Die juristische Presseschau vom 14. Oktober 2020: Ver­fas­sungs­wid­riges Beher­ber­gungs­verbot? / Zweifel an Ceta-Klage / Zugang zum Refe­ren­da­riat

14.10.2020

Schießen die Beherbergungsverbote im Kampf gegen Corona über das Ziel hinaus? Die Organklage der Linksfraktion gegen die Ceta-Stellungnahme des Bundestags dürfte erfolglos bleiben und Sachsen will den Zugang zum Referendariat erschweren.

Thema des Tages

Corona – Beherbergungsverbot: Am heutigen Mittwoch steht die nächste Beratung zwischen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten über Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus an. Besondere Kritik entzündet sich im Vorfeld an Beherbergungsverboten. In einem Gastbeitrag für LTO legt Stephan Vielmeier, Rechtsanwalt, dar, dass diese aus sowohl formellen als auch materiellen Gründen rechtswidrig sind. "Unbehagen" bereite bereits, "dass es sich um eine atypische Maßnahme handelt", durch die kein für gefährlich gehaltenes Verhalten verboten wird, sondern auf dem Verbotswege mittelbar ein anderes Verhalten reglementiert werden solle. Der so erreichten Behinderung innerdeutscher Reisen müsse aber die Verhältnismäßigkeit abgesprochen werden. Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler (zeit.de) hält das Beherbergungsverbot in einem Gastbeitrag für "eindeutig verfassungswidrig". Anders noch als im Frühjahr existierten heute andere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verbreitung des Virus, "pauschale Maßnahmen" ließen sich daher nicht mehr legitimieren.

Auch Dietmar Neuerer (Hbl) bestreitet im Leitartikel die Verhältnismäßigkeit des Verbots. "Wenn elementare Grundrechte auf dem Spiel stehen", müsse die Legislative Entscheidungen treffen. Hierdurch unterblieben "sinnfreie Gängeleien".

Rechtspolitik

Digitale Rentenübersicht: Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Schaffung einer Digitalen Rentenübersicht, bei der Bürger online einsehen können, welche Renten sie aus gesetzlichen, betrieblichen und privaten Vorsorgen erwarten dürfen, steht vor einer ungewissen Zukunft, berichtet LTO (Hasso Suliak). Wegen ungeklärter Kompetenzfragen hatte sich der Bundesrat am vergangenen Freitag dafür ausgesprochen, Beamte und Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen. Die Finanzierung der Anbindung der Versorgungswerke an das Online-Portal sei ebenfalls ungeklärt. Schließlich würden auch datenschutzrechtliche Bedenken gegen den Einsatz der steuerlichen Identifikationsnummer für die Erstellung der Digitalen Rentenübersicht angemeldet.

Generisches Femininum im Insolvenzrecht: Auch die taz (Christian Rath) berichtet nun über den Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht, in dem fast ausschließlich weibliche Sprachformen benutzt werden. Die Rechtssprache von Gesetzen orientiere sich am "Handbuch der Rechtsförmlichkeit" von 2008. In diesem finde das generische Femininum keine Erwähnung. Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold macht im Verfassungsblog in Kritiken zum Entwurf typische Reaktionsmuster aus und erinnert daran, dass auch die Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache von stetem Wandel geprägt sei. Das Bürgerliche Gesetzbuch habe mit seiner Einführung zahlreiche, uns heute übliche und gebräuchliche Begrifflichkeiten geprägt. Dies belege, dass Rechtstexte nicht nur "Gegenstand politischen Gestaltungswillens" seien, sondern ihrerseits auch die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit gestalten.

Europäische Staatsanwaltschaft: Dem für November geplanten Arbeitsbeginn der Europäischen Staatsanwaltschaft droht nach Meldung der FAZ eine Verzögerung. Bislang seien zahlreiche Stellen unbesetzt, auch das Budget der Behörde sei noch nicht gesichert.

