Die juristische Presseschau vom 14. August 2019: Raser-Urteil begründet / Green-Card-Regeln ver­schärft / Jus­tiz­mi­nis­terin zu wehr­hafter Demo­k­ratie

14.08.2019

Das LG Berlin veröffentlicht die Gründe des Mord-Urteils gegen Raser. Außerdem in der Presseschau: die USA verschärfen die Regeln für die legale Einwanderung und die Justizministerin schreibt über wehrhafte Demokratie als Lehre aus Weimar.

Thema des Tages

LG Berlin zu Ku´damm-Rasern: Die 32. Strafkammer des Landgerichts Berlin verurteilte Ende März die beiden sogenannten Ku´damm-Raser wegen Mordes zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen. Die nun vorliegende Urteilsbegründung analysiert lto.de (Markus Sehl/Pia Lorenz) vertieft. Noch anders als die 35. Kammer, deren Urteil vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden war, habe das Gericht nun einen während der Fahrt von beiden Teilnehmern getroffenen gemeinsamen Tatentschluss erkannt und hierbei nach Einschätzung von Rechtsprofessorin Elisa Hoven "zu Recht die besondere objektive Gefährlichkeit der Tat in den Vordergrund gestellt". Die Verteidigung habe eine Revision bereits angekündigt.

Rechtspolitik

"Arbeit-von-morgen-Gesetz": Das Bundesarbeitsministerium plant, im Herbst den Entwurf eines "Arbeit-von-morgen-Gesetzes" mit neuen Regeln für Kurzarbeit und Weiterbildungsförderung vorzustellen. Mit dem Vorhaben solle den Herausforderungen der Digitalisierung begegnet werden. Es berichten FAZ (Dietrich Creutzburg/Niklas Zaboji), SZ (Henrike Roßbach) und Hbl (Frank Specht/Gregor Waschinski). spiegel.de (Alexander Preker) stellt die Kritik von Experten an den Plänen vor.

Altersgrenze: Um der aktuellen und auch künftigen Personalknappheit in der rheinland-pfälzischen Justiz zu begegnen, schlägt der Landesverband des Deutschen Richterbundes die Möglichkeit zur freiwilligen Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Richter und Staatsanwälte vor. In anderen Ländern gebe es diese Option bereits, Rheinland-Pfalz solle daher gesetzgeberisch nachziehen, schreibt lto.de über die Forderung des Verbandes.

Strafprozess: Die FAZ (Constantin van Lijnden) gibt einen Überblick zum Diskussionsstand über den Gesetzentwurf "zur Modernisierung der Strafrechtspflege". Während zwischen Strafverteidigern auf der einen und Staatsanwälten sowie Richtern auf der anderen Seite die geplante Beschränkung der Nebenklagevertreter noch "vergleichsweise wenig umstritten ist", herrsche etwa bei den geplanten Einschnitten im Beweisantragsrecht noch ein ausgeprägter Dissens zwischen den genannten Gruppen. Bemerkenswert sei dagegen, dass die ursprünglichen Pläne für eine Regelung zur Aufzeichnung einer Hauptverhandlung offenbar fallen gelassen wurden.

Gerichtsdolmetschergesetz: Im Mai hat der Bundestag Eckpunkte eines Bundes-Gerichtsdolmetschergesetzes, durch das die für Übersetzer geltenden Anforderungen bundesweit einheitlich gestaltet werden sollen, vorgestellt. Der Übersetzer Peter Winslow (community.beck.de) stellt die Punkte vor und spart dabei nicht an Kritik. So sei die Forderung nach einem bundeseinheitlichen Verzeichnis aller beeidigten Dolmetscher überflüssig, weil ein solches Verzeichnis bereits seit Jahren existiere.

Datenschutz: In einem Kommentar behauptet Hendrik Wieduwilt (FAZ), dass der etwa in Art. 15 Datenschutzgrundverordnung verankerte Anspruch auf Kenntnis über den Inhalt der von Unternehmen gespeicherten personenbezogen Daten technische Angriffspunkte für Hacker eröffne. Dies sollten auch "die Apologeten einer Datenteilungspflicht für Digitalkonzerne" im Blick behalten.

