Die juristische Presseschau vom 13. März 2012: Kriminelle Gewinne im Visier – Hochzeit in Abwesenheit – Yahoo und Facebook im Clinch

13.03.2012

Die EU-Kommission will Erträge aus organisierter Kriminalität besser abschöpfen. Außerdem: Ein Verfassungsrichter zum Verbraucherschutz bei Finanzgeschäften, Dieter Gorny über ACTA, drei Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung, Lizenzen und Insolvenzen, Frauenquote in der Wirtschaft und ganz überraschend hat der "Tatort" etwas mit der Wirklichkeit zu tun.

Kriminelle Gewinne im Visier: Über die Pläne der EU, die Gewinne der organisierten Kriminalität abzuschöpfen, berichtet die SZ (Martin Winter). Die schwedische Kommissarin für Innenpolitik Cecilia Malmström beabsichtige, Wertsachen und Vermögen von Kriminellen in Zukunft wirkungsvoller beschlagnahmen oder einfrieren zu lassen. Vor allem in Osteuropa, Österreich und Luxemburg gebe es Nachholbedarf bei der Umsetzung, stellt die FTD (Eike Radszuhn) fest.

Die FAZ (Nikolas Busse) erwähnt eine UN-Schätzung für das Jahr 2009, derzufolge organisierte Kriminalität Erträge in Höhe 2,1 Billionen US-Dollar erzielt habe, von denen weniger als ein Prozent beschlagnahmt worden seien.

Im Kommentar lobt Martin Winter (SZ) die "vernünftigen Vorschläge" der EU, die sich damit an den USA und den italienischen Anti-Mafia-Gesetzen orientiere. Wirksam werde die neue Linie nur, wenn alle mitmachten. Schnelle Beschlüsse aller Mitgliedsländer seien daher erforderlich.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Verbraucherschutz bei Finanzgeschäften: Reinhard Gaier, Richter am Bundesverfassungsgericht, geht im Feuilleton der SZ der Frage nach, ob der in Finanzdingen meist unbedarfte Laie vor den Risiken der Casino-Ökonomie besonders geschützt werden muss. Gaiers Ansicht nach kann angesichts der Überlegenheit des Wissens der Finanzanbieter die Vertragstreue nicht alleiniger rechtlicher Maßstab sein. Die stärkere Akzentuierung der sozialpolitischen Dimension der Generalklauseln des BGB sei ebenso erforderlich wie die Weiterentwicklung der "Typik einschlägiger Ungleichgewichtslagen", um zwischen zwei nur scheinbar gleich starken Vertragspartnern Rechtssicherheit zu ermöglichen.

Vorratsdatenspeicherung: Die SZ (Wolfgang Janisch, Joachim Käppner) berichtet über zwei widersprüchliche Gutachten aus dem Freiburger Max-Planck-Institut (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht. Während eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 festgestellt haben will, dass sich der Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung negative auf die Aufklärung von Straftaten auswirkt, habe ein Gutachten aus 2011 ergeben, dass sich die Aufklärungsquote auch ohne Vorratsdatenspeicherung nicht verschlechtert hat. Jetzt werde ein drittes Gutachten des MPI herangezogen, in dem Daten erledigter Fälle aus drei Bundesländern ausgewertet wurden.

Frauenquote in Wirtschaftsunternehmen: Markus Stoffels (blog.beck.de), Professor an der Universität Heidelberg, hält den Gesetzesentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen für vermutlich nicht verfassungsmäßig. Er moniert, der Entwurf gebe keine Antwort auf die Frage, wie zu verfahren ist, wenn ein Kandidat des unterrepräsentierten Geschlechts nicht vorhanden ist und demzufolge Aufsichtsrat oder Vorstand unterbesetzt bleiben oder beschlussunfähig sind.

Urheberrecht, ACTA, Filehosting: Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Musikindustrie und frühere Chef des Musiksenders Viva, Dieter Gorny, fordert in einem Interview mit der FAZ (Caroline Freisfeld) mehr Sachlichkeit bei der Diskussion um ACTA. Man könne das Urheberrecht nicht abschaffen, nur weil es kompliziert sei.

In ihrer Serie zum Urheberrecht widmet sich die FAZ (magr.) der Rolle von Filehostern. Die Datenspeicherdienste kämpften gegen ihr Image, Handlanger für illegales Downloaden zu sein. Eine Beweislastumkehr, die an Stelle der Beweispflicht für eine Verletzung des Rechteinhabers eine Entlastungspflicht des Filehosters setzt, lehne die Branche ab.

