Das Recht auf Familiennachzug bleibt vor den "Jamaika"-Sondierungsgesprächen umstritten. Außerdem in der Presseschau: Landgericht Magdeburg spricht eindringende Tierschützer frei. Andreas Voßkuhle sprach über Demokratie in Zeiten der AfD.
Thema des Tages
Familiennachzug: Eine Woche vor den Sondierungsgesprächen für eine "Jamaika"-Koalition zeichnet sich die Frage nach dem Recht auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte als einer der zentralen Streitpunkte ab. Während Asylberechtigte und anerkannte GFK-Flüchtlinge das Recht haben, ihre Familienangehörigen nach Deutschland zu holen, ist der Nachzug zu subsidiär Geschützten seit dem Beschluss des Asylpakets II im März 2016 ausgesetzt. Zur Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten gehören vor allem Menschen, die vor einem Bürgerkrieg flohen. Während sich die Grünen für den Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten aussprechen, ist die Union für eine fortdauernde Aussetzung. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwochnachmittag den Eilantrag eines 17-Jährigen Syrers gegen die Verweigerung von Familiennachzug abgelehnt. Die aktuelle Rechtslage sowie die Standpunkte der Fraktionen zu einer möglichen Gesetzesänderung stellt die SZ (Bernd Kastner/Constanze von Bullion) vor.
Bernd Kastner (SZ) kommentiert, der Familiennachzug helfe Deutschland. Eine Familie, die zusammenlebe, stabilisiere sich und andere und finde sich rascher zurecht im neuen Land. Reinhard Müller (FAZ) weist darauf hin, dass bei der Frage nach dem Familiennachzug die Grundrechte, aber auch das Gemeinwesen in den Blick zu nehmen seien. Die Menschenwürde sei nicht verhandelbar, jedoch die Bedingungen, zu denen Menschen dauerhaft aufgenommen würden.
Christian Maier (FAZ) beleuchtet in einer Reportage das Schicksal eines in Deutschland lebenden syrischen Familienvaters, der aufgrund der Aussetzung des Familiennachzugs von seiner Frau und seinen Kindern getrennt ist. Der Vater hatte dagegen geklagt, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ist noch nicht ergangen.
Rechtspolitik
Einwanderung mit Punktesystem: Der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration Thomas Bauer spricht sich in einem FAZ-Gastbeitrag für ein Punktesystem im deutschen Migrationsrecht aus. Dieses solle auf Fachkräfte angewandt werden, die über eine berufliche Ausbildung verfügten.
Ausgleichsmandate: Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag arbeitet in einem FAZ-Gastbeitrag heraus, dass das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag reformbedürftig sei. Die Ausgleichsmandate verteilten sich unverhältnismäßig auf die Fraktionen und wirkten sich durch eine Steigerung der Anzahl der Listenmandate ungleich auf die einzelnen Länder aus.
Justiz
BVerwG zur Rheinbrücke: Die Erneuerung der Rheinbrücke auf der Strecke der Bundesautobahn A 1 zwischen Köln und Leverkusen ist rechtmäßig. So hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, wie Rechtsprofessor Felix Ekardt auf lto.de berichtet. Ein Umweltverband und ein privater Grundstückseigentümer hatten gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln geklagt, da der Ausbau der Autobahn im Bereich einer ehemaligen Deponie durchgeführt werden soll. Die Leipziger Richter entschieden jedoch, dass die Bezirksregierung den Gefahren für die Umwelt ausreichend Rechnung getragen habe.
LG Magdeburg zu Hausfriedensbruch und Tierschutz: Das Landgericht Magdeburg hat Tierschützer, die zur Videodokumentation von Missständen in einen Schweinemastbetrieb eindrangen, vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Dies meldet lto.de. Die Richter befanden, dass das Eindringen der drei Angeklagten durch einen rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt gewesen sei. Ihr Handeln sei erforderlich gewesen, da staatliche Organe untätig geblieben seien.
LG Münster zu Totschlag an Flüchtlingshelferin: Das Landgericht Münster hat einen 28-jährigen Nigerianer wegen eines tödlichen Messerangriffs zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der Asylbewerber, der zwischenzeitlich eine Beziehung zum Opfer unterhielt, hatte auf offener Straße 21-mal auf die Studentin eingestochen. Wie spiegel.de berichtet, blieb das Urteil hinter dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf lebenslange Haft wegen Mordes zurück.
EuGH – Standardvertragsklauseln beim Datentransfer: Der irische High Court hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Standardvertragsklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten von der EU in die USA mit EU-Grundrechten vereinbar sind. Die Daten könnten in den USA gefährdet sein, was wiederum europäischen Rechtsstandards widerspräche. Rechtsprofessor Thomas Hoeren gibt auf lto.de einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Safe-Harbor-Abkommen und beleuchtet auch die Folgen eines Urteils, das die Vertragsklauseln womöglich für unionsrechtswidrig erklärt.
