Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2018: Urhe­ber­rechts­re­form ver­tagt / BGH erklärt Urteils­ab­fas­sung / Ham­burger Män­ner­quote

06.07.2018

Das EU-Parlament stimmt gegen die Reform des Urheberrechts. Außerdem in der Presseschau: Der BGH erklärt dem LG Köln, wie ein Urteil formuliert wird. Kritik am Vorhaben der Hamburger StA, bevorzugt Männer einstellen zu wollen.

Thema des Tages

Urheberrecht: Das EU-Parlament hat den vom Rechtsausschuss erarbeiteten Entwurf zur Reform des Urheberrechts zurückgewiesen. Eine erneute Befassung des Plenums mit dem Thema wird für den kommenden September erwartet. Dann dürfte auch zu entscheiden sein, ob über die besonders umstrittenen Fragen, wie die Einführung verpflichtender Upload-Filter und das EU-weite Leistungsschutzrecht, einzeln abgestimmt wird bzw. mit welcher Position das Parlament in die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und Ministerrat tritt. Berichte bringen unter anderem netzpolitik.org (Alexander Fanta), taz (Peter Weissenburger) und FAZ (Werner Mussler). Eine Übersicht von bild.de fasst die umstrittenen Regelungen und die für sie vorgebrachten Argumente zusammen.

Thomas Kirchner (SZ) beklagt in einem Kommentar kulturkämpferische Züge des Streits über die Reform. Ganz sicher hätte diese nicht das "Ende des Internets" bedeutet, Begriffe wie "Zensurmaschinen" verharmlosten tatsächlich vorkommende Unterdrückung in Unrechtsstaaten. Dass Plattformen wie Youtube gezwungen werden sollten, die Schöpfer des Inhalts auch tatsächlich an den erwirtschafteten Einnahmen zu beteiligen, sei ohne Weiteres sinnvoll. Gleiches lasse sich über das geplante Leistungsschutzrecht nicht sagen. Grundsätzlich sollte jedoch die Absicht begrüßt werden, "Tech-Giganten" einzuhegen. Für Hendrik Wieduwilt (FAZ) ist der Gewinner der Debatte "die EU". Im Gegensatz zum "Bürokratiemonstrum" der Datenschutzgrundverordnung sei es gelungen, die Öffentlichkeit zu beteiligen und somit "eine echte europäische Debatte" zu entfachen: "Das ist ein Lichtblick."

Rechtspolitik

Flüchtlingspolitik: Wie unter anderem zeit.de berichtet, hat sich die Große Koalition auf neue Maßnahmen in der Flüchtlings- und Asylpolitik verständigt. In einem Einigungspapier sei festgehalten, dass Migranten, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, in bestehenden Einrichtungen der Bundespolizei in Grenznähe ein Transitverfahren durchlaufen sollen. Schließlich wolle das Kabinett auch noch in diesem Jahr ein Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Eine Übersicht zu den Punkten, über die eine Einigung erzielt wurde, findet sich auf spiegel.de. Die FAZ (Constantin van Lijnden) erklärt den rechtlichen Gehalt der bei der unionsinternen Einigung verwendeten Begriffe "Transitzentren" und "Fiktion der Nichteinreise".

Asylprozessrecht: Mit einer Bunderatsinitiative unternehmen die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg am heutigen Freitag einen neuen Versuch zur Reform des Prozessrechts für Asylangelegenheiten. Wie bereits im April beabsichtigt, sollte es auch nun möglich gemacht werden, vor Oberverwaltungsgerichten Grundsatzfragen zu klären, schreibt lto.de (Tanja Podolski).

Rauschtaten: Ebenfalls zur Abstimmung im Bundesrat steht eine sächsische Initiative, nach der Strafmilderungen bei Rauschzuständen infolge Drogen- oder Alkoholgenusses ausgeschlossen sein sollen, sofern der Rausch selbstverschuldet ist. Auch solle die Strafrahmenbegrenzung bei Vollrausch nach § 323a Strafgesetzbuch gestrichen werden, berichtet die FAZ (Stefan Locke). Der Deutsche Strafverteidiger Verband (DSV) halte die Initiative für überflüssig.

Parteienfinanzierung: Über die Absicht der Oppositionsparteien im Bundestag, die mit der Mehrheit der Großen Koalition beschlossene Reform der Parteienfinanzierung durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, berichtet nun auch die Welt (Matthias Kamann). Während Linke, Grüne und FDP eine Normenkontrollklage ankündigten, beabsichtige die AfD eine Organklage.

