Die juristische Presseschau vom 15. Januar 2025: BVerfG zu Poli­zei­kosten bei Fuß­ball­spielen / Über­wa­chungs­ge­samt­rech­nung kommt / Aus für EU-Min­dest­lohn-Richt­linie?

15.01.2025

Das BVerfG billigte die kostenmäßige Inanspruchnahme von Veranstaltern kommerzieller Großereignisse in Bremen. Justizminister Wissing hofft auf Vorlage des MPI-Berichts noch vor der Wahl. Der EuGH-Generalanwalt moniert fehlende EU-Kompetenz.

Thema des Tages

BVerfG zu Polizeikosten bei Fußballspielen: Der Staat darf Veranstalter an Polizeikosten beteiligen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und beendete damit den ein Jahrzehnt langen Rechtsstreit zwischen Bremen und der Deutschen Fußballliga (DFL). Bremen hatte Ende 2014 sein Gebühren- und Beitragsgesetz verschärft und vorgesehen, dass bei gewinnorientierten Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Teilnehmer:innen und erfahrungsgemäß unfriedlichem Verlauf die polizeilichen Mehrkosten dem Veranstalter in Rechnung gestellt werden können. Auf dieser Grundlage erhielt die DFL als Veranstalterin der Bundesligaspiele 2015 einen ersten Gebührenbescheid von rund 400.000 Euro. Dieses Vorgehen wurde nun vom BVerfG für verfassungskonform erklärt. Das Grundgesetz enthalte keinen Grundsatz, nach dem polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Für die Verhältnismäßigkeit der Bremer Regel sei entscheidend, dass die DFL eine hinreichende Sachnähe zum polizeilichen Einsatz aufweise. Wer wie die DFL aus öffentlichen Leistungen einen Vorteil ziehe, könne angemessen an den Kosten beteiligt werden. Dem stehe nicht entgegen, dass sich die DFL rechtmäßig verhalte und die Gefahr von störenden Dritten ausgehe. Das Bremer Gesetz könnte nun auch Vorbild für andere Bundesländer sein. Berichte bringen SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Katja Gelinsky), taz (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neuhof), LTO (Max Kolter/Hasso Suliak), beck-aktuell (Maximilian Amos), spiegel.de (Dietmar Hipp/Benjamin Knaack), zdf.de (Daniel Heymann/Christoph Schneider) und tagesschau.de (Klaus Hempel).

Wolfgang Janisch (SZ) hält die Konsequenzen des Urteils für richtig und "überfällig." Es sei ungerecht, wenn "Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert" werden. Auch Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Entscheidung im Leitartikel. Es sei nun an der Zeit für Vereine, "ihren Beitrag zu leisten", wie dies in anderen Ländern schon der Fall sei. Christian Rath (taz) schreibt im Leitartikel von einem "legitimen Akt der Umverteilung" zulasten der Bundesliga, die Milliarden Euro erwirtschafte. Philip Raillon (swr.de) erinnert daran, dass Sicherheit an Spieltagen die Voraussetzung dafür ist, "dass der Fußball sein Geld verdienen kann." Gewalttätige Ausschreitungen haben nach Ansicht von Charlotte Greipl (Tsp) "nichts mehr mit Sport und Fantum zu tun." Der in Streit stehende "Risikozuschlag" sei angemessen. Für Dirk Schümer (Welt) dagegen haftet am Urteil "der Beigeschmack von Willkür." Nach den jetzt gebilligten Maßstäben sei nicht undenkbar, dass auch Veranstaltungen einer Synagoge oder ein umsatzstarker Weihnachtsmarkt in Haftung genommen würden.