OLG Hamm – Arcandor: Wie spiegel.de meldet, könnte es in dem zivilrechtlichen Streit zwischen dem Insolvenzverwalter und ehemaligen Führungskräften von Arcandor zu einem Vergleich kommen. Beide Parteien signalisierten nach der Vernehmung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff Interesse. Der Insolvenzverwalter wirft dem ehemaligen Vorstand und Teilen des Aufsichtsrats Boni- und Abfindungszahlungen vor, als das Unternehmen bereits längst in Schieflage geraten war.
LG München – Schily-Zitat: Das Landgericht München hat darüber verhandelt, ob Grünen-Politiker Cem Özdemir den ehemaligen Innenminister Otto Schily (SPD) in einem Vorwort zu einem Buch der NSU-Opfer aus der Kölner Keupstraße richtig zitiert hat. Laut Özdemir soll Schily einen Tag nach dem NSU-Anschlag im Jahr 2004 einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen haben. Über den Verlauf der Gerichtsverhandlung berichtet die SZ (Annette Ramelsberger).
LG Freiburg – Mordfall Maria L.: Die SZ (Josef Kelnberger) setzt sich in einer Reportage mit der Person des Angeklagten Hussein K. und seinem Verhältnis zu seinen Pflegeeltern auseinander. Die Pflegemutter hatte zuletzt in dem Prozess ausgesagt. Der Autor wirft auch Fragen zu einem möglichen behördlichen Versagen auf.
Europäisches Flüchtlingsrecht: In einem Gastbeitrag für die FAZ spricht sich der Präsident des Verwaltungsgerichts Trier, Georg Schmidt, dafür aus, dass deutsche Gerichte bei Entscheidungen im Flüchtlingsrecht den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens unter den EU-Mitgliedsstaaten berücksichtigen sollten. Bei Dublin-Überstellungen oder Auslieferungen im Rahmen des Europäischen Haftbefehls dürften zwar menschenrechtliche Standards in anderen Mitgliedsstaaten nicht unterlaufen werden, gleichzeitig müssten deutsche Gerichte jedoch die Integrität anderer EU-Staaten respektieren.
Cum-Ex-Deals: Mit den sogenannten Cum-Ex-Geschäften und ihrem vermutet maßgeblichen Drahtzieher Hanno Berger befasst sich nun auch die FAZ (Marcus Jung/Hendrik Wieduwilt). Die Autoren stellen den angeklagten Rechtsanwalt vor und erörtern, welche Schwierigkeiten die hessische Generalstaatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen gegen ihn haben wird.
Recht in der Welt
Spanien – Unabhängigkeit Kataloniens: In einer aktuellen Rede machte der spanische Premierminister Mariano Rajoy deutlich, dass die Regierung in Madrid sich vorbehalte, mit Hilfe des Artikels 155 der Verfassung Spaniens die Autonomierechte Kataloniens aufzuheben. Kommt die katalanische Regierung seiner Aufforderung nicht nach, auf den Boden der Verfassung zurückzukehren, ist der spanische Premier dazu befugt, die Regierung abzusetzen sowie Haftstrafen wegen "Rebellion" gegen sie zu beantragen. Der Anwendung von Artikel 155 muss zunächst eine absolute Mehrheit des Senats zustimmen. Über die Anwendungsvoraussetzungen von Artikel 155 sowie die allgemeine politische Lage in Spanien berichten die SZ (Thomas Urban) und die FAZ (Michael Stabenow).
Türkei – Prozess gegen Meşale Tolu: Das zuständige türkische Gericht hat im Falle der deutschen Journalistin Meşale Tolu eine Verlängerung der Untersuchungshaft beschlossen. Beim Prozessauftakt gegen Tolu wies die Angeklagte die Vorwürfe gegen sie wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropaganda zurück. Der Mitarbeiterin der linken Nachrichtenagentur ETHA wird zur Last gelegt, der linksradikalen Partei MLKP anzugehören, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Es berichten taz.de (Volkan Agar) und lto.de.
Sonstiges
Voßkuhle zur AfD: Im RadioReport Recht stellt swr.de (Bernd Wolf) die Position von Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle zu Opposition und Demokratie in Zeiten der AfD vor. Mit der AfD müsse man vernünftig umgehen, aber ihren Akteuren die Spielregeln deutlich machen und Verstöße sanktionieren. Zu schlagen sei sie nur auf dem politischen Feld.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/man
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Oktober 2017: Umstrittener Familiennachzug / Freiheit für Tierschützer / Voßkuhle zur AfD . In: Legal Tribune Online, 12.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24973/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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