Der EuGH-Generalanwalt spricht sich in der Sache Schrems gegen Facebook gegen eine Sammelklage aus. Außerdem in der Presseschau: Dieter Grimm zur Souveränität Europas und BVerfG zur Angemessenheit der Wohnkosten von Leistungsempfängern.
Thema des Tages
EuGH – Facebook: Generalanwalt Michal Bobek hat am Europäischen Gerichtshof seinen Schlussantrag zu den vom Obersten Gerichtshof Österreichs vorgelegten Zuständigkeitsfragen in der Sache Max Schrems gegen Facebook vorgelegt. Der Datenschutzaktivist ist dabei nach der Einschätzung des Generalanwalts trotz seiner publizistischen Aktivitäten als Verbraucher zu behandeln. Dieser Einschätzung stünde das zivile Engagement nicht entgegen, Schrems könne daher seine Schadensersatzansprüche an seinem Wohnort Wien geltend machen. Eine solche Klage könne aber nur im eigenen Namen ergehen. Die erfolgten Abtretungen von Ansprüchen anderer dürften nicht zur Einführung einer nach geltenden EU-Bestimmungen nicht möglichen Sammelklage, noch dazu im grenzüberschreitenden Kontext, benutzt werden, so Bobek. Berichte zur Entscheidung bringen SZ (Wolgang Janisch), taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Yannick Lebert).
Rechtspolitik
Souveränes Europa: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ untersucht der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm den Gehalt der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron bekundeten Absicht einer Neugründung Europas, das unter anderem "souverän" werden solle. Herkömmliche Definitionen von Souveränität knüpften an staatliche Subjekte, die selbstbestimmt über "das Recht, über die Zwecke, die Formen und Inhalte der Herrschaft" entscheiden, an. Demnach bedeute der französische Vorschlag "eine Verstaatlichung Europas" und erfordere eine politisch bislang gemiedene Diskussion über die "Finalitätsfrage".
Insolvenzrecht/Start-ups: Rechtsanwalt Christian Graf Brockdorff fordert in einem Gastbeitrag für den Wirtschaftsteil der FAZ, in der kommenden Legislaturperiode die bereits mehrfach geplante gesetzliche Schaffung einer Insolvenzfestigkeit für Lizenzvereinbarungen in Angriff zu nehmen. Der bisherige Zustand beinhalte das latente Risiko der Unwirksamkeit vertraglich getroffener Vereinbarungen. Gerade die stark wachsende Start-up-Branche, die zunehmend von ihren Lizenzgebern abhängig werde, bedürfe der notwendigen Rechtssicherheit.
Glücksspielrecht: Anhand mehrerer Beispiele legt Rechtsprofessor Marc Liesching (community.beck.de) dar, dass entgegen der Berichterstattung zu den Paradise Papers Online-Glücksspiel nicht offensichtlich* illegal ist. Tatsächlich sei die Politik gefordert, zum Zwecke der Rechtssicherheit einen Regulierungsrahmen zu schaffen.
Vorratsdatenspeicherung: Zu den Sondierungsgesprächen der mutmaßlichen Jamaika-Koalitionspartner stellt die taz (Konrad Litschko) die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung als zentralen Streitpunkt dar. Dagegen herrsche weitgehende Einigkeit für eine grundlegende Neufassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.
* Die Worte "nicht offensichtlich" wurden 19 Stunden nach Veröffentlichung eingefügt.
Justiz
EuGH – Emissionsgrenzwerte: Zwei deutsche Betreiber von Braunkohlekraftwerken haben gemeinsam mit Branchenverbänden beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen die im April von der EU beschlossene Verordnung zur Festlegung von Emissionsgrenzwerten eingereicht, berichtet die taz (Malte Kreutzfeldt).
BVerfG zu Wohnkostenübernahme: Die Begrenzung auf das Angemessene ist bei staatlicher Kostenübernahme für die Wohnungen von Grundsicherungsempfängern nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn der in § 22 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches verwendete Begriff der Angemessenheit sei durch Auslegung ermittelbar, fester gesetzlicher Beträge bedürfe es daher nicht, so lto.de (Maximilian Amos) in einer ausführlichen Darstellung der Problematik und des nun veröffentlichten Beschlusses von Anfang Oktober. Berichte bringen auch swr.de (Gigi Deppe), SZ (Wolfgang Janisch) und taz (Christian Rath).
BVerfG zu Intersexualität: Der Verfassungsblog setzt sein Online-Symposium zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung eines dritten Geschlechts mit Beiträgen der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Romy Klimke (verfassungsblog.de) zur völkerrechtlichen Perspektive und der Rechtsprofessorin Nora Markard (verfassungsblog.de) zur gleichheitsdogmatischen Bedeutung der "dritten Option" fort. Die taz-Nord (Andre Zuschlag) interviewt Rechtsprofessorin Konstanze Plett zu den Gründen und möglichen Folgen der Entscheidung. Die Juristin hat die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde mitformuliert.
BGH zu Schulte-Kellinghaus: Der Bundesgerichtshof hat nun die Gründe der im September ergangenen Entscheidung im dienstgerichtlichen Verfahren Thomas Schulte-Kellinghaus veröffentlicht. Dem Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe waren von seiner damaligen Gerichtspräsidentin seine vergleichsweise niedrigen Erledigungszahlen vorgeworfen worden. Seine Rechtsanwältin kritisierte, dass der BGH es mit der Zurückverweisung versäumt habe, allgemeine Begrifflichkeiten wie den "sachgerechten Durchschnitt" von richterlichen Erledigungszahlen zu klären, so lto.de (Annelie Kaufmann). Zudem sei nun die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde verzögert worden.
