Die juristische Presseschau vom 9. Oktober 2019: Rechtsweg zum BVerfG / Papier­lose Arbeit / Ausweg für Brexit?

09.10.2019

Das BVerfG erklärt AfD-Abgeordnetem die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Organklage. Außerdem in der heutigen Presseschau: Neues zum Stand der Digitalisierung an Gerichten und in der Verwaltung und gibt es eine Lösung für den Brexit?

Thema des Tages

BVerfG zu AfD-MdB: Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystrom (AfD) ist mit dem Versuch gescheitert, mit einer Organklage gegen ein vom Parlamentspräsidenten verhängtes Ordnungsgeld vorzugehen. Das Ordnungsgeld wurde wegen einer Missachtung des Grundsatzes der Geheimhaltung der Wahl verhängt, nachdem Bystrom seinen Wahlzettel bei der Wahl von Bundeskanzlerin Angela Merkel veröffentlicht hatte. Die erhobene Organklage wurde nun als unzulässig zurückgewiesen, berichten lto.de und taz (Christian Rath) über den nun veröffentlichten Beschluss von Mitte September. Bystrom hätte vor einer Anrufung des Gerichts gemäß der Geschäftsordnung des Bundestags im Parlament zunächst einen Einspruch einlegen müssen.

Rechtspolitik

Elektronischer Rechtsverkehr: Das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten verpflichtet Prozessbeteiligte ab 2022, ihren Schriftverkehr elektronisch zu führen. Schleswig-Holstein prüft derzeit, ob unter Inanspruchnahme einer Öffnungsklausel des Gesetzes bereits ab dem nächsten Jahr der Schriftverkehr der Arbeitsgerichte des Landes elektronisch abgewickelt werden soll. Dies berichtet lto.de (Annelie Kaufmann) unter Bezugnahme auf den Entwurf einer entsprechenden Landesverordnung. Das bisherige Nebeneinander von elektronischen und Papier-Akten entlaste die vorhandenen Kapazitäten keineswegs, Kritiker der angedachten Neuerung halten ihre Begrenzung für problematisch.

Digitalisierung: Ab 2022 sollen alle staatlichen Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen auch digital angeboten werden, so die Vorgabe des vor zwei Jahren verabschiedeten Onlinezugangsgesetzes. Am heutigen Mittwoch soll das Bundeskabinett mehrere Maßnahmen beschließen, die dieses Ziel erreichbar machen sollen, schreiben Hbl (Moritz Koch/Dietmar Neuerer) und FAZ (Hendrik Wieduwilt). Einige Punkte wurden von Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) vorgestellt. Hierzu gehöre ein "Datenschutzcockpit". Bei diesem Portal könnten Bürger relevante persönliche Daten hinterlassen und gleichzeitig nachvollziehen, von welchen Behörden diese Daten eingesehen wurden.

Gewerbemietpreisbremse: In einem Gastkommentar für die taz schlägt Cansel Kiziltepe, SPD-Bundestagsabgeordnete, eine Mietpreisbremse auch im Gewerbemietrecht vor. Die hiesige Wirtschaftsordnung verdiene das Attribut sozial nicht, solange "einzelne Marktteilnehmende andere durch einen Handwink ruinieren können". Zu vielen Kleingewerbetreibenden drohten aktuell "die Mieten über den Kopf" zu wachsen.

Legalisierung: Der FAZ-Einspruch (Philip Eppelsheim) interviewt Andreas Müller, Amtsrichter in Bernau bei Berlin, zu den Gründen seines Einsatzes für eine Legalisierung von Cannabis als Genussmittel für Erwachsene.

Hass-Rede: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich für eine Ergänzung von § 188 Strafgesetzbuch ausgesprochen. Gerichte hätten die Bestimmung zu übler Nachrede und Verleumdung bislang nicht auf Kommunalpolitiker angewendet, schreibt die SZ (Benjamin Emonts). Dies solle nach dem Willen der Ministerin geändert werden. Joachim Käppner (SZ) begrüßt den Vorschlag in einem Kommentar. Er könne "den Erkenntnisprozess nachhaltig fördern, dass der Rechtsstaat nicht endet, wo das Internet beginnt".

