Die juristische Presseschau vom 15. Juni 2012: Salafisten im Rechtsstaats-Visier – Leistungsschutzrecht im Entwurf – kino.to-Betreiber im Knast

15.06.2012

Nach den Rockern sind nun die Salafisten dran: Vereinsverbote und Razzien im Umfeld der radikal-islamischen Szene. Außerdem in der Presseschau: Beschlüsse der Justizministerkonferenz, Leistungsschutzrecht-Gesetzentwurf, Urteil gegen kino.to-Betreiber, BGH zu Wohnheimen, Parlamentsauflösung in Ägypten – und wie die Polizei zum Urinieren in der Öffentlichkeit anstiftet.

Salafisten-Verbot: Mit einem Vereinsverbot und bundesweiten Razzien ist Bundesinnenminister Friedrich am gestrigen Donnerstag gegen radikalislamische Salafisten vorgegangen. Wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten verboten wurde die Gruppe "Millatu Ibrahim", gegen weitere Zusammenschlüsse wurden Vorermittlungen eingeleitet, die zu einem Vereinsverbot führen könnten. Ausführlich berichten unter anderem SZ (Jan Bielicki/Nico Fried) und FAZ (Peter Carstens), auf die Vereinsverbote konzentriert sich die taz (Wolf Schmidt).

Reinhard Müller (FAZ) analysiert das Vorgehen als ein "Symbol", das "mehr der Abschreckung von Sympathisanten und der (Selbst-)Vergewisserung der Rechtstreuen" als dem tatsächlichen Vorgehen gegen "den harten Kern Unbelehrbarer" diene. Zwar seien die Verbote nicht wirkungslos, "sie lösen aber auch kein gesellschaftliches Problem". Auch Daniel Bax (taz) plädiert für ein Zurückgewinnen der vom Salafismus Faszinierten "durch Aufklärung, Aussteigerprogramme und Prävention".

Heribert Prantl (SZ) betont die Bedeutung der Religionsfreiheit, kommt aber zu dem Schluss: "Religionsfreiheit ist kein Freibrief für Aggressionen, und Vereinigungsfreiheit ist keine Freiheit zu staatlich geschützter Pflege von militanter Gemeinheit."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Justizministerkonferenz: Die Justizministerkonferenz von Bund und Ländern hat beschlossen, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit des Handels und der Hehlerei mit rechtswidrig beschafften Daten zu entwickeln. Hinsichtlich der Reform der Sicherungsverwahrung bleibt die Konferenz bei ihrer Haltung, eine Verwahrung psychisch gestörter Täter vorzusehen, auch wenn die Notwendigkeit dazu erst nach der Verurteilung festgestellt werde. Geprüft werden soll auch, ob bezüglich des sexuellen Missbrauchs von Schülern durch Lehrkräfte Handlungsbedarf bestehe, berichtet die FAZ (Thomas Holl).

Schweigepflicht und Outsourcing: Mit dem Spannungsverhältnis zwischen anwaltlicher Schweigepflicht und der Tendenz zum Outsourcing von Dienstleistungen in Anwaltskanzleien beschäftigt sich anlässlich des Deutschen Anwaltstages Corinna Budras (FAZ) und fordert eine gesetzliche Regelung nicht nur für Anwälte, sondern für alle Beufsgeheimnisträger.

Frauenquote: Als Reaktion auf die EU-Pläne zur Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Aufsichtsräte wirbt Bundesfrauenministerin Kristina Schröder in der Wirtschaft für Unterstützung für die Einführung einer "Flexiquote" in Deutschland, mit der Unternehmen verpflichtet würden, sich selbst Ziele bei der Frauenförderung zu setzen. Die FAZ (Kerstin Schwenn/Hendrik Kafsack) berichtet. Die Pläne der EU-Justizkommissarin Viviane Reding nimmt dagegen heute auch die FTD (Benjamin Dierks/Jenny Genger) in den Blick.

Höhere Gebühren: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat den Rechtsanwälten auf dem Deutschen Anwaltstag eine Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren versprochen. Bislang werde dies aber von den Bundesländern verhindert, die ihrerseits eine Erhöhung der Gerichtsgebühren fordern, so die FAZ (Corinna Budras/Joachim Jahn). Gegen eine solche Erhöhung wendet sich wiederum der Deutsche Anwaltsverein, wie die SZ (Helmut Kerscher) und lto.de (Martin W. Huff/Pia Lorenz) berichten – Gerichtskosten seien teilweise Sozialkosten, die durch Steuern zu finanzieren seien.

