Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. April 2012: Maulkorb für Parlamentarier – Ungeklärte Filesharing-Haftung – Provozierter Drogenhändler

16.04.2012

Der Vorstoß zur Begrenzung des Rederechts von Parlamentariern sorgt für Unmut und verfassungsrechtliche Bedenken. Außerdem in der Presseschau: die gebremste Honorarreform, das Bundesverfassungsgericht zur Filesharing-Haftung, ein provozierter Drogenhändler, ein eskalierter Miles & More-Streit – und eine Kanzlei, die sich anscheinend für nichts zu schade ist.

Rederecht im Parlament: Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) berichtet von Plänen der Fraktionsführung von CDU/CSU, FDP und SPD, das Rederecht der Bundestagsabgeordneten noch stärker als bislang von den Fraktionen kontrollieren zu lassen. Der Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses sehe vor, dass der Parlamentspräsident nur noch von den Fraktionen eingeteilten Rednern das Wort erteilen darf. Ausnahmsweise zugelassene Redezeiten sollten nicht länger als drei Minuten möglich und nur im Benehmen mit den Fraktionen zulässig sein. Auch persönliche Erklärungen der Abgeordneten sollen weitgehend auf schriftliche Äußerungen beschränkt werden.

Dieser Plan stößt in der Presse verbreitet auf Kritik. Heribert Prantl bezeichnet ihn in der Samstags-SZ als "Gebrauchsanweisung dafür, wie man den Bundestag kaputtmacht" und legt in der Montags-SZ mit einer Analyse der Rolle des Abgeordneten und der Fraktionen nach. "Reden ist Gold" meint auch Rainer Blasius (Montags-FAZ), während die FTD in ihrem Leitartikel die "Unbequemen ans Pult" ruft – gerade diese verdienten es, gehört zu werden.

Auch verschiedene Parlamentarier sind empört – wie unter anderem spiegel.de wissen lässt.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Honorarerhöhung: Die vom Bundesjustizministerium geplante Erhöhung der Honorare für Rechtsanwälte und Notare liegt einem Bericht der Montags-FAZ (Joachim Jahn) zufolge wegen Widerstands aus den Bundesländern momentan auf Eis. Diese forderten einstimmig im Gegenzug eine Erhöhung der Gerichtsgebühren.

Landesverfassungsbeschwerde: Über die Pläne der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg, eine Landesverfassungsbeschwerde einzuführen, berichtet kurz die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt).

Weitere Themen – Justiz

Filesharing: Das Bundesverfassungsgericht hält die Frage nach der Haftung des Anschlussinhabers für andere Nutzer beim Filesharing für noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt und sieht folgerichtig in einer darauf gestützten Nichtzulassung der Revision zum Bundesgerichtshof durch das Oberlandesgericht Düsseldorf das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Über den Karlsruher Beschluss und die Hintergründe berichtet lawblog.de (Udo Vetter), eine weitere Analyse findet sich bei internet-law.de (Thomas Stadler).

Facebook-Abmahnung: Für wenig überraschend halten der Rechtsanwalt Niklas Haberkamm und der wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Wagenknecht in ihrer Analyse auf lto.de die Abmahnung eines Facebook-Nutzers wegen eines von einem Dritten auf seinem Profil veröffentlichten Bildes. Allerdings sei auch Panik in diesem Zusammenhang "weder angemessen noch notwendig" – an gewisse Regeln müsse man sich aber eben halten.

Lehrbücher-Download: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass Universitäten Lehrbücher ihren Studierenden nicht kostenlos online zur Verfügung stellen dürfen. Die Fernuniversität Hagen hatte auf ihrer Internet-Lernplattform große Teile eines Psychologie-Lehrbuchs zugänglich gemacht. Dies stelle eine Verletzung des Urheberrechts des klagenden Verlags dar, die auch nicht vom Lehrprivileg des § 52a Kunsturhebergesetz gedeckt sei, berichtet die Samstags-SZ (Johan Schloemann) auf ihrer Literatur-Seite. Es handele sich um ein Musterverfahren, die Revision zum Bundesgerichtshof sei zugelassen worden.

Inzestverbot: Während sich Volker Rieble und Claudius Seidl im Feuilleton der FAS eine Pro-Contra-Debatte zum Inzestverbot liefern, meint Oliver Tolmein (Montags-FAZ), ebenfalls im Feuilleton, das Inzestverbotsurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werfe "mehr Probleme auf, als es zu lösen vorgibt". In seinen Augen ist das Gericht, wie zu erwarten gewesen sei, "beim Versuch gescheitert, eine Vorschrift zu begründen, die in erster Linie ein gesellschaftliches Tabu wahren soll".

Der Verfassungsblog (Alexandra Kemmerer) nimmt die Entscheidung zum Anlass, sich vertieft mit "Rezeption, Ratio und Reform" der EGMR-Rechtsprechung auseinanderzusetzen.

Kriminalpsychiater: Der schwierigen Aufgabe der psychiatrischen Gerichtsgutachter widmet die Samstags-SZ (Christian Weber) ihre Wissens-Seite. Die Grenzen der Disziplin seien durch den Gutachterstreit im Prozess gegen den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik wieder einmal aufgezeigt worden.

Buback-Prozess: Einen ausführlichen Bericht über den bisherigen Verlauf des Mordprozesses gegen Verena Becker und die "begründeten Mutmaßungen" des Nebenklägers und Sohns des Ermordeten, Michael Buback, liefert die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt).