Justiz

EGMR zu Pressefreiheit: Der Zutritt von Journalisten zu einem Flüchtlingsaufnahmezentrum darf nicht mit dem Argument verweigert werden, den dortigen Insassen drohten Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Dies wurde nach Meldung der FAZ im Medien-Teil zugunsten eines ungarischen Reporters entschieden. Die ungarischen Behörden hätten unter Missachtung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Pressefreiheit berücksichtigen müssen, dass Aufnahmen der Betroffenen nur mit deren Einverständnis angefertigt würden und zudem auch ein großes öffentliches Interesse an den Zuständen im Lager bestanden habe.

EuGH zu Cookies: Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ fasst Rechtsanwalt Christoph Ritzer das jüngste Cookie-Urteil des Europäischen Gerichtshofs zusammen und legt erforderliche Konsequenzen für Unternehmen dar.

BVerfG – EZB: Nach dem vor einem Monat gefällten Beschluss der Europäischen Zentralbank, ihre umstrittenen Anleihekäufe wieder aufzunehmen, hat eine Klägergruppe in dem beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Der im Gericht bereits erörterte Sachverhalt habe sich durch den jüngsten Beschluss grundlegend verändert, so die FAZ (Christian Siedenbiedel) über den Antrag.

BVerfG zu Adblocker: Auch lto.de (Maximilian Amos) berichtet nun zum jetzt bekannt gemachten Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Werbeblocker. Der Beitrag stellt die vom Springer-Verlag beanstandete Technik vor und zeichnet den bisherigen Verfahrensgang nach.

BGH zu Tan-SMS-Patent: Eine von der Sparda-Bank West erhobene Nichtigkeitsklage wegen des Patents zu per SMS versendeten Tan-Nummern ist vom Bundesgerichtshof abgewiesen worden. Somit könne ein österreichisches Software-Unternehmen als Patent-Inhaber auch grundsätzlich Lizenzgebühren für die Nutzung des Systems verlangen, schreibt die FAZ (Michaela Seiser).

OLG Koblenz zu Waschanlagen-Unfall: Eine verschuldensunabhängige Haftung des Halters für die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr kommt dann nicht in Betracht, wenn das Auto in einer automatisierten Waschanlage mit ausgeschaltetem Motor steht. Dies stellte das Oberlandesgericht Koblenz in einem nun veröffentlichten Beschluss von Anfang August klar. In dem von lto.de berichteten Fall hatte sich eine an einem Auto angebrachte Haltevorrichtung gelöst und erhebliche Beschädigungen des Fahrzeug des erfolglosen Klägers bewirkt.

OLG Naumburg – Kirchenrelief: Am 21. Januar verhandelt das Oberlandesgericht Naumburg zu der Frage, ob die Wittenberger evangelische Stadtkirche dazu verpflichtet werden kann, ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes antisemitisches Relief zu entfernen. Das zuvor mit der Frage befasste Landgericht Dessau hatte eine seit den 1980er Jahren vorhandene Gedenkplatte als ausreichend für die Annahme gehalten, die Kirche gebe keine "Kundgabe der eigenen Missachtung" gegen Juden ab, so die SZ (Ronen Steinke).

LG Kiel – Rechtsbeugung: Am Landgericht Kiel ist eine Staatsanwältin wegen Rechtsbeugung angeklagt. Die derzeit freigestellte Juristin soll bei übereilten Notveräußerungen von beschlagnahmten Tieren Verfahrensregeln außer Acht gelassen haben. Vor Gericht berichtete sie von Überarbeitung, schreibt die taz-Nord (Esther Geisslinger).

LG München I zu Thilo Sarrazin: Nach Meldung der SZ ist der zwischen dem Bestseller-Autor Thilo Sarrazin und dem Random House-Verlag vor dem Landgericht München I geführte Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet worden. Sarrazin solle nach diesem 25.000 Euro, ein Viertel eines Vorschusses für ein schließlich nicht veröffentlichtes Buch, an den Verlag zahlen.

AG Berlin-Tiergarten zu Adbusting: Das Strafverfahren wegen Sachbeschädigung und schwerem Diebstahl gegen einen sogenannten Adbuster ist vom Berliner Amtsgericht Tiergarten gegen Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Organisation eingestellt worden. Die taz-Berlin (Peter Nowak) berichtet.

