Der lange Arm der internationalen Strafjustiz reicht nicht bis Südafrika. Außerdem in der Presseschau: Minister zu EU-Datenschutz, EuGH vor OMT-Urteil, Staatsanwältin als Zeugin im Deutsche Bank-Verfahren und Antworten für Jura-Studenten.
Thema des Tages
Südafrika/Sudan – Omar al-Baschir: Trotz eines vom Obersten Gerichtshofs Südafrikas verhängten Ausreiseverbots hat Omar al-Baschir, Präsident des Sudan, das Land verlassen und ist in seine Heimat zurückgekehrt. Der Bericht der SZ (Tobias Zick) beschreibt, dass der "Affront" gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), dessen Haftbefehle damit weiterhin nicht vollstreckt werden können, "im Einklang mit der Praxis der Afrikanischen Union" stünden. Die Organisation werfe dem IStGH Voreingenommenheit gegenüber Afrikanern vor. Südafrika habe dagegen bislang als wichtigster Partner des IStGH auf dem afrikanischen Kontinent gegolten und dessen Rechtsgrundlage "so tief wie kaum eine andere Nation in Afrika in seiner Gesetzgebung implementiert", so die Welt (Christian Putsch). Dass das Land nun nicht nur seine eigene, "im kontinentalen Vergleich unabhängige Justiz", sondern auch den IstGH "so nachhaltig brüskiert habe", stelle die Zukunft des Gerichts überhaupt in Frage.
Ähnlich argumentiert Dominic Johnson (taz) in einem Kommentar. "Respekt vor dem Gesetz und Pflege der Rechtsstaatlichkeit" hätten zu den Gründungsprinzipien der demokratischen Post-Apartheid-Gesellschaft gehört, die jetzige Führungselite hätte dagegen kein Problem damit, "das Recht mit Füßen zu treten". Reinhard Müller (FAZ) erinnert daran, dass Völkerrecht zunächst ein Recht der Staaten und damit abhängig von deren Willen sei. Dass System der internationalen Strafgerichtsbarkeit leide immer noch daran, dass wichtige Länder wie die USA, Russland oder China ihm nach wie vor fern geblieben sind.
Eine englischsprachige Analyse der Ereignisse liefert der an der Universität Kapstadt lehrende Rechtsprofessor Pierre de Vos (verfassungsblog.de).
Rechtspolitik
Datenschutzgrundverordnung: Aus Anlass der Verhandlungen zur geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung wirft für lto.de der Anwalt Carlo Piltz einen umfassenden Blick auf die relevanten Probleme und die vertretenen Positionen.
Derweil haben sich die europäischen Innen- und Justizminister auf einer Tagung in Luxemburg vor Beginn der Verhandlungen mit dem Europaparlament zu Eckpunkten der geplanten Verordnung verständigt. So sollen etwa das sogenannte Recht auf Vergessen im Internet gestärkt und Unternehmen, die in der EU Dienstleistungen anbieten, zur Einhaltung europäischer Regeln verpflichtet werden. Die SZ (Daniel Brössler) berichtet. Einen "Faktencheck" in Frage-und-Antwort-Form bringt die Welt (Christoph B. Schlitz).
Hendrick Kafsack (FAZ) meint, dass es "höchste Zeit" für die Setzung neuer und klarer Rechtsrahmen im Verhältnis von Kunden und Unternehmen sei. Als Antwort auf die Enthüllungen Edward Snowdens dagegen sei die Reform des EU-Datenschutzrechts nie gedacht gewesen. Denn "auch noch so strikte Datenschutzregeln können Geheimdienste nicht bändigen". Anna Biselli (netzpolitik.org) konstatiert, dass das erreichte Ergebnis in wichtigen Punkten "sogar hinter dem Ist-Zustand" des Datenschutzniveaus zurückfalle.
