Die juristische Presseschau vom 11. September 2018: Ver­jäh­rung im VW-Mus­ter­ver­fahren / Nor­men­kon­trolle gegen bay­ri­sches Poli­zei­ge­setz / Urhe­ber­rechts­re­form im EU-Par­la­ment

11.09.2018

Im VW-Musterprozess wies das Gericht auf mögliche Verjährung einiger Ansprüche hin. Außerdem in der Presseschau: FDP, Grüne und Linke im Bundestag klagen gegen Bayerns Polizeigesetz und das EU-Parlament soll über EU-Urheberrecht votieren.

Thema des Tages

OLG Braunschweig – VW-Musterverfahren: Gestern hat das Verfahren der Musterklägerin Deka Investment gegen VW über Schadensersatzforderungen in Höhe von 200 Millionen Euro vor dem Oberlandesgericht Braunschweig begonnen. Die Klägerin argumentiert stellvertretend für rund 1.600 weitere Fälle mit Forderungen von insgesamt 9 Milliarden Euro, dass VW die Anleger früher über die Manipulation bei Abgaswerten und die damit drohenden Bußgelder in den USA hätte informieren müssen. Nach Argumentation der VW-Rechtsanwälte fehlte für eine Veröffentlichung jedoch die Grundlage, bis die US-amerikanische Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 die Verstöße meldete, auf die Volkswagen am 22. September 2015 mit einer Ad-hoc-Mitteilung reagierte. Eine Kernfrage des Prozesses ist, ob und wann eine Publizitätspflicht des Konzerns bestand. Die Klägeranwälte argumentieren, dass VW in den Jahren 2005 und 2006, spätestens 2007 Abschalteinrichtungen in bestimmte Dieselfahrzeuge einbaute, über die spätestens ab 2008 hätte informiert werden müssen. In der Verhandlung am Montag wies Richter Jäde darauf hin, dass einige dieser Fälle nach damaligem Recht unter die dreijährige deliktische Verjährungsfrist fallen könnten und damit bereits verjährt wären, wie das Hbl (Frank Drost) berichtet. Konkret würde es schwierig für Forderungen, die sich auf Vorgänge aus den Jahren vor 2012 beziehen. Ihr Anteil am Streitwert sei allerdings zunächst unklar, von 40 Prozent ist die Rede, so die SZ (Angelika Slavik). Die Welt (Nikolaus Doll) erwartet aufgrund der zu verhandelnden Summen und der Verfahrensdauer einen Mammutprozess. Ebenfalls im Hbl (Laura de la Motte) wird auf den Mechanismus des Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) eingegangen und der Juraprofessor Christian Wolf zitiert, der auf die Möglichkeit eines Vergleichs nach dem genannten Gesetz hinweist.

Rechtspolitik

EU-Urheberrechtsreform: Am Mittwoch soll im EU-Parlament über dessen Verhandlungsmandat zur geplanten Richtlinie "Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt" abgestimmt werden. Roland Reuss (FAZ) merkt an, dass dem Thema entgegen seiner Wichtigkeit in der Tagesordnung zu wenig Zeit eingeräumt worden wäre. Er geht auf die umstrittenen Artikel der 24 vorgesehenen Artikel der Richtlinie ein, u.a. auf die Regelung sog. Upload-Filter, die er "für besser als nichts" hält. Michael Hanfeld (FAZ) befürchtet eine Zerschlagung der Kreativwirtschaft durch die großen Technologiekonzerne. In einem Gastbeitrag für die FAZ erläutert Jan Nicolaus Ullrich, Syndikus bei der VG Media, warum ein starker Urheberschutz zu den Voraussetzungen eines demokratischen Gemeinwesens gehört.

Dritte Option: Die Bundesregierung hat am 15. August 2018 den Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zur Umsetzung des Dritte-Option-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts angenommen und damit dem Gesetzgebungsverfahren zugeführt. Anja Schmidt ordnet auf verfassungsblog.de den Gesetzentwurf als Minimalvariante der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein, u.a. deshalb, weil es personenstandsrechtlich nach der Geburt bei der Pflicht bleiben soll, die Geschlechtsangabe offen zu lassen oder "divers" einzutragen, anstatt eine spätere selbstbestimmte Eintragung durch das Kind zu ermöglichen.

