Die juristische Presseschau vom 18. März 2020: Gerichte dicht? / Gold­münzen-Klage abge­wiesen / Urteil im Fall Geor­gine

18.03.2020

Der Umgang mit der Corona-Pandemie bleibt beherrschendes Thema der Berichterstattung. Machen nun auch Gerichte die Schotten dicht? In Berlin wird der Mörder von Georgine verurteilt und ein Goldmünzen-Eigentümer bleibt auf Verlust sitzen.

Thema des Tages

Coronavirus – Gerichtsbetrieb: lto.de (Annelie Kaufmann) liefert einen Überblick über den nun in Gang kommenden, coronavirusbedingten Notbetrieb von Gerichten. Während das Bundesverfassungsgericht den Verkündungstermin in Sachen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank in den Mai verschoben habe, setzten sowohl Bundesgerichtshof als auch Bundesverwaltungsgericht mündliche Verhandlungen vorerst aus. In den Bundesländern erteilten die Justizverwaltungen ähnliche Empfehlungen, zu einer vollständigen Einstellung solle es jedoch zunächst nicht kommen. Der in der FAZ (Marcus Jung/Hendrik Wieduwilt) zitierte rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jan-Marco Luczak (CDU) fordert eine über Einzelfälle hinaus gehende "pauschale Lösung", die den Anspruch auf Rechtsprechung und den Gesundheitsschutz in einen angemessenen Ausgleich bringe. Auch die SZ (Wolfgang Janisch u.a.) führt zahlreiche Beispiele von Verfahren an, in denen versucht werde, "noch schnell langwierige Prozesse abzuschließen". Das Bundesjustizministerium arbeite derweil an einer Neuregelung, nach der Hauptverhandlungen wegen Infektionsschutzmaßnahmen auch für eine Dauer von drei Monaten und zehn Tagen unterbrochen werden könnten. Eine entsprechende Diskussion begrüßt nach Meldung von lto.de auch der Deutsche Richterbund.

zpoblog.de (Benedikt Windau) gibt ein "Update" zur Frage, ob und wann von einem "Stillstand der Rechtspflege" i.S.v. § 245 Zivilprozessordnung auszugehen ist. Selbst bei Verhängung noch drastischerer Maßnahmen wie einer allgemeinen Ausgangssperre wäre ein Ende absehbar. Nach allgemeiner Ansicht schließe dies die Annahme eines Stillstandes aus. Dagegen erwäge der Bundestag die Wiedereinführung der bis 1996 geltenden Gerichtsferien, bei denen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nur zu bestimmten Rechtssachen verhandelt wird. Dies wäre "tatsächlich die naheliegendste und pragmatische Lösung". Der Deutsche Anwaltverein verwies nach Meldung von lto.de auf die Systemrelevanz von Rechtsanwälten. Deren Funktion als Organe der Rechtspflege bestehe auch "in Zeiten einer Pandemie". Anwälte hätten daher einen Anspruch auf Notbetreuung ihrer Kinder, ihnen müsse auch durch "großzügige Regelungen bei Fristversäumnissen" entgegengekommen werden.

Rechtspolitik

Coronavirus – Parlamente: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch schlägt die hessische Bundes- und Europaministerin Lucia Puttrich (CDU) Vorkehrungen für den Fall der virusbedingten Abwesenheit von Abgeordneten vor. So könne die Präsenzpflicht durch Übertragung von Stimmrechten ersetzt oder besser noch der Einsatz elektronischer Hilfsmittel bei der Stimmabgabe ermöglicht werden.

Coronavirus – Kurzarbeitergeld: Die Wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Zöllner und Hendrik Schwager analysieren auf juwiss.de die "in legislativer Überschallgeschwindigkeit" verabschiedeten wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Umgang mit Corona. Die Beschlüsse zu staatlichen Betriebsmittelkrediten oder einer Reform des Kurzarbeitergeldes bewiesen, dass nach derzeitiger Einschätzung "die Legislativorgane zu schnellem und pragmatischem Handeln imstande" seien. Bedarf für eine Verfassungsänderung bestehe somit nicht. Eine Übersicht zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen bringt die FAZ.

Coronavirus – Mietrecht: Nach einer der Welt (Michael Fabricius) erteilten Auskunft prüft das Bundesjustizministerium derzeit Möglichkeiten, wie Mieter, die infolge der virusbedingten Einschränkungen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, vor dem Verlust ihrer Wohnung geschützt werden können. Auch die Parteien arbeiteten an diesbezüglichen Ideen, etwa einem bundesweiten Einfrieren von Mieten oder einer übergangsweisen Aussetzung der Regelungen zu Kündigungsvoraussetzungen.

