Die juristische Presseschau vom 12. Februar 2020: See­hofer nicht neu­tral genug? / Aus­schluss von der Feu­er­wehr? / Sieg der Gerech­tig­keit?

12.02.2020

Das BVerfG verhandelt zu Anti-AfD-Interview von Seehofer auf der Ministeriums-Homepage. Der HessVGH erläutert Voraussetzungen eines Ausschlusses von der Freiwilligen Feuerwehr und eine neue Chance für den IStGH.

Thema des Tages

BVerfG – Neutralitätspflicht: In der mündlichen Verhandlung zur Zulässigkeit eines auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums veröffentlichten Interviews von Horst Seehofer (CSU) zeichnete sich ein Erfolg der klagenden AfD-Bundestagsfraktion ab. Weder Parteivertreter noch das Gericht selbst gingen dabei in ihren Äußerungen auf Inhalte des Interviews ein, schreibt lto.de (Christian Rath). Die Argumentationen hätten sich demgegenüber auf den Ort der Veröffentlichung konzentriert. Dass auch hierbei eine Geringfügigkeitsschwelle beachtlich sei, habe das Verfassungsgericht nicht gelten lassen. Der Veröffentlichungsweg der Ministeriums-Homepage stehe politischen Wettbewerbern schließlich nicht zur Verfügung, wird Verfassungsrichter Peter Müller zitiert. Berichte zu Verhandlung und Vorgeschichte des Interviews bringen auch FAZ (Marlene Grunert), SZ (Wolfgang Janisch), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und tagesschau.de (Klaus Hempel).

Für Reinhard Müller (FAZ) bleibt es richtig, "dass Regierungsmitglieder nicht mit den Ressourcen ihres Amtes in den politischen Kampf der Parteien eingreifen dürfen". Wolfgang Janisch (SZ) meint, dass ministerielle Kritik an konkurrierenden Parteien auch ohne amtliche Homepage "ihren Weg in die Öffentlichkeit" finde. Die eigentliche Schwierigkeit des erwarteten Urteils bestehe darin, "Ministern oder Ministerpräsidenten oder Kanzlern" angesichts konstanter Grenzüberschreitungen keinen Maulkorb zu verpassen.

Rechtspolitik

Kriegsverbrecher-Daten: Das Bundesinnenministerium beabsichtigt, die Speicherfristen für Hinweise auf mutmaßliche Kriegsverbrecher von bisher fünf auf mindestens 30 Jahre zu verlängern. Über den aktuell in der Ressortabstimmung befindlichen Gesetzesentwurf berichtet lto.de.

NetzDG: Ein vertiefter Beitrag von Rechtsprofessor Marc Liesching (community.beck.de) macht darauf aufmerksam, dass bestehende Rechtsprobleme des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, konkret die Missachtung des unionsrechtlichen Herkunftslandprinzips und fehlende diesbezügliche Mitteilungen an die EU-Kommission, durch den gegenwärtig diskutierten Änderungsentwurf zum Gesetz nur zum Teil behoben werden.

Paritätsgesetz Thüringen: Nach Darstellung der taz (Patricia Hecht) droht dem im vergangenen Juli in Thüringen beschlossenen Paritätsgesetz eine ungewisse Zukunft. Noch vor der jüngsten Ministerpräsidentenwahl habe die FDP-Fraktion im Landtag die Rückgängigmachung des Gesetzes beantragt, hierüber müsse bis Anfang März entschieden werden, so sich das Parlament bis dahin nicht auflöst. Gleichzeitig seien Klagen gegen das Gesetz beim Landesverfassungsgericht anhängig, dort werde man aber nicht entscheiden, solange eine parlamentarische Aufhebung im Raum stehe. Denkbar seien auch Neuwahlen, die nach der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes wiederholt werden müssten.

Justiz

EuGH – Vorratsdatenspeicherung: netzpolitik.org (Tomas Rudl) hat das Plädoyer der Bundesregierung veröffentlicht, das sie im September 2019 in einer Verhandlung am Europäischen Gerichtshof zur Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung in England, Frankreich und Belgien vorgetragen hat. Dabei berief sich die Bundesregierung  auf eine Ausnahmeklausel der e-Privacy-Richtlinie, nach der Datenspeicherungen zulässig sein können, wenn "die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates" betroffen sind.

HessVGH zu Freiwilliger Feuerwehr: Die Kritik von Feuerwehrleuten an der Amtsführung eines Gemeindebrandinspektors kann einen wichtigen Grund darstellen, der nach der gemeindlichen Feuerwehrsatzung bei einem Ausschluss der Kritiker erforderlich ist. Die Maßnahme muss aber immer noch Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen genügen, was bei dem nun vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel entschiedenen, in einem von dem Jurastudenten Maximilian Roth auf lto.de vorgestellten Urteil nicht der Fall war. Der Autor geht auch auf die Argumentation der beklagten Gemeinde ein, die sich auf die frühere Beamtenrechtsprechung mit nur eingeschränkter Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips berufen habe. Dass der VGH dieser Linie nicht gefolgt sei, müsse als "Erfolg für das Ehrenamt" begrüßt werden.

LG Bonn – Cum-Ex: Im Strafverfahren zu Cum-Ex-Tricksereien hat einer der Angeklagten dem Landgericht Bonn mitgeteilt, dass er beginnen wolle, seine Steuerschuld zurückzuzahlen. Hierfür stünde zunächst ein Betrag von drei Millionen Euro zur Verfügung, zitiert die FAZ (Marcus Jung) den Angeklagten. Der exakte Betrag müsse noch ermittelt werden.