Leistungsschutzrecht: Den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Zeitungsverlage stellt die SZ (Heribert Prantl) ausführlich auf ihrer Medien-Seite vor. Danach sollen Verlage ihre Artikel im Internet ein Jahr lang alleine nutzen – oder für die Nutzung Geld verlangen. netzpolitik.org (Markus Beckedahl) veröffentlicht den Wortlaut des Gesetzentwurfs, eine rechtliche Analyse und Einordnung bietet internet-law.de (Thomas Stadler).

Scharfe Kritik an dem Entwurf übt Udo Vetter (lawblog.de): Es handele sich um ein "Konjunkturprogramm für Rechtsanwälte" und einen "Kniefall vor der Verlegerlobby".

Schengen-Reform: Das EU-Parlament versucht "in einem beispiellosen Schritt" die geplante Einführung eines "Evaluierungsmechanismus" zur leichteren Reaktivierung der innereuropäischen Grenzkontrollen zu stoppen. Wie die SZ (Martin Winter) berichtet, haben die Parlamentarier angekündigt, jede gesetzgeberische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit einzustellen, bis eine für sie akzeptable Lösung gefunden sei. Die Kritik der Parlamentarier: Sie blieben bei der Entscheidung über Grenzkontrollen außen vor. Ihr Problem: Ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung des Evaluierungsmechanismus komme ihnen nicht zu.

RFID & Datenschutz: Die Datenschutzrechtler Karsten Kinast und Sebastian Schreiber setzen sich auf lto.de mit den datenschutzrechtlichen Herausforderungen des "Bezahlens im Vorbeigehen" mittels RFID-Chips auseinander. Die Datenpreisgabe sei zwar der Preis der Bequemlichkeit, jedoch müsse man jedenfalls Datentransparenz schaffen.

Weitere Themen – Justiz

NSU-Helfer entlassen: Der mutmaßliche Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" André H. ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Gegen ihn bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, das Bekennervideo für die Gruppe erstellt zu haben, so die Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs laut FAZ (Peter Carstens).

Becker-Prozess: Die Bundesanwaltschaft wirft der Ex-RAF-Terroristin Verena Becker keine Mittäterschaft am Mord von Siegfried Buback mehr vor. In ihrem Plädoyer forderte sie aber vier Jahre und sechs Monate Haft wegen Beihilfe, von denen zwei bereits als verbüßt anzusehen seien, so die SZ (Wolfgang Janisch). Bereits gestern habe das auf zwei Tage angesetzte Plädoyer des Nebenklägers Michael Buback begonnen, der Becker für die Schützin halte. Eine ausführliche Darstellung des gestrigen Verhandlungstages findet sich auf dem SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt).

Kino.to: Der Betreiber und Gründer der Internet-Streaming-Plattform kino.to ist gestern vom Landgericht Leipzig wegen Urheberrechtsverletzungen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Daneben muss er bis zu 3,7 Millionen Euro an Werbeeinnahmen an den Staat abführen. Dem Urteil war eine Verständigung vorausgegangen. Es berichtet die FAZ (Corinna Budras), eine Prozessreportage bringt die SZ (Sophie Crocoll).

Hans-Jürgen Jakobs (SZ) meint, das Urteil sei "als eine Art Sozialappell zu interpretieren, Internet-Piraterie nicht als Kavaliersdelikt zu verharmlosen und üblich gewordene Klau-Aktionen nicht zu tolerieren."

Rocker-Prozess: In Kiel ist ein Mitglied des Motorradclubs "Hells Angels" wegen Menschenhandels, Zuhälterei, schwerer Körperverletzung und versuchter Erpressung zu vier Jahren und vier Monaten Haft verurteilt worden. Dem Angeklagten hatten bis zu zehn Jahre Haft gedroht, er hatte sich aber durch umfassende Aussagen zu den Hells Angels einen Strafrabatt erkauft – und gilt laut Staatsanwaltschaft nun als gefährdete Person, so die SZ (Frederik Obermaier). Auch zeit.de berichtet.