Justiz

BVerfG – Ceta: Bei der Verhandlung zur Organklage der Linksfraktion gegen die Ceta-Stellungnahme des Bundestags sind Zweifel an der Zulässigkeit der Klage zutage getreten, berichtet LTO. Die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung von Rechten des Parlaments stehe der durch die Abstimmung im Bundestag zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung entgegen. Es dürfe auch fraglich sein, ob der Bundestag per Gerichtsentscheid zum Erlass eines Gesetzes gezwungen werden dürfe, so die SZ (Wolfgang Janisch). Laut BadZ (Christian Rath) habe das Gericht bei der materiellen Prüfung der Klage erkennen lassen, dass dem Bundestag keine präzise verfassungsrechtliche Prüfung der Grenzen der vorläufigen Anwendung eines EU-Freihandelsvertrags abverlangt werden könne. Die "intensive" gerichtliche Diskussion lasse indes vermuten, dass sich das BVerfG eine Konkretisierung von Anforderungen an den Bundestag in derartigen Konstellationen vorbehalte. Ein Urteil werde in einigen Monaten erwartet.

BVerwG zu NSU-Aktenschreddern: Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss nach Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich Auskunft über ein Disziplinarverfahren erteilen, das gegen einen früheren Referatsleiter wegen des Schredderns von NSU-relevanten Akten eingeleitet wurde. Dies berichtet zeit.de (Toralf Staud) in eigener Sache. Zur Begründung habe das Gericht das "überragend große Gewicht" des öffentliches Interesses an der Aufarbeitung der vom sogenannten NSU verübten Verbrechen angeführt.

BGH zu Fotofahndung in Bild-Zeitung: bild.de meldet einen Erfolg in eigener Sache: Anders noch als das Oberlandesgericht Frankfurt habe der Bundesgerichtshof eine Berichterstattung für zulässig erachtet, bei der vermeintliche Teilnehmer von G20-Ausschreitungen im Stile einer Öffentlichkeitsfahndung bildlich dargestellt wurden.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: Am 16. Verhandlungstag im Verfahren zum Angriff auf die Hallenser Synagoge gaben vernommene Beamte des Bundeskriminalamtes zu, zu wenig über die Gamer-Szene zu wissen, in der sich der Angeklagte Stephan B. in den Jahren vor der Tat online bewegt hatte. Nach dem Bericht der FAZ (Mona Jaeger) bleibt damit weiterhin offen, wie sich B. radikalisierte und inwiefern er Verbindungen zu Gesinnungsgenossen pflegte. Die gleichfalls am Oberlandesgericht Naumburg vernommenen Nebenkläger hätten B. ihre Widerstandsfähigkeit demonstriert. Die Plädoyers seien für Mitte November geplant.

LG Berlin – Entschädigung für Corona-Lockdown: Vor dem Landgericht Berlin ist ein Wirt mit dem Versuch gescheitert, wegen der im Frühjahr verfügten Corona-Beschränkungen eine Entschädigung zu erstreiten. Die FAZ (Constantin van Lijnden) stellt die Argumentation des Klägeranwalts, der einen sogenannten Aufopferungsanspruch geltend gemacht hat, ausführlich dar. Das Gericht habe dies nicht überzeugt, die erlittenen Umsatzeinbußen hätten sich nach diesem "im Bereich eines tragbaren allgemeinen Lebens- und Unternehmerrisikos" bewegt. Weil "Ansprüche im Kontext der Corona-Krise" von vielen Besonderheiten geprägt seien, hält der Autor einen weiteren Instanzenzug in der Angelegenheit für wahrscheinlich. LTO berichtet ebenfalls.

LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler: Im Audi-Strafprozess hat das Landgericht München II einen Antrag der Verteidigung des früheren Audi-Chefs Rupert Stadler abgewiesen, das Verfahren gegen ihren Mandanten abzutrennen. Dies berichtet die FAZ (Henning Peitsmeier) in einem Porträt des Managers, dem nach wie vor eine Haftstrafe drohe. In seiner Einlassung habe ein mitangeklagter Motorenentwickler beschrieben, dass die vorgenommenen Manipulationen im ganzen Unternehmen bekannt gewesen seien.

LG Bremen – Sozialleistungsbetrug: Am Landgericht Bremen ist ein Strafverfahren zum mutmaßlich massenhaften Sozialleistungsbetrug eröffnet worden. Zu Lasten des Jobcenters Bremerhaven soll der Angeklagte über erfundene Arbeitsverträge Sozialleistungen im Umfang von gut sechs Millionen Euro unrechtmäßig erschlichen haben. LTO berichtet.

LG Trier – Cyberbunker: Am Landgericht Trier steht ein Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber eines Darknet-Rechenzentrums bevor. Die acht Angeklagten sollen in einem stillgelegten Bundeswehr-Bunker ein Rechenzentrum mit mehr als 400 Servern betrieben haben, auf denen Seiten wie die Drogenbörse "Cannabis Road" eine Heimat gefunden haben sollen, schreibt spiegel.de. Den Angeklagten werde nun Beihilfe zu rund 250.000 Straftaten vorgeworfen.

VG Halle zu "Hausberufung Halle": Mit einer "Deutlichkeit, die man in der Rechtsprechung selten findet" hat das Verwaltungsgericht Halle Ende September der örtlichen Martin-Luther-Universität untersagt, einen politikwissenschaftlichen Lehrstuhl ohne neue Auswahlentscheidung zu besetzen. Den zugrundeliegenden, unter dem Twitter-Handle "Hausberufung Halle" bekanntgewordenen Berufungsskandal stellt die FAZ (Patrick Bahners) in ihrem Lehre und Forschung-Teil ausführlich dar.

Recht in der Welt

Polen – Disziplinarkammer: Die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts Polens hat die Immunität der Krakauer Richterin Beata Morawiec aufgehoben und sie bei Streichung ihrer Bezüge um die Hälfte vom Dienst suspendiert. Nach Einschätzung der Kammer sei es "sehr wahrscheinlich", dass die Richterin Korruptionsdelikte begangen habe, berichtet LTO. Morawiec habe als Vorsitzende einer Richterorganisation die in Polen vorangetriebene Justizreform immer wieder kritisiert. Für Florian Hassel (SZ) offenbart die einem Urteil des Gerichtshofs der EU widersprechende Tätigkeit der Disziplinarkammer die Notwendigkeit von Strafzahlungen, die der Europäische Gerichtshof "wohl verhängen" könne. Das Einlenken der polnischen Regierung im Fall des Bialowieza-Urwalds habe bewiesen, dass man sich "zur Räson" bringen lasse.

Juristische Ausbildung

Referendariats-Zugang: Schon in den nächsten Tagen wird der sächsische Landtag über eine Neuregelung der Bestimmungen zum Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst im Freistaat beraten. Nach einem LTO (Markus Sehl) vorliegenden Gesetzentwurf soll der Zugang in der Regel versagt werden, wenn Bewerber zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurden oder Ermittlungsverfahren gegen sie anhängig sind, die zu einer solchen Strafe führen können. Bereits tätige Referendare sollen bei nachträglich festgestellter Nichteignung leichter entfernt werden können. Der Beitrag nennt als offensichtlichen Auslöser der Neuregelung den Fall eines wegen Landfriedensbruch rechtskräftig verurteilten Referendars, dessen Entfernung aus dem Vorbereitungsdienst das Oberlandesgericht Dresden wegen des Grundrechts auf Freiheit der Berufswahl rückgängig gemacht hatte.

Sonstiges

Insolvenzantragspflicht: Für die am Ende diesen Jahres auslaufende coronabedingte Aussetzung der Pflicht, bei einer Unternehmensüberschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, prognostizieren die Rechtsanwälte Frank Grell und Stefan Patzer im Recht und Steuern-Teil der FAZ "einen signifikanten Anstieg von Gerichtsprozessen". Zur Begründung führen die Autoren die gestiegene Bereitschaft an, Berater und Aufsichtsbehörden in Haftung zu nehmen. Zudem erleichterten Legal Tech-Anwendungen die Durchsetzung von vordem unwirtschaftlichen Ansprüchen.

Das Letzte

Konzentration: Einen Sinn fürs Wesentliche bewies die von der SZ unter den "Leuten des Tages" aufgeführte US-amerikanische Jurastudentin Brianna Hill. Beim Schreiben ihrer Anwaltsprüfung merkte die Jurastudentin, dass ihre Fruchtblase geplatzt war. Sie beendete die Prüfung, bevor sie in einem Krankenhaus einen Sohn zur Welt brachte. Der Rest der Prüfung wurde dort am Folgetag beendet, ein Ergebnis liegt bislang nicht vor.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Oktober 2020: Verfassungswidriges Beherbergungsverbot? / Zweifel an Ceta-Klage / Zugang zum Referendariat . In: Legal Tribune Online, 14.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43096/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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