Die juristische Presseschau vom 15. Oktober 2025: Di Fabio für Los­ver­fahren / Sch­legel für Leis­tungs­st­rei­chungen / Benko vor Gericht

15.10.2025

Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio hält Losverfahren bei der Wehrpflicht für zulässig. Ex-BSG-Präsident Rainer Schlegel gibt grünes Licht für Streichung von Grundsicherung als Sanktion. Heute soll der erste Prozess gegen René Benko enden.

Thema des Tages

Wehrpflicht: Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio hält in einem Gutachten für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Auswahl der Wehrpflichtigen durch ein Losverfahren für vereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wehrgerechtigkeit. Innerhalb eines Losverfahrens habe jeder Auswahlbeteiligte die gleichen Chancen. Zufall bedeute keine Willkür, die fremden Interessen und Wünschen folge. Vielmehr sei der Zufall "eine Auswahlgrundlage", die sich "nahezu objektiv einer Beeinflussung durch äußere Steuerungsmechanismen oder innere Zusammenhänge entzieht". Dagegen sei "für die wirksame Landesverteidigung ein flächendeckendes, den gesamten Jahrgang erfassendes Musterungssystem dysfunktional, ebenso wie eine aufwendige Selektion nach Eignungskriterien". Die FAZ (Marlene Grunert u.a.) stellt das Gutachten ausführlich dar. Trotz des Gutachtens wurde die Vorstellung des Losverfahrens, auf das sich Koalitions-Unterhändler:innen geeinigt hatten, kurzfristig abgesagt. Grund sei Kritik, die bei einer Sitzung der SPD-Fraktion formuliert wurde, berichten auch SZ (Wolfgang Janisch u.a.) und spiegel.de (Paul-Anton Krüger u.a.). LTO berichtet über die politische Diskussion vor der Absage der Pressekonferenz.

Wolfgang Janisch (SZ) kritisiert das Losverfahren und erinnert an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1978, wonach "Einberufungen nicht willkürlich vorgenommen werden" dürfen. "Ein Wehrdienst für Pechvögel, wie ihn die Koalition plant, wäre mit diesem Grundsatz schwerlich vereinbar." 

Rechtspolitik

Grundsicherung: Der SZ (Bastian Brinkmann) liegt ein im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstelltes Gutachten von Rainer Schlegel vor. In diesem führt der bis 2024 amtierende Präsident des Bundessozialgerichts aus, dass Totalsanktionen im Leistungsbezug grundsätzlich zulässig sein können, wenn sich Leistungsbeziehende einer zumutbaren Arbeit verweigern. Härtefallregelungen sollen Partner:innen und Kinder vor unerwünschten Auswirkungen schützen. Bei Alleinstehenden sollen Härtefallregelungen nur vor Obdachlosigkeit schützen. Schlegel hat auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei der Aushandlung der Sanktionsregelungen für die neue Grundsicherung beraten.

Lieferketten und Menschenrechte: Als Teil einer Initiative zum Bürokratieabbau hat sich der Rechtsausschuss des EU-Parlaments auf eine "Entschlackung" der Lieferketten-Richtlinie verständigt, so die FAZ (Werner Mussler), die nun noch vom Parlament gebilligt werden muss. Nach dem nun gefundenen Kompromiss stehen nur noch Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten in der Pflicht, die Einhaltung bestimmter Standards beim jeweils nächsten Handelspartner zu prüfen, der diesbezügliche Berichtsturnus wurde auf fünf Jahre verlängert. Kritik an den neuen Bestimmungen referiert die taz (Leila van Rinsum).

Verhütungsmittel: Die Rechtsprofessorinnen Susanne Dern und Maria Wersig fordern auf LTO, Verhütungsmittel als Bestandteil der Daseinsvorsorge im Sozialrecht zu verankern. Aktuell übernehmen gesetzliche Krankenversicherungen die Kosten verschreibungspflichtiger Verhütungsmittel nur bis zum 22. Geburtstag, im Leistungsbezug sind die Kosten der Position Gesundheitspflege zugeordnet. Diese Regelungen benachteiligten überproportional Frauen in prekären Verhältnissen. Der Koalitionsvertrag sieht zwar eine minimale Erweiterung der Kostenübernahme vor, die Autorinnen plädieren dagegen für eine großzügigere Regelung im Krankenversicherungsrecht.

Justiz

BGH – Klimaschutz/Mercedes: Der Bundesgerichtshof hat einem Antrag der Deutschen Umwelthilfe auf Zulassung der Revision in einem Klimaschutzverfahren gegen Mercedes stattgegeben. Der von der Organisation betriebene Versuch, das Unternehmen zivilprozessual zu einem Verkaufsstopp für Verbrennermotoren ab 2030 zu zwingen, findet damit eine Fortsetzung, schreibt die FAZ (Katja Gelinsky). In den Vorinstanzen hatte die DUH stets verloren.

BGH – Dieselskandal/Rechtsschutzversicherung: Am heutigen Mittwoch verhandelt der Bundesgerichtshof über den Leistungsumfang einer Verkehrs-Rechtsschutzversicherung. Im zugrundeliegenden Fall wollte die Klägerin Ersatzansprüche infolge des Dieselskandals geltend machen, die beklagte Versicherung berief sich vorprozessual auf mangelnde Erfolgsaussichten und später auf den zwischen Erwerb und Zulassung liegenden Zeitraum. Die Rechtsanwälte Philipp Caba und Marko Huth legen auf beck-aktuell dar, dass letztgenannte Problematik über den Dieselskandal hinausweise: Versicherer verweigerten in einem stärkeren Maße als früher und unter Verweis auf Allgemeine Versicherungsbedingungen Deckungsschutz vor der Kfz-Zulassung und könnten sich mittlerweile auf zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen stützen.

BGH zu Anwaltsregress: Unter Hinweis auf einen im September 2024 vom Bundesgerichtshof zulasten einer Anwaltskanzlei entschiedenen Haftpflichtprozess legt Rechtsanwältin Inga Willems für beck-aktuell dar, wie sich die anwaltliche Beratung immer am "Gebot des sichersten Weges" zu orientieren hat, und nennt weitere Fälle, in denen die Nichtbeachtung zu finanziellen Nachteilen führte.

OLG Stuttgart zu Google-Rezension einer Anwaltskanzlei: Die von einer Anwaltskanzlei beanstandete Google-Rezension eines unzufriedenen Mandanten ist nach einem von beck-aktuell berichteten, Ende September verkündeten Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart als Ausdruck grundrechtlich geschützter Meinungsfreiheit hinzunehmen. Während das zuvor mit der Sache befasste Landgericht noch einzelne der Aussagen untersagte, wertete das OLG die Rezension in Gänze als Meinungsäußerung, die zwar in die Unternehmenspersönlichkeit der Kanzlei eingreife, sich jedoch auf gewisse tatsächliche Grundlagen stützen könne.

OLG Celle zu Eigenbedarfskündigung: Das Oberlandesgericht Celle hat der Eigenbedarfskündigung eines Immobilienmiteigentümers stattgegeben. Dem von spiegel.de berichteten Urteil lag eine außergewöhnliche Familienkonstellation zugrunde: Der getrennt lebende Kläger beendete das Mietverhältnis seiner Schwiegermutter, obgleich deren Tochter als Miteigentümerin der in Streit stehenden Immobilie der Kündigung widersprach. Ihre Interessen seien aber – zumindest bis zur Scheidung – durch Anspruch auf Nutzungsentschädigung gewahrt, die Schwiegermutter hingegen sei in der Lage, sich Ersatzwohnraum zu besorgen.

