Die juristische Presseschau vom 6. September 2023: Lore Maria Peschel-Gut­zeit ver­s­torben / Encro­chat-Klärung ver­schoben / Etap­pen­sieg für Dozentin

06.09.2023

Am Wochenende verstarb im Alter von 90 Jahren eine juristische Kämpferin für Gleichberechtigung. Ob Encrochat-Daten verwertet werden dürfen, ist verfassungsrechtlich nach wie vor offen. Bahar Aslan siegt im Eilverfahren am VG Gelsenkirchen.

Thema des Tages

Lore Maria Peschel-Gutzeit: Am vergangenen Samstag verstarb die frühere Richterin und Rechtspolitikerin Lore Peschel-Gutzeit. Für die SPD war sie in den 1990er Jahren als Justizsenatorin sowohl in Hamburg als auch Berlin tätig, zuvor über mehrere Jahrzehnte als Familienrichterin in der Hansestadt. Dabei förderte Peschel-Gutzeit familienpolitische Anliegen wie das Recht auf Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst. Als zwischenzeitliche Vorsitzende prägte sie auch den Deutschen Juristinnenbund. In ihren letzten Lebensjahren arbeitete Peschel-Gutzeit in einer von ihr gegründeten Berliner Kanzlei mit einem familien- und erbrechtlichen Schwerpunkt. Nachrufe bringen LTO und die SZ (Annette Ramelsberger).

Rechtspolitik

Heizungsgesetz: Das sogenannte Heizungsgesetz (Gebäudeenergiegesetz) steht vor seiner Verabschiedung durch den Bundestag. Wie u.a. LTO berichtet, scheiterte die Parlamentsopposition mit einem Antrag, den entsprechenden Punkt von der Tagesordnung der Bundestagssitzung am Freitag zu streichen.

Rechte der Natur: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Helen Arling erklärt auf LTO das Konzept von Rechten der Natur und nennt internationale Beispiele. Weltweit einzigartig verleihe die Verfassung Ecuadors der Natur eigene Rechte, in Neuseeland oder Spanien dagegen sei bestimmten Ökosystemen einfachgesetzlich eine Rechtspersönlichkeit zuerkannt worden.

Digitale Dienste: netzpolitik.org (Tomas Rudl) fasst in einem ausführlichen Beitrag die  bislang bekannten Stellungnahmen von Fachverbänden zum Referentenentwurf des Digitale-Dienste-Gesetzes zusammen. Die "allermeisten" Verbände hätten sich für eine zentrale und "schlagkräftige" Plattformaufsicht ausgesprochen. Der Verein "HateAid" etwa halte das Bundesamt für Justiz für diesbezüglich geeignet.

Justiz

BVerfG zu Encrochat-Daten: Die Verwertbarkeit sichergestellter Encrochat-Daten bleibt weiterhin verfassungsrechtlich ungeklärt. Wie nun veröffentlicht wurde, hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor einem Monat mehrere Verfassungsbeschwerden zum Thema nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführenden hätten die behauptete Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht hinreichend dargetan, so LTO über einen der nun veröffentlichten Nichtannahmebeschlüsse. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung etwa des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten nach der Grundrechts-Charta der Europäischen Union sei der Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt. Aktuell seien aber noch weitere fünf Verfassungsbeschwerden zur Frage der Verwertbarkeit der Daten in Karlsruhe anhängig. Außerdem hat das LG Berlin den EuGH eingeschaltet.

VG Gelsenkirchen zu Bahar Aslan: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat dem Eilantrag der Pädagogin Bahar Aslan stattgegeben und damit die aufschiebende Wirkung ihrer Hauptsacheklage wiederhergestellt. Aslan dürfe damit grundsätzlich wieder an der nordrhein-westfälischen Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung unterrichten, so zeit.de (Christian Parth) und LTO (Franziska Kring). Zwar ließen Formulierungen des beanstandeten Tweets Aslans tatsächlich daran zweifeln, ob sie die für einen Lehrauftrag im Fach Interkulturelle Kompetenz notwendige Sensibilität besitze. Gleichwohl hätte die Hochschule bei der diesbezüglichen Eignungsprüfung auch für die Dozentin sprechende Aspekte in die erforderliche Abwägung einstellen müssen, so das VG. Es sei nicht ersichtlich, dass derartiges geschehen sei.

BGH zu Pfändung von Unternehmenskonten: Unternehmen können für die von ihnen genutzten Geschäftskonten auch dann keinen Pfändungsschutz in Anspruch nehmen, wenn die Pfändung Corona-Überbrückungshilfen betrifft. Als zweckgebundene geschützte Forderung sei die Hilfe zwar im Grundsatz nicht pfändbar, dies gelte aber nur bis zur Auszahlung. Ein weiterer Schutz, etwa im Wege einer Analogie zum Pfändungsschutzkonto finde nicht statt. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Beschluss bereits Mitte August. beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet.

KG Berlin – Spion im BND: Die SZ (Manuel Bewarder/Florian Flade u.a.) hat erfahren, dass der Generalbundesanwalt bereits Mitte August Anklage gegen den BND-Mitarbeiter Carsten L. beim Berliner Kammergericht erhoben hat. Ihm werde ebenso wie seinem mutmaßlichen Verbindungsmann zum russischen Geheimdienst FSB, Arthur E., Landesverrat in einem besonders schweren Fall vorgeworfen, strafbar mit Haft nicht unter fünf Jahren. Weil die nach Russland übermittelten Information einem Geheimschutz unterliegen, würde auch ein Prozess größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Hierbei dürfte auch zu klären sein, weshalb zahlreiche L. betreffende Warnsignale ignoriert wurden. So sei L. trotz nicht abgeschlossener Sicherheitsüberprüfung befördert worden – zum Verantwortlichen für Sicherheitsüberprüfungen des BND-Personals.