EU-Grenzschutz: Diese Woche will die EU-Kommission konkrete Vorschläge zur EU-Grenzpolitik vorlegen, berichtet die SZ (Thomas Kirchner). Insbesondere soll das Frontex-Mandat ausgeweitet werden. Konkret wird erwartet, dass im Krisenfall bewaffnete EU-Grenzschützer auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates auf dessen Gebiet eingesetzt werden können, um die EU-Außengrenze zu sichern, und dass Frontex Abschiebungen auch ohne Zustimmung des jeweiligen EU-Landes vornehmen kann.

Weltraum und Rohstoffe: Der Bundesverband Deutscher Industrie (BDI) fordert einen Rechtsrahmen für den Weltraumbergbau, zum Beispiel auf Asteroiden. Die taz (Hermannus Pfeiffer) lässt Stimmen zu Wort kommen, die in nationalen Alleingängen zum Rohstoffabbau im Weltraum einen Verstoß gegen Völkerrecht sehen. Die UNO habe seit 1967 fünf Weltraumverträge beschlossen, die ein "Aneigungsverbot" vorsehen.

Justiz

BVerfG – Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Bundestagsabgeordnete von FPD, Linken und Grünen haben angekündigt, das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) mittels eines Antrags auf abstrakte Normenkontrolle auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, berichtet der Tsp (Cordula Eubel). Die drei Parteien fürchten u.a. um Bürgerrechte im Staat sowie eine Vermischung von Polizei und Geheimdiensten durch zukünftige Befugnisse zur Vorfeldarbeit. Sie hätten sich deshalb zu dieser "Allianz für den Rechtsstaat" zusammengetan, wurde auf der Pressekonferenz am Montag mitgeteilt. Grund sei auch, dass sie nur zusammen das Quorum erreichen würden, um einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht stellen zu können, berichtet lto.de. Es berichtet auch die FAZ und verweist auf die im bayerischen Gesetz vorgesehen Befugnisse der Polizei, bereits bei einer "drohenden Gefahr" tätig zu werden.

OVG Bremen zu Vorverurteilung: In einem am Montag veröffentlichten Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht Bremen entschieden, dass Äußerungen des Bundesinnenministeriums über eine Mitarbeiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge während noch nicht abgeschlossenen strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Ermittlungen dem Ergebnis dieser Ermittlungen vorgreifen und die Mitarbeiterin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Außerdem läge ein Verstoß gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht vor, berichtet lto.de. Es berichtet auch die SZ.

LSG Celle zur Genehmigungsfiktion: Wer einen Antrag bei einem deutschen Auslandskonsulat einreicht, kann damit keine Genehmigungsfiktion wegen Fristablaufs erreichen. Jedenfalls beginne die Frist nicht mit der Abgabe des Antrags beim Konsulat. Das entschied jetzt laut lto.de das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Fall einer Frau, die so die Kassenfinanzierung einer zuvor abgelehnten Fettabsaugung durchsetzen wollte.

VG Berlin zu Islam-Institut: Im Streit um das neu einzurichtende Institut für Islamische Theologie hat das Verwaltungsgericht Berlin Eilanträge von Studierendenvertretern abgewiesen. Diese kritisieren die konservative Ausrichtung des Instituts. Die Anträge wurden bereits deshalb als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht den Akademischen Senat als Antragsgegnerin bestimmt haben, meldet die FAZ (Hannah Bethke).

ArbG Braunschweig – Kündigung bei VW: Vor dem Arbeitsgericht Braunschweig ist derzeit die Klage einer Ingenieurin des VW-Konzerns anhängig, der fristlos gekündigt wurde. Es ist das erste Verfahren ranghoher Mitarbeiter aus der Entwicklung, denen im Rahmen des Abgasskandals gekündigt wurde, berichtet das Hbl (Volker Votsmeier). Eine Begründung seitens VW wird spätestens im Kammertermin am 18. Februar 2019 erwartet.