AG Berlin-Tiergarten zu Volksverhetzung: Die Welt (Frederic Schwilden) berichtet über eine vor einem Monat am Berliner Amtsgericht Tiergarten verhandelte Anklage wegen Volksverhetzung. Grund war ein schwulenfeindlicher Tweet einer früheren studentischen Hilfskraft einer Bundestagsabgeordneten der Linken. Dass die Staatsanwaltschaft der Äußerung im Laufe der Verhandlung mehrere Deutungen zuerkannte und letztendlich auf Freispruch plädierte, liest sich für den Autor "wie eine Anleitung zum rechtlich erlaubten Schwulenhass".

Recht in der Welt

Großbritannien – Brexit: Für den FAZ-Einspruch entwirft der Wissenschaftliche Mitarbeiter Johannes Jiang rechtliche Schlupflöcher, die dem britischen Premierminister Boris Johnson auch einen sogenannten No-Deal-Brexit ermöglichen könnten. Um den sogenannten Benn Act zu umgehen, der die Regierung dazu verpflichtet, die EU um eine weitere Fristverlängerung zu bitten, wenn bis zum 19.10. kein Austrittsabkommen fertig verhandelt ist, böte sich ein "Order of Council" als Legislativakt des "Privy Council" an. Verfassungsrechtlich sei umstritten, ob hierdurch Gesetze außer Kraft gesetzt werden könnten. Wahrscheinlicher erscheine die Option eines "second letter", der der rein formalen Bitte um Fristverlängerung folge, aber klarstelle, dass diese "doch nicht so" gemeint sei. Dessen Wirksamkeit dürfte schließlich vom Plenum des Europäischen Gerichtshof geprüft werden müssen.

Auf verfassungsblog.de legt Damjan Kukovec, Senior Lecturer, in englischer Sprache dar, warum ein zweites Referendum über den Ausstieg notwendig ist.

Sonstiges

PKW-Maut: Die SZ (Markus Balser) berichtet zu Eingeständnissen des Bundesverkehrsministeriums, über den bisher bekannten Rahmen hinaus hätten weitere Treffen der Ministeriumsspitze mit Vertretern der designierten Betreiberfirmen der gescheiterten PKW-Maut stattgefunden. "Nach Informationen von Insidern" solle hierbei seitens der Firmen auch vorgeschlagen worden sein, die Unterzeichnung der fraglichen Verträge auf einen Zeitpunkt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu verschieben. Dies sei vom Minister abgelehnt worden.

Ziviler Ungehorsam: Aus Anlass der jüngsten Verkehrsblockaden der Bewegung "Extinction Rebellion" zeichnet die SZ (Wolfang Janisch) den "langen, gewundenen Weg" der Rechtsprechung beim Versuch nach, die grundrechtliche Versammlungsfreiheit und die "Furcht des Juristen vor der rohen Unordnung des Straßenprotests" miteinander in Einklang zu bringen.

Legal Tech: Vor- und Nachteile von Legal Tech-basierten Rechtsdienstleistungen werden im SWR RadioReportRecht (Bernd Wolf) ausführlich beleuchtet.

Deniz Yücel: Sein neues Buch "Agentterrorist", das Hafterlebnisse beschreibt, stellte der Journalist Deniz Yücel in Berlin unter anderem in der JVA Moabit vor. taz (Oliver Kontny) und bild.de (Leo Ginsburg) berichten.

Das Letzte zum Schluss

Kaffeekasse? Kurzer Prozess am Berliner Amtsgericht Tiergarten: Wie die BZ-Berlin (Anne Losensky) berichtet, brauchte eine Richterin gerade einmal drei Minuten Verhandlungsdauer, um festzustellen, dass eine mögliche Unterschlagung durch zwei Polizisten jedenfalls verjährt ist. Während der Ermittlungen hatte eine Angeklagte angegeben, bei einem Einsatz an einem stadtbekannten Drogenumschlagplatz 250 im Boden vergrabene Euro gefunden zu haben. Die hätte sie beim Gruppenleiter abgegeben und der das Geld reihum verteilt.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Oktober 2019: Rechtsweg zum BVerfG / Papierlose Arbeit / Ausweg für Brexit? . In: Legal Tribune Online, 09.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38055/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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