Die juristische Presseschau vom 7. August 2019: "Som­mer­mär­chen" auf der Ankla­ge­bank / Nach­bes­sern beim Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz? / Gefilmte Poli­zisten

07.08.2019

Die Schweizer Bundesanwaltschaft stellt ihre Anklage wegen ominöser Millionenzahlung fertig. Außerdem in der Presseschau: Braucht das zwei Jahre alte NetzDG eine Nachbesserung? Darf man Polizisten filmen? Und Selbsthilfetipps gegen Angler. 

Thema des Tages

"Sommermärchen"-Anklage: Zwei ehemalige Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ein ehemaliger Generalsekretär des Verbandes sowie ein ehemaliger Generalsekretär des Internationalen Fußball-Verbandes FIFA sind von der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen arglistiger Täuschung angeklagt worden. Den Funktionären werde vorgeworfen, den tatsächlichen Zweck einer Zahlung von 6,7 Millionen Euro im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 verschleiert und so betrogen zu haben, schreibt die FAZ (Michael Ashelm). Das Ermittlungsverfahren gegen Franz Beckenbauer, die eigentliche Zentralgestalt der zweifelhaften Zahlung, war zuvor aus Gesundheitsgründen abgetrennt worden. Hiergegen wenden sich die Betroffenen ebenso wie gegen die Anklage im Allgemeinen. Eine etwaige Strafbarkeit bestünde, wenn überhaupt, nur in Deutschland, erklärte etwa der Anwalt des früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. So stehe zu vermuten, dass die Anklage nur einer möglichen Verjährung vorbeugen solle. Die Verhandlung werde am Bundesstrafgericht in Bellinzona stattfinden. SZ (Thomas Kistner) und Hbl (René Bender/Sönke Iwersen) berichten ebenfalls. Bundesanwalt Michael Lauber ist nach mehreren unprotokollierten Treffen mit dem FIFA-Präsidenten Gianni Infantino vom Fall abgezogen worden. Er muss sich zudem einer Disziplinaruntersuchung wegen des Verdachts der Verletzung der Amtspflicht stellen, schreibt die FAZ (Johannes Ritter) in einem Porträt des Anklägers.

Für Thomas Kistner (SZ) belegt gerade der Umstand, dass der Vorwurf der Geldwäsche fallengelassen wurde, dass die Bundesanwaltschaft sich nie ernsthaft mit dem Zweck der Zahlung auseinandergesetzt habe. Offenbar solle nun "die Sache endlich vom Tisch" kommen. Auch Reinhard Müller (FAZ) bezweifelt im Leitartikel, dass die jetzige Anklage neue Erkenntnisse zu Tage fördern könne. Selbstverständlich besitze die fragliche Zahlung "ein Geschmäckle". Dies aber habe sie gemein mit dem "ganzen Zirkus der Vergabe von sportlichen Großveranstaltungen".

Rechtspolitik

NetzDG: Nach einer dem Hbl (Moritz Koch/Dietmar Neuerer) vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage hat das Bundesamt für Justiz bislang 31 Verfahren gegen Anbieter von Onlinenetzwerken auf Grundlage des knapp zwei Jahre alten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) eingeleitet. Die allermeisten dieser Fälle befänden sich in der Anhörungsphase, nur gegen Facebook sei bislang ein noch nicht rechtskräftiger Bußgeldbescheid erlassen worden. Eine Evaluierung des NetzDG, über die nachgedacht worden sei, stehe noch aus, nach Ansicht der Opposition verzögere die Regierung hier unnötig, obwohl Verbesserungsvorschläge, etwa in Gestalt einer Auskunftspflicht der Plattformen gegenüber Behörden, längst auf dem Tisch lägen.

Spitzenkandidatensystem: Die Studentin Natalia Loyola Daiqui (juwiss.de) stellt die rechtlichen Grundlagen des Spitzenkandidaten-Verfahrens bei Europawahlen vertieft dar und entwickelt darauf aufbauend Vorschläge für eine vertragskonforme Anpassung.

