Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2019: Kom­mis­si­ons­prä­si­dentin von der Leyen / Zwei­fel­hafter Bayer-Erfolg / "Unter­b­re­cher" für Ver­fas­sungs­än­de­rungen

17.07.2019

Das EU-Parlament wählt Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin. Außerdem in der Presseschau: US-Gericht verringert Schadensersatzsumme, beharrt aber auf einer Haftung für Round up-Schäden und Dieter Grimm über Verfassungsänderungen.

Thema des Tages

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Als erste Frau und zweite Deutsche ist die bisherige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt worden. Über die mit einer relativ knappen Mehrheit erfolgte Wahl berichten u.a. FAZ (Michael Stabenow/Werner Mussler) und zeit.de. Die Welt (Hannelore Crolly) rekapituliert die "Bewerbungsrede" von der Leyens vor dem Parlament und die von ihr vorgestellten Projekte. 
Noch vor der Abstimmung befragte lto.de (Maximilian Amos) Rechtsprofessor Heiko Sauer zu den unionsrechtlichen Vorgaben zur Wahl des Kommissionspräsidenten, alternativen Handlungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments und den Kompetenzen des Amtes des Kommissionspräsidenten.

Nachfolgerin im Amt der Bundesverteidigungsministerin soll CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer werden, berichtet u.a. die SZ (Nico Fried, aktualisiert auf sueddeutsche.de). Der Beitrag geht im Weiteren auf staatsorganisationsrechtliche und praktische Schwierigkeiten bei der anstehenden Ernennung der neuen Ministerin ein. Weil sich Bundespräsident und Bundesratspräsident gegenwärtig im Urlaub bzw. Ausland befinden, wäre der Regierende Bürgermeister Berlins als stellvertretender Bundesratspräsident zuständig. Einer Vereidigung im Bundestag stehen aktuelle Umbauarbeiten im Weg.

Nikolas Busse (FAZ) bezeichnet die Wahl im Leitartikel als "pragmatische Lösung", Sebastian Fischer (spiegel.de) hofft in seinem Kommentar, dass es von der Leyen gelingt, das "technokratisch angelegte Amt mit politischem Temperament" und Inhalten zu füllen.

Rechtspolitik

Digitale-Dienste-Gesetz: Zu den bekannt gewordenen Plänen der EU-Kommission, mit einem Digitale-Dienste-Gesetz u.a. auch Haftungsregeln für digitale Plattformen zu erweitern, berichtet nun auch spiegel.de (Patrick Beuth). Sollte hierdurch die E-Commerce-Richtlinie entfallen, könnte dies auch ein Ende des Notice-and-Takedown-Prinzips, eines "Grundpfeilers des Internets" und die verkappte Einführung von Uploadfiltern bedeuten.

Kapitalmarktrecht: Am Ende dieser Woche treten weitreichende Deregulierungen des Kapitalmarktes in Kraft, durch die es Unternehmen leichter gemacht werden soll, im Wege des Crowdfundings Wertpapiere in den Verkehr zu bringen. Diese und weitere Änderungen stellt Rechtsanwalt Maximilian Dengenhart auf lto.de vor.

Gesundheitspolitik: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bleibt bis auf weiteres in seinem Amt und holt in den Worten der FAZ (Andreas Mihm) zu "einer gesundheitspolitischen Machtdemonstration aus". Am heutigen Mittwoch wird sich das Kabinett mit gleich drei Gesetzesentwürfen aus dem Gesundheitsministerium befassen, zudem sei die Zusammenlegung des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geplant. Den Entwurf zum Rabattverbot für ausländische Versandapotheken bezeichnet Heike Göbel (FAZ) in einem Kommentar als "marktfeindlich" und angesichts einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes auch als "gewagt". Dagegen ist die geplante Masern-Impfpflicht "der richtige We", kommentiert Gregor Waschinski (Hbl). Impfschutz gegenüber ansteckenden Krankheiten sei gerade bei kleinen Kindern keine bloße Privatangelegenheit.

Zentralstelle für Vermögensabschöpfung Ba-Wü: Die BadZ (Christian Rath) berichtet über die vom baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf (CDU) vorgestellte neue "Zentralstelle für Vermögensabschöpfung". Als Teil der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe soll die Zentralstelle die Anklagebehörden des Landes zu den 2017 erweiterten Möglichkeiten des Instruments beraten und technische Hilfestellungen geben.

Justiz

EGMR – Daten-Überwachung: Auf Veranlassung der Klage eines Bündnisses von Journalisten, Bürgerrechtlern und NGOs verhandelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Zeit über die Rechtmäßigkeit der von Edward Snowden offengelegten massenhaften Daten-Überwachung durch britische Geheimdienste. Der SWR RadioReportRecht (Gigi Deppe) berichtet von der Verhandlung.

BayVerfGH zu Volksbegehren: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat das Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern" für rechtlich unzulässig erklärt. Dem Freistaat fehle es an einer Gesetzgebungskompetenz für die Umsetzung des Volksbegehrens, schreiben lto.de und SZ (Dietrich Mittler) über die Entscheidung. Zudem dürfe der Volksgesetzgeber auch nicht in das Gesetzesinitiativrecht der Landesregierung eingreifen.