LG Paderborn – Höxter: Im Strafverfahren zu mutmaßlichen Misshandlungen im sogenannten Horrorhaus von Höxter könnte das Landgericht Paderborn gezwungen sein, wesentliche Teile der Beweisaufnahme zu wiederholen, schreibt die SZ (Hans Holzhaider). Grund seien von der Verteidigung des Hauptangeklagten behauptete Widersprüche der mündlichen Aussagen des gerichtlich bestellten psychiatrischen Gutachters gegenüber dessen schriftlicher Stellungnahme. Im Mittelpunkt des Berichts der FAZ (Katrin Hummel) steht das "Geständnis" des Angeklagten gegenüber dem als Zeugen vernommenen Gutachter. Gegenüber diesem habe Wilfried W. zugegeben, den Tod zweier Frauen nicht verhindert zu haben. Treibende Kraft sei jedoch die mitangeklagte Angelika W. gewesen.
LG Berlin zu Vattenfall: Nach Meldung der SZ hat das Landgericht Berlin einen Eilantrag des Energiekonzerns Vattenfall, mit dem dieser die Vergabe des Betriebs des Stromnetzes der Hauptstadt stoppen wollte, zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Konzerns gewährleisteten die vom Land für die Vergabe bestimmten Kriterien eine Bestenauswahl.
LG Saarbrücken zu Messerangriff: Auch die Welt (Gisela Friedrichsen) berichtet nun zur Verurteilung eines syrischen Asylberechtigten, der wegen eines tödlichen Messerangriffs in einer DRK-Beratungsstelle vom Landgericht Saarbrücken zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Recht in der Welt
EuGH zu Aufenthaltsrecht: Der algerische Ehemann einer gebürtigen Spanierin, die mittlerweile auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt, hat ebenso wie seine Frau ein EU-Aufenthaltsrecht. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, über die lto.de (Tanja Podolski) berichtet, ergebe sich dieses Recht zwar nicht direkt aus der EU-Freizügigkeitsrichtlinie, dafür aber aus den originären Rechten der neu erworbenen Staatsangehörigkeit.
Liechtenstein – Verfassungsrichter: Wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs und Geldwäsche hat das Kriminalgericht in Vaduz in der vergangenen Woche einen hochangesehenen Rechtsanwalt zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Nebenberuflich war der Verurteilte für ein gutes Jahrzehnt Präsident des Staatsgerichtshofs Liechtensteins, erläutert die FAZ (Johannes Ritter). Er habe Stiftungsgelder in Millionenhöhe veruntreut und werde wohl bald in einem weiteren Betrugsfall angeklagt.
Türkei – Rechtsanwalt: Die taz (Erik Acarer) stellt den türkischen Rechtsanwalt Selcuk Kozagacli vor, der als Beteiligter an "politisch brisanten Justizfällen" bereits seit längerem den Zorn der türkischen Regierung auf sich gezogen habe und der nun wegen der Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei, die als Terrororganisation gelte, in Untersuchungshaft genommen wurde.
Türkei – Cumhuriyet: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hat die Tageszeitung Cumhuriyet wegen Zahlung eines Schmerzensgeldes von mehr als 100.000 Euro verklagt, berichtet die FAZ (Karen Krüger). Grund seien angeblich ehrabschneidende Berichte des Blatts über die Verwicklung von Söhnen des Politikers in Offshore-Geschäfte im Rahmen der Berichterstattung zu den Paradise Papers.
USA – Fußball-Funktionäre: Zum Prozessauftakt gegen mutmaßlich korrupte lateinamerikanische Fußball-Funktionäre in New York stellt die SZ die Angeklagten und die gegen sie erhobenen Vorwürfe vor.
USA – Einreiseverbot: Ein Bundesgericht in San Francisco hat das vom US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump verfügte Einreiseverbot für Staatsangehörige bestimmter vorwiegend muslimischer Staaten in Teilen bestätigt, meldet zeit.de.
Brasilien – VW: Aus einem der SZ (Stefanie Dodt) vorliegenden Untersuchungsbericht der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft ergeben sich zahlreiche Hinweise auf aktive Mitarbeit der Konzerntochter bei Menschenrechtsverletzungen zur Zeit der Militärdiktatur. Der nun vorgelegte Bericht sei Teil eines kurz vor dem Abschluss stehenden Ermittlungsverfahrens.
Das Letzte zum Schluss
Auf frischer Tat: Eine denkbar schlechte Wahl traf ein mutmaßlicher Autodieb in der vergangenen Woche in Dortmund. Nach einer von justillon.de mitgeteilten Pressemeldung der örtlichen Polizei wurde der Mann bei dem Versuch beobachtet, an mehreren Haus- und Autotüren zu rütteln. Dies setzte er auch am Fahrzeug der Zivilbeamten fort und bemerkte den auf der Rückbank verbliebenen Beamten erst, als sich beide im Fahrzeug befanden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. November 2017: Keine EU-Sammelklage / Dieter Grimm zur Souveränität / Angemessene Wohnkosten . In: Legal Tribune Online, 15.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25527/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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