Die juristische Presseschau vom 14. März 2012: Leutheusser-Schnarrenbergers Gutachten – Bayers Medizinpatent – Frankfurts Nachtflüge

14.03.2012

Es tobt der Streit um drei Gutachten zur Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung. Bayer verliert in Indien ein Patent für ein Krebsmedikament, der IGH in Den Haag spricht sein erstes Urteil, die Bundesregierung diskriminiert Arbeitsmigranten, Erben in Europa wird leichter und ein Thüringer Busfahrer erfindet die temporäre DDR-Staatsbürgerschaft.

Leutheusser-Schnarrenberger und die Vorratsdatenspeicherung: Die SZ (Joachim Käppner) berichtet über die Vorwürfe des CSU-Innenexperten Stephan Meyer, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger habe die Ergebnisse einer Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht aus dem Jahr 2010 hinsichtlich der vermeintlich geringen Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung  "manipuliert". Der rechtspolitische Sprecher der FDP, Christian Ahrendt und andere Politiker der Partei hätten die Vorwürfe als ehrenrührig zurückgewiesen.

Laut FAZ (Peter Carstens) lege die FDP Wert auf die Feststellung, dass sich entgegen der Darstellung von "Der Spiegel", der Verfasser der ersten Studie, Kriminologe Hans-Jörg Albrecht, von der Interpretation Leutheusser-Schnarrenbergers nicht distanziere, sondern die Ergebnisse der Studie am 29. Februar in Berlin gerne vorgestellt hätte. Es sei durch die von BKA-Präsident Jörg Ziercke ausführlich vorgetragenen Gegenargumente jedoch keine Zeit dafür gewesen.

Im Leitartikel bezeichnet Joachim Käppner (SZ) die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung durch Leutheusser-Schnarrenberger als "ein Lehrstück, wie ein Sachverhalt, der wenig zum Symbolthema taugt, dazu erhoben wird". Die in einer existenziellen Krise befindliche FDP suche nach Themen, für die sie noch stehe, die ansonsten versierte Rechtspolitikerin habe sich verrannt. Durch die einseitige Auswahl ihr genehmer Ergebnisse der fraglichen Studie agiere die Ministerin, "als sei sie Pippi Langstrumpf, die zur eigenen Erbauung reimt: Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Kein Hartz IV für Migranten: Über den Plan der Bundesregierung, aus der EU eingewanderten Arbeit Suchenden die Zahlung von Hartz IV zu verweigern, spricht die taz (Christian Rath) mit der Juraprofessorin Dorothee Frings von der FH Mönchengladbach. Die geplante Aushebelung einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Geltungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens bürde den Familien das Klagerisiko auf, belaste vor allem Kinder und beschäftige Gerichte in völlig überflüssiger Weise, sagt die Hochschullehrerin.

Erben in Europa: Das EU-Parlament hat eine einheitliche Regelung für grenzüberschreitende Erbschaftsfälle gebilligt, berichtet die FAZ (Nikolas Busse). In Zukunft werde eine Erbsache immer einheitlich auf der Grundlage einer nationalen Rechtsordnung behandelt und von einem einzigen Nachlassverwalter betreut, auch wenn sich das Vermögen in mehreren Ländern befinde. Dadurch sollen Erben schneller und einfacher an den Nachlass kommen.

Exit Konietzka: Nach dem Freitod der an Krebs erkrankten Fußball-Legende Timo Konietzka mit Hilfe der Schweizer Sterbehilfeorganisation "Exit" gibt es laut welt.de (Matthias Kamann) wieder deutlichere Forderungen, nicht nur die kommerzielle Sterbehilfe, sondern jede Art der Suizid-Begleitung zu kriminalisieren, die mit Geldzahlungen verbunden sei. Ein Verein wie "Exit", bei dem die 75.000 Mitglieder 45 Franken Jahresbeitrag zahlten, solle nach dem Willen des niedersächsischen Justizministers Bernd Busemann (CDU) verhindert werden.

