Das Bundesverfassungsgericht hält das Tarifeinheitsgesetz für verfassungsgemäß. Außerdem in der Presseschau: Das OLG München hat den Gutachter Joachim Bauer abgelehnt und das Verbot der Vollverschleierung ist menschenrechtskonform.
Thema des Tages
BVerfG zu Tarifeinheitsgesetz: Nach dem gestern verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts bleibt das Tarifeinheitsgesetz weitgehend in Kraft. Das Gericht habe jedoch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung wesentliche Teile des Gesetzes zu Gunsten der Kleingewerkschaften gedeutet und damit deren Schutz gestärkt, hält die SZ (Wolfgang Janisch) fest. Es sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, Gewerkschaften aus dem Tarifgeschehen zu drängen und so deren Existenzgrundlage zu beseitigen. Nach dem Tarifeinheitsgesetz soll sich stets derjenige Tarifvertrag durchsetzen, der mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft vereinbart wurde. Die Reaktionen auf den Karlsruher Richterspruch fielen verschieden aus, die Richter Baer und Paulus formulierten zudem eine abweichende Meinung. Es berichten auch die FAZ (Ina Majewski u.a.), die taz (Christian Rath), das Hbl (Jens Koenen u.a.) und die Welt (Dorothea Siems). spiegel.de (Dietmar Hipp) analysiert das Urteil.
Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, zeigt sich im Intervies mit der SZ (Detlef Esslinger) zufrieden; auch GDL-Chef Claus Weselsky begrüßte das Urteil im Gespräch mit dem Hbl (Dieter Fockenbrock). Die taz (Christian Rath) fasst die Reaktionen zusammen.
Dietrich Creutzberg (FAZ) bezeichnet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als ermutigend, denn auch die Koalitionsfreiheit habe Schranken. Aus dem Grundrecht folge nämlich keine beliebige Kartellfreiheit. Erforderlich sei nun lediglich eine Gesetzeskorrektur. Reinhard Müller (FAZ) hofft hingegen, dass das Bundesverfassungsgericht dem "Traum von einer Einheitsgewerkschaft“ ein Ende bereitet hat. In dem Urteil werde der "Ruf nach Freiheit" deutlich. Wolfgang Janisch (SZ) kommentiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und meint, dieses lese sich "wie eine Gebrauchsanweisung für ein überwiegend missglücktes Gesetz". Letztlich blieben aber viele Fragen offen, die nun von den Arbeitsgerichten zu klären seien und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führten. Es sei rätselhaft, weshalb das Gericht das Gesetz nicht für verfassungswidrig erklärt habe.
Rechtspolitik
Bankenrettung: Die Europäische Union will die Regeln zur Rettung und Abwicklung von Banken überprüfen und unter Umständen die nationalen Vorschriften harmonisieren. Anlass sei die Rettung von drei italienischen Banken; zwar seien dort die existierenden Regeln beachtet worden, doch sehe Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein "Spannungsverhältnis" zwischen europäischen und nationalen Normen. Es berichtet die SZ (Thomas Kirchner).
Übernahmeschutz: Eine Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums, die es der Bundesregierung ermöglichen soll, die Übernahme kritischer Infrastrukturen durch ausländische Investoren zu untersagen, passiert heute nach Informationen der SZ (Michael Bauchmüller) voraussichtlich das Bundeskabinett. Die neue Regelung definiere erstmals das Merkmal "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" durch einen Erwerb und erweitere das Instrumentarium der Bundesregierung; ebenso werde eine Änderung der europäischen Regeln angestrebt.
Extremistenklausel: CDU-Generalsekretär Peter Tauber fordert in Reaktion auf die G-20-Krawalle die Wiedereinführung einer Extremistenklausel. Diese solle die Vergabe staatlicher Fördermittel an bürgerschaftliche Initiativen betreffen, wie zeit.de berichtet. Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) meint, Taubers Vorstoß bedeute insoweit einen Generalverdacht und damit eine unnötige Gängelung. Bereits jetzt gebe es ausreichende Möglichkeiten, geförderte Initiativen zu überprüfen.
Kinderbetreuung: Katarina Barley (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, arbeitet an einer Gesetzesreform, die das gemeinsame Erziehen nach einer Trennung des Elternpaares erleichtern soll. Holzschnittartige Regelungen seien insoweit nicht mehr zeitgemäß, vielmehr verbiete sich eine einheitliche gesetzliche Regelung, wie die SZ (Constanze von Bullion) berichtet. Das Vorhaben stütze sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs sowie auf eine Untersuchung des Allensbach-Instituts, nach der sich eine Mehrheit der Befragten für eine gemeinsame Betreuung ausgesprochen habe.
