Die juristische Presseschau vom 16. Dezember 2020: Face­book und Co sollen regu­liert werden / Rasender Poli­zist ver­ur­teilt / Urteil zu Charlie Hebdo erwartet

16.12.2020

Die EU-Kommission stellte Verordnungs-Entwürfe für digitale Dienste und digitale Märkte vor. Ein Berliner Polizist wird wegen fahrlässiger Tötung bei einer Dienstfahrt verurteilt. Heute soll das Urteil zum Charlie Hebdo-Anschlag erfolgen.

Thema des Tages

Digitale Dienste/Digitale Märkte: Die EU-Kommission hat das langerwartete Paket von Vorschlägen zur Regulierung der großen Internet-Konzerne vorgelegt. Die Digital Services-Act-Verordnung soll für sehr große Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern EU-weit gelten. Sie soll u.a. regeln, wann Beiträge von den Plattformen gelöscht werden müssen. Auch muss Werbung transparent gestaltet werden. Es bleibt aber dabei, dass Plattformen nur haften, wenn sie über einen illegalen Inhalt informiert wurden und nicht korrekt reagierten (notice and take down). Die Digital Markets-Act-Verordnung soll eine sogenannte schwarze Liste verbotener wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Gatekeeper-Plattformen enthalten. So soll zum Beispiel Amazon nicht mehr die Daten der Anbieter auf seinem Marketplace für eigene Zwecke nutzen können. Bei (drohenden) Verstößen sollen Wettbewerbshüter bereits ex ante gegen Anbieter vorgehen können. Ausführlich berichten spiegel.de (Patrick Beuth), FAZ (Hendrik Kafsack/Philip Plickert), SZ (Karoline Meta Beisel/Björn Finke), Hbl (Till Hoppe u.a.) und netzpolitik.org (Alexander Fanta/Tomas Rudl).

In einem separaten Kommentar begrüßt Hendrik Kafsack (FAZ) den nun offenbar unternommenen Versuch, die Macht von Plattformen wie Facebook mit zeitgemäßen Instrumenten zu begrenzen. Auch Jannis Brühl (SZ) meint, dass Plattformen "eine neue Kategorie" von Unternehmen seien, "für die Regeln erfunden werden müssen". Um der korrumpierenden "Logik der Aufmerksamkeitsökonomie" zu begegnen, könnten Transparenzregeln ein erster Schritt sein.

Rechtsanwältin Fiona Savary stellt im FAZ-Einspruch den Entwurf der Kommission für eine Digital Governance-Verordnung vor, bei der es um die Verwendung von Daten geht, einschließlich des sicheren Austauschs von Daten.

Rechtspolitik

Corona – Föderalismus: Im Verfassungsblog plädiert Helmut Philipp Aust, Rechtsprofessor, für eine föderalismusfreundliche Zentralisierung des Infektionsschutzes und schlägt zu diesem Zweck eine Grundgesetzänderung vor, durch die der Gesundheitsschutz ähnlich wie das Atomrecht dem Bereich der Auftragsverwaltung nach Art. 85 Grundgesetz zugeordnet wird. Föderale Vielfalt bliebe auch nach dieser Idee erhalten, weil der Gesetzesvollzug immer noch auf Landesebene stattfinde.

Corona – Gewerbemiete: Eine der Welt (Michael Fabricius) vorliegende Formulierungshilfe des Justizministeriums für das Gesetzgebungsverfahren sieht vor, dass sich Gewerbetreibende wegen coronabedingter Umsatzrückgänge bei der geschuldeten Mietzahlung auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen können. Die Regelung könnte noch in dieser Woche vom Bundestag verabschiedet werden.

IT-Sicherheit: Das Bundeskabinett will am heutigen Mittwoch den Entwurf eines neuen IT-Sicherheitsgesetzes beschließen, schreibt das Hbl (Moritz Koch/Stephan Scheuer). Hierbei sollen für die Sicherheit auch nach 5G-Standard nicht nur rein technische Voraussetzungen erfüllt sein, Anbieter müssten darüber hinaus auch vertrauenswürdig sein, was durch eine politische Bewertung ermittelt werden solle.

