Die juristische Presseschau vom 7. und 8. Juni 2012: Verfassungsklage gegen Betreuungsgeld - Vedder verklagt Ergo - Verlangsamtes ORF-Video

08.06.2012

Die SPD und das Bundesland Hamburg erwägen eine Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld. Außerdem in der Presseschau: Großinvestor Clemens J. Vedder fordert von der Ergo-Versicherung eine Milliarde Euro, Insolvenzrecht für Unternehmen und Großbanken, Entschädigung für Sicherungsverwahrte und Freunde des Filesharing, die über den letzten "Tatort" feixen.

Verfassungsklage gegen Betreuungsgeld: Das Land Hamburg will versuchen, das geplante Betreuungsgeld mit einer abstrakten Normenkontrollklage zu Fall zu bringen, berichtet die SZ (Robert Roßmann). In diesem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gehe es nicht um die von der Bundesregierung behauptete Herbeiführung gleicher Lebensverhältnisse. Auch die SPD erwäge eine Klage, in der sie die Zustimmungspflichtigkeit durch den Bundesrat bestätigt haben will.

Auch die Donnerstag-FTD (Christiane von Hardenberg) zitiert die Vorsitzende des Familienausschusses, Sibylle Laurischk (FDP), derzufolge die Bundeszuständigkeit nicht eindeutig feststehe.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Schufa will Facebook-Daten: Die Schufa will bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken veröffentlichte Daten in Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit heranziehen. Laut spiegel.de (Veit Medick / Ole Reißmann) warnt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FTD) vor einer Totaldurchleuchtung. Es dürfe nicht sein, dass man wegen seiner Facebook-Daten keinen Handyvertrag mehr abschließen kann. Auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) fordere vom Beirat der Schufa vollständige Aufklärung über die Pläne.

Die Freitag-FTD (Eike Radszuhn) porträtiert den Chef der Schufa, Michael Freytag, den ehemaligen Finanzsenator und Fraktionschef der CDU in Hamburg, der den Forschungscharakter des Projekts betone. 66 Millionen Bundesbürger seien bei der Schufa erfasst.

Insolvenzrecht I - Großbanken: Wie das Handelsblatt (Frank Wiebe) berichtet, fordert Douglas Flint rechtliche Regelungen, die Großbanken eine kontrollierte Insolvenz ermöglichen sollten. Der Präsident der britischen Großbank HBSC ist als neuer Chef der internationalen Bankenvereinigung IIF Nachfolger von Josef Ackermann. Er nenne als Ziel die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Kredithäuser und den Schutz der Steuerzahler im Falle einer Insolvenz. Dazu müssten die Aufsichtbehörden enger kooperieren.

Insolvenzrecht II - ESUG: Das am 1. März in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, kurz ESUG berge das Risiko, dass sich viele Firmen in eine Insolvenz begäben, obwohl sie weder sanierungsfähig noch sanierungswürdig seien. Diese Befürchtung äußert in einem Gastbeitrag der Rechtsanwalt Christian Gerloff (Donnerstag-FTD). Die Stärkung der Gläubigerautonomie im ESUG sei zu begrüßen, der politische Wunsch, Arbeitsplätze zu retten, unterlaufe jedoch oftmals die wettbewerbliche Aufgabe einer Insolvenz.

Parlamentsvorbehalt: Die SZ (Peter Blechschmidt) schildert den Vorstoß der beiden CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter, den Parlamentsvorbehalt für Bundswehreinsätze auszuhebeln und die Entscheidung über Einsätze an die NATO abzugeben. Laut Gernot Erler, dem Fraktionsvize der SPD, werde der Popanz der Entscheidungsunfähigkeit aufgebaut, um elementare Parlamentsrechte zu schleifen.

Neue Grenzkontrollen: Über die geplanten neuen Grenzkontrollen, die eine Abschaffung der innereuropäischen Reisefreiheit zur Folge haben könnten, berichtet die Donnerstag-taz (Ruth Reichstein). Wenn ein Land seine Außengrenzen nicht ausreichend schütze, könne es aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden. Laut Freitag-FTD (Benjamin Dierks) hätten das Europäische Parlament und die EU-Kommission bereits angekündigt, gegen die Absprachen der Innenminister vom Donnerstag zu klagen. Der sogenannte Notfallmechanismus müsse eigentlich vom Europäischen Parlament bestätigt werden.

Christian Jakob (Donnerstag-taz) kommentiert: "Deutschland und Frankreich verbreiten die Legende, nur weil die Peripheriestaaten so unfähig seien, müsse Europa seine schöne Freizügigkeit aufgeben."

Filesharing: Einen Überblick über den internationalen Rechtsrahmen beim Streit um Filesharing gibt die Donnerstag-taz (Christian Rath).

Die FAZ (Marcus Jauer) berichtet über einen Besuch der GEMA bei der Fraktion der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus. Die GEMA habe sich hundert im Netz gesammelter Fragen gegenübergesehen. Bei den Gesprächsrunden die auch mit Autoren und Schulbuchverlagen geführt wurden, kämen bei den Piraten jetzt die Urheber stärker in den Blick.

