Die juristische Presseschau vom 15. April 2020: RVG-Anpas­sung kommt / Zeit für Locke­rungen? / Türkei öffnet Gefäng­nisse

15.04.2020

Anwälte sollen mehr Geld bekommen, die bevorstehende RVG-Anpassung dürfte aber wohl nicht allen gefallen. Die Kanzlerin berät mit Ministerpräsidenten über eine Lockerung coronabedingter Einschränkungen und Haftentlassungen in der Türkei.

Thema des Tages

RVG-Anpassung: Die Verhandlungen über eine Anpassung der Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sind offenbar abgeschlossen. Ein lto.de (Martin W. Huff/Pia Lorenz) vorliegendes Eckpunktepapier sieht eine einmalige, lineare Erhöhung um 10 Prozent vor, die noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten soll. Die Erhöhung solle mit einer parallelen Erhöhung von Gerichtsgebühren verbunden werden. Sie umfasse auch eine Sondererhöhung im Sozialrecht und leichte Erhöhungen von Fahrtkostenpauschale sowie Tage- und Abwesenheitsgeldern. Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein hätten sich nicht mit der Forderung einer besonderen Erhöhung von Terminsgebühren durchsetzen können. Das von den Ländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Hessen erarbeitete Papier habe – obwohl fertig – bislang noch nicht seinen Weg in das Bundesjustizministerium gefunden. Hierfür seien ausstehende Feinabstimmungen zwischen den Ländern sowie die coronabedingte Belastung der Justizverwaltungen verantwortlich.

Corona und Recht

Corona – Lockerungen: Auf einer Videokonferenz will die Bundeskanzlerin am heutigen Mittwoch gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder über teilweise Lockerungen der geltenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens beraten. In einer Übersicht stellt spiegel.de (Florian Gathmann u.a.) die Postionen der Protagonisten vor. Dass die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina über das Wochenende konkrete Vorschläge etwa zu Schulöffnungen erarbeitet hat, entbindet die Regierenden nach Ansicht von Donata Riedel (Hbl) nicht von der "Pflicht zu bestimmen", was nach Reinhard Müller (FAZ) gerade "das Primat der Politik" sei. "Die Politik" könne sich ihm "auch nicht durch eine Berufung auf eine Maxime namens "Gesundheit geht vor" entziehen", weil derartiges "auch sonst nicht generell" gelte. Vielmehr müssten die Entscheidungsbefugten ihre auch jetzt gewählten Maßnahmen begründen, indem sie "ins Verhältnis gesetzt und plausibel gemacht werden". Jasper von Altenbockum (FAZ) fordert, "die föderale Vielfalt als Chance für trial and error zu nutzen". Gleichschritt sei keine Gewähr für einen besseren Weg.

Corona – Pandemiegesetz NRW: Gegen die Stimmen der AfD hat der nordrhein-westfälische Landtag ein bis zum 31. März 2021 befristetes Pandemiegesetz verabschiedet. Die Befristung wurde nach Kritik eingeführt, eine ursprünglich vorgesehene Zwangsverpflichtung medizinischen Personals dagegen gestrichen. Es berichten lto.de und die FAZ (Reiner Burger).

Corona – Arbeitsschutz: efarbeitsrecht.net (Arnd Dieringer) liegt ein aus dem Bundesarbeitsministerium stammender Entwurf eines allgemeinen "Sars-CoV2-Arbeitsschutzstandards" vor, bei dessen Einhaltung auch schon bald wieder zur relativ normalen betrieblichen Tätigkeiten zurückgekehrt werden könnte.

Corona – Betriebsräte: Auf lto.de stellen Michael Fuhlrott und Katharina Fischer, Rechtsprofessor und Rechtsanwältin, die Diskussion über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für virtuelle Betriebsratssitzungen ausführlich dar. Im Weiteren gehen die Autoren auf die nun vorgestellte "Formulierungshilfe" des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales ein, die eben diese gesetzliche Regelung durch einen Änderungsantrag eines bereits vorliegenden Gesetzentwurfs zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel einführt. Die vorgesehene Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes sehe eine Rückwirkung seit dem 1. März und eine zeitliche Befristung bis zum Jahresende vor, die Autoren hoffen, dass "der Probelauf" bestehende Bedenken "auf Gewerkschaftsseite" ausräumt.

Corona – Veranstaltungen: Die Rückabwicklung von coronabedingt abgesagten Veranstaltungen soll nach dem Willen des Gesetzgebers über ein Gutscheinsystem erfolgen. Rechtsprofessor Stephan Lorenz analysiert auf lto.de die im Einführungsgesetz des Bürgerlichen Gesetzbuches enthaltenen Sonderregelungen und kommt aufgrund des vorgesehenen Stichtages – grundsätzlich könne die Auszahlung des Gutscheinwertes erst ab dem 31.12.2021 verlangt werden – zur Einschätzung, dass Veranstaltern ein Zahlungsaufschub für die eigentlich geschuldete sofortige Rückzahlung gewährt wird.

Corona – Versammlungsfreiheit: Die Autoren Aidan Hacker, Jonas Deyda, Katharina Söker und Laurens Brandt stellen auf verfassungsblog.de Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Dresden, Hannover und Hamburg vor, in denen jeweils Eilrechtssuchenden die Durchführung von Versammlungen trotz angebotener Sicherheitsmaßnahmen untersagt wurden. Gemein sei den Beschlüssen, dass sie den "Maßstab einer Minimalgefahr" für mögliche Neuansteckungen anlegte, hierbei aber übersähen, dass andere Tätigkeiten "mit einem ähnlichen Infektionsrisiko" weiterhin erlaubt seien. Sie ließen "vom Grundsatz praktischer Konkordanz nicht viel übrig" und stuften dabei jedenfalls im Ergebnis die Versammlungsfreiheit zu einem "Schönwetter-Grundrecht" herab.