Coronavirus – Demonstrationen: Dass die nordrhein-westfälische Landesregierung als Teil ihres Maßnahmenpakets gegen die Ausbreitung des Coronavirus auch Demonstrationen als öffentliche Veranstaltungen untersagt hat, wird von Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert. Solange eine infektionsbedingte Ausgangssperre noch nicht existiere, sei "die Landesregierung mit der faktischen Abschaffung eines Grundrechts deutlich zu weit gegangen."

Coronavirus – Fake News: taz.de (Christian Rath) berichtet zu einem Vorschlag des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), Falschmeldungen im Zusammenhang der Corona-Krise über das Straf- oder das Ordnungswidrigkeitenrecht zu sanktionieren. Reinhard Müller (FAZ) erinnert in einem Kommentar daran, dass es auch nach geltendem Recht kein Recht auf Verbreitung bewusst unwahrer Tatsachen gebe. Gleichzeitig bestünde "die Gefahr, die Meinungsfreiheit über Gebühr einzuschränken". Das Recht, sich frei informieren zu können und auch "Abweichendes und Obskures zu verbreiten", müsse man "auch in diesen Zeiten aushalten können".

Coronavirus – Luftverkehr: Geltendes Unionsrecht verpflichtet Fluggesellschaften dazu, ihnen erteilte Zeitnischen an Flughäfen, die sogenannten Slots, auch tatsächlich zu nutzen oder anderenfalls Gefahr zu laufen, diese einträglichen Zuteilungen zu verlieren. Angesichts des aktuellen Einbruchs des Flugverkehrs führten Gesellschaften daher auch quasi-Leerflüge durch, die "wirtschaftlich wie ökologisch eine Katastrophe" sind, wie Rechtsreferendar Julian Dust auf lto.de schreibt. Der Autor begrüßt daher einen Vorschlag der EU-Kommission, die Regeln zur tatsächlichen Nutzung zumindest bis Ende Juni praktisch auszusetzen und stellt im Übrigen das Vergabeverfahren der Slots vor.

Coronovirus – Hauptversammlungen: Nach der von Kirsten Ludowig (Hbl) im Leitartikel geäußerten Ansicht könnte das Jahr 2020 "eine Zäsur sein, um die eingeübten, aber von allen beklagten Hauptversammlungsrituale in Deutschland zu reformieren". Die nach Aktienrecht zwingend durchzuführenden Hauptversammlungen seien weiterhin sinnvoll, bedürften jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung einer dringenden Überarbeitung. Hierfür böten nun beschlossene Verschiebungen bei großen Unternehmen ausreichend Zeit.

Justiz

BVerwG-Jahresbericht: Wie schon im davor liegenden Jahr hat das Bundesverwaltungsgericht auch im Jahr 2019 eine reduzierte Anzahl von Verfahrenseingängen feststellen können. Gleichzeitig fiel auch die Zahl der Erledigungen, die Verfahrensdauer in Revisions- und Beschwerdeverfahren stieg hingegen leicht. Von der wegen der situationsbedingten Einschränkung des Gerichtsbetriebs online erfolgten Präsentation der Zahlen berichtet lto.de.

LG Berlin zu Goldmünze: Der Eigentümer der aus dem Berliner Bode-Museum gestohlenen Goldmünze kann über die bislang erhaltenen 20 Prozent der Versicherungssumme keine weitere Entschädigung für seinen Verlust erhalten. Nach Ansicht des Landgerichts Berlin habe das Museum die Diebstahlsgefahr wegen unterlassener Schutzmaßnahmen trotz Kenntnis eines Fehlers im Sicherheitssystem erhöht. Dieses Versäumnis müsse sich der Kläger zurechnen lassen. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

LG Berlin zu Mord an Georgine K.: Zu einer lebenslänglichen Haftstrafe hat das Landgericht Berlin den im Fall der vor 13 Jahren spurlos verschwundenen Georgine Angeklagten verurteilt. Die Leiche der damals 14-jährigen Schülerin ist nach wie vor verschwunden, der Verurteilte hatte sich zwischenzeitlich einem verdeckten Ermittler anvertraut. Dessen Einlassungen hätten Täterwissen offenbart, schreibt spiegel.de (Uta Eisenhardt). Die SZ (Verena Mayer) berichtet ebenfalls.