OLG Karlsruhe zu Auslieferung nach Großbritannien: Über den bereits im März ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, nach dem ein mutmaßlicher Drogendealer trotz internationalem Haftbefehl nicht nach Großbritannien ausgeliefert werden durfte, berichtet nun auch beck-aktuell (Joachim Jahn). Die vom Gericht von den britischen Behörden erbetenen Informationen hätten nicht sichergestellt, dass eine dortige Inhaftierung menschenwürdigen Mindeststandards genüge. In Großbritannien hat nun der Guardian über die Entscheidung berichtet.

Digitalisierung der Justiz: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ beschreibt Anne Groß, Präsidentin des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, die personellen Herausforderungen bei der Einführung der elektronischen Akte an deutschen Gerichten, insbesondere bei der Gewinnung von IT-Kräften. Potentiellen Neueinstellungen sollte vermittelt werden, dass die Arbeit für den Rechtsstaat "eine enorm sinnstiftende Aufgabe" sei. Um Grenzen bei der Bezahlung bzw. bei der Stellenbereitstellung durch den Haushaltsgesetzgeber zu umgehen, könne es sich anbieten, mit "Projektstrukturen" zu arbeiten. 

Recht in der Welt

Österreich – Florian Teichtmeister: Am Wiener Landesgericht für Strafsachen ist der Schauspieler Florian Teichtmeister wegen Besitzes und Herstellung von Kinderpornographie zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Im Verfahren hatte der Angeklagte die Vorwürfe, massenhaft Missbrauchsdarstellungen besessen und zum Teil mit sadistischen Kommentaren versehen zu haben, eingeräumt. Eine pädophile Neigung habe der Schauspieler nicht in Abrede gestellt, gleichzeitig aber auch eine ausgeprägte Pornografie- und Kokainsucht beschrieben und seine Therapiebereitschaft verdeutlicht. Es berichten u.a. spiegel.de (Julia Jüttner), SZ (Cathrin Kahlweit) und FAZ (Stephan Löwenstein).

Israel – Justizreform: Die taz (Hanno Hauenstein) interviewt die israelische Anwältin Yael Berda zum bevorstehenden Entscheid des Obersten Gerichts des Landes über die Verfassungsmäßigkeit der Aufhebung der sogenannten Angemessenheitsklausel. Sollte das Gericht gegen das zentrale Vorhaben der Justizreform entscheiden, stehe Israel vor einer Verfassungskrise. Die Anwältin sieht einen engen Zusammenhang zwischen der Besatzung palästinensischer Gebiete, dem israelischen Siedlungsprojekt und dem "Justizputsch".

Indien – Landesname: In Indien verdichten sich Gerüchte, nach denen die Regierung eine Umbenennung des Landes beabsichtigt. In einem offiziellen Einladungsschreiben für ein Staatsdinner im Zusammenhang des bevorstehenden G-20-Gipfels sei der von der hindunationalistischen Regierungspartei BJP bevorzugte Name "Bharat"  verwendet. In ihrer Ablehung des mit dem kolonialen Erbe verbundenen Namens Indien könne sich die BJP allerdings auf die Verfassung berufen, erläutert die FAZ (Till Fähnders). Deren Artikel laute: "Indien, d.h. Bharat, ist eine Staaten-Union."

Sonstiges

Hubert Aiwanger: Im Leitartikel bezeichnet Reinhard Müller (FAZ) die Flugblatt-Affäre des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) als ungeeignet für ein "Beispiel der Aufkündigung eines vermeintlichen gesellschaftlichen Konsenses." Auch wenn Aiwanger tatsächlich der Autor des "Pamphletes" sein sollte, disqualifizierte ihn dies nicht davon, "Jahrzehnte später" politische Verantwortung zu übernehmen. Derartiges wäre "eine härtere Konsequenz" als jene, die "zahlreiche Politiker und Wirtschaftsführer" der alten Bundesrepublik getragen hätten, "die jedenfalls mittelbar tatsächlich Verantwortung für Terror und Massenmord trugen." Die Betreffenden hätten sich durch "tätige Reue" beim Aufbau des demokratischen Rechtsstaats ausgezeichnet, eine Entschuldigung habe "man kaum je" von ihnen vernommen.

Jugendstrafrecht: Dem 100-jährigen Jubiläum des deutschen Jugendstrafrechts widmet der SWR-RadioReportRecht (Elena Raddatz/Max Bauer) seine dieswöchige Sendung, in der Strafzwecke erläutert und Entwicklungen nachgezeichnet werden.

Das Letzte zum Schluss

Sportbetrug: Die Strapazen eines Laufs über die volle Marathonstrecke wollten anscheinend nicht alle Teilnehmenden der Veranstaltung in Mexico-City auf sich nehmen. spiegel.de berichtet, dass eine nachträgliche Auswertung von Tracking-Chips ergeben habe, dass rund 11.000 Menschen der mehr als 30.000 ins Ziel Gelangten weniger als die klassischen 42,195 km gerannt sind. Mutmaßlich, um die Qualifikation für den renommierteren Boston-Marathon zu schaffen, wurde zwischenzeitlich in "U-Bahn, Bus oder das eigene Auto" umgestiegen.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52639 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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