Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2025: Zweite-Wahl-Kanzler Merz / BGH kas­siert Cannabis-Frei­spruch / Kritik an Pro­zess­fi­nan­zie­rern

07.05.2025

Der Bundestag hat im zweiten Wahlgang Friedrich Merz (CDU) doch noch zum Bundeskanzler gewählt. Der BGH hob den viel-kritisierten Freispruch eines Cannabis-Großimporteurs auf. Schaden Prozessfinanzierer mehr als sie nützen? 

Thema des Tages

Kanzlerwahl: Im zweiten Wahlgang hat der Bundestag Friedrich Merz (CDU) zum Bundeskanzler gewählt. Bei der ersten Abstimmung am Vormittag brachte die neue schwarz-rote Regierungsmehrheit im Parlament statt der erforderlichen 316 Stimmen lediglich 310 Stimmen zusammen. Laut Art. 63 Abs. 3 GG galt nun: "Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen." Unklar war zunächst, ob ein erneuter Wahlgang noch am selben Tag möglich ist. Ein Kurzgutachten der Bundestagsverwaltung brachte dann Klarheit. Da für den erneuten Wahlvorschlag gem. § 75 GO-BT eine dreitägige Verteilfrist gilt, hätte eigentlich erst am Freitag wieder gewählt werden können. Gem. § 126 GO-BT könne jedoch mit Zwei-Drittel-Mehrheit von Geschäftsordnungs-Regeln abgewichen werden. Nach Verhandlungen stellten dann CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke einen entsprechenden gemeinsamen Antrag, dem letztlich alle Fraktionen, auch die AfD, zustimmten. Im nun möglichen zweiten Wahlgang stimmten am Nachmittag 325 Abgeordnete für Merz. Er nahm die Wahl an und wurde im Anschluss auch vom Bundespräsidenten ernannt. Die Vereidigung der Kabinettsmitglieder, inklusive Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), folgte. LTO schilderte den Ablauf der Wahl und die auftretenden rechtlichen Probleme.

Rechtspolitik

Symbole im Parlament: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Adil Demirkol und Benjamin Rasidovic bemängeln im Verfassungsblog, dass es für die Verwendung von Symbolen durch Abgeordnete im Bundestag weder verfassungsrechtliche Regeln noch eine einheitliche Methodik der Auslegung gebe. Es bestehe die Gefahr willkürlicher Zuschreibungen und von Ordnungsmaßnahmen nach politischer Opportunität. Anlass des Artikels ist der Protest von CDU/CSU-Abgeordneten gegen das Palästinensertuch einer Linken-Abgeordneten.

Justiz

BGH zu Cannabis-Handel/Encrochat-Daten: Durch ein noch nicht veröffentlichtes Urteil hat der Bundesgerichtshof in der vergangenen Woche den Freispruch eines Angeklagten aufgehoben, dem vorgeworfen worden war, rund 450 Kilogramm Marihuana illegal eingeführt zu haben. Das Landgericht Mannheim wird nun erneut über die Sache entscheiden. Es hatte den Angeklagten im April des vergangenen Jahres freigesprochen, weil es die Voraussetzungen einer Verwertung von Encrochat-Daten nach der gesetzgeberischen Teil-Legalisierung für nicht mehr einschlägig gehalten hatte. Der jetzt entscheidende 1. Strafsenat des BGH dürfte sich an einem Urteil des 5. BGH-Strafsenats vom Januar orientiert haben, mutmaßt LTO (Hasso Suliak). In dieser Entscheidung wurde auf den – vor der Teil-Legalisierung liegenden - Zeitpunkt der Anforderung der Encrochat-Daten abgestellt.

BVerfG zu später Entscheidungsbegründung: In einem jetzt veröffentlichten Beschluss wies das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Journalisten ab, der sein Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt sah. Der Beschwerdeführer hatte gerügt, dass ihn die verzögerte Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe im einstweiligen Rechtsschutz daran hindere, sein Rechtsmittel in einem presserechtlichen Verfahren zu begründen. Das BVerfG hält es zwar für möglich, dass eine verzögerte Entscheidungsbegründung, gerade in Eilverfahren, Rechte beeinträchtigen kann. Der Beschwerdeführer habe aber nicht substanziiert dargelegt, warum er die Begründung der Eil-Entscheidung benötige, um Rechtsmittel dagegen einzulegen. beck-aktuell berichtet.