Agent Provocateur: Der Spiegel (Ulrike Demmer) berichtet von einem Prozess gegen einen Drogenhändler vor dem Berliner Landgericht. Das Aufsehenerregende an dem Fall sei nicht nur die spektakulär große Menge Rauschgift, um die es geht, sondern insbesondere der Vorwurf der Verteidiger, ein verdeckter Ermittler der Polizei habe den Angeklagten überhaupt erst zu der ihm vorgeworfenen Tat verleitet. Dies verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Koranverteilung: Die Montags-SZ (Tanjev Schultz) erläutert, warum dem "radikalen Islam-Prediger" Ibrahim Abou Nagie, der hinter der Koran-Verteilung stehe, "rechtlich nicht leicht beizukommen" ist. Das gegen ihn wegen öffentlicher Anstiftung zu Straftaten und Störung des religiösen Friedens eröffnete Strafverfahren stehe kurz vor der Einstellung.

Arzthaftung: Auch sachkundige Patienten, die einen Arzt bereits mit einer Eigendiagnose konfrontieren, müssen von diesem kritisch und umfassend befragt werden – sonst kann sich der Arzt schadensersatzpflichtig machen, so nach einem Bericht von lto.de das Oberlandesgericht Koblenz.

EnBW-Streit: Nachdem die baden-württembergische Landesregierung wegen des umstrittenen Aufkaufs von EnBW-Aktien durch die Vorgängerregierung Klage bei der Internationalen Handelskammer eingereicht hat, droht der beklagte französische Energiekonzern EDF nun mit Schadensersatzforderungen wegen der "rechtsmissbräuchlichen Klage", so die FTD (Nikolai Fichtner/Michael Gassmann). Die Landesregierung fordere mit ihrer Klage einen Teil des in ihren Augen überhöhten Kaufpreises zurück.

Unwirksame Honorarvereinbarung: Ein Rechtsanwalt hat auch dann Anspruch auf die gesetzliche Vergütung, wenn er mit dem Mandanten eine unzulässige Erfolgshonorarvereinbarung geschlossen hat. Das entsprechende Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf fasst blog.beck.de (Hans-Jochem Mayer) kurz zusammen.

Miles & More: Der Spiegel (Martin U. Müller) berichtet vom Streit des Hamburger IT-Professors Tobias Eggendorfer mit der Lufthansa. Nachdem Eggendorfer Mitte März vor dem Landgericht Köln bereits ein Urteil gegen den Konzern erwirkt hätte, das die von der Lufthansa vorgenommene Erhöhung der Kosten für einen "Miles & More"-Prämienflug als zu kurzfristig bewerte, habe er inzwischen Strafanzeige wegen "gewerbsmäßigen Betrugs in 21 Millionen Fällen" erstattet. Der Vorwurf: Der Konzern betreibe "gezielte Informationsverschleppung".

Unterdessen gelte es als wahrscheinlich, dass Lufthansa gegen das Landgerichts-Urteil in Berufung gehen wird, so der Spiegel weiter.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Breivik-Anwälte: Als "Kopf des Tages" stellt die FTD (Clemens Bomsdorf) den Strafverteidiger von Anders Behring Breivig vor. Der norwegische Rechtsanwalt Geir Lippestad werde für sein Engagement teils heftig kritisiert – wobei "Eitelkeit und medialer Geltungsdrang" des Anwalts daran auch einen Anteil haben dürften, so die FTD.

Kritisch setzt sich auch die FR (Hannes Gamillscheg) mit der "Fotokampagne" des Anwälte-Teams auseinander. Ein positiveres Bild zeichnet zeit.de (Johan Falnes).

E-Book-Preisabsprachen: Über die von den US-Buchverlagen befürchteten Konsequenzen der vom amerikanischen Justizministerium gegen Apple und die sechs größten Buchverlage der USA angestrengten Klagen wegen Preisabsprachen berichtet ausführlich die FTD (Thorsten Schröder/Bernhard Hübner).

Oracle vs. Google: Als "High Noon im Wilden Westen" bezeichnet die FTD (Laube/Annika Graf) den heute vor einem Gericht in San Francisco beginnenden und "bislang spektakulärsten Prozess in der weltweiten Milliardenschlacht um Handypatente". Es gehe um nichts Geringeres als die Zukunft des Google-Betriebssystems Android, das in den Augen Oracles mehrere firmeneigene Patente verletze. Der Artikel liefert gleichzeitig einen Überblick über weitere weltweit geführte Patentstreitigkeiten rund um Mobiltelefone.

Mit der Rolle deutscher Gerichte in den international bedeutsamen Patentstreitigkeiten der Mobilfunkbranche beschäftigt sich die Samstags-FAZ (Caroline Freisfeld).

Sonstiges

Wehrmachtrichter: Als "Das Politische Buch" stellt die Montags-SZ (Helmut Lölhöffel) die von Joachim Perells und Wolfram Wette herausgegebene Studie "Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer" vor. Sie dokumentiere die "Untaten der NS-Militärrichter", von denen immerhin drei Viertel in den bundesrepublikanischen Justizdienst übernommen worden seien.

Das Letzte zum Schluss

Allmächtige Oberstaatsanwaltschaft: Einen Hoax der juristischen Art präsentiert lawblog.de (Udo Vetter): Im Internet kursiere ein Schreiben, das sich als Verordnung der britischen Militärregierung von 1946 ausgibt, und der Düsseldorfer Oberstaatsanwaltschaft kurzerhand die "Dienst-, Fach- und Sachaufsicht" über die deutsche Gerichtsbarkeit zuschreibt.

Autobahnkanzlei-Song: "Hier steht dein Mann / fahr vor, halt an / entlang der Autobahn": Es gibt Kanzleiwerbungen und -bezeichnungen, die gibt's gar nicht - außer sie werden gefunden von blog.beck.de (Carsten Krumm).

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. April 2012: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6000 (abgerufen am: 09.10.2024 )

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