Aktienrechtsnovelle gegen Geldwäsche: Das Handelsblatt (Heike Anger) fasst die wesentlichen Punkte der geplanten Aktienrechtsnovelle zusammen. Anonyme Inhaberaktien seien in Zukunft nur noch gegen Auflagen erlaubt, um die Geldwäsche zu erschweren. Kritisiert werde häufig die Einführung der umgekehrten Wandelschuldverschreibung, die auch dem Schuldner (der Aktiengesellschaft) das Recht gibt, anstelle von Geld mit Aktien zu bezahlen. Dadurch werde die Position der Aktieninhaber zu sehr geschwächt.

Lizenzen in der Insolvenz: Auch die FTD (Thomas Münster) berichtet jetzt auf ihrer Recht-Seite über die Bestrebungen, Lizenznehmer im Fall der Insolvenz ihres Lizenzgebers besser abzusichern. Die bisherigen Ansätze im Rahmen der von der Bundesregierung geplanten großen Insolvenzrechtsreform böten keinen optimalen Schutz - insbesondere dass der Lizenznehmer sich auf neue Konditionen einstellen muss, sei aus Sicht von Fachjuristen ein gravierender Mangel, den es zu beheben gilt.

Fluggastdatenabkommen: Die erste Abstimmung im Europaparlament zum geplanten Fluggastdatenabkommen mit den USA, Passenger Name Records (PNR), nimmt Markus Beckedahl (netzpolitik.org) zum Anlass, für die wichtigsten Argumente gegen das Abkommen zu werben. Man müsse Druck auf die Europaabgeordneten ausüben, so seine Forderung.

Thomas Stadler (internet-law.de) hält das Abkommen, mit dem die Fluggesellschaften vorab 19 Einzeldaten über jeden Fluggast an die US-Behörden zu übermitteln hätten, für "evident rechtswidrig" und verweist auf die Proteste der Digitalen Gesellschaft e.V.

Bayerische FDP gegen Leistungsschutzrecht: Wie die FR (Steffen Hebestreit) berichtet, hat die bayerische FDP auf ihrem Landesparteitag das Leistungsschutzrecht für Verleger mit Hinweis auf das "freie Internet" abgelehnt. Das Leistungsschutzrecht verpflichte kommerzielle Nachrichtenportale wie Google, eine Abgabe an Verlage zu zahlen, wenn sie deren Inhalte in ihr Angebot einbinden. Diese Ablehnung des Leistungsrechts stehe im Widerspruch zur Position der Bundes-FDP in der letzten Koalitionsrunde. Dort habe die Partei auf Initiative von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Leistungsschutzrecht für Verleger durchgesetzt.

Harry Nutt (FR) fasst in seinem Kommentar eine Vielzahl von Meinungen aus anderen Medien zusammen und nennt die Gegner des Leistungsschutzrechts "Lobby aus Notwehr".

Handschuh-Ehe: Focus (Margarete van Ackeren) berichtet in seiner gedruckten Ausgabe vom Montag über die Praxis der Handschuh- oder Stellvertreter-Ehe in Libanon oder Syrien, die die Eheschließung in Abwesenheit der Eheleute. Die Anerkennung dieser Zeremonie durch deutsche Stellen mache im Asylverfahren auch den Familiennachzug von Eheleuten möglich. Wolfgang Bosbach (CDU) lehne eine Eheschließung vor "Scharia-Richtern" ab, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) halte die Regelungen für "angemessen".

Weitere Themen – Justiz

Verfassungsbeschwerde gegen Fiskalpakt: Der Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Degenhart bereite eine Verfassungsbeschwerde gegen den Fiskalpakt und den dauerhaften ESM-Rettungsschirm vor, berichtet das Handelsblatt (Daniel Delhaes, Donata Riedel, Heike Anger). Degenhart sehe den Grundsatz verletzt, dass kein EU-Land für die Schulden eines anderen EU-Landes haften darf. Außerdem sei der ESM-Rettungsschirm der politischen Kontrolle der Einzelstaaten weitgehend entzogen.

Nachtflüge in Frankfurt: Die FTD (Annette Berger) bringt einen Vorabbericht über die heute beginnende Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig, das über den Umfang der Nachtflüge am Flughafen Frankfurt/Main zu entscheiden hat. Im Oktober 2011 hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof ein Nachtflugverbot von 23 Uhr bis fünf Uhr verfügt. Der Entscheidung des BVerwG komme grundlegende Bedeutung für die Zukunft der Logistikbranche zu.

