Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2021: Audi-Manager unwis­send? / Kin­der­rechte unnötig? / Lübcke-Mord mit­tä­ter­schaft­lich?

13.01.2021

Im Strafprozess zum Diesel-Skandal beschreibt Rupert Stadler seinen Arbeitsalltag und weist eine strafrechtliche Schuld von sich. Sind Kinderrechte im Grundgesetz wirklich erforderlich? Im Lübcke-Mordprozess plädiert die Nebenklage.

Thema des Tages

LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler: Als Letzter der am Landgericht München II wegen des Diesel-Skandals bei Audi Angeklagten hat nun auch der frühere Vorstandsvorsitzende Rupert Stadler eine persönlichen Erklärung abgegeben. In der mehrstündigen Erklärung habe der Manager seinen beruflichen Werdegang und den Aufwand seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit beschrieben. Nicht zuletzt dieser habe dem selbsterklärten "Nichttechniker" jegliche Beteiligung an Manipulationen von Dieselmotoren unmöglich gemacht. Soweit die firmeneigene Aufklärung Defizite aufgewiesen habe, beruhe dies auf Versäumnissen beteiligter Ingenieure. In jedem Fall habe die Staatsanwaltschaft voreingenommen ermittelt und ihn schlechter als andere Verfahrensbeteiligte behandelt, so spiegel.de (Martin Hesse) über die Einlassung, über die SZ (Max Hägler), FAZ (Henning Peitsmeier) und Hbl (Rene Bender) ebenfalls berichten. 

Ob Unwissenheit letztlich tatsächlich vor Strafe schütze, müsse das Gericht beantworten, erinnert Henning Peitsmeier (FAZ) in einem separaten Kommentar. Nicht zuletzt deshalb nehme man sich für diese Aufgabe zwei Jahre Zeit.

Rechtspolitik

Kinderrechte ins Grundgesetz: LTO (Hasso Suliak) untersucht die Realisierungschancen des Regierungsvorhabens, über eine Ergänzung von Art. 6 Grundgesetz die Rechte von Kindern verfassungsrechtlich zu verankern. Während etwa die Grünen, aber auch der Deutsche Anwaltverein kritisierten, dass die gewählte Formulierung hinter den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention zurückbleibe, besorge die FDP einen Verlust der elterlichen Verantwortung. Unter diesen Umständen dürfte die erforderliche Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nur schwer zu erreichen sein. Auf Kritik am Vorhaben geht auch die taz (Christian Rath) ein. Die nun gefundenen Formulierungen bedeuteten keine Ausweitung der Rechte von Kindern, die sich ohne Weiteres auf die Grundrechte berufen könnten.

Die Grundgesetzänderung sei somit "rechtlich völlig überflüssig", so Christian Rath (taz) in einem separaten Kommentar. Gleichzeitig schade sie als "symbolische Gesetzgebung" auch nicht. Die bisherige Auseinandersetzung beruhe wohl eher auf der Befürchtung, die Rechte leiblicher Eltern gegenüber dem Staat zu schwächen. Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) ist der Ansicht, dass Kinderrechte in vielen Bereichen tatsächlich ungenügend berücksichtigt würden. Um hier Abhilfe zu schaffen, bedürfe es aber anderer Lösungen, etwa "Schulungen von Richterinnen und Richtern" oder "Mitsprache bei der Kita-Planung".

Fraktionsgelder: Der Bundesrechnungshof hat die Verwendung der den Bundestagsfraktionen zur Verfügung stehenden Gelder kritisiert und den Erlass der bereits 1995 in Aussicht gestellten Ausführungsbestimmungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung der Fraktionen gefordert. Hierbei müssten auch Sanktionen für Fehlverhalten, etwa die Verwendung für Parteizwecke, vorgesehen werden. Hbl (Martin Greive) und LTO berichten.

Whistleblower: Rechtsprofessor Gregor Thüsing bezeichnet im Recht und Steuern-Teil der FAZ die Regelungen des Entwurfs eines Hinweisgeberschutzgesetzes als "schlicht übergriffig". Der gegenwärtig in der Ressortabstimmung befindliche Entwurf überschreite den durch die EU-Richtlinie vorgegebenen Rahmen erheblich, etwa wenn die Meldung eines Missstandes durch einen Arbeitnehmer zunächst extern erfolgen solle.

Homeoffice: Eine Übersicht zu wichtigen rechtlichen Fragen in der Debatte über ein Recht auf oder gar eine Pflicht zum Arbeiten im Homeoffice bringt tagesschau.de (Kerstin Anabah).