LSG S-A zu Opferentschädigung: Wie schon die Vorinstanzen, verweigerte auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt einem Kläger die begehrte Opferentschädigung für gesundheitliche Folgen einer Straftat. Nach dem bereits im Mai verkündeten Urteil sei der im damals geltenden Opferentschädigungsgesetz enthaltene Versagungsgrund der Unbilligkeit entscheidend: Mit der Beteiligung an kriminellen Aktivitäten habe sich der Kläger bewusst außerhalb der staatlichen Gemeinschaft gestellt. Bei der Auseinandersetzung mit einem Gebrauchtwagenhändler hatte der Kläger eine Schusswunde erlitten. beck-aktuell berichtet.

LG Flensburg zu Anwaltsmandatsvertrag: Eine als Geschäftsführerin einer GmbH in persönliche Haftung genommene Mandantin war im Recht, als sie den in dieser Angelegenheit abgeschlossenen Mandatsvertrag mit einem Rechtsanwalt widerrief. Weil die Kommunikation ausschließlich auf digitalem Wege stattgefunden hatte, stand ihr ein Verbraucher-Widerrufsrecht aus einem Fernabsatzgeschäft zu, entschied das Landgericht Flensburg in der vergangenen Woche laut beck-aktuell.

AG Hannover zu Anwaltshonorar: Nach einer Mandatskündigung infolge anzüglicher Nachrichten ihres Anwalts muss die betroffene Mandantin die aus einer zivilrechtlichen Vertretung nach einem Verkehrsunfall stammende Honorarforderung trotzdem begleichen. Dies entschied das Amtsgericht Hannover und machte hierfür vor allem den Umstand verantwortlich, dass nicht klar sei, ob in der Sache nach der Kündigung ein anderer Anwalt beauftragt wurde. Allerdings hätten die beanstandeten Nachrichten in einem Mandatsverhältnis "aber auch gar nichts" zu suchen, zitiert LTO das AG.

Recht in der Welt

Österreich – René Benko: Am Landesgericht Innsbruck wurde das Strafverfahren gegen den insolventen Immobilienunternehmer René Benko eröffnet. Gegenüber der Anklage wegen "betrügerischer Krida" erklärte sich der Angeklagte für nicht schuldig, in einem längeren Statement wies sein Verteidiger die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe zurück. Es ist weiterhin geplant, dass ein Urteil bereits am heutigen Mittwoch gefällt wird. Die nun zur Verhandlung stehende Schadenssumme von gut 650.000 Euro ist jedoch nur ein Bruchteil offener Forderungen gegen den früheren Milliardär, das jetzige Verfahren dürfte nur der Auftakt für weitere sein. Doch schon in diesem Verfahren drohen Benko bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Über den ersten Prozesstag berichten FAZ (Michaela Seiser), SZ (Michael Kläsgen/Uwe Ritzer), Hbl (Lars-Marten Nagel), zeit.de (Ingo Malcher) und LTO.

Österreich – Kind bei OP: In Graz sind eine Chirurgin und ein Chirurg wegen Beteiligung an einer Körperverletzung angeklagt, weil sie die Anwesenheit der zwölfjährigen Tochter der Ärztin bei einer Not-OP gestatteten. Zum Prozessauftakt räumten beide ein, hiermit einen schweren Fehler begangen zu haben. Den zentralen Vorwurf, das Mädchen habe mit einem Spezialbohrer die Schädeldecke des Patienten geöffnet, bestritten beide jedoch. Unmittelbar nach dem Vorfall hatte die Chirurgin gegenüber Dritten angegeben, ihre Tochter habe soeben ihr erstes Bohrloch gesetzt. SZ (Verena Mayer) und LTO berichten.

Großbritannien – Anwaltszulassung: Das zuständige Kammer-Tribunal hat einer seit 26 Jahren praktizierenden Strafverteidigerin in Großbritannien die Zulassung entzogen, weil sie ein Gericht über den Grund einer persönlichen Verhinderung getäuscht hat. beck-aktuell schreibt, dass die Verteidigerin in einer Sache eine Videoverhandlung beantragt und dies mit ihrer kranken Mutter begründet hatte. Nach Gewährung dieses Anliegens stellte sich jedoch heraus, dass die Anwältin zur fraglichen Zeit in einem anderen Verfahren auftrat.

