Die juristische Presseschau vom 8. November 2019: Ver­fas­sungs­be­schwerde zu "Con­tai­nern" / Ergeb­nisse der JuMiKo / IS-Anhän­gerin darf zurück­kehren

08.11.2019

Zwei Studentinnen wollen vor dem Bundesverfassungsgericht die Entkriminalisierung des "Containerns" erreichen. Außerdem in der Presseschau: Justizministerkonferenz fasst Beschlüsse und Gericht ordnet die Rückholung einer IS-Anhängerin an. 

Thema des Tages

BVerfG – "Containern": Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über die Verfassungsbeschwerde zweier Studentinnen, die wegen Diebstahls verurteilt wurden, weil sie weggeworfene Lebensmittel eines Edeka-Supermarkts "containert" hatten. Versuche zur Entkriminalisierung des "Containerns" sind bislang gescheitert, auch wenn nach Angaben der Bundesregierung jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führen die Studentinnen mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob sich § 242 Strafgesetzbuch so interpretieren lässt, dass "Containern" von vornherein straflos bleibt. Der Beitrag diskutiert unter anderem die Möglichkeit der Annahme einer "Dereliktion", also einer Eigentumsaufgabe, durch den Supermarkt. Insgesamt habe die Beschwerde aber wohl nur geringe Erfolgsaussichten.

SZ (Bernd Kastner) und taz (Dominik Baur) bringen Interviews mit den Beschwerdeführerinnen. Dabei geht es auch um deren Bemühungen, eine Dekriminalisierung des "Containerns" auf politischem Wege zu erreichen.

Rechtspolitik

JuMiKo I – Hasskriminalität: Die Justizminister wollen stärker gegen Hass in sozialen Netzwerken vorgehen. Diese sollen insbesondere besser mit den Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten und Auskunftsersuchen nachkommen. Dem Beschluss der Justizministerkonferenz (JuMiKo) zufolge soll das Bundesjustizministerium prüfen, wie die Zugriffsmöglichkeiten auf die relevanten Daten bei Netzwerkbetreibern verbessert werden kann, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Die dazu von der JuMiKo gemachten Vorschläge und deren weitere Beschlüsse stellt lto.de (Annelie Kaufmann) vor.

JuMiKo II – Schutz der Verfassung: Die Justizministerkonferenz hat auf einen Vorschlag des Hamburger Justizsenators Till Steffen (Grüne) zur Identifikation institutioneller und normativer Schwachstellen der Verfassungsordnung hin geäußert, man begrüße "die Ansätze, um den Diskurs und das Bewusstsein dafür, was unsere freiheitlich rechtsstaatliche Demokratie ausmacht, zu fördern und die Identifikation mit ihr zu stärken". Aus Sicht der CDU-Minister besteht jedoch mit dem Grundgesetz im Rücken keine wirkliche Gefahr für den Rechtsstaat, wie FAZ-Einspruch (Helene Bubrowski) berichtet. 

JuMiKo III – V-Personen: focus.de (Göran Schattauer) berichtet über einen Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), der eine gesetzliche Grundlage in der Strafprozessordnung für den Einsatz von V-Leuten bei der Polizei schaffen möchte. Der Einsatz ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Sichergestellt werden solle die "Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus dem Einsatz von V-Leuten in zukünftigen Strafverfahren". Die Justizministerkonferenz hat sich den Vorschlag zu eigen gemacht. 

DNA-Spuren: Die FAZ (Karen Truscheit) berichtet über Kritik der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin am Gesetzentwurf zur "Modernisierung des Strafverfahrens", durch den der deutschen Polizei erlaubt werden soll, die wahrscheinliche Augen-, Haar- und Hautfarbe unbekannter Täter mithilfe von DNA-Phänotypisierung zu bestimmen. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso Aussagen zur biogeographischen Herkunft grundsätzlich nicht erlaubt seien, obwohl die Herkunft nach Kontinenten zuverlässig bestimmt werden könne. Die Bundesregierung solle diese Möglichkeit der Vorhersage "dringend" noch ergänzen.

Beweis- und Befangenheitsanträge: Im Kontext des Gesetzes zur "Modernisierung des Strafverfahrens" kritisieren der Deutsche Anwaltverein und die Opposition laut taz.de (Christian Rath) geplante Einschränkungen bei Beweis- und Befangenheitsanträgen. Dadurch würden Justizgrundrechte unverhältnismäßig beschränkt. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen Beweisanträge künftig leichter wegen vermeintlicher "Verschleppungsabsicht" abgelehnt werden können. Abgelehnte Richter sollen künftig zwei Wochen weiterverhandeln können, bis über den Antrag entschieden ist. Begrüßt werden die Vorschläge der Großen Koalition hingegen vom Deutschen Richterbund. 

