Die juristische Presseschau vom 15. Juli 2020: Lie­fer­ketten und Men­schen­rechte / Vor Ent­schei­dung zu Mie­ten­stopp / "Auto­pilot" irre­füh­rend

15.07.2020

Arbeits- und Entwicklungsminister sprechen sich für ein Lieferkettengesetz zum Menschenrechtsschutz aus. In Bayern wird bald über Gesetzgebungskompetenz für Mietgrenzen entschieden und Tesla darf nicht mit einem "Autopiloten" werben.

Thema des Tages

Lieferketten und Menschenrechte: Auf einer gemeinsamem Pressekonferenz haben Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ihre Absicht bekräftigt, ein sogenanntes Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten zu lassen. Die Entscheidung beruhe auf einer Vereinbarung des Koalitionsvertrages, schreibt lto.de (Hasso Suliak). Die Koalitionspartner hatten vereinbart, zunächst über eine freiwillige Selbstverpflichtung die Wirtschaft zur Wahrung menschenrechtlicher Standards zu veranlassen. An entsprechenden Umfragen hätten sich indes nur wenige Unternehmen beteiligt und auch diese nur im Ausnahmefall den Anforderungen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 genügt. Über diese Umfragen berichtet auch das Hbl (Donata Riedel/Frank Specht).

Silvia Liebrich (SZ) meint, es sei "grundsätzlich eine gute Sache", wenn die Bundesregierung "endlich gezielt gegen Unternehmen vorgehen will, die Arbeitskräfte in ihrer Produktionskette ausbeuten". Es sei "allerdings fraglich", ob hierfür ein nur deutsche Firmen betreffendes "Bürokratiemonster" angesichts einer hochgradig arbeitsteiligen Weltwirtschaft das geeignete Mittel ist. Hannes Koch (taz) dagegen ist der Ansicht, dass es für Unternehmen auch wirtschaftlich nützlich sein könne, menschenrechtskonform zu handeln. Hierdurch würden schließlich "Imageschäden und Gerichtsprozesse" vermieden.

Rechtspolitik

PolG Bremen: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Pia Conrad, Julia Gelhaar, Andreas Gutmann, Gianna Schlichte und Tore Vetter geben auf verfassungsblog.de einen schlaglichtartigen Überblick zu herausragenden neuen Bestimmungen, mit der die Landesregierung das Bremische Polizeigesetz ändern will. Beschrieben werden neue polizeiliche Befugnisse, wobei der Entwurf hinter den Verschärfungen anderer Länder zurückbleibt. Außerdem werden Regelungen zur Einschränkung von Racial Profiling beschrieben, die aber hinter dem Stand der Rechtsprechung zurückblieben.

EU-Sammelklage: Barbara Dauner-Lieb und Ludger Gisberts prognostizieren im Recht und Steuern-Teil der FAZ die baldige Einführung einer EU-weiten Sammelklage für Verbraucher. Bislang bekannte Regelungsinhalte orientierten sich dabei an der Rechtslage in den USA als "gleichermaßen Antrieb und Bremse", ließen aber gleichzeitig "zahlreiche Detailfragen offen".

Urheberrecht: Zahlreiche Verlage haben in einem Schreiben an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die rasche Umsetzung des bislang nur als Entwurf bestehenden "Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes" gefordert. Mit dem Gesetz solle auch das Prinzip der durch Verwertungsgesellschaften organisierten Verlagsausschüttungen als finanzieller Ausgleich für die Drittverwertung von Verlagsinhalten wieder eingeführt werden, erläutert die FAZ (Georg Giersberg) in ihrem Unternehmens-Teil.

Justiz

EuG – Apple: Das Gericht der Europäischen Union wird heute seine Entscheidung in Sachen Apple-Steuern in Irland verkünden. Die Europäische Kommission hatte das Unternehmen 2016 zur Steuernachzahlung von mehr als 13 Milliarden aufgefordert, nachdem sie entsprechende Vergünstigungen als illegale Beihilfen eingeordnet hatte, schreibt die FAZ (Werner Mussler/Philipp Plickert). Damit werde nun auch über die Rechtmäßigkeit der sogenannten Tax Rulings, speziell ausgehandelter Bedingungen von Steuerzahlungen, befunden.

