Die juristische Presseschau vom 10. September 2021: BGH zu Influ­en­ce­rinnen / Wider­rufs­joker reloaded / Smartlaw zulässig

10.09.2021

Der BGH entschied über die Kennzeichnungspflicht von Produkthinweisen bei Instagram. Der EuGH erweckte den Widerrufsjoker bei Verbraucherkreditverträgen zu neuem Leben und der BGH erklärte den Smartlaw-Dokumentengenerator für zulässig.

Thema des Tages

BGH zu Werbung durch Influencer: Social-Media-Personalities müssen Produkthinweise in ihren Posts als Werbung kennzeichnen, wenn sie dafür bezahlt wurden. Das entschied der Bundesgerichtshof in drei Urteilen. Unbezahlte Produkthinweise und Verlinkungen zu Hersteller-Seiten müssen wegen einer entsprechenden Regelung im Telemediengesetz, das dem Gesetz über unlauteren Wettbewerb (UWG) hier vorgehe, nicht als Werbung gekennzeichnet werden. Die Instagram-Accounts der Influencer seien zwar auch als geschäftliche Handlung für das jeweils eigene Unternehmen anzusehen. Hier sei eine generelle Kennzeichnung aber nicht erforderlich, weil für Instagram-Nutzer:innen das kommerzielle Interesse von Influencern erkennbar sei. Nach diesen Maßstäben konnte der klagende Verband Sozialer Wettbewerb einen Unterlassungsanspruch gegen einen bezahlten Post der Influencerin Luisa-Maxime Huss geltend machen, unterlag jedoch hinsichtlich unbezahlter Posts von Cathy Hummels und Leonie Hanne. Die BGH-Entscheidung entspricht im Kern einer Änderung des UWG, die bereits im Bundestag beschlossen wurde, aber erst im Mai 2022 in Kraft treten wird. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Corinna Budras), taz (Christian Rath) und deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig)LTO lässt zudem Medienrechtler mit Kritik an angeblich fehlenden "Guidelines" der BGH-Entscheidungen zu Wort kommen.

Wolfgang Janisch (SZ) hält es in einem separaten Kommentar für wichtig, dass der BGH "ein paar Grenzen gezogen hat". Bei allem – überraschenden – Verständnis des Gerichts für ein "vergleichsweise neues Phänomen" bleibe "bezahlte Werbung eben bezahlte Werbung".

Rechtspolitik

Digitale Märkte: Nach Bericht der FAZ (Hendrik Kafsack) könnte das für das kommende Frühjahr geplante Inkrafttreten des Digital Markets Act der EU gefährdet sein. Obwohl sich "faktisch alle politisch Beteiligten" einig über die Notwendigkeit der Einhegung von Big Tech-Firmen seien, herrsche bezüglich zahlreicher Details immer noch kein Konsens.

Corona – Lohnfortzahlung: Verschiedene Länder planen den Ausschluss der Lohnfortzahlung im Falle einer coronabedingten Quarantäne für (ohne medizinischen Grund) Ungeimpfte. In Baden-Württemberg sei dies zum 15. September bereits beschlossen, Rheinland-Pfalz ziehe zwei Wochen später nach, so die SZ (Peter Burghardt u.a.). Andere Länder prüften die Idee.

Justiz

EuGH zu Verbraucherkreditverträgen: Der Europäische Gerichtshof hat den sogenannten Widerrufsjoker bei Verbraucher-Kreditverträgen zu neuem Leben erweckt. Auf mehrere Vorlagen des Landgerichts Ravensburg entschied das Gericht, dass die Widerrufsbelehrungen mehrerer Banken, die Fahrzeugkäufe finanzieren, zu ungenau sind. Moniert wurden etwa Verweise auf einen Basiszinssatz anstelle eines konkreten Prozentsatzes. Auch die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung der Bank müsse in "leicht nachvollziehbarer Weise" gestaltet werden. Weil dies den beklagten Banken nicht gelungen sei, könnten sich die Darlehensnehmer auch noch Jahre nach Abschluss des Kreditvertrages von diesem und dem mit ihm verbundenen Vertrag des Fahrzeugerwerbs lösen. Die Verbraucher müssten dann zwar den Wagen zurückgeben, den gewährten Kredit zurückzahlen und mit einem Abzug von Nutzungsvorteilen rechnen. Unter dem Strich könne sich das aber lohnen, werden Verbraucherschützer und Anwälte zitiert. Die Kritik des EuGH weicht von der bisher in diesem Punkt eher bankenfreundlichen Rechtsprechung des BGH ab, gilt allerdings nicht für Grundstücksfinanzierungsverträge. Es berichten FAZ (Marcus Jung)LTO und tagesschau.de (Gigi Deppe).