Weitere Themen – Justiz

Vedder verklagt Ergo: Nachdem die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ihre Ermittlungen gegen ihn mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt hat, will Großinvestor Clemens J. Vedder eine Milliarde Euro von der Ergo-Versicherungsgruppe beziehungsweise der Munich Re für die Beschädigung seines guten Rufs. Das berichtet die SZ (Klaus Ott) in ihrem Wirtschaftsteil. Laut Handelsblatt (Sönke Iwersen) zeige die Einstellung des Verfahrens, dass Ergo selbst eine Kampagne gegen Vedder und die anderen Vermittler gefahren habe. Der Geschäftsmann und zwei Rechtsanwälte hätten versucht, einen Interessenausgleich zwischen ehemaligen Vertretern und dem Versicherungsunternehmen zu moderieren und seien dann mit Erpressungsvorwürfen konfrontiert worden.

EGMR - Sicherungsverwahrte: Erneut hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zwei nachträglich Sicherungsverwahrten eine Entschädigung zugesprochen, berichtet die Freitag-taz (Christian Rath). Erstmalig habe es sich um Verurteilte gehandelt, die sich erst in der Psychiatrie befunden und dann in die Sicherungsverwahrung überstellt worden seien.

LG Leipzig – Geständnis von kino.to-Gründer: Über das umfassende Geständnis des Gründers von kino.to, Dirk B. schreibt Peter Schilder (FAZ) im Feuilleton. Jetzt drohten ihm bis zu viereinhalb Jahre Haft.

Staatsgerichtshof Hessen – Kitas: Der Staatsgerichtshof in Hessen hat die Kita-Verordnung für verfassungsgemäß erklärt, berichtet die Donnerstag-taz (Arno Frank). Die Mehrkosten habe das Land zu tragen: "Wer bestellt, bezahlt", so das in der Verfassung festgelegte Konnexitätsprinzip

BFH – Kindergeld bei Behinderung: zeit.de stellt ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vor. Eltern erwachsener Kinder hätten auch dann Anspruch auf Kindergeld, wenn diese zwar berufstätig seien, aufgrund einer Behinderung aber einen Beruf ausübten, von dem sie nicht leben könnten. Die Richter der Vorinstanz hätten nun zu prüfen, ob der niedrige Lohn – 7.800 Euro im Jahr für eine gehörlose Küchenhilfe in einer Fleischerei – branchenbedingt sind oder an der Behinderung der jungen Frau liegt.

BGH – Rechtsbeugung: Mit dem Tatbestand der Rechtsbeugung befassen sich anlässlich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einem Proberichter Holm Putzke und Christina Putzke (lto.de). Der Professor und die Assessorin bezweifeln, dass ein erneuter Freispruch des Proberichters für das Vertrauen in den Rechtsstaat gut wäre.

BAG – Christliche Gewerkschaften: Die Rechtsanwältin Sandra Urban-Crell (lto.de) meint, dass die Zeitarbeitvermittlungsfirmen die Milliardennachzahlungen wohl nicht zu leisten hätten, die im Raum stünden, nachdem das Bundesarbeitsgericht der Spitzenorganisation der christlichen Gewerkschaften die Tariffähigkeit abgesprochen habe. Sie seien verjährt oder aufgrund wirksamer Ausschlussklauseln verfallen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Österreich – Verlangsamtes ORF-Video: Seit mehr als einem Jahr wartet die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt darauf, dass Experten des Bundeskriminalamts ein Video auf Manipulationen überprüften, so die SZ (Cathrin Kahlweit) auf ihrer Medienseite. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte den ORF-Journalisten Eduard Moschitz angezeigt. Der Politiker habe dem Journalisten vorgeworfen, er habe zwei Skinheads angestachelt, auf einer Veranstaltung mit Strache "Sieg Heil" zu rufen. Das beschlagnahmte Video liefere dazu bisher keine Hinweise. Da ein einfacher Versand per Post zu heikel sei, wolle man das Beweisstück persönlich übergeben.

Argentinien – Pflanzenschutzmittel: Die Freitag-taz (Jürgen Vogt) berichtet über einen Prozess im argentinischen Córdoba, bei dem es um die medizinischen Schäden durch das langjährige Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln geht. Erstmalig hätten sich in dem südamerikanischen Land zwei Sojaproduzenten und ein Kleinflugzeugbesitzer vor Gericht zu verantworten, weil sie beim Ausbringen der Pestizide den Mindestabstand zu den Wohnvierteln nicht eingehalten hätten.

Sonstiges

Kartellrecht: Über einen Vortrag des Kartellrechtsexperten und Rechtsanwalts Johannes Zöttl (kartellblog.de) beim Berliner Seminar Recht im Kontext berichtet Alexandra Kemmerer (verfassungsblog.de). Dabei ging es um den Vergleich us-amerikanischer, europäischer und deutscher kartellrechtlicher Vorschriften.

Das Letzte zum Schluss

Tatort verletzt Urheberrecht: Die Verantwortlichen der Produktion "Schlafende Hunde" aus dem Jahr 2010 gehörten zwar nicht zu den 51 Unterzeichner_innen des Offenen Briefs für Urheberrechte. Trotzdem vermittelt Moritz Tremmel (netzpolitik.org) mehr als nur klammheimliche Freude angesichts der Tatsache, dass im "Tatort" vom vergangenen Sonntag eine vermutlich urheberrechtlich geschützte Schaltskizze zu sehen war. Aufgedeckt habe dies André Lerch (Telepolis).

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro


(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. und 8. Juni 2012: Verfassungsklage gegen Betreuungsgeld - Vedder verklagt Ergo - Verlangsamtes ORF-Video . In: Legal Tribune Online, 08.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6351/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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