Gemeinnützigkeit: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom Januar kann die Nichtregierungsorganisation Attac für sich nicht mehr Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen. Der SWR Radioreport Recht (Bernd Wolf) erinnert an die Entscheidung und stellt den aktuellen Stand der Bemühungen um eine Reform der entsprechenden Gesetze vor.

Justiz

BGH zu Altersgrenze bei Notaren: Die in der Bundesnotarordnung festgelegte Altersgrenze von 60 Jahren gilt weiterhin für neuzugelassene Notare und ist insbesondere auch nicht wegen der 2009 eingeführten Fachprüfung hinfällig. Eben dies hatte die Klägerin eines vom Bundesgerichtshof Ende Mai entschiedenen und nun veröffentlichten Falls behauptet. lto.de berichtet.

BGH zu Flugverspätungen: Von einer Flugverspätung betroffene Reisende können von der verantwortlichen Fluggesellschaft über pauschale Entschädigungszahlungen hinaus keinen zusätzlichen Schadensersatz verlangen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in zwei Verfahren, über deren Ausgang SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung) und tagesschau.de (Klaus Hempel) berichten.

BGH zu Mietverordnungen: Über das nun veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs zur Nichtigkeit der hessischen Mietpreisbremse wegen fehlender Begründung berichtet nun auch lto.de ausführlich.

BFH zu Hotelsteuer: Nach einer von der FAZ (Timo Kotowski) berichteten Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist ein jahrelanger Streit zwischen Finanzämtern und Reiseunternehmen zugunsten Letzterer beendet worden. Die Veranstalter müssen bei der Unterbringung von Kunden in Hotelzimmern, die selbst lediglich angemietet werden, keine Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer hinnehmen.

BAG zu Urlaubsanspruch: Im Februar urteilte das Bundesarbeitsgericht zu den Informationspflichten von Arbeitgebern bezüglich nicht genommenen Urlaubs ihrer Arbeitnehmer. Rechtsanwalt Volker Voth (efarbeitsrecht.net) analysiert den nun vorliegenden Volltext der Entscheidung und leitet hieraus praktische Umsetzungshinweise ab.

OLG Frankfurt/M. – Bilanzskandal: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat im Musterverfahren zu möglichen Bilanzmanipulationen beim Möbelkonzern Steinhoff nun den Musterkläger bestimmt. Das somit offiziell eröffnete Verfahren kann damit am 18. Dezember beginnen, meldet die FAZ (Marcus Jung).

OLG Celle zu VW-Diesel: Nach einem nun veröffentlichten Beschluss des Oberlandesgerichts Celle aus dem Juli kann sich ein VW-Diesel-Käufer nicht auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Autokonzerns berufen. Die FAZ (Marcus Jung) schreibt, dass der unterlegene Kläger sein Diesel-Fahrzeug erst nach der Information der Öffentlichkeit über technische Manipulationen von Diesel-Autos erworben hatte.

LG Fulda – Bahn-Unglück: Wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen müssen sich vier Angeklagte vor dem Landgericht Fulda verantworten. Wie die FAZ (Julian Staib) schreibt, sollen es die Angeklagten im Februar 2010 unterlassen haben, einen Bahnsteig am örtlichen Bahnhof ordnungsgemäß zu räumen. Mutmaßlich wegen Glätte kam eine Sechzehnjährige zu Fall und wurde im Anschluss von einem Zug überrollt.

AG Kassel – Aufnehmen der Polizei: Das Amtsgericht Kassel wird sich demnächst mit der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Beschlagnahmung eines Smartphones befassen. Durch die Maßnahme sollten Aufnahmen eines Polizeieinsatzes bei einer gegen Neonazis gerichteten Demonstration verhindert werden, erläutert die taz (Christian Rath). Die Polizei sieht in der Aufnahme - wegen der Tonspur - eine Straftat nach § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Worts). Sie versuche auf diesem Weg eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 zum Kunsturhebergesetz zu unterlaufen, weil dort das bloße Filmen erlaubt worden war.

VG Stuttgart – Zwangshaft: Wegen angeblich mangelhafter Umsetzung eines Urteils zu Fahrverboten für bestimmte Diesel-Fahrzeuge hat die Deutsche Umwelthilfe beim Verwaltungsgericht Stuttgart beantragt, Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung in Zwangshaft zu nehmen. Dies berichten lto.de und bild.de.