BGH zu Tod von Hanna Wörndl/Befangenheit: Über die Anfang April erfolgte Aufhebung der Verurteilung im sogenannten Eiskeller-Fall durch den Bundesgerichtshof schreibt nun auch die Welt (Christoph Lemmer). Der "Justizskandal" am Landgericht Traunstein beruhte auf E-Mails zwischen dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, in denen ohne Kenntnis der übrigen Prozessbeteiligten die rechtliche Würdigung besprochen wurde und aus denen der Beitrag zitiert.

BVerwG zu Füllgewicht von Wurst: Die bei Wurstverpackungen vorhandenen nicht essbaren Bestandteile wie z.B. die Wurstpelle und Verschlussclips dürfen bei der Angabe des Gewichts nicht berücksichtigt werden. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht zugunsten einer nordrhein-westfälischen Landesbehörde, deren Untersagungsverfügung vom Oberverwaltungsgericht Münster noch aufgehoben worden war. Das BVerwG berief sich auf Mess- und Eichgesetz sowie die Fertigpackungsverordnung in Verbindung mit der EU-Lebensmittelinformationsverordnung von 2014. LTO berichtet.

OLG Düsseldorf – Messermorde von Solingen: Ab dem 27. Mai muss sich Issa Al Hasan vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen dreifachen Mordes, zehnfachen versuchten Mordes sowie der Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation verantworten. Wegen des Anschlags von Solingen vom vergangenen August hat das OLG 22 Verhandlungstage angesetzt, so die FAZ (Reiner Burger).

OVG Lüneburg zu Dienstentfernung eines JVA-Beamten: Mit Urteil von Ende April bestätigte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Dienstentfernung eines Beamten einer Justizvollzugsanstalt. Im Rahmen von Ermittlungen in einer anderen Angelegenheit wurde bei ihm eine illegale Schusswaffe sichergestellt und zudem waren auch private Aufnahmen eines Häftlings gefunden worden. Hierdurch sei ein Ansehens- und Achtungsverlust sowohl gegenüber Strafgefangenen als auch der Allgemeinheit eingetreten, dem nur mit der Dienstentfernung begegnet werden könne, so das Gericht laut beck-aktuell.

VG Köln - Einstufung der AfD: taz.de (Christian Rath) schildert, dass das Verwaltungsgericht Köln schon in wenigen Tagen einen Hängebeschluss verkünden könne, wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz bis zur Entscheidung im Eilverfahren seine Einstufung der AfD als "gesicherte rechtsextremistische Bestrebung" vorläufig aussetzen müsse. Auch im Verdachtsfall-Verfahren habe das VG Köln 2021 einen derartigen Hängebeschluss gefasst, der rund ein Jahr in Kraft war. 

LG Verden zu Bitcoin-Herausgabe: Weil sie keine beweglichen Sachen sind, können Bitcoins nicht nach § 111n Strafprozessordnung an den Geschädigten einer Straftat herausgegeben werden. Der Anspruchsteller muss vielmehr auf ein rechtskräftiges Urteil warten. Dies entschied nach einem Bericht von beck-aktuell (Joachim Jahn) das Landgericht Verden mit Beschluss von Mitte April. Der Anspruchsteller hatte Hackern ein Lösegeld in Kryptowährung geleistet und nun versucht, das teilweise sichergestellte Kryptogeld zurückzuerlangen. Dies blieb erfolglos, weil es sich bei Kryptowerten "um digitale Vermögenswerte ohne Sachqualität" handele, so das Gericht.

LG Verden – Daniela Klette: Im Strafverfahren gegen Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette beschrieb ein Zielfahnder dem Landgericht Verden die Umstände ihrer Festnahme. Die Angeklagte habe sich gefasst gezeigt und kooperativ verhalten, ihre vornehmlichste Sorge habe dem Verbleib ihres Hundes gegolten. taz (Nadine Conti) und bild.de (Corinna Perrevoort) berichten.