Suizid-/Sterbehilfe: Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, noch in dieser Woche den insgesamt vierten Entwurf zu einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe vorstellen zu wollen. Der jetzige Entwurf ermögliche es Ärzten straffrei, freiwillig bei Selbsttötungen todkranker Patienten zu helfen, schreibt die SZ (Kim Björn Becker) und stellt auch die bisherigen Vorschläge zum Thema vor. Der Bundestag soll im Herbst zur Frage beraten.
Anti-Doping-Gesetz: Am morgigen Mittwoch findet die öffentliche Anhörung zum geplanten Anti-Doping-Gesetz im Bundestag statt. Die FAZ (Michael Reinsch) befragt im Sport-Teil der Zeitung den hierzu geladenen früheren Staatsanwalt und Richter Dieter Rössner zu seinen Beweggründen dafür, die im Entwurf vorgesehene Besitzstrafbarkeit in Frage zu stellen.
Justiz
EuGH – OMT: Am heutigen Dienstag verkündet der Europäische Gerichtshof sein Urteil zur Zulässigkeit des sogenannten OMT-Programms der Europäischen Zentralbank (EZB). Nach dem Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) ist neben Ausführungen zu den Befugnissen der EZB auch eine Stellungnahme zur Ultra-Vires-Doktrin des vorlegenden Bundesverfassungsgerichts zu erwarten. Es spräche "manches" dafür, dass sich der EuGH hierbei nicht "auf einen tief greifenden Konflikt mit dem in Europa einflussreichsten Verfassungsgericht" einlassen werde. In ähnlicher Weise prognostizieren den Verfahrensausgang die Rechtsanwälte Ulrich Karpenstein und Matthias Kottmann in einem Gastkommentar für das Handelsblatt.
EGMR zu Sterbehilfe: In der vorvergangenen Woche entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Einstellung der Versorgung eines Wachkomapatienten nicht gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Die Rechtswissenschaftlerin Anna von Notz (verfassungsblog.de) fasst Fall und Entscheidung zusammen und geht dabei auch auf die im abweichenden Votum vertretene Ansicht, die Mehrheitsentscheidung bedeute "einen Rückschritt für den Lebensschutz", ein.
BGH zu Schwarzarbeit: Beruht ein Werkvertrag auf einer rechtswidrigen Schwarzarbeits-Absprache, kann der Besteller bereits geleistete Zahlungen auch bei Mangelhaftigkeit des Werkes nicht zurückfordern. Der entsprechenden Anwendung des § 817 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Dies entschied in der vergangenen Woche der Bundesgerichtshof nach Bericht von lto.de.
OLG München – NSU: Die FAZ (Helene Bubrowski/Karin Truscheit) berichtet zu dem handschriftlich verfassten Antrag Beate Zschäpes, ihre Verteidigerin Anja Sturm zu entpflichten. Es sei zu erwarten, dass das Oberlandesgericht München dem Antrag nicht entspreche. Zum gleichen Ergebnis gelangt die Einschätzung von Detlef Burhoff (blog.burhoff).
LG München I – Deutsche Bank: Das Verfahren gegen Manager der Deutschen Bank vor dem Landgericht München I wird am heutigen Dienstag mit der Zeugenvernehmung der Anklägerin Christiane Serini fortgesetzt. Der ungewöhnliche Rollentausch sei notwendig, weil der mitangeklagte Josef Ackermann bislang eine Aussage verweigert. Serini soll zu ihrer vorprozessualen Vernehmung Ackermanns befragt werden, so die FAZ (Joachim Jahn) in einem Porträt der Oberstaatsanwältin.
LG Darmstadt – Fall Tugce: Die FAZ (Timo Frasch) stellt in Frage-und-Antwort-Form wichtige Aspekte des Verfahrens im Fall Tugce vor. So wird der Umgang der Prozessparteien als "respektvoll" beschrieben und vermutet, dass der Angeklagte die Anwendung von Jugendstrafrecht zu erwarten habe. Das Landgericht Darmstadt fällt sein Urteil am heutigen Dienstag.