Corona – Kinderkrankengeld: Das Bundeskabinett will am heutigen Mittwoch über den Gesetzentwurf zu einem sogenannten Kinderkrankengeld beschließen, durch das Eltern, deren Kinder pandemiebedingt daheim betreut werden müssen, 20 bzw. 40 Tage lang pro Kind 90 Prozent ihres Gehaltes weiterhin erhalten sollen. In einem ausführlichen Gespräch mit LTO-Karriere (Tanja Podolski) erläutert Rechtsanwalt Michael Fuhlrott Inhalt und Funktionsweise der Regelung.

Corona – Triage: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ stellt Katja Gelinsky, Referentin der Konrad-Adenauer-Stiftung, fest, dass auch weiterhin eine große Rechtsunsicherheit bei der Bewältigung sogenannter Triage-Situationen herrsche. Bei allem Verständnis für die geringe Neigung, "sich mit Szenarien tödlichen Versagens der Politik bei der Pandemiebewältigung zu befassen", sei eine öffentliche Debatte erforderlich.

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Der Strafprozess hinsichtlich der Tötung Walter Lübckes wurde mit den Plädoyers der Nebenkläger fortgesetzt. Der Vertreter der Angehörigen des getöteten Regierungspräsidenten habe dabei die Arbeit von Sicherheitsbehörden im Umgang mit der gegen Lübcke gerichteten Hetze als "Komplettversagen" beschrieben, berichtet etwa die FAZ (Marlene Grunert). Von den verschiedenen Tatbeschreibungen des Hauptangeklagten Stephan E. hielten die Hinterbliebenen die zuletzt getätigten Angaben zum Kerngeschehen für wahrhaftig. Auf dieser Grundlage müsse der mitangeklagte Markus H. wegen Mordes in Mittäterschaft verurteilt werden. Der Vertreter des Irakers Ahmed I. habe hinsichtlich der gegen seinen Mandanten gerichteten Tat eine Verurteilung wegen versuchten Mordes beantragt, zugleich aber erklärt, hiervon den Senat wohl nicht überzeugen zu können. SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten ebenfalls.

BVerfG – Eilrechtsschutz/Corona: Das Bundesverfassungsgericht verzeichnet einen offenbar mit Corona zusammenhängenden Rekordeingang an Eilanträgen. Bei der seit 1997 elektronisch geführten Eingangsstatistik seien noch nie mehr als die 271 eigenständigen Eilanträge des vergangenen Jahres vermerkt worden, so LTO über eine entsprechende Mitteilung des Gerichts. Nur in drei Fällen zu Gottesdienst- und Demonstrationsverboten hatten die Anträge Erfolg.

OVG Berlin-BB – Hintergrundgespräche: Im vergangenen November verurteilte das Verwaltungsgericht Berlin das Kanzleramt zur Auskunftserteilung über sogenannte Hintergrundgespräche mit Journalisten. Nachdem nun die Entscheidungsbegründung des VG vorliegt, hat die Behörde unmittelbar eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt, berichtet der am Verfahren beteiligte Tsp (Jost Müller-Neuhof) und schildert die rechtliche Argumentation des VG Berlin.

LG Augsburg zu Steuersparmodell "Goldfinger": Mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten hat das Landgericht Augsburg das gegen zwei Rechtsanwälte betriebene Strafverfahren zum Steuersparmodell "Goldfinger" eingestellt. Dieser Schritt habe sich bereits im Frühjahr angedeutet, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Auf entsprechende Mitteilungen des Gerichts hatte die Staatsanwaltschaft mit einem erfolglosen Befangenheitsantrag reagiert.

LG München I – Raser: Wegen Mordes muss sich ein 35-Jähriger am Landgericht München I verantworten. Bei der Flucht vor einer Polizeikontrolle war der Mann mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt gerast und hatte schließlich jugendliche Fußgänger angefahren, von denen einer starb. Der Bericht der FAZ (Karin Truscheit) kritisiert, dass die Verteidigung in ihrer ersten Stellungnahme dieses Tatopfer konsequent als "Geschädigten" bezeichnete.

ArbG Siegburg zu Corona-Maske: Rechtsanwältin Julia Förster begrüßt im Recht und Steuern-Teil der FAZ die jüngste Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg, das die grundsätzliche Berechtigung von Arbeitgebern feststellte, von ihren Arbeitnehmern das Tragen von Gesichtsmasken zu verlangen. Vor dem Hintergrund "der mittlerweile üblichen (Arbeits-)Schutzmaßnahmen" überrasche das Ergebnis nicht.

Digitalisierung bei Arbeitsgerichten: Für LTO beschreibt der Richter Olaf Möllenkamp seine Erfahrungen mit der erweiterten Möglichkeit zur Durchführung von Videoverhandlungen. Er meint, dass Vorbehalte gegen die Nutzung neuer Technik keineswegs auf die Richterbank beschränkt sind. Zahlreiche technische Probleme beruhten eher auf Unwillen oder Unvermögen der Anwaltschaft, die den Wunsch nach mehr Digitalisierung auch über ihre berufsständischen Vertretungen klarer formulieren müsse.

