, "das Image der Europäischen Union zu verbessern", kommentiert Jan Heidtmann (SZ). Für Eva Oer (taz) ist das Urteil ein "Grund, Brüssel zu feiern". Durch ihr Handeln habe die Kommission bewiesen, "dass die EU ihre Bürger auch schützt".

Rechtspolitik

Musterfeststellungsklage: Rechtsanwalt Frank Bernardi untersucht auf lto.de den nun vom Bundesjustizministerium vorgelegten Entwurf zur Einführung einer Musterfestellungsklage. Für problematisch hält der Autor das für die klagebefugten Einrichtungen vorgesehene "first come, first serve"-Prinzip, das Verbraucherschutzorganisationen dazu verleiten könnte, im Sinne effektiver Öffentlichkeitsarbeit bei Klagen möglichst schnell, aber nicht in jedem Fall möglichst gründlich zu arbeiten. Der parallel vorgelegte Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Verbraucherschutz-Richtlinie weise inhaltliche Nähen zum deutschen Gesetzentwurf auf, ermögliche aber darüber hinaus auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bereits im Musterverfahren. Für den FAZ-Einspruch hält Richter Benedikt Windau in einem Gastbeitrag zum gleichen Thema fest, dass "die Zukunft des nationalen Projekts weiterhin ungewiss ist" und demgegenüber die geplante Richtlinien-Änderung "mit großen Schritten voran" komme. Die hierdurch geschaffene Verbandsklage wäre für Verbraucher ohnehin attraktiver.

Whistleblower: Im FAZ-Einspruch verteidigen die Anwälte Katharina Garbers-von Boehm und Nikolas Gregor den gegen den Willen des Bundesjustizministeriums publik gewordenen Entwurf eines "Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen". Die vorgebrachte Kritik sei unberechtigt, tatsächlich entspreche der vorgesehene Schutz von Whistleblowern den Vorgaben der hierzu ergangenen EU-Richtlinie und schaffe somit Rechtssicherheit. Wichtig sei auch, dass der Entwurf den Begriff der Geschäftsgeheimnisse definiere. Noch vorhandene Schwächen könnten angesichts des "Rohstadiums" des Entwurfs immer noch behoben werden.

Nichtzulassungsbeschwerden: Nach einer Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) haben sich die Regierungsfraktionen darauf verständigt, die bisherige Mindestgrenze von 20.000 Euro für die Einlegung einer Nichtzulasssungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof bis zum Ende des nächsten Jahres zu verlängern.

Vollzeit-Rückkehr: SZ (Alexander Hagelüken/Henrike Roßbach) und FAZ (Dietrich Creutzburg) berichten zum ersten von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf, der ein Recht zur befristeten Teilzeitarbeit und anschließender Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung vorsieht. Einen Überblick zu den wichtigsten Regelungen bringt spiegel.de (Florian Diekmann). Nach dem Kommentar von Heike Göbel (FAZ) nimmt der Entwurf mit seinem Ausnahmen für Kleinbetriebe "minimale Rücksicht auf unternehmerische Belange" und mische sich im Übrigen "wieder einseitig zugunsten der Beschäftigten in die Arbeitsbeziehungen ein".

Digitale Ermittlungen: Die EU-Kommission will Ermittlungen im digitalen Raum erheblich beschleunigen. Nach einem von EU-Justizkommissarin Věra Jourová unterbreiteten Vorschlag sollten in Europa tätige Unternehmen die von Ermittlungsbehörden angeforderten Daten innerhalb von zehn Tagen, in Notfällen innerhalb von sechs Stunden herausgeben, schreibt netzpolitik.org (Tomas Rudl). Die SZ (Adrian Lobe) beschreibt derweil die zunehmende Ermittlungsrelevanz von Suchmaschinenanfragen.

Justiz

EuGH zu kirchlicher Bewerberauswahl: Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei Jobangeboten unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine bestimmte Konfession nicht mehr ohne Weiteres zur Voraussetzung der Einstellung machen. Erforderlich sei vielmehr, dass die Mitgliedschaft wesentlich, rechtmäßig und erforderlich für die ausgeschriebene Stelle sei. Ob dies der Fall ist, unterliege wiederum der Prüfkompetenz nationaler Gerichte. Dies entschied auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts der Europäische Gerichtshof. Berichte bringen lto.de (Tanja Podolski), SZ (Wolfgang Janisch), BadZ (Christian Rath) und FAZ (Reinhard Bingener).

