Das BVerfG erweitert Auskunftspflicht der Bundesregierung. Außerdem in der Presseschau: Georg Fahrenschon wehrt sich gegen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung, Gerichtshof für Menschenrechte prüft Klagen britischer Bürgerrechtler.
Thema des Tages
BVerfG zu Auskunftspflicht der Bundesregierung: Das Bundesverfassungsgericht gab einer Organklage der Grünen statt. Die Regierung habe mehrfach parlamentarische Anfragen zu Unrecht nicht oder nur geheim beantwortet. Zum einen müsse die Bundesregierung auch über Fragen zur Geschäftspolitik der Deutschen Bahn AG Auskunft geben, solange diese ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehe. Außerdem müsse die Bundesregierung auch über Maßnahmen der Bankenaufsicht Bafin in der Finanzkrise Auskunft geben - zumindest mit gewissem zeitlichen Abstand. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung), taz (Christian Rath), swr.de (Gigi Deppe/Klaus Hempel) und der Habilitand Sebastian Roßner auf lto.de.
Heribert Prantl (SZ) begrüßt das Urteil: "Die Regierung hat eine Auskunftspflicht, kein Ausfluchtrecht". Es möge zwar berechtigte Geheimhaltungsinteressen geben, aber die Regierung dürfe sich nicht aus bloßer Bequemlichkeit darauf berufen. Auch Reinhard Müller (FAZ) bekräftigt: "Fragen der Abgeordneten allein sind noch keine Kontrolle der Regierung." Jost Müller-Neuhof (Tsp) wundert sich, dass es derartiger Urteile überhaupt bedarf: "Das alles ist so selbstverständlich, dass sich verfassungsrichterliche Feststellungen zu entsprechenden Auskunftspflichten erübrigen sollten." Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) betont dagegen, dass die Entscheidung nicht nur Altbekanntes wiederholt: "Jetzt ist viel klarer als zuvor: Wenn private Unternehmen im Spiel sind, kann sich die Bundesregierung nicht hinter deren Interessen verstecken." Christian Rath (BadZ) vermutet, dass es auch weiterhin Auseinandersetzungen um das Auskunftsrecht geben werde. " Das Gericht hat der Regierung genügend Hintertürchen offen gelassen, etwa die Berufung aufs 'Staatswohl'."
Rechtspolitik
Jumiko – Haftentschädigung: Auf der Justizministerkonferenz, die am morgigen Donnerstag in Berlin stattfindet, wird über die Verbesserung der Haftentschädigung für zu Unrecht Inhaftierte beraten. Die FAZ (Reinhard Müller) stellt eine Studie der Kriminologischen Zentralstelle vor. Danach forderten viele Betroffene nicht nur eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation, sondern auch eine Entschuldigung des Staates und eine mediale Rehabilitierung. Jens Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, spricht sich für eine maßvolle Erhöhung der Entschädigungssätze aus. Er weist aber auch auf die geringe Zahl der Fälle hin. Nach den Vorberatungen der Jumiko zeichne sich keine Mehrheit für eine Verbesserung ab, so die FAZ.
Jumiko – Asylverfahren: Auf der Justizministerkonferenz wird auch über die Überlastung der Verwaltungsgerichte durch Asylverfahren gesprochen. Laut FAZ (Alexander Haneke) haben die Länder die Zahl der Verwaltungsrichter bereits um ein Viertel erhöht. Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter fordere, dass das Bundesverwaltungsgericht auch tatsächliche Bewertungen (etwa zur Situation in bestimmten afghanischen Regionen) einheitlich und abschließend treffen kann. Alternativ könne dies auch der Gesetzgeber entscheiden.
Musterfeststellungsklagen: Marc Beise (SZ) fordert im Wirtschafts-Leitartikel: "Eine Sammelklage im deutschen Recht ist überfällig." Nur so könne wieder Waffengleichheit zwischen Produzenten und Konsumenten hergestellt werden. "Viel spricht für die Ausgestaltung als Musterfeststellungsklage."
Der Anwalt Frank J. Bernardi äußert in der FAZ die Sorge: "Ob nach Einführung einer Sammelklage alle Beteiligten noch immer für ihren individuellen Fall auch ihren eigenen Anwalt beauftragen werden oder ob ihnen dann hierzu – und sei es nur faktisch – Vorgaben gemacht werden, wird in der Diskussion auch von Verbraucherschützern nicht hinterfragt."
Wahlperiode: In Bremen wurde kürzlich per Volksentscheid eine Verlängerung der Wahlperiode der Bürgerschaft von vier auf fünf Jahren abgelehnt. Der Doktorand Matthias Klatt zeichnet auf juwiss.de die Pro- und Contra-Argumente nach. Für ihn ist entscheidend: "Je länger die Wahlperiode, desto schwächer die demokratische Legitimation des Parlaments."
Justiz
AG München – Fall Fahrenschon: Eigentlich sollte Georg Fahrenschon am heutigen Mittwoch als Präsident des Sparkassenverbandes wiedergewählt werden, doch einen Tag vorher wurde bekannt, dass es gegen ihn einen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung gibt. Da Fahrenschon dagegen Einspruch eingelegt hatte, soll es bald zur Verhandlung am Amtsgericht München kommen. Der ehemalige bayerische Finanzminister hatte seine Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2014 verspätet, d.h. erst im Jahr 2016, beim zuständigen Finanzamt abgegeben. Es berichten FAZ (Hanno Mußler) und Hbl (Frank M. Drost/Andreas Kröner). Im Interview mit dem Hbl (Jan Hildebrand/Thomas Sigmund) spricht Fahrenschon von einer Riesendummheit. "Ich war einfach mit so vielen anderen Verpflichtungen beschäftigt, dass ich diese Aufgabe zu lange habe liegen lassen."