Schlecker-Insolvenz: Die SZ (Max Hägler) stellt die Forderung von Max Geiwitz, Schlecker-Insolvenzverwalters und Partner in einer Augsburger Kanzlei, nach einem Überbrückungskredit in Höhe von 75 Millionen Euro in den Mittelpunkt eines Berichts über die in dieser Woche anstehenden Entscheidungen auf dem Weg zur finanziellen Gesundung der Drogeriemarktkette. Die in der Zuständigkeit von Bundeswirtschaftsminister Rösler (FDP) stehende Kreditanstalt für Wiederaufbau habe dies abgelehnt. Geiwitz halte das Risiko bei einer Anschubfinanzierung für den Steuerzahler für vertretbar.

Oury-Jalloh-Prozess in Magdeburg: Wie die taz (MK) meldet, hat das Landgericht Magdeburg die Befangenheitsanträge gegen die drei Berufsrichter und zwei Schöffen in dem Verfahren gegen Andreas S. abgelehnt. Der Polizeibeamte und Dienstgruppenleiter wird für den Tod von Jalloh im Polizeigewahrsam im Jahr 2005 in Dessau verantwortlich gemacht. Nachdem das Gericht in der vergangenen Woche eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage angeboten und die Staatsanwaltschaft dies abgelehnt habe, hätten die Angehörigen Jallohs den Befangenheitsantrag gestellt.

Subventionen für Boeing: Wie spiegel.de (aar) berichtet, hat die Berufungskammer der Welthandelsorganisation (WTO) den US-amerikanischen Flugzeughersteller Boeing für den Erhalt von Subventionen in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar deutlich gerügt. Im "teuersten Handelsstreit der Welt" beziffere der belgische EU-Handelskommissar Karel de Gucht den durch die US-Subventionen verursachten Schaden auf 45 Milliarden Dollar. US-Handelsvertreter Ron Kirk zeige sich zufrieden, weil jetzt feststehe, dass die Höhe der Subventionen für Airbus mit 18 Milliarden Dollar viermal höher als die für Boeing ausgefallen sind und einen weit höheren Schaden verursacht haben.

Facebook und Datenschutz: Im Nachgang zum Urteil des Landgerichts Berlin gegen den laxen Umgang mit Nutzerdaten bei Facebook spricht FTD (Katharina Peuke) mit Carola Elbrecht. Die Juristin bei der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht den Konflikt mit Facebook und anderen großen Internet-Unternehmen längst nicht als beendet an und fordert: "Die Gesetze zum Datenschutz müssen auf das digitale Zeitalter angepasst werden."

Weitere Themen – Recht in der Welt

Yahoo verklagt Facebook: Wie spiegel.de (aar) berichtet, hat Netzpionier Yahoo am Montag in Kalifornien Klage gegen Facebook eingereicht. Es gehe um Schadensersatz in unbekannter Höhe, den Yahoo mit der Verletzung von zehn Patenten begründe, darunter das Versenden von E-Mails und die Kommentierung von Beiträgen. Da Facebook kurz vor seinem Börsengang stehe, sei der Zeitpunkt der Klage für das Unternehmen von Mark Zuckerberg äußerst ungünstig.

Ukrainische Gefängnisse: Laut eines Berichts des Antifolterkomitees des Europarates, den die FAZ (Konrad Schuller) vorstellt, herrschten in ukrainischen Gefängnissen "entsetzliche Zustände", Misshandlungen zur Abpressung von Geständnissen seien weit verbreitet. Das Justizministerium des Landes habe erklärt, einige der Missstände seien beseitigt worden; so werde eine lichtlose Kleinstzelle mit einer Fläche von 0,8 Quadratmetern mittlerweile nicht mehr benutzt.

Hinrichtungen in China: spiegel.de (Henrik Ternieden) stellt die BBC-Dokumentation "Dead Man Talking" vor. Der Film setzt sich mit der Serie der Journalistin Ding Yu auseinander, die in fünf Jahren Interviews mit mehr als 200 in China zum Tode verurteilten Menschen geführt hat. Da das chinesische Regime während der Tagung des Volkskongresses negative Publizität vermeiden wolle, sei die Sendung vergangene Woche kurzfristig aus dem Programm genommen worden.

Das Letzte zum Schluss

"Tatort" trifft Wirklichkeit: Joe Bausch, bekannt als Gerichtspathologe aus dem Tatort Köln mit den Kommissaren Ballauf und Schenk, ist im wirklichen Leben Gefängnisarzt in der Justizvollzugsanstalt Werl. Über seine Erfahrungen aus fünfundzwanzig Berufsjahren hat er jetzt das Buch "Knast" geschrieben, das Till Briegleb (SZ) im Feuilleton ausführlich und lobend bespricht.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ro


Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. März 2012: Kriminelle Gewinne im Visier – Hochzeit in Abwesenheit – Yahoo und Facebook im Clinch . In: Legal Tribune Online, 13.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5766/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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