Bundesgerichte: swr.de (Philip Raillon) berichtet zum Streit über eine mögliche Neuregelung bei der Besetzung von Senatsvorsitzen an Bundesgerichten. Mit dem vom Bundesjustizministerium geplanten Wegfall einer fünfjährigen Berufserfahrung als Einstellungsvoraussetzung sei die Gefahr einer direkten politischen Einflussnahme verbunden, so Kritiker. Außerdem könnten sich zukünftig die Ernennungskriterien bei den verschiedenen Bundesgerichten unterscheiden. Als Anlass der Kontroverse wird auch in der FAZ (Corinna Budras) die Besetzung zweier freier Stellen an der Spitze des Bundesfinanzhofs genannt.

Sanierungs- und Insolvenzrecht: Vor der für den morgigen Donnerstag terminierten Bundestagsabstimmung über das neue Sanierungs- und Insolvenzrecht für Unternehmen hat sich der Rechtsausschuss auf die ersatzlose Streichung der umstrittenen Möglichkeit einer Vertragsbeendigung verständigt. Betroffene Unternehmen hätten gerichtlich beantragen können, laufende Verträge beenden zu können, schreibt das Hbl (Heike Anger). Dies habe die nahezu einhellige Kritik der zur Expertenanhörung geladenen Sachverständigen auf sich gezogen.

Justiz

AG Berlin-Tiergarten zu Polizei-Unfall: Wegen fahrlässiger Tötung hat das Berliner Amtsgericht Tiergarten einen Polizisten zu einer Bewährungstrafe von 14 Monaten verurteilt. Der Polizist hatte bei einer Einsatzfahrt den Kleinwagen einer jungen Frau mit 130 km/h Geschwindigkeit gerammt. Hierbei hätte ihm bewusst sein müssen, dass seine Geschwindigkeit gegenüber der belebten und unübersichtlichen Stelle der Berliner Innenstadt unangemessen war. Der Fall hatte Aufsehen erregt, weil der Verurteilte während der Tat womöglich unter Alkoholeinfluss stand. Die zwischenzeitliche staatsanwaltschaftliche Beschlagnahmung seiner Patientenakte war jedoch rechtswidrig und durfte im Prozess nicht verwertet werden. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über die mündliche Urteilsbegründung, bei der die polizeiliche Ermittlungsarbeit vor Ort als "total chaotisch" bezeichnet wurde.

BVerfG zu Blitzer-Daten: In Bußgeldverfahren zu mutmaßlichen Geschwindigkeitsübertretungen muss nach einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November zwar nicht jedes Mal "anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüft werden". Betroffenen müsse aber wegen des Rechts auf ein faires Verfahren die Möglichkeit eingeräumt werden, Informationen der Bußgeldbehörde, die als etwa Rohmessdaten nicht Teil der Akte sind, selbst überprüfen zu können. Als Voraussetzung für den Anspruch müssten die fraglichen Informationen im Zusammenhang mit dem konkreten Vorwurf stehen und eine Relevanz für die Verteidigung besitzen. Es berichten spiegel.de (Dietmar Hipp)swr.de (Gigi Deppe) und LTO.

BVerfG – Sozialversicherung: In ihrem Mittwochsporträt stellt die SZ (Hans von der Hagen) den früheren Sozialrichter Jürgen Borchert vor. Als jetziger Anwalt des Deutschen Familienverbandes rüttle Borchert an den "Grundfesten der Sozialversicherung", die in ihrer jetzigen Form Familien, die zusätzlich Kinder unterhalten müssten, benachteilige. Die hierzu eingelegte Verfassungsbeschwerde werde derzeit geprüft.