Matthias Kamann (welt.de) spricht sich dafür aus, die "uneigennützige" Sterbehilfe auch in Deutschland zu gestatten. Wer kontrolliert etwas anbiete, "was unser Mitgefühl den Einzelnen nicht versagen mag, der darf nicht unter ein Verbotsgesetz fallen."

Weitere Themen – Justiz

Belectric will vor das BVerfG: Laut Handelsblatt (Martin Murphy, Georg Weishaupt), ähnlich handelsblatt.com, bereitet die Photovoltaikindustrie eine Klage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen die zum 1. April geplante Kürzung der Einspeisungsvergütung vor. Würden die Einschnitte so umgesetzt wie angekündigt, so Martin Zembsch, Geschäftsführer des bayerischen Solarunternehmens Belectric, werde man in jedem Fall klagen. Man rechne damit, dass sich weitere Firmen an dem Vorhaben beteiligten.

Erstes Urteil des IStGH: Reinhard Müller (FAZ) würdigt das erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, das heute verkündet werden soll. Auch wenn der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga, der im Bürgerkrieg Kindersoldaten rekrutiert und ausgebildet haben soll, nur ein "kleiner Fisch" sei, wie manche behaupteten, sei das Urteil gegen den Angeklagten, dessen Fall seit 2009 am IStGH verhandelt wird, ein mächtiges Zeichen: Nicht nur gegen den Einsatz von Kindersoldaten, sondern auch für die Weiterentwicklung der Prinzipien, die in Nürnberg und Tokio erstmals Anwendung gefunden hätten.

Horand Knaup (spiegel.de) spricht dagegen von einem "Scheitern mit Ansage". Als eines der Dilemmata des IStGH bezeichnet er die Schwierigkeit, ein faires und transparentes Verfahren zu garantieren und alle Beweise offen zu legen. Dies sei kaum möglich, ohne Zeugen zu gefährden, da nur wenige afrikanische Staaten Zeugenschutzprogramme hätten.

Johannes Dieterich (FR) verteidigt "das gefesselte Weltgericht" und wirft den afrikanischen Staatschefs Heuchelei vor, die den IStGH anriefen, wenn es ihnen zupass käme, und ihn in unerwünschten Fällen lauthals beschimpften oder links liegen ließen.

Anwalt für Arbitration: lto.de (Adrian Bechthold) stellt am Beispiel von Markus Burianski das Berufsprofil des Anwalts für Arbitration vor, der sich auf "verschwiegene Konfliktlösung" vor den Schiedsgerichten verschiedener Länder spezialisiere und in seiner Rolle als Schlichter quasi richterliche Funktionen übernehme.

Unzulässige Subventionen vermiesen Bilanzen: Die beiden Rechtsanwälte Carsten Jennert und Ivo Hillesheim (FAZ), Partner bei KPMG, untersuchen in einem Gastbeitrag die bilanziellen Risiken von Beihilfen, die nach Artikel 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten seien. Da der Bestandsschutz für unzulässig gewährte Beihilfen erst nach zehn Jahren wirksam werde, müssten derartige Risiken über einen längeren Zeitraum durch Rückstellungen abgesichert werden.

Bayer verliert Medizinpatent: Wie die FAZ (Christoph Hein, Sebastian Baltzer) berichtet, hat das indische Patentamt die Bayer AG am Montag dazu verpflichtet, die Rezeptur ihres Krebsmedikaments Nexavar acht Jahre vor dem Auslaufen des Patents an einen einheimischen Hersteller weiterzugeben. Wie Rechtsanwalt Rüdiger Herrmann, Spezialist für die Pharmabranche erläutert, habe sich das Gericht auf einen Ausnahmetatbestand im Welthandelsabkommen und das überwiegende öffentliche Interesse berufen. Auch habe es Bayer versäumt, das Medikament statt für 5.700 US-Dollar im Monat zu einem bezahlbaren Preis anzubieten.