Recht in der Welt

Italien – 'Ndrangheta: Der am heutigen Mittwoch in Kalabrien beginnende Mammut-Prozess gegen mehr als 350 angeklagte 'Ndrangheta-Mitglieder wird nun auch von der SZ (Oliver Meiler) beschrieben. Die taz (Michael Braun) porträtiert Nicola Gratteri, den Ankläger.

Russland – Krimtataren: Vor einem Militärgericht in Rostow sind drei Krimtataren wegen Mitgliedschaft in einer islamistischen Gruppe zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Entscheidung reiht sich nach Darstellung der FAZ (Friedrich Schmidt) in eine Reihe systematischer Verfolgung der muslimischen Bevölkerungsgruppe der Krimtataren durch Russland ein.

Israel – Dokumentarfilm: Ein israelisches Bezirksgericht hat den Dokumentarfilm "Jenin, Jenin" des israelisch-palästinensischen Filmemachers Muhammad Bakri verboten und zugleich einen Schadensersatz zugunsten eines im Film auftauchenden Reservisten veranlasst. Der im unmittelbaren Anschluss an die Kämpfe im Westjordanland im Jahr 2002 angefertigte Film zeichne ein einseitiges Bild dieser Episode der Zweiten Intifada, schreibt die FAZ (Jochen Stahnke). Der beklagte Regisseur habe das Urteil als politisch motiviert kritisiert und eine Berufung angekündigt.

USA – Hinrichtung: Ein US-amerikanisches Bezirksgericht hat die für den gestrigen Dienstag geplante Hinrichtung einer verurteilten Mörderin vorläufig gestoppt. Zunächst müsse ihre Zurechnungsfähigkeit festgestellt werden. Die geplante Exekution setze einen vom scheidenden Präsidenten in Gang gesetzten Trend fort, der Hinrichtungen nach Bundesrecht im vergangenen Sommer vorantrieb, schreiben SZ (Andrea Bachstein) und taz (Dorothea Hahn). Gegner der Todesstrafe erhofften sich vom künftigen Präsidenten eine Trendwende.

USA – Trump und Twitter: Die sich aus der Sperrung des US-Präsidenten auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ergebenden rechtlichen Fragen und die sich anschließende Debatte fassen FAZ (Corinna Budras) und netzpolitik.org (Markus Reuter) in Übersichten zusammen. Rechtsprofessor Jörn Reinhard bezeichnet auf dem Verfassungsblog die Entscheidung des Unternehmens "angesichts der beispiellosen Eskalation der Ereignisse in Washington {als} nicht nur rechtmäßig, sondern richtig und im Grunde überfällig". In einer Analyse zeichnet der Autor die Schritte zur Entscheidung nach und erinnert daran, dass private Akteure wie Twitter nach amerikanischem Recht auch nicht mittelbar an Grundrechte gebunden seien.

Juristische Ausbildung

Jurastudium: Im SWR RadioReportRecht (Bernd Wolf/Andrea Lueg) diskutiert Rechtsprofessorin Elisa Hoven Vorschläge für eine Reform des Jurastudiums.

Sonstiges

Brexit/Wettbewerbsrecht: In wettbewerbsrechtlicher Hinsicht sieht Rechtsanwalt Ulrich Soltesz auf LTO durch den Brexit "nur Nachteile für Unternehmer, Behörden, Verbraucher und Berater". Wohlweislich sei das Thema im Handelsabkommen nur sehr oberflächlich behandelt worden, die neue Ära durfte damit von parallelen Kartellverfahren und ebensolchen Fusionskontrollen geprägt sein, die ihrerseits einen Anstieg der Rechtsberatungskosten nach sich zögen. Ob dies jenseits des Kanals durch eine neue Ausgestaltung des Beihilfekontrollsystems ausgeglichen werde, müsse bezweifelt werden.

Das Letzte zum Schluss

Gesunde Ernährung: Eben noch ein weltweites Internet-Phänomen, nun dem Speiseplan eines US-Gefängnises ausgeliefert: bild.de berichtet, dass der in der vergangenen Woche durch den Sturm auf das Kapitol bekanntgewordene Jake Angeli bzw. "Randale-Wikinger" seit seiner Ingewahrsamnahme hungere. Seine aktuellen Gastgeber stellten ihm kein Bio-Essen zur Verfügung.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2021: Audi-Manager unwissend? / Kinderrechte unnötig? / Lübcke-Mord mittäterschaftlich? . In: Legal Tribune Online, 13.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43967/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen