Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2019: Geburtstag für das Grund­ge­setz / Beamte und Rechts­an­wälte / Ver­fas­sungs­ge­richt gegen Volks­be­gehren

08.05.2019

Heute vor 70 Jahren stimmte der Parlamentarische Rat für das Grundgesetz. Außerdem in der Presseschau: Beamte können auch weiterhin keine Rechtsanwälte sein und ein Hamburger Volksbegehren wird vom Verfassungsgericht gestoppt.

Thema des Tages

70 Jahre Grundgesetz: Am 8. Mai 1949 sprach sich die Mehrheit des Parlamentarischen Rates für die Annahme des Grundgesetzes (GG) aus. In Fortsetzung einer Artikelreihe zu den wichtigsten Grundrechten des GG interviewt lto.de (Tanja Podolski) Robert Seegmüller. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht spricht über den eigentümlichen Art. 16a GG, die Entstehungsgeschichte des Grundrechts auf Asyl, seine Beeinflussung durch das internationale Recht, die Hintergründe der 1993 erfolgten Änderung der Bestimmung und die darauf fußende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung. Auch der FAZ-Einspruch (Corinna Budras) setzt seine Reihe zu "vergessenen Vorschriften" der Verfassung fort und stellt Art. 20 Abs. 4 GG vor. Das Recht auf Widerstand sei ein Paradoxon, weil seine Inanspruchnahme einen funktionierenden Rechtsstaat voraussetzt. Das "praktisch bedeutungslose" Recht spiele "in der ernsthaften politischen Auseinandersetzung kaum eine Rolle" und verdanke seine Existenz den aus dem Jahr 1968 stammenden Notstandsgesetzen. Aus Anlass der Abstimmung vom 8.Mai 1949 bringt die Welt auf acht Druckseiten die aktuelle Fassung des GG.
"Die Verfassung hat den deutschen Staat viel tiefgreifender verändert als umgekehrt", schreibt Joachim Käppner (SZ) im Leitartikel. Im Verbund mit dem Bundesverfassungsgericht sei das Land "liberaler, gerechter und viel demokratischer geworde"“, auch wenn dieser Weg keineswegs linear verlaufen sei.

Rechtspolitik

Einbürgerung bei Vielehe: Auch Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat sich gegen die Einbürgerung von mehrfach Verheirateten ausgesprochen, berichtet die SZ (Constanze von Bullion). Diesbezüglich bestehe kein Dissens mit jüngsten Vorschlägen des Bundesinnenministers.

StPO-Reform: Auch lto.de berichtet nun zu den im Bundesjustizministerium erarbeiteten Änderungen von Bestimmungen der Strafprozessordnung. Das Ziel einer Straffung von Strafverfahren solle etwa durch ein Weiterlaufen des Prozesses während einer Entscheidung über Befangenheits- oder Beweisanträge erreicht werden.

Fachkräfteeinwanderung: Vor der für den morgigen Donnerstag geplanten Bundestags-Debatte über den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes führt das Hbl (Frank Specht) Kritik an dessen Regelungen auf. Experten bemängelten etwa, dass die Nachweispflicht der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse in der Praxis kaum erfüllbar sei.

Enteignungen: Die Rechtsanwälte Alexandra Diehl und Maximilian Clasmeier werfen im FAZ-Einspruch einen vertieften Blick auf nationale und internationale Bestimmungen zu Enteignungen und daraus folgende Entschädigungsansprüche. Letztere ergäben sich nicht nur aus Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG, insbesondere bei ausländischen Gesellschaften seien auch immer Investitionsschiedsverfahren beachtlich.

Schwarzfahren: In der Debatte über eine Entkriminalisierung des sogenannten Schwarzfahrens macht Rechtsprofessor Heiner Alwart im FAZ-Einspruch geltend, dass der Gesetzeswortlaut eine Bestrafung nicht zulasse. "Jeder Jurist, der ernst genommen werden will", erkenne, dass die Erschleichung einer Beförderung nicht möglich ist, solange Verkehrsbetriebe ihre Leistung anbieten, "als gelte bereits heute der Nulltarif". Bloße Vertragsverletzungen seien zivilrechtlich zu behandeln. Dieser Befund werde jedoch durch "moralisierendes Palaver" und immer wiederkehrende Debattenschleifen vernebelt.

Justiz

EuGH: Aus Anlass der bevorstehenden Europawahl stellt der SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel) Arbeit und Aufgaben des Europäischen Gerichtshofs vor.

BGH zu Anwaltszulassung: Die Beamteneigenschaft schließt auch weiterhin eine Tätigkeit als Rechtsanwalt aus. Dies stellte der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs in einem Beschluss von Ende Februar, über den Rechtsanwalt Martin W. Huff auf lto.de berichtet, klar. Das in der Bundesrechtsanwaltsordnung verankerte Verbot diene der Unabhängigkeit der Advokatur. Diese würde durch die besondere Treuepflicht statusrechtlicher Beamter gefährdet.

BGH zu Beurkundungsverzicht: In einem Urteil von Anfang Januar hatte der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die analoge Anwendung des § 179a Aktiengesetz auf die GmbH nicht zulässig ist. Dass nun damit die Übertragung des wesentlichen Vermögens einer GmbH ohne weitere Formerfordernisse möglich ist, wird in einer vertieften Besprechung von Rechtsanwalt Dirk Stiller im FAZ-Einspruch in Frage gestellt. Beachtlich seien auch weiterhin Satzungsbestimmungen, sodass bei einer Veräußerung schon "aus Vorsichtsgründen" ein notarieller Gesellschafterbeschluss eingeholt werden sollte.

LVerfG S-A zu polizeilicher Kennzeichnungspflicht: Die im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt eingeführte Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Großeinsätzen ist nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichts verfassungsgemäß. Ein etwaiger Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beamten würde hinter dem allgemeinen Interesse an der Aufklärung möglicher Pflichtverletzungen zurücktreten, schreibt lto.de über die Entscheidung.

VerfG Hamburg zu Volksbegehren: Das Hamburgische Verfassungsgericht hat das "Volksbegehren gegen den Pflegenotstand" für unzulässig erklärt. In Entsprechung des Antrags des rot-grünen Senats der Hansestadt hätte das Gericht die mehrfache Überarbeitung des Textes des Begehrens, einen Verstoß gegen das Kopplungsverbot sowie die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Landes moniert, berichtet die taz-Nord (Sven-Michael Veit). Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Entscheidung in einem Kommentar. Auch bei einem legitimen Ziel dürften vereinbarte Regeln nicht einfach außer Acht gelassen werden. Die Modalitäten einer direkten Bürgerbeteiligung seien "nicht in Stein gemeißelt. Aber sie gelten."

OLG Köln zu Check24: Die im Online-Portal Check24 unternommene Listung von Angeboten der HUK Coburg-Versicherung stellt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln eine unzulässige vergleichende Werbung dar. Weil HUK nicht mit dem Portal kooperiere, würden deren Policen in Übersichten jeweils am Ende und ohne Preisangaben und Abschlussmöglichkeit aufgeführt, erläutert lto.de. Damit – so das OLG in der nun bekannt gewordenen Entscheidung vom 12. April – seien Angebote der HUK von vornherein vom Vergleich ausgeschlossen.

OVG Sachsen zu Kopfnoten: Die sogenannten Kopfnoten auf Zeugnissen sächsischer Schüler sind nach einem Eilbeschluss des Oberverwaltungsgerichts des Freistaats vom Ende des vergangenen Monats zulässig. Zwar berührten die Beurteilungen von Betragen, Fleiß usw. die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berufswahl der Schüler, so Rechtsanwältin Sibylle Schwarz (community.beck.de) über die Entscheidung, dies jedoch in einem geringeren Maße als Leistungsnoten. Daher habe sich der Gesetzgeber mit einer Verweisung der Zuständigkeit der Entscheidung über die Aufnahme der Kopfnoten an die Schulverwaltung begnügen dürfen.

LG Göttingen zu Verleumdungsvorwurf: Vor dem Landgericht Göttingen ist der stellvertretende Vorsitzende der örtlichen Jüdischen Gemeinde mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Journalisten Andreas Zumach gescheitert. Der vom taz-Autor Zumach erhobene Vorwurf einer Verleumdung durch den Antragsteller entspreche als Wertung dem durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gesetzten Rahmen, berichtet die taz (Stefan Reinecke/Reimar Paul) über die Entscheidung. Die Auseinandersetzung hatte ihren Ausgang in einer Preisverleihung an einen Verein genommen, der der sogenannten BDS-Bewegung nahestehen soll. Gegen diese richteten sich auch Gesetzentwürfe verschiedener Fraktionen, die der Beitrag im Weiteren vorstellt.

LG Hamburg – Elbchaussee: Das Landgericht Hamburg wird nicht - wie ursprünglich geplant – am nächsten Freitag ein Urteil gegen fünf Angeklagte wegen deren mutmaßlicher Beteiligung an Ausschreitungen in der Elbchaussee im Rahmen des G20-Gipfels fällen. Angesichts einer komplizierten Beweislage und weiterem Aufklärungsbedarf sei mit einer Entscheidung frühestens im September zu rechnen, schreibt die SZ (Thomas Hahn).