Justiz
EuGH zu Impfschäden: Die Rechtsanwältin Michaela Hermes stellt auf community.beck.de ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Beweiserleichterung bei Impfschäden vor. Danach hielt das Gericht ein "Bündel von Indizien" für ausreichend, um eine kausale Verbindung zwischen einer Impfung und der Erkrankung an Multipler Sklerose zu ziehen. Das Urteil wirke sich jedoch nicht unmittelbar auf Deutschland aus.
BGH zu Zwangslizenz: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs darf der Pharmakonzern Merck & Co das HIV-Medikament Isentress weiterhin in Deutschland verkaufen. Es gebe ein öffentliches Interesse an der vorläufigen Gestattung des Vertriebs, wie die SZ und die FAZ (Hendrik Wieduwilt) melden. Merck & Co war vor einem Jahr eine einstweilige Zwangslizenz für das Medikament erteilt worden. Es berichtet auch lto.de.
OLG München – NSU: Das Landgericht München hat den Gutachter Joachim Bauer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Es gebe Grund zu der Annahme, dass der Psychiater die Hauptangeklagte Beate Zschäpe – erklärtermaßen – für das Opfer einer "Hexenverbrennung" halte und sie damit als unschuldig Verfolgte sehe, wie die SZ (Wiebke Ramm) schreibt. Bauer hatte den Ausdruck "Hexenverbrennung" in einer Korrespondenz mit einem Journalisten verwendet, vor diesem Hintergrund liege der Schluss nahe, dass er das Gutachten "ergebnisorientiert" erstellt habe. Es berichtet auch die taz.
OLG Karlsruhe zu Fahrerflucht: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Freisprüche für zwei Polizisten aufgehoben, die einem Kollegen bei der Flucht nach einer Trunkenheitsfahrt mit Todesopfer halfen. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ging das Revisionsgericht davon aus, dass die Tathandlung des Sich-Entfernens noch nicht beendet und damit eine Beihilfe noch möglich gewesen sei, wie lto.de schreibt. Die beiden Polizisten müssten nun mit einer Verurteilung rechnen.
LG Düsseldorf – Rotlicht-Skandal: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft fordert eine 9-jährige Haftstrafe für den Bordellbetreiber Thomas M., wie spiegel.de berichtet. Freier sollen in Bordellen betäubt und anschließend ausgeraubt worden sein; der Hauptangeklagte habe dies gewollt und gebilligt. Er habe sich nach Ansicht der Strafverfolger der räuberischen Erpressung und der gefährlichen Körperverletzung sowie wegen Verstößen gegen das Waffenrecht strafbar gemacht.
LG Paderborn – Höxter-Prozess: Die Staatsanwaltschaft kommt im Mordprozess um das "Horrorhaus" in Höxter zu einer Neubewertung der Geschehnisse, wie die FAZ und die taz melden. In Bezug auf das zweite Opfer Susanne F. könne ein vollendeter Mord durch Unterlassen nicht nachgewiesen werden, es gehe nun lediglich um einen Versuch.
ArbG Köln – Modeste: Der Stürmer Anthony Modeste will vor dem Arbeitsgericht Köln im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen seine Freistellung beim 1. FC Köln vorgehen. Die Maßnahme des gegenwärtigen Erstligisten sei auf den geplanten Transfer des Spielers zu einem chinesischen Fußballverein zurückzuführen, wie die SZ meldet.
Dieselfahrverbote: Die Deutsche Umwelthilfe hat in zehn deutschen Städten Klagen eingereicht, um ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge zu erwirken. Es gehe um Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Köln, Mainz, München, Stuttgart und Wiesbaden, wie die SZ meldet. Die Stickstoffoxid-Belastung sei in diesen Städten normwidrig hoch.
Recht in der Welt
EGMR zu Vollverschleierung: Nach zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verstößt das in Belgien geltende Verbot der Vollverschleierung nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Restriktion könne vielmehr "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" sein. Außerdem sei es im Grundsatz eine Entscheidung des jeweiligen Staates, ob die Vollverschleierung gesellschaftlich akzeptiert werde. Die Entscheidung fügt sich nach Auffassung der SZ (Matthias Dobrinski) in die übrige Rechtsprechung des Gerichtes ein. Es berichtet auch die FAZ (Michael Stabenow).
Jugoslawien-Tribunal: Die FAZ (Michael Martens) porträtiert anlässlich eines nahenden Urteils ausführlich den Prozess gegen Ratko Mladić. Der serbische General wird für die mehr als drei Jahre andauernde Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo verantwortlich gemacht, bei der über 10.000 Menschen starben.