LG Frankfurt/M. - "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im Verfahren um eine mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang der Fußball-WM 2006 legte der Anwalt des DFB die Ansicht des Verbandes dar. Es sei letztlich egal, in welchem Jahr die nach Katar geflossene Zahlung verbucht wurde, weil Steuern unter keinen Umständen verkürzt worden seien, so der Anwalt. Das Gericht wird dieser Argumentation aber wohl nicht folgen, so das Resümee der SZ (Johannes Aumüller). Damit dürfe abzusehen sein, dass dem DFB eine Geldbuße drohe. Dies habe negative Auswirkungen für die vom DFB am Finanzgericht Kassel angestrengte Klage, bei der die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Verbands angefochten werden soll.

AG Dortmund zu Fahrverbot/WhatsApp-Zeugenaussage: In einer verkehrsrechtlichen Bußgeldsache sah das Amtsgericht Dortmund von der eigentlich zwingenden Verhängung eines Fahrverbots ab, weil die hiermit verbundenen Folgen für den Betroffenen und dessen Arbeitgeber unverhältnismäßig gewesen wären. Die Beweiserhebung zu diesem Punkt gestaltete sich nach dem Bericht von beck-aktuell ungewöhnlich: Der Chef des Betroffenen wurde per WhatsApp-Videoanruf vernommen, was das Gericht als audiovisuelle Vernehmung des Zeugen nach § 247a Strafprozessordnung wertete.

StA Köln – Kardinal Woelki: Die Staatsanwaltschaft Köln hat ihre Ermittlungen gegen Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Der Kardinal habe sich in einer Versicherung an Eides statt zwar "objektiv unzutreffend" über den Zeitpunkt seiner Kenntnis über Missbrauchsvorwürfe gegen einen Sternsinger-Funktionär geäußert. Ihm sei jedoch "kein vorsätzliches, sondern allein fahrlässiges Fehlverhalten" vorzuwerfen, weil er sich möglicherweise falsch erinnerte. FAZ (Thomas Jansen) und SZ berichten.

StA München - MdEP Petr Bystron: Das Europaparlament hat sich mehrheitlich für die Aufhebung der Immunität des deutschen Europaabgeordneten Petr Bystron (AfD) ausgesprochen. Die von der Münchner Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen wegen des Verdachts u.a. von Steuerhinterziehung können damit fortgesetzt werden. FAZ und SZ berichten.

Recht in der Welt

EGMR/Griechenland – Push-Backs: Aus Anlass der Anfang des Jahres ergangenen Verurteilung Griechenlands wegen sogenannter Push-Backs an der Grenze zur Türkei schreibt der wissenschaftliche Mitarbeiter Leonard Nalbantis auf dem JuWissBlog über die hohen Beweisanforderungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So hänge effektiver Menschenrechtsschutz oftmals von Zufällen ab. Sinnvoller wäre es, der "jahrzehntelang menschenrechtswidrigen" Praxis von Push-Backs mit Vertragsverletzungsverfahren innerhalb der EU zu begegnen.

Dänemark – Block-Kinder: In der vergangenen Woche sprach ein dänisches Familiengericht dem dänischen Ex-Mann der deutschen Unternehmertochter Christina Block das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen minderjährigen Kinder zu. Christina Block wurde auch das Umgangsrecht entzogen, so die FAZ.

USA – Maßnahmen gegen Großkanzleien: Die zwischen zahlreichen US-Großkanzleien und der Regierung geschlossenen Deals sind Thema eines Beitrags von Rechtsanwältin Clarissa Freundorfer im Recht und Steuern-Teil der FAZ. Soweit deutsche Zweigniederlassungen existieren, ist deren Tätigkeit hierzulande dem deutschen Berufsrecht zuzuordnen. Die zuständigen Kammern sollten angesichts der erheblichen Gefahren für die Unabhängigkeit der Anwaltschaft "aktiv werden", so die Vorständin des Deutschen Anwaltvereins.

