Die juristische Presseschau vom 11. Juli 2019: Lebens­lang im Mord­fall Sus­anna / AfD-Klage gegen Lis­ten­ent­schei­dung / Block­chain statt Grund­buchamt?

11.07.2019

Das Landgericht Wiesbaden hat den Angeklagten im Mordfall Susanna zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem in der Presseschau: Die AfD erhebt Verfassungsbeschwerde in Sachsen und Blockchain könnte Register digitalisieren.

Thema des Tages:

LG Wiesbaden zu Mord an Susanna F.: Das Landgericht Wiesbaden hat im Mordfall Susanna den Angeklagten Ali B. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Kammer stellte auch die besonders Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Eine Freilassung nach 15 Jahren Haft ist damit ausgeschlossen. Mit seinem Urteil folgte Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Im Verfahren hatte der 22-jährige Angeklagte gestanden das 14-jährige Opfer erwürgt und verscharrt zu haben. Die Kammer nahm auch an, dass der Angeklagte sein Opfer vor Tat vergewaltigt hatte. Die brutale Tat hatte im Mai 2018 zu Debatten geführt, auch weil der Angeklagte sich zunächst in den Nordirak absetzen konnte, bevor er von dortigen Behörden an die Bundespolizei übergeben worden war, was die irakische Zentralregierung jedoch als Rechtsbruch wertete. Über das Verfahren und den Urteilsspruch berichten Welt (Gisela Friedrichsen), SZ (Susanne Höll), focus.de (Göran Schattauer), bild.de (Lisa Goedert/Daniela Pfad) und taz (Christoph Schmidt-Luna)

Göran Schattauer (focus.de) hält das Urteil für ein starkes Signal des Rechtsstaats, weist jedoch darauf hin, dass die kriminelle Karriere des Täters bereits vor der Tat hätte gestoppt werden können. Für Giesela Friedrichsen (Welt) hat das Tatverhalten des Angeklagten nichts mit seiner Herkunft zu tun. Sie zieht Parallelen zum Fall des Krankenpflegers Niels Högel, der mehr als hundert Patienten getötet haben soll. Auch Högel habe willkürlich und ohne jedes Mitgefühl gehandelt. 

Rechtspolitik:

Strafmündigkeitsalter: Nach Forderungen über eine Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Marlene Grunert) über die Debatte und ihre Hintergründe. Gegen eine Absetzung sprechen sich unter anderen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), der deutsche Richterbund und der emeritierte Rechtsprofessor Franz Streng aus. In einem gesonderten Artikel bemerkt die SZ (Joachim Käppner), dass die Anzahl der durch Kinder begangenen Sexualdelikte sinke, der Migrantenanteil jedoch höher als bei gleichaltrigen Deutschen sei. Die Debatte war entstanden, nachdem die mutmaßliche Vergewaltigung einer Frau durch mehrere 12- und 14-jährige bekannt geworden war. 

Blockhain: In einem Gastbeitrag für das Hbl geht der Rechtsprofessor Christian Heinze  der Frage nach, ob die Blockchain-Technologie in Deutschland für die Führung öffentlicher Register eingesetzt werden könnte. Am Beispiel des Grundbuchs beschreibt er die Vor- und Nachteile eines solchen Technologieeinsatzes. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass der Einsatz der "Blockchain nicht nur von technischen Möglichkeiten, sondern auch vom Regulierungsumfeld und der Leistungsfähigkeit bestehender Register abhängt". 

Menschenrechtskonforme Lieferketten: Das Hbl (Moritz Koch/Donata Riedel) beleuchtet die Pläne der Bundesregierung bei der Umsetzung des bereits 2016 beschlossenen „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP). Im August sollen 1.800 Firmen in einem anonymisierten Verfahren nach ihrer Praxis zur Einhaltung der Menschenrechte befragt werden. Nach dem NAP soll der Gesetzgeber tätig werden, sollte sich herausstellen, dass mehr als die Hälfte der Firmen sich nicht ausreichend um die Einhaltung der Menschenrechte bei ihren Lieferanten kümmert. Das Entwicklungsministerium arbeitet bereits an einem „Nachhaltigen Wertschöpfungskettengesetz“. 

Für Dana Heide (Hbl) machen solche gesetzliche Regeln in machen Bereichen durchaus Sinn. Die jetzt geplante Bestandsanalyse von Bundesregierung und Unternehmen sollten Politik und Unternehmer als Chance sehen, gemeinsam eine Lösung zu finden.  

Spitzenkandidatenprinzip: Mit dem umstrittenen Spitzenkandidatenprinzip bei der Wahl des Präsidenten der EU-Kommission setzt sich nun auch Rechtsprofessor Matthias Ruffert im FAZ-Einspruch auseinander. Dass der Europäische Rat nach den Verträgen bei der Nominierung des Kandidaten die Wahl zum Parlament „berücksichtigen“ muss, hält er für einen Formelkompromiss, dessen Ausfüllung nun den Akteuren des Verfassungslebens überlassen wird. 