Soli/Grundrente: Nach Bericht der FAZ (Kerstin Schwenn) bemüht sich die Regierungskoalition derzeit um einen "Kompromiss in Sachen Solidaritätszuschlag und Grundrente". Die idealerweise noch vor den anstehenden Landtagswahlen zu erzielende Lösung könne darin bestehen, den sogenannten Soli vollständig abzuschaffen und hieran gekoppelt, bei der geplanten Grundrente eine Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen.

Beihilfen: Rechtsanwalt Ulrich Soltesz schreibt im Recht und Steuern-Teil der FAZ über die neu gefasste Mitteilung der EU-Kommission zur Rückerstattung unrechtmäßig empfangener Beihilfen. Diese Pflicht habe sich grundsätzlich nicht verändert, neu seien aber die präzisen Vorgaben zur Rückforderung in der Insolvenz.

Mieten-Stopp: Die taz (Patrick Guyton) stellt Inhalt und Regelungsgehalt des vom Mieterverein München geplanten Volksbegehrens für einen Mieten-Stopp im Freistaat vor. In einem Kommentar weist Ariane Lemme (taz) auf mögliche Schwachstellen und Schlupflöcher eines solchen Deckels hin, begrüßt aber, dass "endlich überhaupt gehandelt" werde. Nicht zuletzt die bayerische Verfassung bestimme, dass Wohnen für alle Bürger bezahlbar sein müsse.

Gewerbemietpreisbremse: Der Berliner Senat will über eine Bundesratsinitiative eine bundesweite Mietpreisbremse für Gewerberäume erreichen. lto.de berichtet.

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Trennungsunterhalt: Ein Anspruch auf Trennungsunterhalt setzt nach einem nun veröffentlichten Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. von Mitte Juli weder voraus, dass die Beteiligten vor der Trennung zusammen gelebt haben "noch dass es zu einer Verflechtung der wechselseitigen Lebenspositionen" gekommen ist. Eine nur formell bestehende Ehe mit verminderten Rechten gebe es nicht, so lto.de über die Entscheidung.

LG München II – Rupert Stadler: Nach Bericht der FAZ (Marcus Jung u.a.) stützt sich die beim Landgericht München II anhängig gemachte Anklage gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler auch auf Befragungen des Managers im Rahmen einer internen Untersuchung. Die von der Kanzlei Jones Day hierzu angefertigten Notizen seien bei einer Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten sichergestellt worden.

LG Frankfurt/M. zu Matteo Salvini: Per einstweiliger Verfügung hat das Landgericht Frankfurt/M. es dem italienischen Innenminister Matteo Salvini untersagt, über seinen Twitter-Account ein Foto des Rettungsschiffs "Sea-Watch 3" zu veröffentlichen. Das fragliche Foto war vom Kapitän eines anderen Rettungsschiffs angefertigt worden. Der siegreiche Antragsteller habe angekündigt, die Seenotrettung verächtlich machende Beiträge konsequent verfolgen zu lassen. lto.de berichtet.

VG Berlin – Knabenchor: Am kommenden Freitag verhandelt das Verwaltungsgericht Berlin zur Klage einer Minderjährigen, die auf diesem Wege ihren Zugang zum Staats- und Domchor der Hauptstadt erreichen will. Vertreter des reinen Knabenchors behaupteten, dass die beanstandete Ablehnung nicht vor allem auf das Geschlecht des Mädchens zurückzuführen sei, schreibt lto.de über die Klage.

Internet-Hetze: Die Welt (Marc Pfitzenmaier) bringt eine große Reportage über Christoph Hebbecker, der als einer von zwei Staatsanwälten der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in Köln für die Verfolgung hetzerischer Beiträge in sozialen Netzwerken zuständig ist.

Recht in der Welt

Österreich – Hans-Christian Strache: Im Zuge von Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts wurde in Österreich unter anderem das Haus des früheren FPÖ-Vorsitzenden Hans-Christian Strache durchsucht. Wie unter anderem die FAZ (Stephan Löwenstein) schreibt, ist der unmittelbare Anlass nicht das skandalträchtige Ibiza-Video. Die Ermittler hätten vielmehr personelle Verflechtungen der FPÖ zu einem Glücksspielkonzern in den Blick genommen.

USA – Green Card: Die USA verschärfen die Regeln für die Erteilung einer dauerhaften Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, der sogenannten Green Card. Stärker als zuvor solle die Erteilung davon abhängig gemacht werden, ob Antragsteller öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen, berichten etwa taz (Dorothea Hahn) und SZ (Thomas Kirchner).
Nikolas Busse (FAZ)
erinnert in einem Kommentar daran, dass "der Grundgedanke", nach dem sich Einwanderer selbst zu unterhalten haben, "auch den hier geltenden Regelungen zugrunde" liege. Jenseits des "populistischen Furors" seien die US-amerikanischen Pläne "nicht verwerflich". Hubert Wetzel (SZ) vermisst dagegen ein klares Bekenntnis des US-Präsidenten, "dass die USA ein Einwanderungsland sind und bleiben".

Kirgistan – Ex-Präsident: Der frühere Präsident Kirgistans, Almasbek Atambajew, sieht sich einer Anklage wegen Mordes gegenüber. Unterstützer des Politikers sollen während einer Durchsuchung seines Hauses einen Korruptionsermittler erschossen haben, berichtet das Hbl (Christoph Lumme).

Sonstiges

Wehrhafte Demokratie: Aus Anlass des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vor exakt 100 Jahren nimmt die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) diese Verfassung in der FAZ gegen den Vorwurf in Schutz, ihre "Konstruktionsfehler" hätten ihr Scheitern bewirkt. Tatsächlich sei die WRV "fortschrittlich" gewesen und wirke "bis heute", etwa als Vorbild des im Grundgesetz angelegten Konzepts der wehrhaften Demokratie. Angesichts von Taten wie der Tötung Walter Lübckes oder Angriffen auf zivilgesellschaftliche Initiativen sei das bürgerschaftliches Engagement, aber auch "konkretes und sichtbares Handeln des Staates, um den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen" vonnöten.

Legal Tech: Ein großer Artikel des Hbl (Christoph Kapalschinski) stellt die Themenfelder mehrerer deutscher Legal Tech-Start-ups vor. Während "Iubel" sich in klassischer zivilrechtlicher Prozessfinanzierung versuche, wolle "Synergist.io" durch rechnerunterstützte Datenanalyse Vertragsverhandlungen und -anpassungen vereinfachen. In einem separatem Interview erklärt Dirk Hartung, Executive Director Legal Technology an der Bucerius Law School, dem Hbl (Christoph Kapalschinski), ob angesichts neuer technologischer Möglichkeiten der Anwaltsberuf eine Zukunft hat und welche Haupthindernisse gegenwärtig noch Legal Tech-Unternehmen behindern.

Cum-Cum-Deals: Deutsche Banken haben wegen möglicher Staf- und Steuernachzahlungen infolge sogenannter Cum-Cum-Deals Rücklagen von knapp einer Viertelmilliarde Euro gebildet. Dies geht aus einer dem Hbl (Elisabeth Atzler) vorliegenden Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion hervor.

Bakery Jatta: Die sport- und arbeitsrechtlichen Aspekte des Falls des Fußballprofis Bakery Jatta, an dessen Identität mediale Zweifel gestreut worden sind, werden nun auch von den Rechtsanwälten Patrick Redell und Benjamin Keck auf lto.de vertieft ausgelotet. zeit.de (Kilian Trotier) bietet einen Überblick zu Ereignissen und Erkenntnissen des Falls.

Team Wallraff: Aus Anlass mehrerer gerichtlicher Verfahren zur Zulässigkeit verdeckt angefertigter Filmaufnahmen des Recherche-Teams Wallraff beschreibt die SZ (Elisa Britzelmeier) die rechtlichen Grundlagen einer solchen "Ausnahme in der journalistischen Arbeit".

Widersprüche: In seiner Kolumne für den FAZ-Einspruch behandelt Rechtsprofessor Volker Rieble die diskussionsbeendende Aufforderung, "anderswohin" zu gehen, wem es "hier" nicht passe. Die Sentenz bedeute "die politische Alternativlosigkeit als Form gesellschaftlicher Gleichschaltung". Eine Demokratie müsse "Widerspruch aushalten", auch wenn dieser von vermeintlichen "Werteleugnern" komme.

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. August 2019: Raser-Urteil begründet / Green-Card-Regeln verschärft / Justizministerin zu wehrhafter Demokratie . In: Legal Tribune Online, 14.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37033/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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