Sonstiges

Prozessfinanzierer: Die Anwälte Stefan Engels und Thomas Gädtke setzen sich auf LTO kritisch mit dem Wirken von Prozessfinanzierern auseinander. Zwar hätten bisherige gesetzgeberische Versuche, die wirksame Durchsetzung von Verbraucheransprüchen in Massenverfahren zu ermöglichen, nicht den erwünschten Effekt gezeigt. Die massenhafte Abtretung von Ansprüchen an Finanzierungsgesellschaften werfe jedoch ihrerseits Probleme auf, die von der Überlastung von Gerichten bis hin zu Risiken für die Unmittelbarkeit des Zivilprozesses reichten. Die erst kürzlich eingetretene Insolvenz des Anbieters RightNow offenbare darüber hinaus ein Regulierungsdefizit.

Chancen-Aufenthaltsrecht: Drei Jahre nach Einführung des sogenannten Chancen-Aufenthaltsrechts durch die Ampel-Koalition zieht die Welt (Ricarda Breyton) ein gemischtes Fazit. In Anspruch genommen wurde der neue Status von gut 80.000 Ausländer:innen, von diesen hätten rund 15.000 mittlerweile ein reguläres Bleiberecht. Der im Beitrag zitierte Leiter der Berliner Ausländerbehörde bemängelt dagegen den erheblichen administrativen Aufwand.

AfD-Einstufung: Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterhin die Veröffentlichung des 1100-seitigen Gutachtens mit belastenden Aussagen von AfD-Funktionär:innen verweigert, kursiert jetzt ein 17-seitiger Auszug mit 37 Belegen aus öffentlich zugänglichen Fundstellen. Der Auszug dokumentiert insbesondere Aussagen des Spitzenpersonals der Partei, die deren "ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff" belegen sollen. Hbl (Dietmar Neuerer) und zeit.de (Tilman Steffen) berichten.

Über die Folgen der neuen AfD-Einstufung im Beamtenrecht, im Waffenrecht sowie für ein Verbotsverfahren spricht SWR-RadioReportRecht (Max Bauer) mit Rechtsprofessor Markus Ogorek. 

AfD-Mitglieder im Staatsdienst: Allein eine AfD-Mitgliedschaft verhindere weder per se eine Einstellung in den öffentlichen Dienst noch führe sie zwingend zu dienstrechtlichen Konsequenzen bei Beamt:innen. Sollten Zweifel an der Verfassungstreue von Beamt:innen wegen ihres politischen Engagements aufkommen, kann gegen sie aber ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Dabei müssten einfache AfD-Mitglieder allenfalls mit einem Tadel oder einer Kürzung ihrer Dienstbezüge rechnen. Nur herausgehobene AfD-Kader mit besonders extremistischen Tendenzen müssten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen. zdf.de (Charlotte Greipl) berichtet.

Verbotener Verein: Die im September 2011 vom Bundesinnenministerium wegen ihrer Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus verbotene "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" ist nach wie vor im Vereinsregister beim Amtsgericht Frankfurt/M. geführt. Das im Dezember 2012 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Verbot sei im Register aufgrund eines "Büroversehens" nicht vermerkt worden, teilte das Ministerium der FAZ (Jochen Zenthöfer) mit.

Vertrauen in den Rechtsstaat: Deutsche stehen ihrem Rechtsstaat grundsätzlich positiv gegenüber, zweifeln jedoch an der Effizienz von Gerichten. Zu diesen und anderen Erkenntnissen gelangt eine in mehreren Staaten im Auftrag des Rechtsschutzversicherers Arag durchgeführte Umfrage. Über die Ergebnisse, auch im internationalen Vergleich, schreibt LTO.

 

Das Letzte zum Schluss

Untreue Katze: Auch in der Schweiz sind sich viele Nachbar:innen nicht grün: Weil sie ihrer Nachbarin deren Katze durch offenbar zielsicheres Anfüttern abspenstig machte, musste sich eine 68-Jährige wegen unrechtmäßiger Aneignung am Bezirksgericht Zürich verantworten. Vor dessen Urteilsspruch einigten sich die Katzenmütter jedoch per Vergleich. Die von der Katze verlassene Nachbarin zog ihren Strafantrag zurück und überließ das Tier ihrer Kontrahentin. spiegel.de berichtet.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2025: . In: Legal Tribune Online, 07.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57136 (abgerufen am: 24.05.2025 )

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