Justiz: 

EuGH zu Kundenerreichbarkeit: Online-Händler wie Amazon sind nicht verpflichtet, für ihre Kunden telefonisch oder per Fax erreichbar zu sein. Sie müssen lediglich Kommunikationsmittel bereit stellen, die dem Verbraucher eine schnelle und effiziente Kontaktaufnahme ermöglichen, so der Europäische Gerichtshof. Die Entscheidung erfolgte auf Vorlage des Bundesgerichtshofs, geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Über die Entscheidung berichten taz.de (Svenja Bergt), lawblog.de (Udo Vetter), spiegel.de und lto.de. 

Marcus Jung (FAZ) bemerkt, dass diese Umgehung deutschen Rechts zwar für Verbraucherschützer und Traditionalisten ein Dorn im Auge gewesen sei, diese vielerorts übliche Praxis aber nun vom Europäischen Gerichtshof ihren Segen erhalten habe. 

EuGH zu Flugausfällen: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs kann ein Pauschalreisender von seiner Fluggesellschaft bei Ausfällen keine Entschädigung verlangen, wenn er bereits gegen den Reisveranstalter einen Anspruch auf Erstattung hat. Andernfalls käme es zu einem ungerechtfertigten Übermaß an Schutz der Fluggäste zur Lasten der Airlines. Damit stellten die Luxemburger Richter klar, dass Ansprüche aus der EU-Richtlinie zu Pauschalpreisen und der EU-Fluggastverordnung nicht kumulierbar sind. Die Entscheidung stellen FAZ (Marcus Jung) und lto.de vor.  

BGH zu Ebay-„Abbruchjägern“: Ein Ebay-Nutzer, der bei einer Vielzahl von Auktionen niedrige Gebote abgegeben hat, um im Falle eines Abbruchs der Auktion als Höchstbietender die Ware zum Schnäppchenpreis zu erhalten, handelt nicht grundsätzlich rechtsmissbräuchlich. Der Tatrichter muss die konkreten Umstände des Einzelfalls abwägen. Über diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem März berichtet lto.de (Alexander Cremer).

Sächsischer VerfGH – AfD-Landesliste: Wie SZ (Ulrike Nimz) und spiegel.de wissen, sind gegen die Entscheidung des sächsischen Wahlausschusses, wegen formaler Mängel nur 18 der 61 AfD-Listenkandidaten zur Landtagswahl zuzulassen, beim sächsischen Verfassungsgerichtshof zwei Verfassungsbeschwerde eingegangen. Mit den rechtlichen Gründen der Entscheidung des Wahlausschusses befasst sich der Rechtsanwalt Robert Hostegs auf lto.de.    

VG Köln zu Contergan-Schädigungen: Laut community.beck.de (Michaela Hermes) hat das Verwaltungsgericht Köln eine Entschädigung für Gefäßschäden von Contergan-Opfern abgelehnt. Es lägen bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, ob Gefäßschäden bei Kindern auf die mütterliche Einnahme von Contergan gegen Schwangerschaftsübelkeit zurückzuführen ist. 

VG München - Waffenbesitz: Die SZ (Max Gilbert) berichtet über zwei Fälle in denen mutmaßlichen Reichsbürgern ihre Waffenbesitzkarte entzogen worden ist. Nun wehren sich die Betroffenen, ein ehemaliger Trainer der Biathlon-Nationalmannschaft und ein Hauptmann der Gebirgsschützen, vor dem Verwaltungsgericht München.  

LG Frankfurt – Auftragsmord: Im Fall des Internet-Unternehmers Alexander Falk, dem vorgeworfen wird, aus Habgier den Mord an einem missliebigen Anwalt beauftragt zu haben, hat das Landgericht Frankfurt die Anklage zugelassen. Die Welt (Per Hinrichs) stellt den Fall ausführlich vor. 

Recht in der Welt:

Brasilien – Dammbruch: Wie taz (Lina Verschwelle), FAZ (Carl Moses/Henning Peitsmeier) und spiegel.de berichten, wurde der Betreiber des von einem Dammbruch betroffenen Staudamms Vale zur Wiedergutmachung der entstandenen Schäden verpflichtet. Die Entschädigungshöhe könne jedoch noch nicht beziffert werden. Bei dem Unglück im Januar starben mehr als 200 Menschen, die Umwelt wurde zudem massiv geschädigt. Finanzielle Belastungen drohen auch dem TÜV Süd, der mit der Prüfung des Unglücksdamms beauftragt gewesen ist. 

Carl Moses (FAZ) begrüßt diese Entscheidung. Er hält es jedoch für „ziemlich unappetitlich, wie sich Vale und der TÜV Süd die Schuld für das Unglück gegenseitig in die Schuhe schieben“. 