Rechtspolitik

Überwachungsgesamtrechnung / Rechtspolitik: Die im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbarte Überwachungsgesamtrechnung soll "in diesen Wochen" veröffentlicht werden. Dies kündigte Justizminister Volker Wissing (parteilos) laut LTO (Hasso Suliak) auf der Jahresauftakt-Veranstaltung des Deutschen Anwaltvereins an. Das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht hatte seine Arbeit zu Beginn des vergangenen Jahres aufgenommen und werde sie zeitnah abschließen. Die vom BMJ vorbereitete Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung müsste der Bundestag noch beschließen, womit aber nicht zu rechnen ist. Auch beck-aktuell (Denise Dahmen) nahm an der Veranstaltung teil und bemerkte, dass die sonst übliche Vorstellung der rechtspolitischen Agenda des Jahres diesmal ausfiel. Dagegen erinnerten der Minister und DAV-Präsidentin Edith Kindermann an die gemeinsame Verantwortung im Kampf für eine liberale Demokratie.

NSU-Dokumentationszentrum: Im Leitartikel fordert Roman Deininger (SZ) die Oppositionsparteien auf, dem "Gesetz zur Errichtung der Stiftung Gedenken und Dokumentation NSU-Komplex" zuzustimmen. Das von der Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitete Konzept sei überzeugend. Es wäre fatal, wenn dessen Umsetzung aus wahlkampftaktischen Überlegungen liegenbliebe.

Angriffe auf die Polizei: Der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach den jüngsten Silvesterereignissen in Erinnerung gebrachte Referentenentwurf zum besseren Schutz von Menschen, die für das Gemeinwohl tätig sind, wird auf dem Verfassungsblog von Carla Bruhm und Noah Kistner, Studentin und Rechtsanwalt, als "Symbolpolitik" kritisiert. Schon frühere Verschärfungen der §§ 113ff Strafgesetzbuch hätten sich vor allem durch fehlende Systematik ausgezeichnet und dabei zu keinem Rückgang solcher Taten geführt.

Vermögensabschöpfung: Nach einer vom Deutschen Richterbund beauftragten Umfrage bei Landesjustizministerien hat die Justiz im Jahr 2023 mehr als 500 Millionen Euro im Wege der Vermögensabschöpfung eingenommen. Laut LTO prüft das Bundesjustizministerium derzeit Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, durch die der staatliche Zugriff auf Vermögen krimineller Herkunft noch effektiver gestaltet werden soll.

Lieferketten und Menschenrechte: Seit zwei Jahren ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Die kommende Bundesregierung muss bis zum Juli des nächsten Jahres die EU-Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) umsetzen. Ein Hintergrundbericht der taz (Leila van Rinsum) zeigt Unterschiede auf und beschreibt, dass die Richtlinie in einigen Aspekten über das deutsche Gesetz hinausgeht. So müssten Unternehmen Klimapläne erstellen, in denen sie angeben, wie sie ihre Klimabilanz verbessern wollen. 

Justiz

EuGH – Mindestlohn: In einem von Dänemark und Schweden angestrengten Verfahren am Europäischen Gerichtshof hat Generalanwalt Athanasios Emiliou in seinem Schlussantrag ausgeführt, dass die 2022 in Kraft getretene EU-Mindestlohn-Richtlinie gegen Unionsrecht verstoße. Laut EU-Arbeitsvertrag (AEUV) seien Regelungen über das Arbeitsentgelt Sache der Mitgliedstaaten. Dies gelte auch, wenn die Richtlinie keinen verbindlichen Mindestlohn vorgibt. FAZ (Dietrich Creutzburg) und beck-aktuell berichten. 

VerfGH NRW zu Schuldenbremse NRW: Als unzulässig wies der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen einen von SPD und FDP erhobenen Normenkontrollantrag gegen das NRW-Landeshaushaltsgesetz 2023 ab. Der geltend gemachte Verstoß gegen die sogenannte Schuldenbremse unterliege keiner Überprüfung durch das Gericht, da sie in NRW lediglich in der Landeshaushaltsordnung verankert sei. Über den Beschluss schreibt beck-aktuell.