BVerfG zu Gottesdiensten: Über den abgelehnten Eilantrag gegen das coronabedingte Berliner Gottesdienstverbot durch das Bundesverfassungsgericht berichtet lto.de. Das Karlsruher Gericht habe zudem auch in einem hessischen Fall einen Eilantrag abgelehnt.
Letzterer Beschluss präzisiert nach der analytischen Einschätzung des Wissenschaftlichen Mitarbeiters Frederik Ferreau auf juwiss.de mit seinem Abstellen auf die Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems als dem legitimen Zweck des Verbots auch das künftige Prüfprogram in ähnlich gelagerten Fällen. Das Gericht habe dem Verordnungsgeber aufgegeben, vor einer Fortschreibung von Verboten eine fortlaufende Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse zum Pandemieverlauf vorzunehmen. Zudem werde auch die Prognose der "Rechtsdurchsetzbarkeit zum Argument in der Erforderlichkeitsbewertung".

VG Berlin zu Paketdienstleistern: Das Verwaltungsgericht Berlin hat Eilanträge mehrerer privater Paketzustelldienste, die Auslieferungen auch an Sonn- und Feiertagen durchführen wollten, verworfen. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, wegen der verweigerten Ausnahme schwere und unzumutbare Nachteile zu erleiden, so lto.de über die Beschlüsse. Es sei auch fraglich, ob sie sich auf ein öffentliches Interesse an möglichst reibungsfreier Paketauslieferung berufen könnten.

Rechtspolitik

Jugendmedienschutz: Ende Februar hat das von Franziska Giffey (SPD) geleitete Bundesfamilienministerium einen Referentenentwurf für die Reform des Jugendschutzgesetzes vorgestellt, durch die vor allem einem neuen Mediennutzungsverhalten Rechnung getragen werden soll. netzpolitik.org (Dominic Lammar) stellt in einem ausführlichen Beitrag die bislang geäußerte Kritik am Entwurf vor.

Justiz

OLG Frankfurt zu ärztlicher Werbung: Die von einer Kieferorthopädin unternommene Werbung für "perfekte Zähne" ist nach Einschätzung des Oberlandesgerichts Frankfurt ein unzulässiges Erfolgsversprechen im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes und damit zu unterlassen. Das Publikum  verstehe das Versprechen nicht als bloß reklamehafte Übertreibung, schließlich stamme es von einer Ärztin, deren Berufsstand ein besonderes Vertrauen genieße, so lto.de über das nun veröffentlichte Urteil von Ende Februar.

Recht in der Welt

Türkei – Häftlinge: Das türkische Parlament hat die vorzeitige Entlassung von bis zu 90.000 Häftlingen beschlossen. Nach den Berichten von FAZ (Rainer Hermann) und spiegel.de dient die Maßnahme dem Schutz vor Infektionen in chronisch überfüllten Strafanstalten. Nicht betroffen seien u.a. Mörder, Sexualstraftäter und sogenannte Terroristen, damit auch mutmaßlich politisch Gefangene.

Sonstiges

Hasskriminalität: Die bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. angesiedelte Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität kooperiert nach Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) seit Ende des vergangenen Jahres mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie dem Verein HateAid. Die auf diesem Wege übermittelten Meldungen würden die Behörde regelrecht überrollen. Schwierig sei es allerdings immer noch, von Plattformbetreibern die Daten der vermeintlichen Urheber der gemeldeten Beiträge zu erlangen.

Sicherheitsrecht/Personalisierung: Mit dem Begriff der "Personalisierung" beschreibt Rechtsprofessor Kai Ambos im FAZ-Einspruch eine "grundlegende Neuausrichtung des deutschen Sicherheitsrechts" infolge des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz. Statt konkreter Taten bzw. Gefahren würden nun potentiell gefährliche Täter bzw. Gefährder den Anknüpfungspunkt polizeilichen und nachrichtendienstlichen Handelns darstellen, wie in "Der Terrorist als Feind?", einem von Andreas Kulick und Michael Goldhammer herausgegebenen Sammelband.

AsylbLG-Sanktionen: Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zweifelt die Rechtmäßigkeit von Sanktionen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz an. Die im vergangenen Jahr erweiterten Möglichkeiten von Sanktionen gegenüber Leistungsbeziehern, die etwa ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen, könnten bislang den Nachweis, dass sie ihren Zweck erfüllten und Mitwirkungspflichten beförderten, nicht erbringen. Dies sei aber spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Empfängern erforderlich. Über das Gutachten berichtet die taz (Christian Rath).

Das Letzte

Grundbedürfnisse: Zur wachsenden Anzahl gerichtlicher Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit coronabedingter Einschränkungen kann auch der von spiegel.de gemeldete Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart gezählt werden: Weil der Betreiber zweier Sexshops mit seinem Angebot nicht der Grundversorgung der Bevölkerung diene, bleiben seine Läden dicht.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. April 2020: RVG-Anpassung kommt / Zeit für Lockerungen? / Türkei öffnet Gefängnisse . In: Legal Tribune Online, 15.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41297/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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