StA Magdeburg – Brandanschlag: Im vergangenen Februar wurde die Wohnung einer syrischen Familie in Magdeburg durch einen Brandanschlag zerstört. In einer Seite-3-Reportage beschreibt die SZ (Annette Ramelsberger), wie bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein mögliches rechtsextremes Tatmotiv konsequent ausgeblendet wurde.

Recht in der Welt

Schweiz – Richterliche Unabhängigkeit: Eine Verfassungsinitiative versucht in der Schweiz, den politischen Einfluss bei der Besetzung von Richterstellen zurückzudrängen. Bislang werde bei der Besetzung offener Stelle "penibel" darauf geachtet, dem parteimäßigen Proporz analog zur Sitzverteilung in beiden Parlamentskammern zu entsprechen, schreibt die FAZ (Johannes Ritter). Ernannte Richter hätten darüber hinaus auch eine sogenannte Mandatssteuer an ihre jeweilige Partei abzuführen.

Italien – Seenotrettung: Der italienische Senat hat ein Gesetz beschlossen, das die Arbeit privater Seenotretter erschweren soll. Vorgesehen sind etwa drastisch erhöhte Geldstrafen für das Ignorieren von Hafenschließungen, wie u.a. SZ (Oliver Meiler) und lto.de berichten. Kritiker bezweifelten die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen.

Russland – Demonstranten: Im Zuge der juristischen Aufarbeitung der jüngsten regierungskritischen Demonstrationen in Russland hat die Moskauer Staatsanwaltschaft beantragt, einem Elternpaar das Sorgerecht für den gemeinsamen einjährigen Sohn zu entziehen. spiegel.de schreibt, dass die Eltern nach Ansicht der Anklagebehörde ihr Kind einer Gefahr ausgesetzt hätten, als sie es während einer Demonstration an "eine dritte Person" weitergereicht hätten.

Türkei – Terrorpropaganda: Wegen vermeintlicher Terrorpropaganda ist ein Deutscher bei der Einreise in die Türkei festgenommen worden. Dem in Untersuchungshaft Sitzenden werden Einträge in Sozialen Netzwerken zur Last gelegt, schreibt die SZ (Reiko Pinkert/Christiane Schlötzer).

Juristische Ausbildung

Staatsexamen: In der Diskussion über eine mengenmäßige Verringerung des Examensstoffs lässt lto.de (Sabine Olschner) Rechtsprofessoren, Repetitoren, Studenten und einen Neurowissenschaftler zu Wort kommen.

Sonstiges

Rechtsbruch? Für den FAZ-Einspruch bespricht Rechtsanwalt Andrew Hammel "Die Zauberlehrlinge" von Maximilian Steinbeis und Stephan Detjen, das den vermeintlichen Rechtsbruch bei der Bewältigung der sogenannten Flüchtlingskrise behandelt. Das "Plädoyer für die Legalität der Flüchtlingspolitik" überzeuge dort nicht, wo der Streit über die Rechtmäßigkeit des Umgangs mit der Situation im Jahr 2015 als "gefährlicher und bösartiger Angriff auf den Rechtsstaat" überzeichnet werde. In ihrer Rückschau unterließen die Autoren zudem, "eine funktionierende europäische Asylpolitik" zu beschreiben.

Frontex: Über die gegen die EU-Behörde Frontex erhobenen Vorwürfe schreibt nun auch zeit.de (Veronika Völlinger) in einer Analyse.

Das Letzte zum Schluss

"… der werfe den ersten …": Auf der Homepage der Tierrechtsorganisation PETA finden sich praktische Tipps für den Umgang mit Anglern. Unter anderem wird vorgeschlagen, nach dem Fischereiausweis zu fragen oder auch in der Nähe des fischenden Naturfreundes Steine ins Wasser zu werfen. Aktivisten könnten sich hierbei aber an der Grenze zur Nötigung bewegen, gibt bild.de (Stefan Netzebandt) zu bedenken.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. August 2019: "Sommermärchen" auf der Anklagebank / Nachbessern beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz? / Gefilmte Polizisten . In: Legal Tribune Online, 07.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36915/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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