Verkehrssicherheit: lawblog.de (Udo Vetter) berichtet über vom Bundeskabinett geplante Änderungen im Straßenverkehrsrecht, durch die Radfahrer und Fußgänger besser geschützt werden sollen. Parallel dazu sollen die einschlägigen Bußgelder erhöht werden. 

Justiz

EuGH zu öffentlicher Bekanntmachung: Einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zufolge müssen Behörden die Öffentlichkeit an umweltrechtlichen Fragen von Bauprojekten effektiv beteiligen und dazu auch geeignete Informationskanäle nutzen. Nationale Regelungen, die Rechtsbehelfe gegen anschließende Genehmigungen ausschließen, sind demnach mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn das Erfordernis der öffentlichen Bekanntmachung nicht beachtet wurde, so der EuGH laut lto.de

EuGH – Porno-Abmahnungen: netzpolitik.org (Alexander Fanta) berichtet über ein bevorstehendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zum Datenschutz- und Urheberrecht. Im Ausgangsfall wehrt sich ein belgischer Internet-Provider gegen Klagen einer zyprischen Firma, die die Herausgabe von Namen und Adressen von Nutzern erzwingen will, die über Bittorent illegal Pornos heruntergeladen haben. Das Urteil könnte Auswirkungen auch auf die in Deutschland herrschende Abmahnpraxis haben.

BVerfG zu Hartz IV-Sanktionen: In einem Beitrag für FAZ-Einspruch bespricht der Rechtsprofessor Martin Nettesheim die am vergangenen Dienstag ergangene Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Hartz IV-Sanktionssystems. Diese stelle die Garantie der Menschenwürde in den Kontext eines Staat-Bürger Modells, das "nicht nur von der prinzipiellen Eigenverantwortlichkeit hierzu befähigter Bürger ausgeht, sondern dies auch in die Garantie der Menschenwürde einbaut". Geschaffen werde damit ein "contract social", in dem reziproke Rechte und Pflichten formuliert werden.

BFH – Finanzierung kommunaler Eigenbetriebe: Der Rechtsanwalt Marc Tepfer stellt auf lto.de ausführlich einen Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes an den Europäischen Gerichtshof vom vergangenen März vor. Dabei geht es um die Frage, ob eine steuerliche Norm, die Städten und Gemeinden eine Querfinanzierung für defizitäre kommunale Einrichtungen erlaubt, eine nach EU-Recht verbotene Beihilfe darstellt. 

OVG Berlin-Brandenburg zu IS-Anhängerin: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verpflichtet das Auswärtige Amt laut spiegel.de (Hubert Gude) dazu, einer 37-jährigen IS-Anhängerin und ihren drei Kindern "geeignete Reisedokumente" auszustellen und sie "unverzüglich nach Deutschland zurückzuführen". Die Rückholung der Kinder könne nur gemeinsam mit ihrer Mutter erfolgen, da sie "zwingend auf den Schutz und die Betreuung ihrer Mutter angewiesen" seien. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung durch die Mutter. 

OVG Berlin-Brandenburg zu Beteiligungsrechten: Die Doktorandin Tessa Hillermann stellt auf juwiss.de mehrere Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zu Beteiligungsrechten bei der Einstellung von Richtern in Berlin vor. Demnach gilt das Landesgleichstellungsgesetz (LGG) zwar für Gerichte, nicht aber für Richter. Deswegen mussten Gleichstellungsbeauftragte auch nicht nach den Vorschriften des LGG an der Einstellung von Richtern beteiligt werden.

OLG München – Sonderpreise bei Burger King: Einer vorläufigen Einschätzung des Oberlandesgerichts München zufolge verstoßen Franchise-Nehmern von Burger King Europe vorgegebene Sonderpreise nicht gegen das Verbot der Preisbindung im Kartellrecht. Geklagt hatte laut spiegel.de ein Berliner Burger-King-Wirt gegen regelmäßige Sonderangebote. 

OLG Frankfurt zu Mobilfunk-Sperre: Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zufolge dürfen Mobilfunkanbieter ihren Kunden nicht mit einer Sperrung des Anschlusses drohen, wenn es Streit über die Höhe von Telefongebühren gibt. Eine Drohung ist auch wettbewerbswidrig und kann abgemahnt werden, so das OLG laut lawblog.de (Udo Vetter).

