Die juristische Presseschau vom 10. Dezember 2015: Zschäpes Aus­sage/ BGH gegen Mollath-Revi­sion / BAG zu Nacht­ar­beits­zu­schlag

10.12.2015

Beate Zschäpe inszeniert sich im NSU-Prozess als unwissende Mitläuferin. Außerdem in der Presseschau: unzulässige Revision von Gustl Mollath, mehr Nachtzuschlag bei Dauernachtarbeit und kein Versammlungsverstoß durch "Scharia-Polizei".

Thema des Tages

OLG München - NSU: Am 249. Verhandlung ist die lang erwartete Einlassung der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, verlesen worden. Ihr neuer Verteidiger Mathias Grasel trug eine 53-seitige Erklärung vor. In dieser bestätigt Zschäpe, dass von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die ihnen zugeschriebenen zehn Morde, 15 Raubüberfälle und zwei Sprengstoffanschläge verübt worden sind. Sie selbst sei jedoch nie daran beteiligt gewesen, sondern habe von den Taten immer erst hinterher erfahren. Da sie die Morde nicht habe verhindern können, fühle sie sich "moralisch schuldig" und entschuldige sich bei den Angehörigen der Opfer. Sie sei selbst "fassungslos" darüber gewesen, habe es jedoch nicht geschafft, etwas zu unternehmen oder sich von Böhnhardt und Mundlos zu lösen. Ausführlich wird dieses Verhältnis erläutert – Zschäpe sei aus Liebe mit den Männern in den Untergrund gegangen. Sie habe sich abhängig gefühlt und sei mit Selbstmorddrohungen emotional erpresst worden, deshalb habe sie weiter mit den Tätern zusammengelebt und nicht die Polizei eingeschaltet. Zudem habe sie Angst gehabt, ins Gefängnis zu müssen. Eine eigene politische Motivation verneint sie; Gründungsmitglied des NSU sei sie keinesfalls gewesen. Scharf kritisiert werden außerdem die Altverteidiger Heer, Sturm und Stahl und deren Entpflichtung wird beantragt. Sie hätten Zschäpe falsch beraten und sie dazu gebracht, wider ihre Interessen mehr als zwei Jahre lang zu schweigen. Zschäpe kündigte an, auf Fragen des Gerichts zu ihrer Einlassung nur schriftlich, auf Fragen der anderen Verfahrensbeteiligten überhaupt nicht antworten zu wollen. Es berichteten unter anderem spiegel.de (Wiebke Ramm), die SZ (Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz), die taz (Konrad Litschko, Andreas Speit) und lto.de.

spiegel.de (Jörg Diehl) setzt sich mit einzelnen Punkten der Zschäpe-Aussage auseinander und weist auf Widersprüche mit anderen Ermittlungsergebnissen hin – etwa gebe es eine Vielzahl deutlicher Hinweise dafür, dass Zschäpes im NSU eine tragende Rolle gespielt hat. Mit der Rolle des neuen Verteidigers Mathias Grasel beschäftigt sich lto.de; über die Person des fünften Verteidigers, Hermann Borchert, schreibt die FAZ (Albert Schäfer). Reinhard Müller (FAZ) vermutet, dass die Einlassung die Anklage in den wesentlichen Punkten bestätigt habe. Denn die Nähe, die sie zu den Tätern schildert, mache es sehr unwahrscheinlich, dass Zschäpe keinen eigenen Tatbeitrag geleistet habe. Annette Ramelsberger (SZ) bezeichnet die Einlassung Zschäpes als unlogisch, unglaubwürdig und jämmerlich. Diese werde um die nicht mehr zu widerlegenden Fakten herumkonstruiert, zu denen die Rolle als unwissende Mitläuferin nicht passe, weshalb die gesamte Aussage nicht plausibel sei. Auch Wiebke Ramm (spiegel.de) bezweifelt, dass Zschäpes Strategie dieser zu einer milden Strafe verhelfen wird.

In einer Videokolumne erklärt Gisela Friedrichsen (spiegel.de), dass die Aussage für die Angehörigen der Opfer enttäuschend und zudem nicht glaubhaft sei. Nebenklageanwältin Gül Pinar bekräftigt in einem Interview in der taz (Andreas Speit), dass die brennenden Frage der Angehörigen in keiner Weise beantwortet wurden. Auch Jost Müller-Neuhof (Tsp) ist der Ansicht, Zschäpes Angaben nützten weder den Angehörigen noch ihr selbst. Patrick Gensing (tagesschau.de) meint, die Zschäpe-Einlassung bediene überdeutlich Klischees über Frauen, indem sie der Hauptangeklagten die Rolle des schwachen, unselbstständigen und emotionalen Anhängsels zweier Täter zuschreibt. Die Behauptung, nichts gewusst zu haben, und dass sie ohnehin nichts hätte dagegen unternehmen können, erinnere zudem an die Schuldverdrängung in der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.

Twittern aus dem Gerichtssaal: Die taz (Christian Rath) setzt sich damit auseinander, ob Twitter-Nachrichten während einer Verhandlung rechtlich problematisch ist. Da hierbei keine Übertragung von Originaltönen stattfindet, fielen diese nicht unter das Verbot von Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtssälen. Die beschleunigte Möglichkeit der Informationsweitergabe verändere die Prozessberichterstattung dennoch erheblich.

Rechtspolitik

Geschlechtsbedingte Lohnunterschiede: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem der nach wie vor bei 22 Prozent liegende Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen abgebaut werden soll, berichtet die Welt (Sabine Menkens). Insbesondere solle ein individueller Auskunftsanspruch geschaffen werden, mit dem konkrete Angaben über die Gehälter von männlichen Kollegen verlangt werden können. Zunächst betreffe dies nur rund 6.200 Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und den öffentlichen Dienst des Bundes, die zusammen etwa 30 Prozent aller abhängig Beschäftigten ausmachen. Auch sollen diese Unternehmen darüber berichten, wie sich Frauenförderung und Gehalt entwickelten.

Flüchtlingsausweis: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die Einführung sogenannter Flüchtlingsausweise und eines zentralen Datenerfassungssystems beschlossen. Es sollen künftig bereits bei der Einreise ausführlichere Informationen erfasst werden, etwa zu Schulabschluss und Ausbildung, Religionszugehörigkeit, absolvierten Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen sowie der Wohnadresse im Herkunftsland. Zudem solle durch die zentrale Speicherung die Weitergabe von Informationen zwischen Behörden und Polizeien vereinfacht werden. Ziel sei es, den aktuellen Verzögerungen bei der Registrierung zu begegnen sowie Mehrfachregistrierungen zu verhindern. Das meldet die SZ (Constanze von Bullion).

Digitale Grundrechte: In einem Gastbeitrag in der Zeit entwirft Justizminister Heiko Maas (SPD) einen Vorschlag für eine Charta der digitalen Grundrechte. Für eine solche hatte sich der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz zwei Wochen zuvor ausgesprochen. Die 13 Artikel, die Maas vorschlägt, beinhalten Regelungen zu Selbstbestimmung, Datenschutz, Meinungsfreiheit und Netzneutralität. Darüber hinaus befürwortet er ein Recht auf Internetzugang sowie Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Entscheidung, das Internet nicht zu nutzen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Dezember 2015: Zschäpes Aussage/ BGH gegen Mollath-Revision / BAG zu Nachtarbeitszuschlag . In: Legal Tribune Online, 10.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17811/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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