Kein "Mein Kampf"-Zitat: Das Oberlandesgericht München hat seine einstweilige Entscheidung zum Verbot des kommentierten Abdrucks von Adolf Hitlers "Mein Kampf" durch den britischen Verleger McGee bestätigt. Die SZ (Ekkehard Müller-Jentsch) berichtet auf der Medien-Seite.

Anonymous-Razzia: Die von der Anonymous-Razzia am Dienstag und Mittwoch betroffenen Internetnutzer wollen sich juristisch gegen die "unverhältnismäßige" Maßnahme wehren, berichtet taz.de (Andreas Wyputta).

EnBW-Razzia: Beim baden-württembergischen Energiekonzern EnBW ist es einem Bericht des Handelsblattes (Jürgen Flauger/Jan Keuchel) zufolge am Dienstag zu einer Razzia der Steuerbehörden gekommen. Die Staatsanwaltschaft ermittele gegen drei Mitarbeiter einer Konzerntochter wegen Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussel.

Kündigungsschutz und Studentenwohnheime: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass einem Studentenwohnheim nur dann ein erleichtertes Kündigungsrecht zukomme, wenn es ein Belegungskonzept verfolge, dass eine Mieterrotation nach abstrakt-generellen Kriterien vorsehe. lto.de fasst das Urteil zusammen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Ägypten – Parlamentsauflösung: Das Verfassungsgericht von Ägypten hat das Parlament aufgelöst, weil es ein Drittel der Sitze wegen verfassungswidriger Bestimmungen für die Direktwahl von Abgeordneten für ungültig besetzt hält. Als Folge sei auch die verfassungsgebende Versammlung aufgelöst worden; bis zur Neuwahl übernehme nun der regierende Militärrat die Legislative, so die SZ (Sonja Zekri). Zugleich sei die Präsidentschaftskandidatur von Ahmed Schafik bestätigt worden. Auch die taz (Karim El-Gawhary) berichtet knapp.

USA – Syphilis-Prozess: Das US-Bundesgericht hat eine gegen die US-Regierung gerichtete Schadensersatzklage guamaltekischer Opfer von Medizin-Experimenten amerikanischer Ärzte abgewiesen, weil die Verletzung nicht auf amerikanischem Boden stattgefunden hatte. Die Opfer waren von den Ärzten absichtlich mit Syphilis infiziert worden, um den Wirkstoff Penicillin zu testen. Die FAZ (Matthias Rüb) berichtet.

Polen – EM-Randale: Ein Schnellgericht hat in Warschau mehrere Hooligans wegen Ausschreitungen vor der Begegnung Polen-Russland zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt, wie spiegel.de berichtet.

Norwegen – Breivik-Prozess: Eine ausführliche Reportage über den bisherigen Verlauf des Prozesses gegen den Massenmörder Anders Behring Breivik findet sich in der heutigen SZ (Annette Ramelsberger/Gunnar Herrmann). Eine zentrale Streitfrage sei nach wie vor der Geisteszustand des Angeklagten.

Großbritannien – Assange-Auslieferung: Julian Assange darf nach Schweden ausgeliefert werden. Das hat nun letztinstanzlich der Oberste Gerichtshof in London entschieden. Letzte Hoffnung für Assange: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wie die FR berichtet.

Internationaler Strafgerichtshof: Die Welt (Philip Hedemann) stellt heute die neue Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof, die Gambianerin Fatou Bensouda vor. Sie hoffe, mit ihr als Anklägerin könnten Vorurteile zerstreut werden, "das Gericht würde nur afrikanische Fälle verfolgen".

Das Letzte zum Schluss

Öffentliches Urinieren: Dass Urinieren in der Öffentlichkeit gewöhnlich als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, scheint nicht mehr zu interessieren, wenn es um Drogentests geht – jedenfalls nicht die Polizei, die inzwischen Urin-Schnelltests am Straßenrand durchführt. lawblog.de (Udo Vetter) berichtet und empfiehlt, den Test zu verweigern.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)


Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Juni 2012: Salafisten im Rechtsstaats-Visier – Leistungsschutzrecht im Entwurf – kino.to-Betreiber im Knast . In: Legal Tribune Online, 15.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6399/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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