StA Köln – Sal. Oppenheim: Über ein von der Staatsanwaltschaft Köln betriebenes, "in seiner Dimension bislang einmaliges Verfahren in Deutschland" schreibt die SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott). Ermittler gingen dem Verdacht nach, dass vermögende Kunden des privaten Bankhauses Sal. Oppenheim über millionenschwere Investitionen in Luxemburger Fonds zu Unrecht Steuervorteile in Anspruch genommen hätten. Angestoßen wurden die Ermittlungen durch interne Untersuchungen des mittlerweile zur Deutschen Bank gehörenden Instituts.
Recht in der Welt
ICTY – Radovan Karadzic: Der internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien fällt voraussichtlich im Oktober sein Urteil über Radovan Karadzic, den früheren Präsidenten der bosnisch-herzegowinischen Teilrepublik Srpska. Eine Reportage der FAZ (Michael Martens) rekapituliert den bisherigen Verfahrensverlauf. Entscheidungserheblich sei die Frage, ob das Gericht die Existenz einer funktionierenden Befehlskette mit Karadazic an der Spitze für erwiesen erachte.
Blauhelmeinsätze: Nach Berichten über sexuelle Ausbeutung durch UN-Blauhelmsoldaten bei Einsätzen in Haiti und der Zentralafrikanischen Republik fordert Gisela Hirschmann (zeit.de) ernsthafte Konsequenzen. Hierzu gehöre zunächst die aktive Umsetzung bereits vor zehn Jahren beschlossener Maßnahmen wie der Verabschiedung eines verbindlichen Verhaltenskodexes für UN-Mitarbeiter. Darüber hinaus dürften nur noch solche Staaten zu Blauhelmmissionen herangezogen werden, die eine Strafverfolgung vor Ort ermöglichten.
USA – Transgender: Ein 16-jähriger Transgender-Schüler wurde von seiner US-amerikanischen High School dazu gezwungen, bei dringenden Bedürfnissen eine allein für ihn eingerichtete, separate Toilette zu benutzen. Weil er sich durch die Maßnahme stigmatisiert und ausgegrenzt fühle, hat er nun eine Klage gegen seine Schule eingereicht. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Dieter Medicus: Auch lto.de (Constantin van Lijnden/Tanja Podolski) würdigt nun den in der vergangenen Woche verstorbenen Zivilrechtler Dieter Medicus in einem Nachruf. Dass von ihm begründete, nach Anspruchsgrundlagen geordnete Standardwerk zum Bürgerlichen Recht bilde "seit Jahrzehnten eine feste Größe der juristischen Ausbildungsliteratur".
Sonstiges
NS-Verbrechen: Der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) wird sich auf der ab dem morgigen Mittwoch in Stuttgart stattfindenden Justizministerkonferenz dafür aussprechen, die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen dauerhaft fortzuführen. Nach den Vorstellungen des Ministers soll die Zentralstelle dabei zunächst weiterhin als Ermittlungsbehörde fungieren und später zu einem Forschungs- und Informationszentrum ausgebaut werden, schreibt die SZ (Josef Kelnberger).
DAV-Präsident: Den neu gewählten Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, den Berliner Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg, stellen lto.de und FAZ (Joachim Jahn) vor.
Das Letzte zum Schluss
Dämliche Fragen: Als ob das Jurastudium an sich nicht bereits Herausforderung genug wäre, so manchen Studierenden plagen auch noch sicherlich nett gemeinte Fragen von Freunden außerhalb der Materie. talentrocket.de (Yacine Coco) entwirft mögliche Antworten, z.B. auf den Klassiker, ob denn zum Studium auch das Auswendiglernen des Gesetzes gehöre.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2015: Präsident auf der Flucht - EU-Datenschutzrecht - EuGH zu OMT . In: Legal Tribune Online, 16.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15867/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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