Recht in der Welt

Ungarn  EU-Rechtsstaatsverfahren: Das Europäische Parlament hat einen Bericht vorliegen, wonach die EU Ungarn unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in den Blick nehmen will. Am Mittwoch können die Abgeordneten darüber stimmen, ob sie die Mitgliedstaaten dazu auffordern gegen Ungarn ein EU-Verfahren nach Art. 7 EUV einzuleiten. Thomas Kirchner (SZ) findet, es sei höchste Zeit, "die Waffen" der EU einzusetzen, um das Fundament zu schützen. Auf verfassungsblog.de machen US-Politologie-Professor R. Daniel Kelemen und US-Soziologie-Professorin Kim Lane Scheppele auf die rechtliche Möglichkeit aufmerksam, Subventionen für Ungarn zu kürzen.

USA  Drohung gegen IStGH: Wie US-Sicherheitsberater John Bolton mitteilte, will die US-Regierung mit Sanktionen gegen Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vorgehen, sollten diese gegen US-Staatsbürger oder Verbündete wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan vorgehen. Geplant wären Einreiseverbote, Finanzsanktionen oder Anklagen vor Gerichten in den USA, berichten zeit.de und SZ.

Tunesien  Erbrechtsreform: Im Erbfall sollen Tunesier künftig zwischen weltlichem und islamischem Recht entscheiden können, berichtet die FAZ. Außerdem sollen, wenn es nach dem Vorschlag des Staatspräsidenten geht, Frauen genauso viel erben wie Männer.

Sonstiges

Köthen: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert die Demonstrationen nach den mutmaßlich von Flüchtlingen begangenen Gewaltdelikten von Köthen (und Chemnitz): "Es kann keine Rede davon sein, dass Gewalttaten und ihre Hintergründe unter den Teppich gekehrt und Opfer nicht gewürdigt würden". Bürger und Politiker sollten sich überlegen, vor wessen Karren sie sich spannen ließen.

Die taz (Christian Rath) hat die beim Köthener Trauermarsch gehaltene "Rassenkrieg"-Rede analysiert und kommt zu dem Schluss, dass hier eindeutig Volksverhetzung vorliege.

Maaßen: Seit Montag liegt dem Kanzleramt und dem Innenministerium ein Bericht über die Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident Maaßen zu Chemnitz vor. Die Fraktionschefs von FDP, Grünen und Linken haben seinen Rücktritt gefordert, die Kanzlerin sprach ihm nicht das Vertrauen aus und der Innenminister stützt Maaßen nach wie vor, erläutert zeit.de (Lisa Caspari u.a.). Auf verfassungsblog.de ordnet der Politologe Claus Leggewie Maaßen durch sein Verhalten als untragbar ein und mahnt, dass durch derartige Mentalitäten auch in der Bundesrepublik ein "tiefer Staat" entstehen könnte. Heribert Prantl (SZ) sieht Maaßen als schädlich für den Verfassungsschutz.

Prozessfinanzierung: Auf lto.de stellt Anwalt Robert Pereszugleich Vorsitzender der "Initiative Minderheitsaktionäre", die Branche der Prozessfinanzierer in Deutschland vor. Die US-Investmentfirma Burford Capital, die zusammen mit der Kanzlei Hausfeld nach Deutschland kam, um Diesel-Klagen zu finanzieren, habe große Dynamik ausgelöst. Ein Prozessfinanzierer werde nur bei einer Erfolgsaussicht von mehr als 70 Prozent tätig.

Apps und Datenschutz: Viele Apps halten sich nicht an geltende Datenschutzregelungen nach Inkrafttreten der DSGVO, sondern sammeln viel mehr Daten, als ihnen rechtlich erlaubt ist, so das Hbl (Dana Heide/Dietmar Neuerer). Eklatante Verstöße wurden nach einer aktuellen Erhebung insbesondere bei Messengerdiensten festgestellt.

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lto/cc

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. September 2018: Verjährung im VW-Musterverfahren / Normenkontrolle gegen bayrisches Polizeigesetz / Urheberrechtsreform im EU-Parlament . In: Legal Tribune Online, 11.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30851/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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