Die juristische Presseschau vom 8. August 2019: Fall Tön­nies / Zuläs­sig­keit von Ver­dachts­be­rich­t­er­stat­tung / Isla­mistin ver­haftet

08.08.2019

Der Schalker Aufsichtsratschef hat sich diskriminierend, aber nicht rassistisch geäußert, meint der Ehrenrat. Außerdem in der Presseschau: "Bild" hat unzulässig über ein Verbrechen berichtet und eine IS-Rückkehrerin ist verhaftet worden.

Thema des Tages

Fall Tönnies: Nach Äußerungen des Aufsichtsratschefs des Bundesligisten Schalke 04 hat der Schalker Ehrenrat entschieden, Clemens Tönnies habe sich nicht rassistisch geäußert, wohl aber "gegen das in der Vereinssatzung und im Leitbild verankerte Diskriminierungsverbot verstoßen". Tönnies will nun sein Amt für drei Monate ruhen lassen, danach jedoch als Aufsichtsratschef zurückkehren. Es berichten die SZ (Hans Leyendecker) und zeit.de.

Die FAZ (Marcus Jung) widmet sich der rechtlichen Zulässigkeit der vom Ehrenrat gefundenen Lösung. Diese sei zwar in der Vereinssatzung nicht enthalten, eine ausdrückliche Erwähnung sei jedoch nach Einschätzung von Vereinsrechtlern nicht notwendig. Insoweit bestehe eine Gesetzeslücke, eine analoge Anwendung anderer Normen sei aber nicht möglich. Der Beitrag resümiert, Tönnies habe das Recht auf seiner Seite.

In seinem Kommentar meint Anno Hecker (FAZ), weder Tönnies noch der Ehrenrat hätten die weitreichende Wirkung des Falles und ihres Umgangs damit verstanden. Sie verharmlosten ihn und wollten der Öffentlichkeit verkaufen, mit der Unterscheidung zwischen Rassismus und Diskriminierung sei der Weg gefunden, die Affäre zu beenden. Ronen Steinke (SZ) findet es "ulkig, wie sich derzeit der Ehrenrat windet", da die von dem Gremium gesehene Diskriminierung begrifflich die Anknüpfung an ein bestimmtes Merkmal voraussetze. Wonach Tönnies aber Menschen diskriminiert habe, solle wohl nicht beantwortet werden.

Rechtspolitik

5G-Überwachung: Einem Bericht von netzpolitik.org (Matthias Monroy) zufolge plant die Bundesregierung Gesetzesänderungen, um auch nach Einführung der fünften Mobilfunkgeneration (5G) den Zugriff auf Telefongespräche zu ermöglichen. Durch Änderungen des Telekommunikationsgesetzes und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung sollen Mobilfunkanbieter verpflichtet werden, Metadaten entschlüsselter 5G-Verbindungen zu speichern. Für Polizei, Zoll und Geheimdienste müssten dann Abhörschnittstellen bereitgestellt werden.

Innere Sicherheit: Im Nachgang zu einem Vorfall am Frankfurter Hauptbahnhof, bei dem ein Mann eine Frau und ihren Sohn vor einen einfahrenden Zug gestoßen hatte, fragt die FAZ (Mona Jaeger), wie der Diskrepanz zwischen der Kriminalitätsstatistik, die eine Tendenz nachlassender Kriminalität ausweise, und zunehmender gefühlter Unsicherheit begegnet werden kann. Oft reichten kleine Veränderungen, um eine Stadt sicherer zu machen und den Bürgern auch ein besseres Gefühl zu geben. Dabei sei Polizeipräsenz und -sichtbarkeit wesentlich.

In einem separaten Kommentar merkt Mona Jaeger (FAZ) an, politische Entschlüsse sollten auf der Basis von Fakten getroffen werden, nicht auf der von Gefühlen. Bürger dürften aber zu Recht erwarten, dass Politiker mit Empathie und Ernsthaftigkeit auf konkrete Bedrohungen und auf diffuse Ängste reagierten. Sinnvoll seien insbesondere Videoüberwachung und bessere Ausstattung der Polizei.

Justiz

BGH zu Mietpreisbremse: Anlässlich des kürzlich ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs zur Nichtigkeit der hessischen Mietpreisbremse stellt lto.de (Maximilian Amos) die Frage nach einer möglichen Schadensersatzpflichtigkeit des Staates gegenüber Mietern und Vermietern, die auf die Gültigkeit der Mietpreisbremse vertrauten. Dies wird jedoch letztlich unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH verneint, wonach der Gesetzgeber nicht für legislatives Unrecht hafte.