LSG Nds-HB zu Hartz-IV-Leistungen: Auch gegenüber dem Eigentümer einer Immobilie im Ausland kann das JobCenter zur Erbringung von Leistungen verpflichtet sein, entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in einem nun veröffentlichten Eilentscheid vom 22. Mai. Voraussetzung sei eine aktuelle Notlage des Leistungsempfängers sowie die Nichtverfügbarkeit des Hauses als "bereites Mittel", so lto.de über die Entscheidung zu einem Haus in Thailand. Dessen Verkauf hätten die Antragsteller nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit betrieben, daher seien die Leistungen womöglich rückzuerstatten.

LG Amberg – Jagdunfall: Wegen fahrlässiger Tötung muss sich ein Jäger vor dem Landgericht Amberg verantworten. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, durch Nichtbeachtung zahlreicher Sicherheitsvorkehrungen mit einem auf ein Wildschwein gerichteten Schuss den Insassen eines auf einer Bundesstraße befindlichen Autos getötet zu haben. Über den ungewöhnlichen Fall berichtet die SZ (Andreas Glas).

VG Berlin – PKW-Maut-Verträge: Über den Versuch, das Bundesverkehrsministerium mit gerichtlicher Hilfe zur Veröffentlichung von Verträgen mit den ausgelobten Betreibern der gescheiterten PKW-Maut zu zwingen, berichtet nun auch lto.de. Das Scheitern des Vorhabens soll am 24. Juli Thema einer Sondersitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags sein. In einem Hintergrund-Artikel weist die FAZ (Helene Bubrowski) darauf hin, dass die fraglichen Verträge, wie bei Großprojekten des Bundes üblich, eine Klausel enthielten, nach der die Veröffentlichung ohne Zustimmung des Vertragspartners verboten sei. Dies bezwecke u.a. den Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

VG München zu Haus-Abriss: Die von der Stadt München gegenüber einem Grundstückseigentümer verfügte Anordnung, ein in den 1840er Jahren errichtetes, denkmalgeschütztes Haus originalgetreu zu rekonstruieren, ist nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Stadt rechtswidrig. Nach der Einlassung des Eigentümers, der 2017 erfolgte Abriss des sogenannten Uhrmacherhäusls sei eigenmächtig und ohne sein Zutun von einem Bauunternehmer durchgeführt worden, hätte sich der Bescheid mit einer Verantwortlichkeit des Bauunternehmers zumindest auseinander setzen müssen, schreiben SZ (Stephan Handel) im Bayern-Teil und taz (Dominik Baur) über das noch nicht rechtskräftige Urteil.

Für Stephan Handel (SZ) ist an der Entscheidung "nichts Positives zu finden". Bei einem "so heiklen, öffentlichkeitswirksamen und nicht alltäglichem Vorgang" wäre zu erwarten gewesen, dass sich die Juristen der Stadt mit allen Möglichkeiten auseinandergesetzt hätten.

FG Stuttgart zu Mietvertrag mit Lebensgefährten: Das Finanzgericht Stuttgart hat entschieden, dass ein zwischen Lebensgefährten geschlossener Mietvertrag über die hälftige Nutzung der gemeinschaftlich genutzten Wohnung steuerlich nicht anzuerkennen ist. Die vertragliche Konstruktion halte keinem Fremdvergleich statt, so lto.de über das Urteil vom 6. Juli.

Recht in der Welt

Frankreich - "Estonia"-Unglück: Am kommenden Freitag wird ein Gericht im Pariser Vorort Nanterre sein Urteil zu Entschädigungsforderungen von Überlebenden und Angehörigen von Opfern des Untergangs der Fähre "Estonia" im Jahre 1994 verkünden. Beklagt sind die französische Prüfungsstelle und die deutsche Meyer-Werft, die das Schiff 1980 gebaut hatte, erklärt die Welt (Sven Felix Kellerhoff) in einer Reportage, die auch auf die gängigen Verschwörungstheorien zum Untergang eingeht.

Türkei – Deniz Yücel: Der Strafprozess gegen den Journalisten Deniz Yücel ist in Istanbul erneut, diesmal bis Mitte Oktober, vertagt worden. Die Ende Mai erfolgte Aussage Yücels vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten habe der Kammer nicht vorgelegen, schreibt die Welt. Einem auf die jüngste Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts, das die Inhaftierung des Deutschen als rechtswidrig eingestuft hatte, gestützten Antrag der Verteidigung auf Freispruch wurde nicht entsprochen. Dagegen habe der stellvertretende Oberstaatsanwalt Istanbuls Yücel nach einem Tweet wegen Beamtenbeleidigung angezeigt. Dieses Verfahren sei auf den 5. September terminiert worden.