Die FTD (Klaus Max Smolka), ähnlich ftd.de. bringt das Thema als Aufmacher und gibt einen Überblick über die Bedeutung von Schwellenländern als Markt, der Bayer im Jahr 2011 allein in der Region Asien-Pazifik einen jährlichen Umsatz von 3,66 Milliarden Euro gebracht habe.

Unter der Überschrift "In Bombay enteignet" bezeichnet Sebastian Baltzer (FAZ) die indische Entscheidung als grobschlächtige Variante der Praxis der Schiedsstelle für Preisverhandlungen im Rahmen der Gesundheitsreform in Deutschland. Die Begründung für die Zwangslizenz sei im Übrigen zweifelhaft, da das Medikament keine lebensrettende Wirkung habe und auch nicht massenhaft benötigt werde.

Judex calculat: Udo Vetter (lawblog.de) stellt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vor. Ein Strafgericht müsse selbst ausrechnen, ob ein Angeklagter zu Unrecht Unterstützung bezogen habe und wie hoch der Schaden sei. Ein bloßer Bezug auf den Bescheid der Agentur für Arbeit reiche nicht aus. Nicht nur dem Amtsgericht Gelsenkirchen habe das OLG auf den Weg gegeben: "Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setzt regelmäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft  hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand."

Klage wegen Sicherungsverwahrung: Wie die SZ (Wolfgang Janisch) meldet, haben vier ehemalige Sicherungsverwahrte das Land Baden-Württemberg vor dem Landgericht Karlsruhe auf Schadenersatz verklagt. Die vier Männer, die sich zwischen 18 und 22 Jahren in Sicherungsverwahrung befunden hätten, forderten insgesamt 400.000 Euro, da mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die über das zehnte Jahr hinaus verhängte Sicherungsverwahrung rückwirkend als menschenrechtswidrig anzusehen sei. Es sei damit zu rechnen, dass das Gericht der Forderung zwar dem Grunde nach, jedoch nicht in voller Höhe stattgeben werde. Außerdem werde das Verfahren nach dem für den 24. April erwarteten Urteil wohl zum Bundesgerichtshof gehen.

Laut spiegel.de (Simone Utler) rechnet der Rechtswissenschaftler Thomas Ullenbruch mit zahlreichen weiteren Klagen. Es gebe etwa 100 ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland.

Nachtflugverbot Frankfurt: Die FAZ (Helmut Schwan) berichtet über die Ankündigung des Bundesverwaltungsgerichts, über das Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt/Main nicht in der Sache zu entscheiden. Wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs sei die Anordnung einer erneuten Anhörung jedoch wahrscheinlich. Laut SZ (Anja Perkuhn) seien in der Erörterung 2005/2006 die Beteiligten noch von überhaupt keinen Nachtflügen ausgegangen, vor der Zulassung der jetzt vorgesehenen 17 Nachtflüge sei daher eigentlich eine weitere Anhörung nötig gewesen. Von den Privatklägern wird die Verfassungsmäßigkeit des zugrundeliegenden Fluglärmschutzgesetzes in Zweifel gezogen, die die Vorschrift gerne dem Bundesverfassungsgericht vorlegen würden. 

Die FR (Jutta Rippegather) beschreibt Reaktionen der Kläger auf die Aussage des Gerichts. Von einem "10:0 Sieg" spreche der Offenbacher Bürgermeister Horst Schneider. Rechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach, die das Klinikum Offenbach vor dem Bundesverwaltungsgericht vertritt, halte ein Revisionsverfahren nicht mehr für erforderlich, nachdem die hessische Landesregierung erklärt habe, keine Nachtflüge mehr zu wollen.

de (SZ) kommentiert die Aussage des früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, eine vierte Startbahn werde es nur mit einem Nachtflugverbot geben. Obwohl es immer wieder zu derartigen Konstellationen komme, sei es nicht die Aufgabe eines Gerichts, die Glaubwürdigkeitsdefizite von Politikern im Zusammenhang von Großbauvorhaben zu korrigieren.