EGMR/Russland – Georgien: Wegen übermäßigem Gewalteinsatz, rechtswidrigen Inhaftierungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit an den Grenzlinien zwischen Georgien und den russisch kontrollierten georgischen Regionen Abchasien und Südossetien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Russische Föderation zur Zahlung von mehr als 250 Millionen Euro an Georgien verurteilt. Die Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention hat der EGMR bereits im Vorjahr festgestellt, nun wurde nur noch die Entschädigungssumme festgelegt. Nach dem Austritt Russlands aus dem Europarat sei die Durchsetzung der Forderung jedoch mehr als zweifelhaft, schreibt beck-aktuell.

CAS/Israel – Turn-WM: Der internationale Sportgerichtshof CAS hat israelische Eilanträge gegen den faktischen Ausschluss des Landes von der ab nächstem Sonntag in Indonesien beginnenden Turn-Weltmeisterschaft verworfen, so zeit.de. Indonesien hatte sich geweigert, den israelischen Sportler:innen Visa zu erteilen. Der Weltturnverband hatte zwar keinen Ausschluss Israels beschlossen, ging aber nicht gegen Indonesien vor. Eine Berufung Israels ist am CAS noch anhängig.

Juristische Ausbildung

Fern-Uni Hagen: Die Fern-Universität Hagen begeht in diesen Tagen ihr 50-jähriges Jubiläum. Wenige Jahre nach der Gründung wurde ihre rechtswissenschaftliche Fakultät eröffnet. Mit über 12.000 Studierenden ist sie mittlerweile die größte Deutschlands. Dies berichtet beck-aktuell (Jannina Schäffer) und geht auch vertieft auf die fachbereichlichen Angebote und Vorhaben der nächsten Jahre ein.

BRF-Umfrage: Zum sechsten Mal befragte der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) Absolvent:innen über ihre Meinungen zum Jurastudium. LTO-Karriere (Marcel Schneider) liegen die Ergebnisse vorab vor. Bemerkenswert ist, dass gut 80 Prozent der Befragten die Klausurbewertung für subjektiv, intransparent und willkürlich halten. Ein fast ebenso hoher Anteil wünscht sich eine konkretere Ausrichtung der universitären Ausbildung auf die Examensklausuren.

Sonstiges

Geschäftsgeheimnisse: Seit dem vergangenen Frühjahr erweitert – vorbehaltlich eines entsprechenden Antrags – § 273a Zivilprozessordnung den Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess. Die Anwälte Ben Steinbrück und Simon Apel erklären im Recht und Steuern-Teil der FAZ Voraussetzungen und Verfahren und ziehen eine gemischte Bilanz.

BKartA – Biontech/Curevac: Das Bundeskartellamt hat keine Einwände gegen die geplante Übernahme des Biotechnologieunternehmens Curevac durch den Konkurrenten Biontech. Die Forschungspipelines beider Unternehmen wiesen keine erheblichen Überschneidungen auf, zitiert LTO den BKartA-Präsidenten Andreas Mundt.

Das Letzte zum Schluss

Ungebetene Gäste: Einen Fahrschein haben die am gestrigen Morgen in einer S-Bahn zwischen Essen und Köln mitgereisten Hühner sicherlich nicht gelöst, dafür hatten sie es kuschelig: spiegel.de berichtet, dass Unbekannte in einem Bahn-Abteil Stroh und Erde auslegten und das Geflügel absetzten. Weil die Verunreinigung von Bahnanlagen eine Ordnungswidrigkeit ist, macht sich die Bundespolizei nun an die Ermittlungen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Oktober 2025: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58383 (abgerufen am: 07.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag

Dein Zugang zu Deutschlands reichsweitenstärksten Karriere-Portal für Jurist:innen

Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen