Die polnische Regierung reformiert die Justiz. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission leitet nächstes Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Wird in Brasilien Korruption bekämpft oder der politische Prozess juristisch behindert?
Thema des Tages
Polen – Justizreform: Die polnische Regierungspartei PiS hat mit mehreren nun vom Parlament verabschiedeten Gesetze die Justizreform im Land vorangebracht. In der Nacht zum Mittwoch beschloss der Sejm eine neue Zusammensetzung des Landesjustizrats. Die Zusammensetzung dieses Gremiums, das Richter ernennt, wird fortan ausschließlich vom Parlament bestimmt. Die bisherigen Mitglieder, zum größten Teil von der berufsständischen Organisation der Richter bestimmt, verlieren binnen Monatsfrist ihre Ämter, schreibt die FAZ (Konrad Schuller). Ein in der Nacht zum Donnerstag eingebrachter Gesetzentwurf sehe die Möglichkeit der Entlassung aller Richter des Obersten Gerichts vor. Neuernennungen dürfe künftig der Justizminister vornehmen. Der Bericht von spiegel.de (Markus Becker/Thomas Dudek) geht auch auf die fragwürdigen Sanktionsversuche der EU ein. Das eingeleitete Verfahren zum Schutz des Rechtsstaates sei "praktisch gescheitert", ein Entzug von Stimmrechten dürfte am Veto Ungarns scheitern. In einer von verfassungsblog.de (in englischer Sprache) veröffentlichten Stellungnahme wenden sich fünf frühere Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichts in eindeutigen Worten gegen die Maßnahmen.
Rechtspolitik
Verbraucherschutz: Durch die jüngste Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat das Bundeskartellamt die Befugnis erhalten, sogenannte Sektoruntersuchungen auch zum Zweck des Verbraucherschutzes durchzuführen. Mögliche Auswirkungen dieser Kompetenzerweiterung untersucht ein Beitrag der Rechtsanwälte Thomas Grünvogel und Sebastian Hack auf lto.de.
"Ehe für alle": juwiss.de setzt die auf seinen Seiten geführte Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlich beschlossenen Erweiterung der Ehe auf Heiratswillige gleichen Geschlechts fort und fasst hierzu vorgebrachte Kernthesen zusammen.
Gentests: Teil der jüngsten Reform des Strafverfahrens war auch die Legalisierung sogenannter Beinahe-Treffer bei Massengentests. Nunmehr könne bei solchen Tests auch nach Verwandten in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad gesucht werden, schreibt die taz (Christian Rath). Der Beitrag erläutert den gesetzgeberischen Anlass der Regelung.
Öffentliche Sicherheit: In einem Gastbeitrag für die FAZ (Zusammenfassung auf faz.net) macht Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD im Bundestag, Versäumnisse der Union, die seit zwölf Jahren das Bundesinnenministerium leite, dafür verantwortlich, dass Deutschland "im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht gut aufgestellt" sei. Der Personalabbau bei der Polizei, aber auch an Gerichten und Staatsanwaltschaften müsse umgekehrt werden. Weiter sei auch eine gesellschaftliche Ächtung von Gewalt "am rechten wie am linken Rand" nötig.
Normenkontrollrat: Auch die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet nun über den soeben vorgestellten Jahresbericht des Normenkontrollrates. Neben der bislang üblichen Schätzung der Kostenfolgen von Gesetzentwürfen sei angemahnt worden, dass auch der nachprüfbare Nutzen von Vorhaben möglichst genau beziffert werden solle.
Justiz
EuGH – Internetverleumdung: In seinen Schlussanträgen hat Michael Bobek, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Zuständigkeitsregeln für Internetverleumdungen juristischer Personen klargestellt. Ein vernünftiger Grund, diese anders zu behandeln als natürliche Personen, sei nicht erkennbar, berichtet lto.de. Somit könne Klage in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass die klagende estnische Gesellschaft gegen schwedische Einträge in Estland klagen kann.
EuGH zu Umweltpolitik: Nach einer von der FAZ (Marcus Jung) gemeldeten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs muss die EU-Kommission ihre Umweltpolitik transparenter gestalten. Hierzu gehöre ein bislang unter Verweis auf den Vertraulichkeitsschutz verweigerter freier Zugang zu Information für Industrieunternehmen.
BVerfG zu Haftverlegungen: Der bloße Hinweis, dass Besuchsschwierigkeiten kein Grund für eine Haftverlegung seien, verletzt sowohl den grundgesetzlich garantierten Schutz der Familie und der Freiheit als auch das Resozialisierungsrecht des Häftlings. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am gestrigen Donnerstag veröffentlichten Beschluss, der von der SZ gemeldet wird.
BGH zu Filesharing: Eine richterliche Genehmigung zur Herausgabe von Verkehrsdaten wie der IP-Adresse umfasst nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch die Genehmigung zur Herausgabe von Bestandsdaten wie der Nutzerkennung von Kunden. Ob damit der begehrte Schadensersatz wegen einer behaupteten Urheberrechtsverletzung begründet sei, müsse nun in einer neuen Verhandlung geprüft werden, schreibt spiegel.de über die Entscheidung, die es Firmen leichter mache, "Rechteverstöße zu ahnden".
OVG Schleswig-Holstein - AGG und Pferdesteuer: Eine Reitlehrerin aus Schleswig-Holstein hat beim Oberverwaltungsgericht des Landes einen Normenkontrollantrag gegen die von der Gemeinde Tangstedt erhobene Pferdesteuer eingelegt. Die Klägerin behauptet einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durch die Steuer, berichtet die taz-Nord (Katharina Kücke), da 91 Prozent der von der Steuer betroffenen Pferdehalter Frauen seien.
LG Düsseldorf zu Lebensversicherungen: Die Kappung von Gewinnausschüttungen zu Lasten von Kunden von Lebensversicherungen ist nach einer Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf rechtmäßig. Der unterlegene Bund der Versicherten habe unmittelbar nach der Verkündung den Gang zum Bundesgerichtshof angekündigt, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Auch eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts sei zur Überprüfung des streitentscheidenden, 2014 verabschieden Gesetzes denkbar.
VG Schleswig – Diesel-Fahrzeuge: Am Verwaltungsgericht Schleswig versucht der Umweltverband Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen das Kraftfahrt-Bundesamt ein Verkaufsverbot für Diesel-Neuwagen mit zu hohem Stickoxid-Ausstoß zu erstreiten. Rechtsanwalt Johannes Schulte (jurop.org) stellt die relevanten Probleme des Antrags dar. Nach einer abweisenden Entscheidung im Eilverfahren dürften auch im Hauptsacheverfahren nur geringe Erfolgsaussichten bestehen, womöglich habe der BUND aber auch bereits das Berufungsverfahren im Blick.
AG Stuttgart – Daimler: bloomberg.com (Karin Matussek/Elisabeth Behrmann) meldet (in englischer Sprache), dass sich der Daimler-Konzern mit einer Beschwerde beim Amtsgericht Stuttgart gegen die staatsanwaltschaftliche Beschlagnahme von Unterlagen aus internen Ermittlungen zu möglichen Diesel-Manipulationen zur Wehr setzt. Dies stelle eine Parallele zu der aktuell beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Frage der Zulässigkeit staatsanwaltschaftlichen Zugriffs auf interne Ermittlungen dar.
Recht in der Welt
Ungarn – Vertragsverletzung: Die EU-Kommission hat das zweite Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Das jüngste Gesetz zu Transparenzbestimmungen von NGOs sei eine ungerechtfertigte Beschränkung des Kapitalverkehrs und verletzte darüber hinaus auch das Recht auf Achtung des Privatlebens, so die SZ (Andrea Bachstein) über die von EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmernans verbreitete Stellungnahme. Bereits seit April laufe ein weiteres Verfahren wegen des ungarischen Hochschulgesetzes. Der Bericht der FAZ (Stephan Löwenstein/Michael Stabenow) beschreibt auch die ungarische Reaktion. Der Justiz-Staatssekretär habe das Land mit einem Angeklagten eines Schauprozesses verglichen. Ungarn werde für seine unnachgiebige Haltung in der Flüchtlingsfrage abgestraft. Nach dem Kommentar von Daniel Brössler (SZ) bleibt der EU-Kommission "nur der Rechtsweg" in ihrem "Kampf um ein Ungarn, das nicht nur Mitglied der EU ist, sondern auch hineingehört."
Schweiz – Boris Becker: In der Auseinandersetzung zwischen dem früheren Tennis-Star Boris Becker und einem Geschäftspartner über die Zurückzahlung eines Darlehens hat der erstinstanzlich unterlegene Geschäftsfreund eine Berufung beim Obergericht des Kantons Zug angekündigt. SZ (Rene Hofmann/Klaus Ott) und FAZ (Michael Ashelm) berichten.
Brasilien – Lula: Über die Verurteilung des früheren brasilianischen Präsidenten Lula zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Korruption berichten nun auch SZ (Boris Herrmann), taz (Andreas Behn) und FAZ (Matthias Rüb). Lula habe bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt und beabsichtige nach wie vor eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt der größten lateinamerikanischen Demokratie im Herbst 2018. In einem Profil stellt die SZ (Boris Herrmann) Sergio Moro vor. Der Bundesrichter gehöre einer jungen Generation von Juristen an, die bei "der inzwischen größten Anti-Korruptionsoffensive in der Geschichte" des Landes auch vor den "reichsten Unternehmern und mächtigsten Politikern" nicht zurückschrecke. Kritiker würden der Kampagne politische Motive vorwerfen. In der jetzigen Urteilsbegründung habe Moro darauf hingewiesen, dass ihm die Bestrafung des Politikers keine persönliche Befriedigung gebe.
Sonstiges
G-20 – Journalisten: Wie erst im Nachhinein bekannt wurde, ist 32 Journalisten die Akkreditierung für den G-20-Gipfel entzogen worden. Rechtsanwalt Markus Kompa erläutert auf lto.de den rechtlichen Rahmen dieser Maßnahme und möglichen Rechtsschutz dagegen. Die Ereignisse und bisherigen Erkenntnisse zum Journalisten-Ausschluss fasst spiegel.de (Matthias Gebauer) zusammen.
BKA-Unterlassungserklärung: Nach Meldung von lto.de hat sich das Bundeskriminalamt durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verpflichtet, Stellenanzeigen im Bereich Rechtsextremismus nicht mit einer Abbildung des AfD-Twitter-Accounts zu bebildern.
Fällgenehmigung: Was Grundstückseigentümer, die Bäume fällen wollen, in rechtlicher Hinsicht beachten müssen, erklärt die SZ (Andrea Nasemann).
Das Letzte zum Schluss
Häuslicher Unfriede: Ein lautstarker Streit forderte die Aachener Polizei zu einem Einsatz heraus: Wie justillon.de berichtet, hatten Nachbarn Poltern und heftige Streitworte vernommen. Als die Gesetzeshüter eintrafen, fiel ihnen ein verletzter Mann in die Arme. Seine Erklärung für den Lärm machte weiteres Eingreifen aber überflüssig. Sein widerborstiger Papagei hatte ihm in die Lippe gebissen und im Rahmen der Auseinandersetzung auch gleich noch einige Einrichtungsgegenstände umgestürzt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. Juli 2017: Justizreform in Polen / Vertragsverletzung in Ungarn / Korruption in Brasilien . In: Legal Tribune Online, 14.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23418/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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