LG Nürnberg-Fürth – V-Mann-Skandal: Am Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Prozess gegen sechs Beamte des bayerischen Landeskriminalamtes begonnen, die Straftaten eines V-Manns bei der Rockergruppe "Bandidos" gedeckt haben sollen. Die Anklage wirft ihnen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, Strafvereitelung im Amt, Betrug und uneidliche Falschaussage vor. Die taz (Dominik Baur) schildert auch den zugrundeliegenden Fall – einen Baumaschinendiebstahl in Dänemark.
LG Freiburg – Fall Maria L.: Der Angeklagte Hussein K. ist "mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 100 Prozent zwischen 22,05 und 29,55 Jahre alt", also viel älter als er selbst behauptete. Dies ergab die Untersuchung eines Zahns, der ihm vor einem Jahr gezogen wurde. Es berichten spiegel.de (Jan Friedmann) und die Welt (Gisela Friedrichsen).
BSG zu fingierter Kassenzustimmung: Lehnt eine Krankenkasse einen Leistungsantrag nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von drei Wochen ab, so muss sie für die Behandlung sorgen, ohne dass der Versicherte in Vorleistung gehen muss. Daran ändert auch eine spätere und damit verspätete Ablehnung des Antrags nichts, entschied jetzt laut lto.de das Bundessozialgericht. Konkret ging es um eine Bauchstraffung.
BVerwG zu Tornado-Überflügen: Der Doktorand Max Pichl analysiert auf verfassungsblog.de eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von Ende Oktober. Dieses wertete den Überflug von Tornado-Flugzeugen über einem Camp von Gegnern des G8-Gipfels von Heiligendamm 2007 als nicht zielgerichteten, aber faktischen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Pichl folgert daraus: "Eine Machtdemonstration des Staates kann auch vorliegen, wenn normale Polizeieinheiten, nicht nur die Bundeswehr, sich auf eine abschreckende Art und Weise verhalten, "
BAG zu Mitbestimmung im Gesundheitsschutz: Der Anwalt Bernd Weller setzt sich auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mit der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Mitbestimmung im Gesundheitsschutz auseinander. Konkret geht es um die Abgrenzung von Zuständigkeiten des örtlichen Betriebsrats und des Gesamtbetriebsrats. Weller hält die BAG-Rechtsprechung für richtig, aber schlecht begründet.
Recht in der Welt
EGMR – Massenüberwachung Großbritannien: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelte über die Klage britischer Bürgerrechtler gegen die anlasslose Speicherung und Auswertung von internationaler Kommunikation durch den britischen Geheimdienst GCHQ. Die britische Regierung verteidigte das entsprechende Gesetz (Regulation on Investigatory Powers, RIPA): "Wir brauchen den Heuhaufen, um die Nadel zu finden". Es berichtet taz.de (Christian Rath).
Sonstiges
Glücksspiel und Banken: Viele Banken verstoßen regelmäßig gegen deutsche Glücksspielgesetze, indem sie Zahlungen für illegale Online-Casinos abwickeln. Dies hätten Recherchen im Zusammenhang mit den Paradise Papers ergeben, berichtet die SZ (Jan Willmoth). Derartige Zahlungsabwicklungen könnten eine Beihilfe zur Veranstaltung von unerlaubtem Glücksspiel sowie Geldwäsche darstellen.
Erbschaftsteuer: Die Anwälte Christian von Oertzen und Frank Hannes beschreiben in der FAZ welche Vorgaben der im Sommer veröffentlichte Anwendungserlass zur neuen Unternehmenserbschaftsteuer bezüglich der Verschonungsbedarfsprüfung für Unternehmenserben macht.
ICO-Unternehmensfinanzierung: Die Anwälte Lutz Auffenberg und Anka Hakert beschreiben in der FAZ eine neue Art der Unternehmensfinanzierung durch "Initial Coin Offerings" (ICOs). Die auf der Blockchain-Technologie basierende kryptographische Währung mit der Einheit Token könne in einer Emission an interessierte Anleger verkauft werden, meist gegen andere kryptographische Währungen wie Bitcoin oder Ether. Die Autoren beschreiben die kapitalmarkt- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen.
Das Letzte zum Schluss
Theater-Besetzung als Theater: Die FAZ (Hubert Spiegel) mokiert sich im Feuilleton über Berliner Regionalzeitungen. Diese rechneten empört vor, dass die mehrtägige Besetzung der Berliner Volksbühne im September zu Schäden in Höhe von rund 10.000 Euro geführt habe. Die FAZ hält das Geld jedoch für gut angelegt. Es sei "bei weitem kein Betrag, für den man ein sechstägiges Happening mit hundert Aktivisten, Tausenden von Schaulustigen und landesweiter, wenn nicht sogar internationaler Berichterstattung in Auftrag geben könnte."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. November 2017: BVerfG stärkt Bundestag / Sparkassen-Chef als Steuerhinterzieher? / EGMR verhandelt Massenüberwachung . In: Legal Tribune Online, 08.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25423/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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