BGH zu Verdachtsberichterstattung: Einem Urteil des Bundesgerichtshofs zufolge hat die "Bild"-Zeitung mit ihren Berichten über eine durch einen Rechtsanwalt begangene Vergewaltigung teilweise gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstoßen. Rückblickend müsse berücksichtigt werden, dass die Unschuldsvermutung vor einem rechtskräftig ergangenen Urteil gegen den Rechtsanwalt noch bestanden habe. Es habe kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit an der Offenlegung der Identität des Betroffenen bestanden. Wegen des Strafurteils bestehe jedoch kein Unterlassungsanspruch, wie lto.de berichtet.

BGH zu Sparverträgen: Die SZ (Tobias Bug) berichtet über Kündigungen von Sparverträgen durch Sparkassen, die diese unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Mai dieses Jahres vornehmen. Der BGH hatte entschieden, die beklagte Sparkasse habe Sparverträge nach Erreichen der höchsten Prämienstufe wegen eines sachgerechten Grundes kündigen dürfen. Die Sparkassen führten nun die Minuszinsen der Europäischen Zentralbank als einen solchen Grund an. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus.

VerfGH Sachsen – Sächsisches Polizeigesetz: Laut lto.de haben die Fraktionen von Linken und Grünen im sächsischen Landtag ein Normenkontrollverfahren in Bezug auf das dortige Polizeigesetz initiiert. Durch das Gesetz werde es der Polizei ermöglicht, frühzeitiger und "in immer ambivalenteren Sachlagen tätig zu werden und teilweise schwere Grundrechtseingriffe durchzuführen", wird im Beitrag der Rechtsprofessor Matthias Bäcker zitiert, der den Kontrollantrag formuliert hat. Nun muss der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen entscheiden.

VerfG Brandenburg – Kennzeichenerfassung: Die taz (Christian Rath) berichtet über die vor dem Brandenburger Landesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerde eines Piraten-Politikers, die sich gegen dauerhafte Speicherung erfasster Kennzeichen richtet. Die gesetzlich vorgesehene Löschung der Nummernschilder, nach denen nicht gefahndet wird, finde nicht statt. Diese Praxis sei wohl einzigartig in Deutschland.

VG Stuttgart – Zwangshaft: Nun berichtet auch die taz (Anja Krüger) über die von der Deutschen Umwelthilfe beim Verwaltungsgericht Stuttgart beantragte Zwangshaft für Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung wegen mangelhafter Umsetzung eines Urteils zu Fahrverboten.

LG Kempten zu Säuglingstötung: Laut spiegel.de ist ein 22-Jähriger vom Landgericht Kempten wegen Mordes an seinem acht Monate alten Sohn zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Angeklagte habe "in menschenverachtender und brutalster Weise ein Kind zu Tode gebracht", wird der Vorsitzende Richter zitiert. Der Mann war zudem auf Polizisten losgegangen.

LG Berlin – Verschwundene Schülerin: Vor dem Landgericht Berlin ist der Prozess gegen einen 44-Jährigen fortgesetzt worden, der für die Tötung eines damals 14-jährigen Mädchens im Jahr 2006 verantwortlich gemacht wird. Es wurde die Anklage verlesen, die dem Mann Vergewaltigung und Mord an der Schülerin sowie den Besitz von Kinderpornografie vorwirft. Zudem wurde ein Ermittler vernommen, wie ausführlich die SZ (Verena Mayer) sowie bild.de berichten.

LG Stuttgart – Raser: focus.de (Göran Schattauer) berichtet über den im September vor dem Landgericht Stuttgart beginnenden Prozess gegen einen jungen Mann, dem zweifacher Mord zur Last gelegt wird. Er war mit einem gemieteten Sportwagen mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h gegen ein parkendes Fahrzeug geprallt, nachdem er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Die Insassen kamen dabei ums Leben.

LG Neubrandenburg zu Richter-Äußerung: Das Landgericht Neubrandenburg hat die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung bestätigt, keinen Strafbefehl wegen des Verdachts der Beleidigung gegen drei Richter des Landgerichts zu erlassen. Die Richter hatten dem Rechtsanwalt des Nebenklägers in einem Strafverfahren eine "narzisstisch dominierte Dummheit" vorgeworfen. Die gewählte Formulierung sei jedoch angesichts der bis dahin auch medial sehr aufgeheizten Stimmung und der unmittelbar vorangegangenen schriftlichen Äußerungen des Nebenklagevertreters gegenüber der Kammer, bis hin zum Vorwurf, die Richter würden das Verbrechen der Rechtsbeugung begehen, gerechtfertigt, so jetzt das Landgericht laut lto.de.