LG Freiburg – Körperverletzung mit Hähnchenschenkel: Am Landgericht Freiburg ist derzeit ein Mann u.a. wegen schwerer Körperverletzung angeklagt. Im Rahmen einer handgreiflichen Auseinandersetzung soll er einem Konkurrenten ein Teil des Ohrs abgebissen und ihn zusätzlich auch mit einem tiefgefrorenen Hähnchenschenkel geschlagen haben. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, müsse geprüft werden, ob die TK-Ware als gefährliches Werkzeug einzustufen ist, so LTO.

LG Köln zu Dubai-Schokolade/Aldi Süd: Auch dem Discounter Aldi Süd hat das Landgericht Köln untersagt, sogenannte Dubai-Schokolade ohne jeglichen Bezug zum arabischen Emirat anzubieten. Der von LTO und Welt (Carsten Dierig) berichtete Beschluss betrifft in der Türkei hergestellte Schokoladen. Er setzt Entscheidungen aus der vergangenen Woche fort.

AG Karlsruhe zu Angriff auf BVerfG: Im beschleunigten Verfahren hat das Amtsgericht Karlsruhe einen Mann wegen Sachbeschädigung zu 80 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Der geständige Syrer hatte am Montag das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts mit einem Stein beworfen, der mit Fäkalien beschmiert war. In den vorherigen Tagen hatte er ähnliche Angriffe auf das Innenministerium und das Kanzleramt in Berlin verübt. Die Taten sollten nach seiner Einlassung Aufmerksamkeit auf eine von ihm erhobene Verfassungsbeschwerde zum Krieg in Gaza lenken. LTO und bild.de (Nikolaus Harbusch) berichten.

AG Berlin-Tiergarten – Angriff auf Rettungskräfte: Am Berliner Amtsgericht Tiergarten sind drei Brüder angeklagt, die in der Silvesternacht 2023/2024 in einer Rettungsstelle randaliert und einen Arzt und einen Pfleger angegriffen haben sollen. Zum Prozessauftakt fehlte der jüngste der drei Männer, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm). Die anwesenden Angeklagten zeigten sich geständig und entschuldigten sich. Das Verfahren wird in zwei Wochen fortgesetzt.

VG Berlin – Niqab am Steuer: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Verwaltungsgericht Berlin über einen Antrag einer muslimischen Frau, die eine Sondergenehmigung für eine Vollverschleierung am Steuer begehrt. LTO (Maryam Kamil Abdulsalam) erläutert die bisherige Rechtsprechung zur Frage. So habe das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im vergangenen Juli entschieden, dass das grundsätzliche Verbot einer Verhüllung nicht mit der Sicherstellung nonverbaler Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern begründet werden kann. Auch liege keine Beeinträchtigung der Rundumsicht vor. Entscheidend dürfte daher die Frage der Sicherheit des Straßenverkehrs sein, die gefährdet sein kann, wenn Verkehrsverstöße infolge einer Verschleierung nicht verfolgt werden können.

AG Neuss – AfD-Politiker Gunnar Beck: Das Amtsgericht Neuss hat einen Strafbefehl u.a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegen den früheren EU-Parlamentarier Gunnar Beck (AfD) erlassen. Beck soll bei einem Ladendiebstahl erwischt worden sein und sich dann gegen seine Festnahme gewehrt haben. Ein Einspruch sei eingelegt. Es berichten LTO und beck-aktuell.

StA Wuppertal – Staatskanzlei NRW: Im Zuge von Ermittlungen wegen Korruption im Zusammenhang mit der Sanierung der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal mehr als 40 Durchsuchungsbeschlüsse vollstrecken lassen. Die Beschuldigten stünden im Verdacht, bei Auftragsvergaben aus finanziellen Gründen manipulativ gehandelt und hierdurch einen Millionenschaden verursacht zu haben, so FAZ (Reiner Burger) und LTO.

Recht in der Welt

USA – Guantánamo: Ronen Steinke (SZ) begrüßt in einem Kommentar die Versuche des scheidenden US-Präsidenten Joe Biden, das unselige Kapitel des Gefangenenlagers in Guantánamo zu schließen. An dessen System seien indes auch europäische Länder beteiligt. Deutschland etwa habe den Transport zwischen Folterzentren begünstigt, ohne dass dies zu juristischen Konsequenzen geführt habe.