USA – Trump und Twitter: Ein US-Gericht hat bestätigt, dass US-Präsident Trump auf dem Kurznachrichtendienst Twitter keine Nutzer blockieren darf. Das Gericht wertete den Account des Präsidenten als öffentlich, durch die Blockierung von Nutzern sei der die Meinungsfreiheit garantierende erste Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung verletzt worden. Es berichten netzpolitik.org (Markus Reuter) und lto.de. 

USA – Jeffrey Epstein: Der Umgang mit den Missbrauchsvorwürfe gegen den Unternehmer Jeffrey Epstein, der Minderjährige jahrelang missbrauchte und dann einen Deal mit der Staatsanwaltschaft schloss, lässt für Alan Cassidy (SZ) den Eindruck entstehen, es gäbe in den USA ein Justiz für die Reichen und eine für alle anderen. 

EuGH: Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur richterlichen Unabhängigkeit beschäftigt sich (in englischer Sprache) der Rechtsprofessor Matej Avbelj (Slovenien) auf verfassungsblog.de

Italien – Justizreform: Mit den Problemen der italienischen Justiz setzt sich die FAZ (Matthias Rüb) auseinander. Nach der Kritik des Innenministers Salvini an der Freilassung der Sea-Watch-Kapitänin Rackete wird eine Justizreform befürchtet, die der Regierung mehr Einfluss gewährt. Gleichzeitig sind Richter und Staatsanwälte immer wieder in Skandale verwickelt. 

Österreich – Parteienfinanzierung: Nach der Ibiza-Affäre ermitteln die österreichischen Behörden nun großflächiger, ob FPÖ, ÖVP oder SPÖ illegal durch gemeinnützige Vereine finanziert worden sind. Die FAZ (Christian Geinitz) gibt einen Einblick in die Ermittlungen. 

Sonstiges:

Entgelttransparenzgesetz: Wie aus einer Evaluation der Bundesregierung hervor geht, nutzen nur wenige Arbeitnehmer die Möglichkeiten des Entgelttransparenzgesetzes, Auskunft über die Bezahlung ihrer Kollegen zu erhalten. Das Gesetz wurde vor zwei Jahren eingeführt und soll durch die Entgelttransparenz die Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern schließen. Es berichten SZ (Detlef Esslinger) und spiegel.de.

Dass Frauen und Männer unterschiedlich verdienen, liegt für Detlef Essinger (SZ) nicht an der fehlenden Transparenz, sondern an vielen anderen strukturellen Gründen. Weil sich kaum jemand von dem Recht etwas verspricht, wird es auch nicht genutzt. Dietrich Creutzburg (FAZ) merkt an, dass den Verdacht diskriminierender Lohnstrukturen im eigenen Betrieb selbst potentiell Betroffene kaum zu hegen scheinen. 

Griechische Reparationsforderungen: Wie SZ (Christiane Schlötzer) und spiegel.de berichten, schlägt ein wissenschaftliches Gutachten des Bundestages vor, die Frage, ob Deutschland zu Reparationszahlungen an Griechenland für Schäden aus dem zweiten Weltkrieg verpflichtet ist, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu klären. Die bisherige ablehnende Position der Bundesregierung sei zwar „völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend“. Die Welt (Sven Felix Kellerhoof) warnt hingegen vor falschen Interpretationen eines fundierten Gutachtens.  

Angriffe auf Kommunalpolitiker: Der Präsident des Deutschen Städtetags Burkhard Jung (SPD) bezeichnete bei einem Treffen von Bürgermeistern mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die strafrechtliche Verfolgung von Angriffen auf Kommunalpolitiker als „zu luschig“. 1.200 solcher politisch motivierter Angriffe gab es im Jahr. Bei dem Treffen, über welches die FAZ (Helene Bubrowski) berichtet, erzählten 12 Bürgermeister von ihren Erfahrungen mit Angriffen. 

Nach Reinhard Müller (FAZ) darf bei Beleidigungen und Bedrohungen von Mandatsträgern der Strafrahmen durchaus ausgeschöpft werden, erlaube er doch harte Bestrafungen. Hass als solcher sei jedoch keine Straftat, der Schutz der Meinungsfreiheit reiche zum Glück sehr weit.

NSU-Prozess: Ein Jahr nach dem Urteil des NSU Prozesses blickt die taz (Konrad Litschko) auf das Verfahren zurück. Viele Fragen, insbesondere nach möglichen Unterstützern, seien auch heute noch nicht geklärt. 

DSGVO – Bußgeld für Marriott: Laut spiegel.de (mbö) hat die britische Datenschutzbehörde die Hotelkette Mariott wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung zur Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von umgerechnet 110 Millionen Euro verpflichtet. Durch ein Datenleck waren Hacker im November 2018 an Informationen zu 383 Millionen Gästen gelangt. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Juli 2019: Lebenslang im Mordfall Susanna / AfD-Klage gegen Listenentscheidung / Blockchain statt Grundbuchamt? . In: Legal Tribune Online, 11.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36423/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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