BGH zu Vertragsgenerator Smartlaw: Die zum Informationsdienstleister Wolters Kluwer gehörende Legal Tech-Anwendung Smartlaw ist nach Urteil des Bundesgerichtshofs keine Rechtsdienstleistung und damit nicht wettbewerbswidrig. Wie schon die Vorinstanz befand nun auch der BGH, dass das Angebot keine Tätigkeit im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes darstelle, weil eine Einzelfallprüfung nicht stattfinde. Vielmehr füge die Software für die Vertragserstellung einen Sachverhalt in ein vorgegebenes Raster ein und stelle damit ein Hilfsangebot dar, vergleichbar mit einem Formularhandbuch. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und tagesschau.de (Gigi Deppe). Der Bericht von LTO (Pauline Dietrich) gibt zudem Kritik der unterlegenen Rechtsanwaltskammer Hamburg wieder sowie ein Statement von Wolters Kluwer, in dem darauf verwiesen wird, dass eine klare gesetzgeberische Vorgabe für Legal Tech-Angebote nach wie vor fehle.

EuGH zu Familiennachzug: Der EuGH hat auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts die Regeln geklärt, unter denen minderjährige Flüchtlinge mit anerkanntem Schutzstatus ihre Eltern im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland holen können. Ausreichend sei hierfür bereits ein formloser Antrag der Eltern. Etwaige Leistungen oder gar ein eigener Schutzstatus der Nachgeholten dürfen nach Erreichen der Volljährigkeit nicht wieder eingeschränkt werden. LTO berichtet.

EuGH zu Freizeitpark-Besteuerung: Ob der unterschiedliche Umsatzsteuersatz für Freizeitparks und ortsungebundene Schausteller gerechtfertigt ist, bleibt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs weiterhin offen. Wie LTO berichtet, verwies das Luxemburger Gericht die Prüfung wieder an das vorlegende Finanzgericht Köln mit der Maßgabe zurück, die steuerliche Neutralität nicht zu verletzen. Hierbei dürften gleichartige, miteinander im Wettbewerb stehende Leistungen steuerlich nicht unterschiedlich behandelt werden. Im Ausgangsfall klagt ein Brühler Freizeitpark gegen den ihm auferlegten, erhöhten Umsatzsteuersatz.

EuGH zu Bundesnetzagentur: In einer vertieften Besprechung des am Monatsanfang verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshof zur Bundesnetzagentur arbeitet Rechtsprofessor Claus Pegatzky im FAZ-Einspruch legitimatorische Probleme und verfassungsrechtliche Probleme heraus. Sollte der Bundesnetzagentur eine der Europäischen Zentralbank oder der Bundesbank vergleichbare Unabhängigkeit eingeräumt werden, dürfte dies kaum mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sein und würde wohl den Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht heraufbeschwören.

BGH zu Framing: Die Verwertungsgesellschaft (VG) Bild-Kunst darf die Einräumung von Lizenzen für sogenannte Vorschaubilder unter den Vorbehalt stellen, dass Nutzer der Werke Schutzmaßnahmen gegen das Framing dieser Werke durch Dritte ergreifen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in der Auseinandersetzung zwischen der VG und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Rechtsanwältin Julia Dönch und Rechtsanwalt Robin Schmitt fassen auf LTO den jahrelangen Rechtsstreit mit dem Höhepunkt eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen März zusammen. Obgleich die Entscheidung "zu erwarten" gewesen sei, enthalte sie auch die bedeutende Klarstellung, dass Vorschaubilder und anschließendes Framing "zwei unterschiedliche urheberrechtlich relevante Handlungen darstellen können."

BGH zu Air Berlin-Insolvenz: Mögliche Schadensersatzansprüche des Air Berlin-Insolvenzverwalters gegen Etihad, die vormalige Hauptaktionärin, müssen vor einem britischen Gericht verhandelt werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem Beschluss von Mitte Juni, den zpoblog.de (Peter Bert) ausführlich vorstellt. 

LG Braunschweig – VW-Dieselskandal: Vor dem in einer Woche, am 16. September, beginnenden Strafprozess wegen des Dieselskandals gegen mehrere VW-Manager bringt LTO einen ausführlichen Vorbericht. Die gegen Martin Winterkorn erhobene Anklage könne wegen des Gesundheitszustands des früheren VW-Chefs immer noch abgetrennt werden, in jedem Fall habe das Gericht Verhandlungstermine bis in den Frühling 2023 angesetzt. Die FAZ (Carsten Germis) meldet, dass die erwartete Abtrennung des Verfahrens gegen Winterkorn inzwischen beschlossen worden sei.

AG München – Jérôme Boateng: Der Fußballer Jérôme Boateng wurde vom Amtsgericht München wegen Körperverletzung und Beleidigung seiner früheren Lebensgefährtin zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Wegen der Höhe seiner aktuellen Einkünfte müsse er damit 1,8 Millionen Euro zahlen. Bei der Verhandlung haben die Geschädigte und der Angeklagte den fraglichen Vorfall, der sich 2018 während eines gemeinsamen Urlaubs in der Karibik zutrug, in gegensätzlichen Versionen geschildert. In ihrem Abschlussplädoyer bezeichnete die Staatsanwältin die Beteiligten als "Opfer ihrer gemeinsamen toxischen Beziehung". Es berichten SZ (Jana Stegemann)spiegel.de (Julia Jüttner) und bild.de (Andreas Bachner/Sascha Baumann).

StA Hamburg – "Pimmel": Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) war im Mai in einem Twitter-Post als "Pimmel" bezeichnet worden. Obwohl die Urheberschaft geklärt war, führte die Hamburger Polizei drei Monate später eine Hausdurchsuchung in der ehemaligen Wohnung des Urhebers durch, was weithin als unverhältnismäßig kritisiert wird. LTO fasst die mittlerweile als "Pimmelgate" bekanntgewordene Affäre zusammen. Markus Reuter (netzpolitik.org) kommentiert, "dass hier pimmelig und peinlich die Prioritäten falsch gesetzt werden". Auch die Polizei agiere unglücklich, wenn sie zugunsten des Senators "den ganz großen Repressionspimmel" auspacke, "bei digitaler Gewalt gegen Frauen, bei Gewaltandrohungen gegen Andersdenkende, bei rechtsradikalen Morddrohungen, Hetze und Beleidigungen aller Art" aber "oft hilflos, hilfsbereitschaftslos oder gar nicht" tätig werde.

StA Osnabrück – FIU und Strafvereitelung: Im Zuge ihrer Ermittlungen wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt durch die Zentralstelle für Transaktionsuntersuchungen oder auch Financial Intelligence Unit ließ die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Bundesministerien für Finanzen und Justiz durchsuchen. LTO und FAZ (Corinna Budras/Manfred Schäfers) berichten, zeit.de (Tina Groll) bringt einen Überblick.

Reinhard Müller (FAZ) erinnert im Leitartikel daran, dass weder der Minister noch seine Mitarbeiter:innen Gegenstand der Ermittlungen seien. "Aber selbstverständlich" trage der SPD-Kanzlerkandidat "die politische Verantwortung für den Kampf gegen Geldwäsche", den die FIU nicht immer glücklich zu führen scheine.

Recht in der Welt

Frankreich – Bataclan-Anschlagsserie: Annette Ramelsberger (SZ) macht sich in einem Kommentar zum nun in Paris begonnenen Strafprozess zur Bataclan-Anschlagserie Gedanken über die heilende Kraft derartiger Großprozesse. Gerade im deutschen Strafprozessrecht seien Emotionen nicht vorgesehen. Nur wenn Zeugen, auch jene aus Sicherheitsbehörden, tatsächlich Aufklärung wollten, bestünde die Chance, "dass sich ein Land durch einen Prozess selbst von einem Angriff wie in Paris erholt".

USA – Elizabeth Holmes: Aus Anlass der Eröffnungsstatements im Betrugsprozess gegen Elizabeth Holmes schreibt spiegel.de (Janne Knödler) ausführlich über den von "gutgläubigen Investoren, medialem Geniekult und klassischem Silicon-Valley-Gründermythos" geprägten Aufstieg und Fall der Angeklagten. Ihr stehe nun "der wichtigste Pitch ihres Lebens" bevor.

Sonstiges

Rechtsgeschichte – BAG zu Gender Pay Gap 1981: LTO erinnert an ein vor vierzig Jahren verkündetes Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem den weiblichen Beschäftigten des Fotolabors Heinze die gleichen übertariflichen Zulagen zustanden wie ihren männlichen Kollegen. Erstmals sei in der Bundesrepublik ein Bewusstsein für die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen geschaffen worden, wenn auch heutzutage immer noch über den Gender Pay Gap gesprochen werden müsse. Das beklagte Unternehmen habe kurz nach der Entscheidung Konkurs angemeldet.

Das Letzte zum Schluss

Experte: Zu den zahlreichen Kritikern des vom baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) verfolgten Plans eines Online-Meldeportals für Hinweise auf Steuerbetrug gehört auch der Ehrenpräsident des FC Bayern, Uli Hoeneß. Seine auf n-tv vorgebrachte Ablehnung konterte der Minister laut welt.de mit der Erläuterung, dass nur substanzielle Fälle verfolgte werden sollten, und nannte auf Twitter als Beispiel auch gleich noch einen "hypothetischen und rein fiktiven Fall: 28,5 Millionen Euro Steuerbetrug aus Währungswetten."

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. September 2021: BGH zu Influencerinnen / Widerrufsjoker reloaded / Smartlaw zulässig . In: Legal Tribune Online, 10.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45976/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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