LG Hamburg – KZ-Wachmann: In der Welt (Per Hinrichs) findet sich ein Bericht über einen im Oktober vor dem Landgericht Hamburg beginnenden Prozess gegen einen ehemaligen SS-Mann, der von 1942 bis 1945 im KZ Stutthof als Wachmann eingesetzt war. Ihm wird Beihilfe zum Mord an mindestens 5.230 Menschen vorgeworfen.

GBA – IS-Rückkehrerin: Die Bundesanwaltschaft hat eine deutsche Staatsangehörige wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrorgruppe "Islamischer Staat" und mutmaßlicher weiterer Delikte verhaften und in Untersuchungshaft bringen lassen. Grundlage war ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof. Ein Versuch der Bundesanwaltschaft, einen Haftbefehl gegen die Islamistin zu erwirken, war 2017 noch gescheitert. Über den Hintergrund des Verfahrens berichten taz (Konrad Litschko) und FAZ (Alexander Haneke/Timo Frasch).

StA Freiburg – Kindesmissbrauch: Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat laut spiegel.de Anklage gegen einen früheren Gruppenleiter bei den Pfadfindern wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fast 700 Fällen erhoben. Die Taten aus den Jahren 2010 bis 2018 werden zum Landgericht Freiburg angeklagt.

LG Frankfurt/M. – Mord-Auftrag: Das Dossier der Zeit (Klaus Brinkbäumer/Daniel Müller) behandelt die Anklage der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen den Internet-Unternehmer Alexander Falk. Er soll einen Mord an einem Frankfurter Rechtsanwalt in Auftrag gegeben haben. Diesem wurde ins Bein geschossen. Der Prozess soll am 21. August vor dem Landgericht Frankfurt am Main beginnen.

Sonstiges

Singapur-Konvention: Für den FAZ-Einspruch stellt der Rechtsprofessor Thomas Pfeiffer das nun von 46 Staaten unterzeichnete UN-Übereinkommen zur internationalen Vollstreckung von Mediationsergebnissen vor. Das Abkommen bildet eine Parallele zum New Yorker Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen und verpflichtet die Vertragsstaaten zur Vollstreckung nach Maßgabe ihres nationalen Vollstreckungsrechts. Neben der Schiedsgerichtsbarkeit soll mit der Singapur-Konvention eine einfachere und preiswertere Alternative verfügbar gemacht werden.

Ausländerkriminalität: Die SZ (Ronen Steinke) stellt die Ergebnisse einer Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) zur Kriminalität von Asylbewerbern, Flüchtlingen und "Geduldeten" vor. Keine andere Gruppe sei in der polizeilichen Kriminalstatistik so stark überrepräsentiert. In dem Beitrag werden Gründe für diese Ergebnisse diskutiert. So seien in dieser Gruppe besonders viele junge Männer zu finden, deren soziales Umfeld zudem Straftaten begünstige. Schließlich werden Erklärungen gesucht für die erheblichen Unterschiede je nach Herkunft der "Zuwanderer" und die These hinterfragt, dass in manchen Herkunftsländern eine "Machokultur" herrsche.

beA: lto.de meldet, dass die automatische E-Mail-Benachrichtigung über Nachrichteneingänge des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) derzeit nicht zuverlässig funktioniert. Die Bundesrechtsanwaltskammer konnte auf Anfrage von LTO nicht sagen, wann das Problem behoben sein wird.

Fachverlage im "Dritten Reich": Auf lto.de (Maximilian Amos) findet sich ein Beitrag, der sich mit der Rolle juristischer Fachverlage während der NS-Zeit befasst. So gab etwa der Beck-Verlag nationalsozialistisch beeinflusste Werke heraus und auch der Verlag Mohr Siebeck sollte Stück für Stück den neuen Gegebenheiten gemäß umgebaut werden. In den meisten Redaktionen habe man sich "mit fliegenden Fahnen" der völkischen Rechtserneuerung hingegeben, wird im Beitrag der Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers zitiert. Letztlich hätten alle Verlage mitgemacht. Ihre Rolle werde erst seit einigen Jahren und erst auf gesellschaftlichen Druck hin wissenschaftlich aufgearbeitet.

 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. August 2019: Fall Tönnies / Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung / Islamistin verhaftet . In: Legal Tribune Online, 08.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36933/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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