LG Augsburg – Umsatzsteuerbetrug: Als Mitglied einer internationalen Bande soll ein vor dem Landgericht Augsburg Angeklagter den deutschen Fiskus um 60 Millionen Euro Umsatzsteuer geprellt haben. Das Hbl (Sönke Iwersen u.a.) nimmt den Fall zum Anlass eines Titelthemas, das die Mechanismen eines europaweit agierenden Netzes von Steuerbetrügern beschreibt.

StA Stuttgart – Porsche: Wegen fahrlässiger Verletzung seiner Aufsichtspflicht muss Porsche ein Bußgeld von 535 Millionen Euro zahlen. Der Autoproduzent habe durch sein Pflichtversäumnis bei Dieselmotoren, die von der Konzernschwester Audi bezogen wurden, einen Stickoxid-Ausstoß, der "nicht den regulatorischen Anforderungen" entsprach, begünstigt, berichten FAZ (Susanne Preuß) und SZ (Stefan Mayr) über den von der Staatsanwaltschaft Stuttgart erlassenen Bußgeldbescheid, gegen den Porsche kein Rechtsmittel einlegen wolle. Der weitaus größte Teil des Bußgeldes solle die wirtschaftlichen Vorteile der Pflichtwidrigkeit abgelten. 
Im Leitartikel erinnert Susanne Preuß (FAZ) daran, dass der Dieselskandal schon lange kein exklusives VW-Problem mehr ist. Mit ihrer jetzigen Gewinnabschöpfung habe die Staatsanwaltschaft Maßstäbe gesetzt, an denen sich die "beiden Vorzeigeunternehmen" Daimler und Bosch demnächst orientieren könnten.

StA Krefeld – Colonia Dignidad: Die Staatsanwaltschaft Krefeld stellt das seit fast acht Jahren betriebene Ermittlungsverfahren gegen den früheren Arzt der Colonia Dignidad-Siedlung ein. Die Ermittlungen hätten keine konkreten Hinweise auf eine Mitwirkung des Mannes an Straftaten ergeben, berichten SZ (Peter Burghardt) und lto.de.

Recht in der Welt

EuGH – Griechenland: Ein in Griechenland für Mönche geltendes Verbot, sich als Rechtsanwalt eintragen zu lassen, ist nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unionsrechtswidrig. Ob darüber hinaus die Ausübung des Berufs durch nationale Berufs- und Standesregeln eingeschränkt werden darf und eine solche Bestimmung insbesondere verhältnismäßig ist, müsse noch vom vorlegenden griechischen Gericht geklärt werden, berichtet lto.de.

Sonstiges

"Prüffall": Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz prüft auf verfassungsblog.de den rechtlichen Gehalt des von der AfD angekündigten Vorgehens gegen Äußerungen von Staatssekretären, in denen sie als "Prüffall" bezeichnet wurde. Angesichts des unstreitigen Prüfvorgangs beim Verfassungsschutz räumt der Autor Rechtsmitteln keine große Chance ein.

"Rechtsbruch": Auf einer Veranstaltung in Berlin stellten Maximilian Steinbeis und Stephan Detjen ihr Buch "Die Zauberlehrlinge: Der Streit um die Flüchtlingspolitik und der Mythos vom Rechtsbruch" in einer Diskussionsrunde vor. Bezüglich der "eigentlichen Rechtsfrage" habe unter den Teilnehmern weitgehend Einigkeit bestanden, berichtet die SZ (Gustav Seibt). Der Topos vom "Rechtsbruch" bzw. der "Herrschaft des Unrechts" habe sich aber etablieren können, weil die Bundesregierung ihr Handeln im Herbst 2015 niemals zusammenhängend erklärt hätte.

Demokratie: In seiner Kolumne für den FAZ-Einspruch zeigt sich der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof besorgt über den Zustand der Demokratie. Die "durch Entscheidungen überzeugende Politik" drohe "in eine Werbeagentur abzugleiten", wenn sie nicht mehr überzeuge, "sondern durch schönende Gesetzestitel zu blenden" versuche und also Stimmungsmache betreibe.

Das Letzte zum Schluss

DSGVO-Chaos? Auch ein knappes Jahr nach Anwendungsbeginn der Datenschutzgrundverordnung ist das vielfach prognostizierte Chaos weitgehend ausgeblieben. Probleme und Unverständnis bei der Anwendung existieren aber nach wie vor, wie von spiegel.de (Markus Böhm) zusammengestellte Beispiele belegen. So berichteten Datenschutzbehörden über Anrufe mit der Bitte um Tischreservierungen: häufig sei die Nummer der Behörde die einzige Telefonnummer, die auf Webseiten zu finden ist.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2019: Geburtstag für das Grundgesetz / Beamte und Rechtsanwälte / Verfassungsgericht gegen Volksbegehren . In: Legal Tribune Online, 08.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35249/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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