Nach dem Kommentar von Reinhard Müller (FAZ) setzt die jetzige Entscheidung die im Grunde schon bisher geltende Linie fort, nach der die Funktion der Tätigkeit entscheidend sei. Nun "sollte auch jeder kirchenferne Arbeitnehmer" verstehen, dass die Kirchen als Arbeitgeber erwarteten, "dass man sich mit der Sache, für die man bezahlt wird, auch identifiziert."

EuGH zu Ausweisungen Verurteilter: Die Ausweisung verurteilter EU-Bürger in ihre ursprüngliche Heimat erfordert nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zumindest in solchen Konstellationen eine Einzelfallprüfung, in denen die Bindungen der Betroffenen zur neuen Heimat besonders eng sind, etwa durch bereits langen Aufenthalt. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet.

EuGH zu "wildem Streik": Die bei der Fluggesellschaft TUIfly durch massenhafte Krankmeldungen bedingten Flugstreichungen und -verspätungen im Oktober 2016 stellten nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs keine außergewöhnlichen Umstände dar. Die Fluggesellschaft habe sich auf den Konflikt einstellen können und müsse daher betroffene Fluggäste entschädigen, so die FAZ (Hendrik Wieduwilt/Timo Kotowski) über die Entscheidung.

BVerfG – Rundfunkbeitrag: Vor der für den 16. und 17. Mai terminierten Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags haben zwei der Beschwerdeführer Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof, den Vorsitzenden des Ersten Senats, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Beschwerdeführer stießen sich an dem von Paul Kirchhof 2010 erstellten "Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", schreibt das Hbl (Volker Votsmeier u.a.). Der Rechtsprofessor und frühere Verfassungsrichter ist der ältere Bruder des jetzigen Richters. In einem weiteren Interview befragt das Hbl Rechtsanwalt Thomas Koblenzer, den Verfasser des Befangenheitsantrags, zur inhaltlichen Begründung der Verfassungsbeschwerde.

OLG München – NSU: Im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München sind die geplanten Plädoyers der Verteidigung erneut verschoben worden. Ein "familiärer Notfall" habe die Anwesenheit von Hermann Borchert verhindert, schreibt die FAZ (Karin Truscheit). Die Vertreter der übrigen Angeklagten hätten sich außerstande gesehen, mit ihren Plädoyers zu beginnen. Mittlerweile habe das Gericht Termine bis in das Jahr 2019 geplant.

LG Darmstadt zu Tötung im Verkehr: Vom Landgericht Darmstadt ist ein Mann nach einem tödlichen Verkehrsunfall zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der an Multipler Sklerose leidende Verurteilte hatte während einer Autofahrt einen Krampfanfall erlitten und hierdurch einen Fußgänger überfahren. lto.de berichtet.

BAW: In einer Seite-Drei-Reportage beschreibt die FAZ (Helene Bubrowski u.a.) Zuständigkeiten und Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft, einem "Sonderfall in der deutschen Strafverfolgung". Speziell die sich mit Terrorismus befassende größte Abteilung der Behörde verzeichne wachsende Fallzahlen.

Recht in der Welt

EGMR – Gutachten-Verfahren: Mit der Ratifizierung des entsprechenden Protokolls durch Frankreich tritt für die Unterzeichnerstaaten ab dem kommenden August ein neues Gutachten-Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Kraft. Nationale Gerichte können dann bei Zweifeln über die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention das Straßburger Gericht um ein "beratendes Gutachten" bitten, erläutert lto.de (Claudia Kornmeier). Die Gutachten würden nationale Gerichte zwar formal nicht binden. Individuelle Beschwerdeführer könnten sich aber auf sie berufen. Die Bundesrepublik plane derzeit nicht den Beitritt zu diesem "Vorlage light"-Verfahren.

Spanien – Carles Puigdemont: Bei der Zurückweisung des Einspruchs eines katalanischen Separatisten hat das Oberste Gericht Spaniens den jüngsten Beschluss der Oberlandesgerichts Schleswig zur Auslieferung des früheren Regionalpräsidenten Carles Puigdemont kritisiert. Dies berichtet spiegel.de.

Griechenland – Asylbewerber: Die nach dem EU-Türkei-Flüchtlingspakt gepflegte Praxis, in Griechenland eintreffende Asylbewerber in Aufnahme- und Registrierungslagern auf bestimmten Inseln festzuhalten, verstößt nach einer von zeit.de gemeldeten Entscheidung des Obersten Gerichts Griechenlands gegen die Menschenrechte der Betroffenen. Die Entscheidung gelte nicht rückwirkend.