USA – Donald Trump/Wahlmanipulation und Angriff aufs Kapitol: Der zurückgetretene US-Sonderermittler Jack Smith hat den ersten Teil eines Abschlussberichts veröffentlicht. Die bisherigen Ermittlungen wegen versuchten Wahlbetrugs sowie dem Sturm auf das Kapitol hätten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verurteilung Donald Trumps ergeben, so das von spiegel.de berichtete Fazit. Die Verfassung verbiete jedoch "Anklage und Strafverfolgung eines Präsidenten." Die Veröffentlichung des Berichts zur sogenannten Geheimdokumentenaffäre sei noch Gegenstand aktueller gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Sonstiges

Bundestagswahl: Parteien, die aktuell nicht im Bundestag oder mit mindestens fünf Abgeordneten in einem Landesparlament vertreten sind, bedürfen für ihre Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl einer Zulassung durch den Bundeswahlausschuss. Von dessen zweitägiger Sitzung berichtet die FAZ (Daniel Deckers). Den aus formalen Gründen nicht zugelassenen 15 Parteien steht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht offen.

Schadensabwicklungen bei Verkehrsunfällen: Die SZ (Anja Hall) schreibt über die zögerliche Regulierung selbst einfacher Verkehrsunfälle durch Kfz-Haftpflichtversicherungen. Oftmals sei die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe für Geschädigte die einzige Möglichkeit, zeitnah an Geld für erforderliche Reparaturen zu gelangen.

Digitale Märkte: Die EU-Kommission soll laut Medienberichten derzeit prüfen, ob ihre Untersuchungen gegen Plattformbetreiber, die sie auf Grundlage der EU-Verordnung über digitale Märkte (DMA) betreibt, fortgeführt werden. Hintergrund einer In-Frage-Stellung könnte Druck des kommenden US-Präsidenten Donald Trump und der US-Tech-Konzerne sein. Entsprechende Berichte ließ die EU-Kommission jedoch dementieren. Tatsächlich erforderten die Prüfungen gegen Gatekeeper wie Meta eine besondere Akribie, zitiert netzpolitik.org (Maximilian Henning) einen Sprecher. Laut Hbl (Jakob Hanke Vela) steht die Prüfung vielmehr im Zusammenhang mit der Amtsübernahme der neuen Kommissarinnen Teresa Ribera und Henna Virkkunen.

Aussagepsychologie: Rechtsreferendarin Chiara Lale Sandalcioglu fragt im FAZ-Einspruch, ob die richterliche Ausbildung Erkenntnisse der Aussagepsychologie hinreichend berücksichtigt. Über die Unterscheidung von Glaubhaftigkeit – der Aussage – und Glaubwürdigkeit – der Person – hinaus finde das Thema im juristischen Vorbereitungsdienst quasi nicht statt. Im richterlichen Alltag seien Fortbildungsangebote zwar vorhanden, aber nicht verpflichtend.

Das Letzte zum Schluss

Nachbarn: Selbst der Frömmste gerät in Schwierigkeiten, wenn der Nachbar böse ist. spiegel.de (Charlotte Lüder) schreibt über gerichtlich ausgetragene Nachbarschaftsstreitigkeiten und erwähnt neben der soeben vom Amtsgericht München zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilten Decken-Klopferin auch Jens Lehmann, der sich den Blick auf den Starnberger See mit einer Kettensäge freimachen wollte. Auch in Kanada herrscht nicht nur Friede: Ein Gericht in der Provinz Quebec bescheinigte einem vom Nachbarn Genervten, dass es "ein gottgegebenes, in der Verfassung verankertes Recht, das jedem heißblütigen Kanadier zusteht", sei, einen Mittelfinger zu präsentieren.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Januar 2025: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56332 (abgerufen am: 09.02.2025 )

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