USA – Bayer: Ein Bundesbezirksgericht in San Francisco/USA hat den wegen der Gesundheitsgefahren des glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittels "Round-up" vom Bayer-Konzern zu leistenden Schadensersatz auf 25 Millionen Dollar reduziert. Eine Geschworenen-Jury hatte dem an Krebs erkrankten Kläger noch 80 Millionen Dollar zuerkannt. Die jetzige Entscheidung beruhe auf Vorgaben des Obersten Gerichts des Landes zum Verhältnis des "normalen" Schadensersatzes zum sogenannten Strafschadensersatz, erläutern SZ (Elisabeth Dostert), Hbl (Bert Fröndhoff) und FAZ (Marcus Jung u.a.), die im Weiteren auch die rechtlichen Grundlagen "für hochvolumige Schadensersatzklagen gegen Konzerne" in den USA erläutert und spektakuläre Beispielsfälle nennt. Weil das Urteil die grundsätzliche Schadensersatzpflicht von Bayer unangetastet ließ, habe das Unternehmen bereits eine Berufung angekündigt.

Bert Fröndhoff (Hbl) macht in einem separaten Kommentar darauf aufmerksam, dass bisher gegen Bayer ergangene Urteile "nicht so abwegig" waren, dass Berufsrichter sie grundsätzlich in Frage stellen würden. Aus wirtschaftlichen Erwägungen sei der Konzern daher gehalten, sich die Möglichkeit eines Vergleichs offenzuhalten.

USA – Charlottesville-Anschlag: Wegen der Tötung einer Demonstrantin anlässlich der Ausschreitungen in Charlottesville vor zwei Jahren ist ein Rechtsextremist zu einer lebenslänglichen Haftstrafe zuzüglich weiteren 419 Jahren Haft verurteilt worden. Dies meldet die taz.

Uganda – Soziale-Medien-Steuer: Seit dem vergangenen Jahr müssen Nutzer sozialer Plattformen in Uganda eine Soziale-Medien-Steuer abführen. Nach Protesten und merkbar reduzierter Internet-Nutzung haben nach Bericht der taz (Simone Schlindwein) nun Journalisten und Menschenrechtsorganisationen eine Klage beim Verfassungsgericht des Landes erhoben. Sie machten geltend, dass die Steuer vor allem dazu diene, die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Sonstiges

Dieter Grimm: Im Gespräch mit dem verfassungsblog.de (Anna von Notz/Maximilian Steinbeis) legt der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm sein Konzept sogenannter "Unterbrecher" bei geplanten Verfassungsänderungen dar, durch die Änderungen dem exklusiv parteipolitischen Verhandlungsgeschäft entzogen werden sollen sowie die Gründe seines Unbehagens über eine mögliche Überfrachtung des Grundgesetzes und seine Position zum Spitzenkandidatenprinzip in der EU.

Thilo Sarrazin: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Jan Keesen und Jacob Ulrich (juwiss.de) stellen die rechtlichen Grundlagen des von der SPD neuerlich eingeleiteten Parteiausschlussverfahrens gegen den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin vor und beschreiben das weitere innerparteiliche Verfahren. Sollte die Auseinandersetzung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder gar vor dem Bundesverfassungsgericht weitergeführt werden, dürfte die Angelegenheit "zur Rechtsfortbildung im Parteienrecht beitragen", resümieren die Autoren.

Facebook: Der FAZ-Einspruch (Morten Freidel/Roland Lindner) stellt jüngste Verlautbarungen des Facebook-Chefs Mark Zuckerberg zu mehr Schutz der Privatsphäre der Nutzer des Netzwerks und staatlich festgelegten Standards der vor allem in den USA geführten Diskussion über eine Zerschlagung des Konzerns gegenüber. Zugleich wird auf von Verbraucherschutzbehörden dies- und jenseits des Atlantiks verhängte Bußgelder in Rekordhöhe wegen Datenschutzverletzungen hingewiesen.

"Recht und Gesellschaft": Im Geisteswissenschaften-Teil erinnert die FAZ (Alexandra Kemmerer) an das 1968 vorläufig "Recht und Gesellschaft" benannte, letztlich aber gescheiterte Projekt einer "progressiven, substantiellen, originellen" juristischen Zeitschrift neuen Stils. Unter der Leitung des Verlegers Siegfried Unselds hätten namhafte "reformerisch gesinnte Professoren" persönliche und politische Animositäten nicht überwinden können.

Das Letzte zum Schluss

Richtig entsorgen: Dass illegale Drogen vor einer Sicherstellung durch die Polizei gern die Toilette hinuntergespült werden, ist aus Film und Fernsehen hinlänglich bekannt. Und im US-Bundesstaat Tennessee offensichtlich auch gängige Praxis. Wegen der Gefahren für "Enten, Gänse und andere Vögel" hat die dortige Polizei nun darum gebeten, "Drogen und verschreibungspflichtige Medikamente zur Entsorgung besser auf die Reviere zu bringen", berichtet die SZ.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. Juli 2019: Kommissionspräsidentin von der Leyen / Zweifelhafter Bayer-Erfolg / "Unterbrecher" für Verfassungsänderungen . In: Legal Tribune Online, 17.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36531/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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