Türkei – Sozialarbeiter: Wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropaganda ist vor einem Istanbuler Gericht gegen Adil Demerci, einen Kölner Sozialarbeiter, Untersuchungshaft verhängt worden. Einzelheiten berichtet spiegel.de (Maximilian Popp).

USA u.a.  Luftangriffe: Die von den USA und anderen Staaten unternommenen Luftangriffe auf syrische Ziele werden nun auch in einem Gastbeitrag des Dozenten Christian Richter im FAZ-Einspruch als Verstoß gegen völkerrechtliche Grundprinzipien kritisiert. Auch das noch relativ neue Konstrukt einer humanitären Intervention wegen einer "responsibility to protect" greife vorliegend nicht, weil auch in derartigen Fallgestaltungen das "geltende Friedenssicherungsrecht der UN-Charta nicht in Frage gestellt" werde.

Brasilien – Lula da Silva: Nach Bericht der FAZ (Tjerk Brühwiller) schreiten die juristischen Auseinandersetzungen über die Inhaftierung des früheren brasilianischen Präsidenten Lula da Silva fort. Nachdem der Oberste Gerichtshofs des Landes einen Antrag auf Haftaufschub verworfen hatte, stehe in den nächsten Tagen eine weitere Entscheidung darüber an, ob die verhängte Haft nach dem Urteil der zweiten Instanz oder aber erst nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel angetreten werden müsse.

Sonstiges

Palandt: In einem Gastbeitrag für die FAZ macht Rechtsprofessor Michael Stolleis geltend, dass bei der "Initiative des guten Willens" zur Umbenennung des Palandt-Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch außer Acht gelassen werde, "dass alles Ausradieren oder Übermalen im Namen eines höheren oder besseren Bewusstseins auch eine Kehrseite hat". Diese bestünde hier darin, "die Nazizeit nicht nur als Zeit vergangen, sondern auch als Memento unsichtbar" zu machen, was die Vermittlung juristischer Zeitgeschichte weiter erschweren würde.

NetzDG: Auch ein Vierteljahr nach seinem Inkrafttreten bleibt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz umstritten. Auf einer zweitägigen, prominent besetzten Tagung der Berliner Humboldt-Unversität haben Juristen Für und Wider abgewägt, berichtet die Welt (Christian Meier). Mit Spannung würden nun die voraussichtlich im Juli anstehenden Transparenzberichte der betroffenen Netzwerke zu Anzahl und Gründen von Löschungen erwartet.

Interkulturelle Kompetenz: Die FAZ (Reiner Burger) berichtet über die Eröffnung des "Zentrums für interkulturelle Kompetenz" in Nordrhein-Westfalen, das Justizmitarbeiter im Umgang mit Migranten schulen soll. Hierdurch würden gegenüber betroffenen Migranten auch "die Verteidigung der Rechtsordnung und die Werte unserer Gesellschaft betont", so Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Das Zentrum solle zudem ein landesweites Lagebild zur sogenannten Paralleljustiz erstellen.

Bundesregierung im Internet: Der Tutor Lukas Frederik Müller (juwiss.de) untersucht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Online-Angeboten der Bundesregierung.

Strafrecht und Rap: In einer Analyse für den FAZ-Einspruch kommen Mustafa Oğlakcıoğlu, Akademischer Rat, und Christian Rückert, wissenschaftlicher Mitarbeiter, zum Ergebnis, dass "das Strafrecht in vielen Fällen nicht der geeignete Ort für die Aufarbeitung provokanter und geschmackloser Textpassagen" sogenannter Gangsta-Rap-Songs ist. Auch innerhalb dieses Genres müsse "die künstlerische Einkleidung im Lichte der Kunstfreiheit Berücksichtigung finden".

Das Letzte zum Schluss

Grasfresser: Aus einer argentinischen Asservatenkammer verschwand eine deutlich mehr als geringe Menge beschlagnahmten Marihuanas. Die zur Bewachung angestellten Polizisten gaben Mäusen die Schuld am Schwund der rund 540 kg, konnten sich aber mit dieser Erklärung gegenüber der Einschätzung von Experten nicht durchsetzen, schreibt justillon.de (Jannina Schäffer). Nach der Entlassung wartet nun ein Gerichtsverfahren auf sie.

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. April 2018: Urwald in Polen / Jobs bei der Kirche / Gutachten des EGMR . In: Legal Tribune Online, 18.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27855/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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