BVerwG zu IFG-Ansprüchen: LTO berichtet über zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zu Auskunftsansprüchen gegen das Bundeswirtschaftsministerium auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes. Im ersten Fall muss das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nun noch tatsächliche Fragen klären, ehe über den Zugang zu Dokumenten zu Förderungsentscheidungen des Bundes entschieden werden kann. Im zweiten Fall bestätigte das BVerwG die Ansicht der Vorinstanz, nach der massenhafte Auskunftsersuchen nicht wegen vermeintlichem Rechtsmissbrauch verweigert werden können.

VG München zu Pressearbeit der StA: Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft München hat das Recht des mutmaßlichen Doping-Arztes Mark S. Verletzt, indem sie ihre Pressemitteilung zur Anklageerhebung nur wenige Stunden nach Versendung der 145-seitigen Anklage veröffentlichte. Dies entschied das Verwaltungsgericht München. Dem Bericht von spiegel.de (Matthias Fiedler) zufolge dürfte die Verteidigung von S. das Urteil benutzen, um im beim Landgericht München II anhängigen Strafverfahren ein milderes Urteil für ihren Mandanten zu erstreiten.

GenStA Frankfurt/M. – Facebook-Likes: Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat "eine Reihe von Strafbefehlen" wegen Billigung von Straftaten gegen Facebook-Nutzer beantragt, die in einer Gruppe den Anschlag von Hanau durch das Setzen sogenannter Likes mutmaßlich gutgeheißen hatten. Die SZ (Ronen Steinke) macht in ihrem Bericht auf die hierdurch zum Ausdruck kommende strenge Auslegung der Meinungsfreiheit aufmerksam und gibt andererseits zu bedenken, dass es den Ermittlern wohl vorrangig um die Schaffung eines Bewusstseins ginge: "Hetze zu liken heiße, Hetze zu verstärken."

StA Köln – Cum-Ex: Die Staatsanwaltschaft Köln hat einen Schweizer Banker aus dem Umfeld der Sarasin-Privatbank wegen gewerbsmäßigen Betruges angeklagt. Der Banker soll vor allem Millionäre zu Investitionen in Aktien-Fonds mit Cum-Ex-Zusammenhang gedrängt und hierbei den wahren Charakter der Geschäfte verschleiert haben, berichtet die SZ (Klaus Ott/Jan Willmroth) exklusiv.

Justiz-Stellen: Der Bund erfüllt seine Verpflichtungen aus dem "Pakt für den Rechtsstaat" zur Schaffung von 2.000 zusätzlichen Stellen in der Justiz. Dies geht aus einer von der FAZ (Marcus Jung) berichteten Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP hervor. In den Ländern bestehe dagegen noch Handlungsbedarf.

Recht in der Welt

Frankreich – "Charlie Hebdo"-Anschlag: Vor dem für den heutigen Mittwoch erwarteten Urteil gegen mutmaßliche Hintermänner des Anschlags auf die Zeitschrift "Charlie Hebdo" bringt auch die taz (Rudolf Balmer) einen Bericht. Die Welt (Martina Meister) stellt Isabelle Coutant-Peyre vor, die den als Mittäter angeklagten Ali Riza Polat vertritt. Die Liste ihrer Mandanten lese sich "wie ein Who´s who der Staatsfeinde", einen von ihnen, den zu lebenslanger Haft verurteilten Terroristen Carlos, hat die Juristin sogar geheiratet. Die SZ (Nadia Pantel) dagegen porträtiert Richard Malka, den langjährigen Anwalt des Magazins und im Prozess der Vertreter von Überlebenden des Anschlags.

Großbritannien – Lebenserhaltende Maßnahmen: Am nächsten Freitag soll eine Familienkammer des High Court in London über den Antrag einer Mutter entscheiden, die lebensverlängernde Behandlung ihres schwerkranken fünf Jahre alten Kindes fortzusetzen. Wie die FAZ (Jochen Buchsteiner) schreibt, behauptet das behandelnde Krankenhaus, dass eine Aufrechterhaltung der künstlichen Beatmung des Kindes nicht in dessen bestem Interesse sei.