LG Bonn – Cum-Ex: Der Strafprozess zu Cum-Ex-Steuertricks ist am Landgericht Bonn unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen fortgesetzt worden. Das Gericht habe die Anzahl der Zuschauer auf 40 beschränkt. Wer Krankheitsanzeichen aufweise, dürfe den Saal nicht betreten, schreibt die FAZ (Marcus Jung).

VG Stuttgart zu "Late-Night-Shopping": Nach Meldung der FAZ (Marcus Jung) hat das Verwaltungsgericht Stuttgart in der wohl ersten Entscheidung im Zusammenhang der Corona-Krise einen Eilantrag gegen das städtische Verbot einer als "Late-Night-Shopping" beworbenen Verkaufsveranstaltung bestätigt. Diese solle nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts eine möglichst hohe Anzahl von Menschen anlocken.

Recht in der Welt

Niederlande – MH-17: Nach Meldung der Welt wird der Strafprozess wegen des Abschusses des Linienfluges MH-17 in den Niederlanden ohne Medienvertreter und Publikum fortgesetzt.

Großbritannien – Manchester-Anschlag: Wegen der Beteiligung an dem von seinem Bruder ausgeführten Anschlag auf Besucher eines Konzerts von Ariana Grande ist ein Brite verurteilt worden. Das Strafmaß für den 22-fachen Mord werde zu einem späteren Zeitpunkt verkündet, meldet spiegel.de.

Russland – Verfassung: Das russische Verfassungsgericht hat nach nicht-öffentlicher Beratung auch die "auf null-Setzung" der bisherigen Amtsperioden des Präsidenten als Teil der jüngsten Verfassungsänderung im Lande gebilligt. Dies schreibt die FAZ (Friedrich Schmidt) in einer Analyse der Änderungen, durch die sich Russland "von einer präsidentiellen zu einer hyperpräsidentiellen Republik" entwickle.

Juristische Ausbildung

Coronavirus – Examensprüfungen: Nach zunächst nur Niedersachsen verschieben nun auch weitere Bundesländer Examensprüfungen wegen der Corona-Krise. So sollten die für Anfang April in Sachsen-Anhalt geplanten Klausuren des Zweiten Staatsexamens nun im Juni stattfinden, schreibt lto.de (Marcel Schneider). In Nordrhein-Westfalen fänden ab dem heutigen Mittwoch bis Mitte April keine mündlichen Prüfungen des Zweiten Examens mehr statt, solche des Ersten Examens seien hingegen spontan abgesagt worden. Keine Absagen würden derzeit aus Sachsen und Berlin gemeldet.

Sonstiges

Coronavirus – Katastrophenfall Bayern: Den am Montag im Freistaat Bayern ausgerufenen Katastrophenfall erklärt lto.de (Christian Rath) im Hinblick auf Rechtsgrundlage und Befugnisse. Soweit in Bayern das öffentliche Leben "heruntergefahren" werden solle, beruhe diese Maßnahme auf einer Bestimmung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes. Die Ausrufung des Katastrophenfalles sei eher Katastrophensymbolik.

Coronavirus – Arbeitsrecht: In einem ausführlichen Interview mit lto.de (Tanja Podolski) erläutert Rechtsprofessor Michael Fuhlrott die Rechtslage zur Arbeitspflicht trotz Kinderbetreuung, Alternativen zum Urlaub bei einer diesbezüglichen Unabkömmlichkeit von Arbeitnehmern und die Voraussetzungen eines Kurzarbeitergeldes.

Coronavirus – Verträge: dhz.net (Christian Rath) stellt mögliche Auswege aus virusbedingt nicht oder nur noch sehr schwer zu erfüllbaren vertraglichen Verpflichtungen dar. Grundsätzlich komme es auf den Inhalt der Verträge an. Wenn dort nichts geregelt sei, seien Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage zu prüfen. Sinnvoll könne es aber auch sein, "ohne juristische Analyse" auf "dem Verhandlungswege faire Lösungen zu finden".

AfD-Flügel: Über die Folgen der in der vergangenen Woche vom Bundesamt für Verfassungsschutz unternommenen Einstufung des sogenannten "Flügels" der AfD als "gesichert extremistische Bewegung" schreibt die taz (Konrad Litschko). Angesichts enger personeller Verflechtungen könnten ähnliche Einstufungen auch Landesverbände der Parteien betreffen.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. März 2020: Gerichte dicht? / Goldmünzen-Klage abgewiesen / Urteil im Fall Georgine . In: Legal Tribune Online, 18.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40901/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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