24 mutmaßliche Neonazis festgenommen: Die SZ (Bernd Dörries) berichtet über eine groß angelegte Aktion der Polizei in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, bei der auch der als "Hitler von Köln" bezeichnete Axel R. zu den 24 Festgenommenen gehöre. Die Polizei lege Wert auf die Tatsache, dass Strafverfolgung und Ermittlung bereits vor der Entdeckung der Terrorzelle NSU mit der gleichen Intensität betrieben worden seien.

Wie die FAZ (Peter Carstens, reb.) berichtet, werden gegen 33 Personen im Alter zwischen 17 und 54 Jahren Ermittlungsverfahren geführt. Die Tatvorwürfe umfassten gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch sowie Bildung und Unterstützung der kriminellen Organisation "Aktionsbüro Mittelrhein", die als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft werde. Die Organisationszentrale, das sogenannte "Braune Haus" in Bad Neuenahr-Ahrweiler sei geschlossen worden.

Der Vorwurf rechtsterroristischer Aktivitäten werde gegen das Aktionsbüro zwar nicht erhoben, allerdings habe der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Frank Schwerdt zugegeben, jahrelang Kontakte zu NSU-Mitgliedern und Helfern gehabt zu haben. Die taz (Konrad Litschko, Wolf Schmidt) porträtiert Schwerdt.

Mandy S. und Beate Z.: spiegel.de (Julia Jüttner) bringt ein Porträt von Mandy S., deren Identität Beate Zschäpe angenommen hatte. Obwohl die 36-jährige Frau Kontakt zur NSU gehabt habe, sei sie von den Ermittlungsbehörden auf freiem Fuß belassen worden.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Türkische Journalisten auf freiem Fuß: Ein Gericht in Istanbul hat die sofortige Freilassung der beiden Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener verfügt, berichtet die SZ (Christine Schlötzer). Wegen ihrer Arbeiten zur Unterwanderung von Polizei und Justiz durch die charismatische islamische Bewegung Gulens (Sik) und das Versagen der Polizei bei der Aufklärung des Mordes an dem armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink (Sener) seien die beiden mit den Mitteln der Anti-Terror-Gesetzgebung mundtot gemacht worden, so die Kritik von EU, USA und türkischen Menschenrechtlern. Stefan Füle, Sprecher der EU-Erweiterungskommission, habe die Entscheidung als erfreulichen Schritt bezeichnet.

Isolationsfolter gegen Manning: Ein UNO-Sonderberichterstatter hat die Haftbedingungen des mutmaßlichen Wikileak-Informanten Bradley Manning als Folter bezeichnet. Wie die taz (Antje Passenheim) berichtet, gebe vor allem die einjährige Isolationshaft im Militärgefängnis Quantico/Virginia Anlass zu diesem drastischen Vorwurf. Ein vertrauliches Gespräch mit Manning sei dem UN-Vertreter in 14 Monaten nicht gestattet worden.

Das Letzte zum Schluss

Thüringer wird zum DDR-Bürger: Die Kanzlei Bella & Ratzka aus Eisleben/Thüringen berichtet auf ihrer Website von einem Busfahrer in Thüringen, der die Zahlung eines Bußgeldbescheids wegen 9 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit der Begründung abgelehnt habe, er sei DDR-Bürger und besitze insofern ein Recht auf Selbstbestimmung. Bezüglich des Bußgelds sei die Strategie erfolgreich gewesen, allerdings habe die Führerscheinstelle von ihm ein ärztliches Gutachten zur Frage der Geeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr verlangt, als er seinen Busführerschein verlängern wollte. Da der Verkehrsteilnehmer dies abgelehnt habe, sei ihm die Verlängerung des Führerscheins verweigert worden. Zu Recht, so das Verwaltungsgericht.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. März 2012: Leutheusser-Schnarrenbergers Gutachten – Bayers Medizinpatent – Frankfurts Nachtflüge . In: Legal Tribune Online, 14.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5773/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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