Japan – Bitcoin-Prozess: Mark Karpeles, ehemaliger Chef der einst größten Bitcoin-Börse der Welt, muss sich vor dem Bezirksgericht Tokio wegen Unterschlagung und Datenfälschung verantworten. Er soll Kundeneinlagen im Wert von 2,6 Millionen Euro veruntreut haben, um damit eine 3D-Druckerfirma zu übernehmen sowie sich selbst ein Himmelbett zu kaufen. Karpeles bestreitet den Vorwurf und führt den Verlust der Summe auf einen Hackerangriff zurück, wie die SZ und die FAZ (Patrick Welter) berichten.
USA – Kinderpornographie: Der deutsche Magier Jan Rouven, der sich vor einem Gericht in Las Vegas des Besitzes von Kinderpornographie für schuldig erklärt hatte, hat nach Berichten von SZ (Jürgen Schmieder) und FAZ sein Geständnis zurückgezogen. Er habe den Schritt mit der fehlerhaften Beratung durch seine damaligen Anwälte begründet. Im Fall einer Verurteilung erwartet den Illusionskünstler nicht nur eine hohe Freiheitsstrafe, sondern auch die Ausweisung aus den USA.
Chile – Abtreibungsverbot: Das in Chile geltende absolute Abtreibungsverbot wird auf Initiative der Präsidentin Michelle Bachelet voraussichtlich abgeschafft. Die Lockerung soll in drei Ausnahmefällen, nämlich bei einer Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung, bei Lebensgefahr der Mutter und wenn das Kind nicht lebensfähig ist, greifen. Die aktuelle Rechtslage gehe auf ein Gesetz aus der Amtszeit des Diktators Augusto Pinochet zurück, wie die SZ (Boris Herrmann) anmerkt.
Indien – Rinderhandel: Indiens oberster Gerichtshof hat das Verbot des Handels mit Kühen zum Ziel des Schlachtens für drei Monate ausgesetzt. Das Verbot belastete vor allem Muslime, die überproportional in den betroffenen Sektoren arbeiteten. Wie die taz (Sven Hansen) berichtet, gingen Beobachter davon aus, dass das Verbot ideologisch motiviert ist. Es gehe um die Propagierung der Hindutva-Ideologie.
Sonstiges
"Ehe für alle": Der wissenschaftliche Mitarbeiter Daniel Toda Castan geht auf verfassungsblog.de aus rechtsvergleichendem Blickwinkel der Frage nach, ob Artikel 6 Grundgesetz die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zulässt. So beziehe die spanische Verfassung ihrem Wortlaut nach den Schutz der Ehe explizit auf eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Nichtsdestoweniger hielt das spanische Verfassungsgericht die gleichgeschlechtliche Ehe für zulässig. Ebenso beschränke der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die ähnlich lautende Gewährleistung in Artikel 12 der Europäischen Konvention für Menschenrechte nicht auf verschiedengeschlechtliche Ehen. Vor diesem Hintergrund sei es Zeit für Rechtsvergleichung in Karlsruhe.
StPO-Reform: Der Rechtsprofessor Marco Mansdörfer bespricht auf lto.de das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens". Bei der Reform handele es sich um eine "Wundertüte"; dies hält den Autor nicht davon ab, im Beitrag sämtlichen enthaltenen Überraschungen auf den Grund zu gehen.
Auskunftsrechte gegen Finanzbehörden: Roland Kleemann kritisiert in einem Gastbeitrag in der FAZ die Anpassung der Abgabeordnung an die Datenschutz-Grundverordnung. Der Gesetzgebungsprozess sei als befremdlich zu bezeichnen, es werde außerdem eine massive Einschränkung der Informationspflichten und Auskunftsrechte vorgenommen. Damit gebe es derzeit kein Recht des Steuerbürgers, beim Finanzamt Auskunft über den ihn betreffenden Datenbestand zu verlangen. Ein verbindliches Akteneinsichtsrecht sei wünschenswert.
Das Letzte zum Schluss
Spritztour: Wie spiegel.de berichtet, hat eine Frau im hessischen Darmstadt eine zur Tatbestandsprüfung einladende Spazierfahrt mit ihrem Ehemann unternommen – ihr Partner befand sich nach einem Streit auf der Motorhaube des Fahrzeugs. Es wurde Anzeige wegen der Trunkenheitsfahrt, wegen versuchter Körperverletzung und wegen Gefährdung des Straßenverkehrs erstattet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fs
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Juli 2017: Tarifeinheitsgesetz verfassungskonform / Zschäpe-Gutachter / Vollverschleierung . In: Legal Tribune Online, 12.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23433/ (abgerufen am: 16.04.2024 )
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