VerfGH Bayern – Mietenstopp: Am morgigen Donnerstag verkündet der Bayerische Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die vom Innenministerium des Freistaats bestrittene Zulässigkeit des Volksbegehrens "Sechs Jahre Mietenstopp". Ob ein Land die Gesetzgebungskompetenz für derartige Regelungen besitze, sei auch und insbesondere hinsichtlich des Mietendeckels in der Hauptstadt umstritten, schreibt lto.de (Christian Rath) und stellt die beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin und beim Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage anhängigen Verfahren vor. Die jetzt anstehende bayerische Entscheidung entfalte "natürlich keine rechtliche oder politische Bindungswirkung" für den Berliner Streit, könnte aber einen Fingerzeig bieten und je nach Ausgang auch eine Diskussion über einen bundesweiten Mietenstopp einläuten.

VerfGH NRW zu Oppositionsrechten: Die Mehrheit des nordrhein-westfälischen Untersuchungsausschusses "Hackerangriff" hat Beweisanträge der Ausschussminderheit zum Teil zu Unrecht abgelehnt, urteilte der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen. Die aus CDU und FDP bestehende Mehrheit hat demnach durch ihre Weigerung, einen Beweis zu Handy-Verbindungsdaten von Justizminister Peter Biesenbach (CDU) zu erheben, Verfassungsbestimmungen verletzt, so lto.de. Sofern von der Herausgabe der Daten Grundrechte betroffen seien, wäre der Eingriff jedenfalls verhältnismäßig, weil die Daten der dienstlichen Sphäre zuzuordnen seien. Dies gelte allerdings nicht mehr, soweit auch Verbindungsdaten bei den Providern erhoben werden sollten. Über die Entscheidung berichtet auch die FAZ (Reiner Burger).

VerfGH Thüringen – Parität: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof wird am heutigen Mittwoch verkünden, ob das im letzten Jahr vom Landtag verabschiedete Paritätsgesetz verfassungskonform ist. Nach dem Gesetz müssen Wahllisten geschlechtergerecht aufgestellt werden, erläutert die FAZ (Stefan Locke). Die AfD-Fraktion sehe hierin eine Verletzung der Parteienautonomie.

OLG Karlsruhe zu BAK und E-Bikes: Die Rechtsprechung, nach der bei Autofahrern mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille die absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich vermutet wird, findet auf Benutzer von E-Bikes, auch "Pedelecs" genannt, keine Anwendung. Dies führte nach Bericht von lto.de das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Hinweisbeschluss aus.

LG München I zu Tesla: Der Autohersteller Tesla hat mit seinem als "Autopilot" angepriesenen Fahrassistenz-Paket Verbraucher in die Irre geführt, entschied das Landgericht München I. Nach dem noch nicht rechtskräftigen, von der Wettbewerbszentrale erfochtenen Urteil ist die Werbung damit bis auf Weiteres verboten. Nach den von lto.de berichteten Feststellungen des Gerichts suggeriere das Angebot die Möglichkeit eines vollkommen autonomen Fahrens. Dies sei aber weder technisch noch – in Deutschland – rechtlich möglich. Die Welt (Philipp Vetter) macht in ihrem Bericht darauf aufmerksam, dass die erfolgreiche Klägerin keineswegs "eine Behörde mit staatlichem Auftrag" sei, vielmehr ein Zusammenschluss von Unternehmen und Verbänden, zu denen auch die deutschen Konkurrenten Teslas gehörten.

LG Hamburg – KZ-Wachmann: Das Verfahren gegen den ehemaligen Wachmann am KZ Stutthof, Bruno D., wurde am Landgericht Hamburg mit den Plädoyers der Nebenklagevertreter fortgesetzt. In diesen sei gewürdigt worden, dass der Angeklagte nicht "den alten, dementen Mann" gemimt habe, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner). Er habe aber ebensowenig die Gelegenheit genutzt, über seine persönliche Schuld zu sprechen. Die Urteilsverkündung ist für den 23. Juli geplant. Für die SZ (Wolfgang Janisch) "erzählt der verspätete Prozess … vom Versagen der bundesdeutschen Justiz" im Umgang mit den "kleinen Helfern beim Massenmord". Obwohl es unmittelbar nach Kriegsende Ansätze gegeben hätte, auch sie juristisch zur Verantwortung zu ziehen, hätte ausgerechnet das sogenannte Auschwitzurteil von 1965 eine Kehrtwende eingeleitet. Nun werde erstmals über Hilfsleistungen in einem wohl nicht allein auf Vernichtung angelegten KZ entschieden.

LG Hannover – Polizist als Detektiv: Weil er bei seiner Nebentätigkeit als Privatdetektiv Daten veräußert haben soll, auf die er nur wegen seiner hauptberuflichen Polizeiarbeit Zugriff hatte, muss sich ein Polizeibeamter vor dem Landgericht Hannover verantworten. Nach jahrelangen Ermittlungen könne das Verfahren nun im Wege einer Verständigung ein rasches Ende finden, so die taz-Nord (Nadine Conti) über den ungewöhnlichen Fall.

AG Würzburg zu polizeilichem Todesschuss: Nach nur einem Verhandlungstag hat das Amtsgericht Würzburg einen 21-jährigen Polizeibeamten wegen fahrlässiger Tötung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verurteilt. Als Polizeischüler hatte der Angeklagte im Februar 2019 unter Missachtung mehrerer Sicherheitsmaßregeln einen Kollegen mit seiner Dienstwaffe erschossen. Die FAZ (Karin Truscheit) berichtet.

Recht in der Welt

USA – Todesstrafe: In den USA ist zum ersten Mal seit 17 Jahren eine Todesstrafe auf Bundesebene vollstreckt worden. Noch am Vortag hatte eine untere Instanz eine einstweilige Verfügung gegen die Vollstreckung angeordnet, diese Entscheidung wurde daraufhin vom Supreme Court aufgehoben, berichtet die FAZ.

Sonstiges

Migrationshintergrund von Verdächtigen: Die Debatte über die Zulässigkeit polizeilicher Anfragen an Standesämter zu mutmaßlichen Migrationshintergründen von Tatverdächtigen der Stuttgarter Ausschreitungen im vergangenen Monat zeichnen deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) und die FAZ (Reiner Burger u.a.) nach. Nach letzterem Beitrag hätten Polizei und baden-württembergisches Innenministerium als Rechtsgrundlage der Anfragen § 163 Strafprozessordnung genannt, nach dem die Polizei verpflichtet sei, "alle tatrelevanten be- und entlastenden Beweise, sowohl objektiver als subjektiver Art, im Ermittlungsverfahren zusammenzuführen". Die Recherchen ließen sich – so Polizei und Ministerium – zudem auch auf § 43 Jugendgerichtsgesetz stützen, hier zweifelten Rechtswissenschaftler aber an der Zulässigkeit einer Datenerhebung für kriminalpräventive Zwecke.

Das Letzte

Interessehalber: Ort und Zeitpunkt persönlicher Neugier schätzte ein 33-Jähriger in Köln falsch ein. Wie die Welt berichtet, spazierte der Mann auf eine Dienststelle der Bundespolizei und fragte, ob ein Haftbefehl gegen ihn vorläge, nachdem er seine Gerichtsverhandlung geschwänzt hatte. Die Befragten antworteten mit Ja.

 

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lto/mpi

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Juli 2020: Lieferketten und Menschenrechte / Vor Entscheidung zu Mietenstopp / "Autopilot" irreführend . In: Legal Tribune Online, 15.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42198/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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