Ungarn – Verfassungsänderung: Die jüngste Änderung der ungarischen Verfassung, nach der der Vater ein Mann, die Mutter hingegen eine Frau sei, wird von Reinhard Müller (FAZ) kommentiert. Zwar verstoße die Aussage "nicht gegen europäische Grundwerte", die in ihr zum Ausdruck kommende "massive Diskriminierung von Personen, die ihr Geschlecht ändern wollen", hingegen schon. Die Förderung von Hass sei "das Gegenteil von konservativ und christlich".

Juristische Ausbildung

Jura-Bachelor: Im Rechts- und Studienblog Recht-verblueffend sammelt Valentin Konstant, Student, Argumente, die für einen integrierten Bachelor-Abschluss im rechtswissenschaftlichen Studium sprechen.

Online-Prüfungen: Präsenzveranstaltungen an Universitäten dürften wieder einige Zeit auf sich warten lassen, aus diesem Grund beleuchtet Rechtsprofessor Rolf Schwartmann im Forschung und Lehre-Teil der FAZ rechtliche Probleme von Online-Lehre sowie dezentralen Prüfungen und Klausuren. Für letztere dürften in vielen Ländern bereits hinreichende Rechtsgrundlagen fehlen, als besonderes Problem wertet der Autor hier die Unterbindung von Täuschungsversuchen.

Sonstiges

Corona-Obduktionen: Ein maßgeblich vom Institut für Medizinrecht der Bucerius Law School betriebenes Verbundprojekt "DEFEAT PANDEMIcs" will technische Standards für die Durchführung von Obduktionen an Covid-19-Verstorbenen entwickeln und die rechtlichen Rahmenbedingungen für Obduktionen zum Zwecke des Infektionsschutzes ausloten. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter John Heidemann erläutert im Gespräch mit LTO (Maximilian Amos) die sachlichen Hintergründe des Projekts und dessen Arbeitsschwerpunkte.

Corona – Geschenkeumtausch: swr.de (Bernd Wolf) erläutert in einer Übersicht, wie und unter welchen Voraussetzungen der Umtausch mangelhafter oder auch nicht gefallender Geschenke trotz Lockdown funktioniert.

Schiedsverfahren: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ werben die Rechtsanwälte Sarah Schmidt-Versteyl und Jan Voß für Schiedsverfahren als sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Zivilprozess. "Alternative Streitbeilegungswege wie private Schiedsverfahren, Schlichtung oder Mediation" rückten gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in den Fokus. Die beteiligten Parteien könnten sich auf eine rasche Beilegung des Streits mit überschaubaren Kosten einstellen.

Geheimnisschutz und Datenschutz: Wie Arbeitgeber Geschäftsgeheimnisse und gleichzeitig auch die datenschutzrechtlichen Belange von Mitarbeitern schützen können, wird von Rechtsanwältin Anja Mengel auf LTO vertieft und unter Bezugnahme auf einschlägige Rechtsprechung dargestellt.

Das Letzte zum Schluss

Sehnsucht: In einer anderen Zeit hätte die von spiegel.de berichtete Aktion eines 28-jährigen Schotten die Herzen romantisch veranlagter Menschen höher steigen lassen. Der Mann war, um seine Freundin auf der 40 Kilometer westlich von Schottland gelegenen Isle of Man wiederzusehen, mit dem Jetski angereist. Damit verstieß er jedoch gegen die in Großbritannien geltenden Bewegungseinschränkungen, nun sind ihm vier Wochen Haft gewiss.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Dezember 2020: Facebook und Co sollen reguliert werden / Rasender Polizist verurteilt / Urteil zu Charlie Hebdo erwartet . In: Legal Tribune Online, 16.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43747/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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