LG Frankfurt/M. zu Renate Künast: Wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten der Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Grüne) muss der Büroleiter des AfD-Abgeordneten Leif-Erik Holm (AfD) ein Schmerzensgeld zahlen. Der Beklagte hatte in einem Tweet im Jahr 2015 eine Aussage der Politikerin korrekt zitiert, den betreffenden Sachverhalt jedoch "bewusst unvollständig" dargestellt, zitiert die SZ (Max Hoppenstedt) aus der ihr vorliegenden Urteilsbegründung. Daher sei der Tweet als unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln.

AG Köln zu Erpressung: Wegen Erpressung eines ungenannten CDU-Politikers hat das Amtsgericht Köln drei Angeklagte zur Ableistung von Sozialstunden verurteilt, berichtet bild.de (Dimitri Soibel). Die Angeklagten waren durch einen persönlichen Kontakt an intime Fotos des Politikers gelangt und hatten dann versucht, ihn mit diesen Bildern zu Geldzahlungen zu bewegen.

ArbG Braunschweig zu VW-Mitarbeiter: Über die am Arbeitsgericht Braunschweig erfolgreiche Kündigungsschutzklage eines ehemaligen VW-Motorenentwicklers berichtet nun auch lto.de und macht darauf aufmerksam, dass vergleichbare Verfahren des Gerichts bislang jeweils in der Berufungsinstanz fortgeführt worden seien.

StA Berlin – Andreas Scheuer: Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht derzeit keine ausreichenden Verdachtsmomente für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). In zwei Strafanzeigen hatten Bundestagsabgeordnete der Linken dem Minister Untreue durch die Unterzeichnung der PKW-Maut-Verträge vorgeworfen. lto.de und FAZ (Kerstin Schwenn) berichten.

Recht in der Welt

IStGH – Omar al-Bashir: Der frühere Diktator des Sudan, Omar al-Bashir, könnte doch noch an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert werden. Beim IStGH existiert seit Juli 2008 ein Haftbefehl wegen Völkermordes und anderer Verbrechen im Zuge des Konflikts um die Region Darfur. Die Ermittlungen waren 2014 wegen mangelnder Kooperation eingestellt worden, schreibt die FAZ (Rainer Hermann). Nach Darstellung der Welt (Christian Putsch) könnte eine tatsächliche Auslieferung Baschirs dem bislang "weitgehend wirkungslosen" IStGH neues Leben einhauchen.

Russland – Terrorismus: FAZ-Einspruch (Friedrich Schmidt) berichtet zu einem Urteil eines russischen Militärgerichts, durch das sieben junge Männer wegen vermeintlicher Gründung einer Terrororganisation zu langjähriger Lagerhaft verurteilt wurden. Unterstützer der Verurteilten behaupten, dass die Geständnisse der Männer durch Misshandlungen des ermittelnden Geheimdienstes zustande gekommen seien. Auch die SZ (Frank Nienhuysen) berichtet.

USA – Telekom: Ein Bundesgericht in New York hat die gegen die Fusion der Telekom-Tochter T-Mobile mit dem Anbieter Sprint gerichtete Klage mehrerer Bundesstaaten abgewiesen. Die noch nicht rechtskräftige Entscheidung eröffne den bisherigen "Nummern drei und vier auf dem Markt" neue Möglichkeiten, schreibt das Hbl (Katharina Kort/Stephan Scheuer). FAZ (Helmut Bünder/Roland Lindner) und SZ (Benedikt Müller) berichten ebenfalls.

USA – Trump-Berater: Im Fall von Roger Stone, früherer Wahlkampfmitarbeiter von US-Präsident Donald Trump, hat das Justizministerium der USA eine von der Bundesanwaltschaft abgegebene Strafmaßempfehlung als "maßlos und extrem" kritisiert. Stone war bereits im November wegen seiner Rolle im Hackerangriff auf E-Mail-Konten der Demokratischen Partei verurteilt worden, schreibt die FAZ (Majid Sattar, ausführlicher auf faz.net).

USA – Bezos vs. Trump: In einem vergaberechtlichen Streit hat der von Jeff Bezos geleitete Amazon-Konzern die Zeugenvernehmung von Donald Trump beantragt. Amazon behauptet, in einem Bieterverfahren zu einem lukrativen Regierungsauftrag nur deshalb unterlegen gewesen zu sein, weil der Präsident gegen Bezos eine persönliche Animosität hege. Über das Duell "Reichtum gegen Eitelkeit" schreibt die SZ (Claus Hulverscheidt/Jürgen Schmieder).

Sonstiges

Bewertungsportale: In dieser Woche befasst sich der SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel/Bernd Wolf) mit den mittlerweile auch durch die Rechtsprechung geprägten Rahmenbedingungen der allgegenwärtigen Bewertungsportale.

Krieg und Recht: In ihrem Literatur und Sachbuch-Teil bespricht die FAZ (Milos Vec) "(Kein) Recht im Krieg? Nicht intendierte Folgen der völkerrechtlichen Regelung bewaffneter Konflikte", in dem die Politikwissenschaftlerin Tanisha M. Fazal unerwünschte Folgen einer zunehmenden Verrechtlichung der Kriegsführung diskutiert.

Das Letzte zum Schluss

Anders überlegt? Anscheinend wenig begeistert von ihrer Beute zeigten sich Diebe, die in Neubrandenburg einen mit Türen beladenen LKW-Anhänger mittels einer Zugmaschine mitgehen ließen. Wie die Welt meldet, wurde das Gefährt in ca. 40 Kilometer Entfernung unbeschädigt, unberührt und führerlos aufgefunden.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Februar 2020: Seehofer nicht neutral genug? / Ausschluss von der Feuerwehr? / Sieg der Gerechtigkeit? . In: Legal Tribune Online, 12.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40243/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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