Die juristische Presseschau vom 6. August 2013: Mammut-Urteil in der Türkei – BGH zu Pflichtangeboten – Falsche Geständnisse

06.08.2013

Ein Mammut-Verfahren in der Türkei endet mit hundertfachen Verurteilungen zu langen Haftstrafen. Außerdem in der Presseschau: Neuigkeiten aus und zu Europa, Geheimdienstbeauftragter zur Überwachung der Überwacher, BGH zu Pflichtangeboten, falsche Geständnisse in Schweden und heftiges Schmusen am Waschbecken.

Türkei Ergenekon: Nach fast fünf Jahren Prozessdauer hat ein türkisches Gericht am Montag unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen Urteile im Ergenekon-Verfahren gefällt. Laut Handelsblatt (Gerd Höhler) wurden von 275 Angeklagten 21 freigesprochen. Der weit überwiegende Rest, unter ihnen hochrangige Militärs, aber auch Politiker, Akademiker und Journalisten, sei zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Den mutmaßlichen Mitgliedern des Geheimbundes Ergenekon seien Umsturzpläne gegen die Regierung Erdogan vorgeworfen worden. Der Prozess gelte als Teil eines Machtkampfes zwischen der Regierung einer- und Militär und kemalistischer Elite andererseits.

Welt (Daniel Dylan Böhmer) beschreibt, dass auch die der Regierung fern stehende türkische Öffentlichkeit das Verfahren zunächst begrüßt als Chance habe, "die übermächtige und nicht immer durchsichtige Rolle der Armee" im Land zu untersuchen. Durch die Ausweitung der Ermittlungen habe sich jedoch der Eindruck verfestigt, dass ganz allgemein Kritiker der Regierungspartei AKP "ausgeschaltet" werden sollten.

Michael Martens (FAZ) kommentiert, dass erst der Europäische Gerichtshof, dessen Anrufung "gewiss" sei, entscheiden könne, ob das "epische Verfahren" rechtsstaatlichen Ansprüchen genüge.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Europa: lto.de (Claudia Kornmeier) setzt die Reihe zu den Wahlprogrammen diesmal mit den "europäischen" Positionen der Parteien fort und lässt Vorschläge zur demokratischeren Ausgestaltung der EU, etwa durch einen Ausbau der europäischen Bürgerinitiative hin zu einem verbindlichen Volksentscheid, durch Europarechtsexperten bewerten.

Zukunft der EU: Im Juni tagte die Europaministerkonferenz in Potsdam. Einen aus diesem Anlass gehaltenen Vortrag mit dem Titel "Überlegungen zur Zukunft der EU" von Rechtsprofessor Christian Calliess veröffentlicht verfassungsblog.de.

Beihilferecht: Im Juli hat der Rat der Europäischen Union die Verfahrensverordnung für die Durchführung von Beihilfeuntersuchungen in der EU geändert. Rechtsanwältin Martina Maier stellt im Handelsblatt-Rechtsboard die bedeutsamsten Änderungen vor.

Ehe und Familie: Mit rechtlichen Aspekten staatlicher Ehe- und Familienpolitik setzt sich in einem Gastbeitrag Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf (SZ) auseinander. Die Förderung von Ehen und Familien "nach dem Gießkannenprinzip" statt einer gezielten Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf würde dem Grundgesetz nicht gerecht. Zwar sei mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ein Schritt in die richtige Richtung getan, doch bestünden weiterhin durch nichts zu rechtfertigende finanzielle Negativanreize durch das Ehegattensplitting. Das Grundgesetz verpflichte die Politik zur Durchführung gleichstellungsorientierter Maßnahmen, unter diesem Gesichtspunkt müsse das gleichfalls zum 1. August eingeführte Betreuungsgeld als verfassungswidrig bezeichnet werden. Brosius-Gersdorf prognostiziert, dass die bisherige Linie der Politik auch weiterhin bewirken wird, dass Deutschland zu den kinderärmsten Ländern gehört.

Anwesenheitspflicht für Angeklagte: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt kommentiert der Rechtsprofessor und Strafverteidiger Klaus Volk die Anwesenheitspflicht des Angeklagten in Strafprozessen als "Anachronismus". Die Justiz solle Angeklagte, die sich nicht äußern wollten, durch die Pflicht zum täglichen Erscheinen auch in langwierigen Verfahren "nicht schikanieren." Selbst die Strafprozessordnung sehe die Möglichkeit vor, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, wodurch die gängigen Begründungen für die Anwesenheitspflicht "dekuvriert" würden. Eine interessengerechte Lösung bestünde etwa darin, dem Gericht ein Ermessen über die Anordnung der persönlichen Anwesenheit des verteidigten Angeklagten einzuräumen. 

Raubkunstgesetz: 2007 setzte die Bundesrepublik durch die Verabschiedung eines Kulturgüterrückgabegesetzes eine UNESCO-Konvention aus dem Jahr 1970 um. Ein längerer Artikel im Feuilleton der SZ (Tim Neshitov) beschreibt, warum dieses Gesetz nichts "taugt", erzählt von spektakulären Fällen von Kunst-Schmuggel und begrüßt die nun geplante Änderung des Gesetzes.

Geheimdienstbeauftragter: Als Konsequenz aus den jüngsten Datenüberwachungsskandalen fordert Heribert Prantl (SZ) die Einführung eines Geheimdienstbeauftragte. Analog dem Amt des Wehrdienstbeauftragten müsse eine "echte Kontrollbehörde" mit eigener Ermittlungslogistik und Zutritt zu allen Geheimdiensten geschaffen werden. Das parlamentarische Kontrollgremium, besetzt von Bundestagsabgeordneten "sozusagen im Nebenberuf" könne eine solche Aufgabe nicht meistern und schaffe es höchstens, "den Skandalen hinterherzulaufen."

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. August 2013: Mammut-Urteil in der Türkei – BGH zu Pflichtangeboten – Falsche Geständnisse . In: Legal Tribune Online, 06.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9292/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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