OLG Frankfurt – antiker Pferdekopf: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat im Streit um einen bronzenen Pferdekopf, der bei Grabungen in Mittelhessen gefunden worden war, einen Vergleich vorgeschlagen. Das Land Hessen solle dem Besitzer des Grundstückes etwa 748.000 Euro plus Zinsen Entschädigung zahlen, schlugen die Richter laut lto.de vor. Der Pferdekopf ist seit August 2018 im Museum des Römerkastells Saalburg zu sehen.

LG Berlin – Mord an Georgine K.: In Berlin ist vor dem dortigen Landgericht der Prozess um die Tötung der 14-jährigen Georgine K. fortgesetzt worden. spiegel.de (Uta Eisenhardt) berichtet ausführlich über die Aussagen von Frau und Sohn des Angeklagten Ali K. am vergangenen Mittwoch. Dabei ging es um die Annäherungsversuche einiger verdeckter Ermittler des Bundeskriminalamtes, die letztlich zur Anklage gegen Ali K. führten. Zudem ging es um die Frage des Verhältnisses der Zeugen zum Angeklagten.

LG Freiburg – Gruppenvergewaltigung: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über die Fortsetzung des Prozesses vor dem Landgericht Freiburg zur mutmaßlichen Vergewaltigung einer 18-Jährigen im Oktober 2018. Einige der Angeklagten behaupten, die Frau habe unter Drogeneinfluss massiv Sex eingefordert. Dementsprechend ging es am Donnerstag um die Frage, ob Ecstasy die Lust auf Sex steigert. Ein Gutachter verneinte dies und sprach stattdessen von einem durch Ecstasy ausgelösten "postorgasmischen Zustand mit erhöhtem Kuschelbedürfnis".

LG Bamberg zu "Ankerzentrum"-Randalen: Nach Randalen im Bamberger "Ankerzentrum" hat das dortige Landgericht einen Angeklagten zu neuneinhalb Jahren Gefängnis wegen schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung und Angriff auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Für einen zweiten Haupttäter wurde die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Ein dritter Angeklagter wurde zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt, ein vierter Angeklagter freigesprochen. spiegel.de berichtet. 

LG Gießen zu Behandlungsfehler: Das Landgericht Gießen hat einem jungen Mann ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000 Euro zugesprochen. Er hatte infolge nicht richtig angeschlossener Schläuche des Beatmungsgeräts bei einer Operation einen schweren Hirnschaden erlitten. Zahlen muss nun der Betreiber des Krankenhauses. Dies melden spiegel.de und lawblog.de (Udo Vetter)

Recht in der Welt

IStGH zu kongolesischem Rebellenführer: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat nach seinem Schuldspruch im Juli gegen den kongolesischen Rebellenführer Bosco Ntaganda nun das Strafmaß verkündet. Ntaganda muss wegen zahlreicher Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit für 30 Jahre ins Gefängnis. Dies berichten taz (Dominic Johnson) und faz.net (Thilo Thielke).

Belgien – Völkermord-Prozess: In Belgien hat laut taz (François Misser) der Prozess gegen einen 71-jährigen Ruander begonnen, dem Beteiligung am Völkermord an den Tutsi vorgeworfen wird. Es ist der erste derartige Prozess in Belgien, in dem die Anklage explizit auf Völkermord lautet. 

Brasilien – Angriff auf die Demokratie: Die Rechtsprofessoren Emilio Peluso Neder Meyer, Thomas Bustamente und Marcelo Cattoni untersuchen auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) eine Äußerung des Sohnes des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, Eduardo Bolsonaro, auf ihre Rechtmäßigkeit und beklagen einen fortschreitenden Verfall der brasilianischen Demokratie. 

Sonstiges

Stephan Brandner: Der Rechtsausschuss des Bundestages hat mit den Stimmen der Obleute aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD beschlossen, in der kommenden Woche seinen Vorsitzenden Stephan Brandner (AfD) aus dem Amt zu heben. Dies meldet u.a. lto.de.

Liebe am Arbeitsplatz: Die FAZ (Marcus Jung) fragt anlässlich eines Falles aus den USA, inwieweit ein Unternehmen nach deutschem Arbeitsrecht innerbetriebliche Beziehungen unterbinden oder Mitarbeiter sanktionieren kann. Die Persönlichkeitsrechte des Mitarbeiters seien besonders geschützt. Einschränkende Vertragsklauseln seien deshalb unwirksam. Den Arbeitnehmer träfen jedoch Nebenpflichten der konkreten Tätigkeit, deren Verletzung dem Arbeitgeber ein Tätigwerden ermöglichten.


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. November 2019: Verfassungsbeschwerde zu "Containern" / Ergebnisse der JuMiKo / IS-Anhängerin darf zurückkehren . In: Legal Tribune Online, 08.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38603/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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