Verfassungsrichter: Auch die taz (Christian Rath) stellt nun Henning Radtke vor, der auf Vorschlag der CDU/CSU am heutigen Freitag aller Voraussicht nach zum neuen Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt wird. Die FAZ (Helene Bubrowski) widmet Radtke ein Kurzporträt.

Bundesrichter: Neben den Namen von 23 neugewählten Richtern der Bundesgerichte führt lto.de (Maximilian Amos) auch Kritik am Wahlverfahren an. So moniere Katja Keul, rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, das Fehlen eines "objektiven Anforderungsprofils", das nachprüfbar mache, nach welchen Kriterien der Richterwahlausschuss oder das Justizministerium Kandidaten auswählten.

Justiz

EuGH – EZB: Die FAZ (Philipp Plickert) wirft in ihrem Wirtschafts-Teil einen Blick auf die für den kommenden Dienstag vom Europäischen Gerichtshof anberaumte mündliche Verhandlung zur Klage gegen Staatsanleihenkaufprogramme der Europäischen Zentralbank. Hierzu werden die in den Schriftsätzen vorgetragenen Kernargumente der Verfahrensbeteiligten wiedergegeben. Die Bundesregierung etwa würdige das im Juli 2017 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht.

BVerfG – Kopftuch: Die BadZ (Christian Rath) macht auf eine beim Bundesverfassungsgericht ausstehende Hauptsachentscheidung im Fall einer hessischen Rechtsreferendarin aufmerksam, die bei allen Aufgaben des Vorbereitungsdienstes ihr Kopftuch tragen will. Im Eilverfahren wurde vor einem Jahr die begehrte einstweilige Anordnung verweigert, weil das Referendariat auch ohne die verwehrten Aufgaben beendet werden könne.

BGH zu Urteilsabfassung: Die Verurteilung von acht Angeklagten wegen Einbrüchen in Kirchen und Schulen, um Mittel zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes in Syrien zu gewinnen, hat auch in der Revisionsinstanz Bestand. Der entsprechende knapp fünfseitige Beschluss des Bundesgerichtshofs von Ende Mai lässt aber im Übrigen kein gutes Haar an dem Urteil des Landgerichts Köln vom Januar 2017 mit seinen 1.300 Seiten, weiß lto.de (Pia Lorenz) zu berichten. Mit einer "Vielzahl überflüssiger Ausführungen" hätten die Urteilsverfasser nicht nur die in der Auswahl von Wesentlichem und Unwesentlichen bestehende "unverzichtbare geistige Leistung" von Richtern nicht erfüllt oder einen "bedenklichen Umgang mit den Ressourcen der Justiz" bewiesen. Sie hätten auch gesetzliche Vorgaben für die Abfassung von Sachverhalt und Beweiswürdigung missachtet.

LG München I zu Schockbildern: Zigarettenautomaten in Supermärkten dürfen weiterhin die auf den Schachteln abgebildeten sogenannten Schockbilder abdecken. Die einschlägige Verordnung regele nicht die Verkaufsmodalitäten, befand das Landgericht München I und wies daher eine Klage des Verbands "Pro Rauchfrei" ab. Über die Entscheidung berichten BadZ (Christian Rath) und FAZ (Hendrik Wieduwilt).

LG Freiburg – Missbrauchsfall Staufen: Das Landgericht Freiburg versuchte im Staufener Missbrauchsfall zu ergründen, welche Versäumnisse staatlichen Stellen anzulasten sind. Über die Vernehmungen eines Jugendamt-Mitarbeiters, des Psychologen, bei dem der Angeklagte Therapiesitzungen verbrachte, sowie der Familienrichterin, die im vergangenen Jahr die  behördliche Inobhutnahme des betroffenen Jungen beendete, berichten SZ (Ralf Wiegand) und Welt (Per Hinrichs).

LG Neuruppin zu Brandanschlag: Wegen gemeinschaftlicher versuchter schwerer Brandstiftung hat das Landgericht Neuruppin zwei Männer zu viereinhalb beziehungsweise zwei Jahren Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt. Nach der Meldung von zeit.de hatte die Staatsanwaltschaft wegen des Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft in Kremmen an Ostern 2017 eine Verurteilung wegen versuchten Mordes gefordert.

VG Gießen zu Abschiebungsaussetzung: In einem Beschluss von Anfang Juni hat sich das Verwaltungsgericht Gießen in deutlichen Worten von der verfassungsgerichtlich angeordneten Aussetzung der Abschiebung eines in Deutschland geborenen türkischen Staatsangehörigen distanziert. Der Mann war wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Seine behördlich angeordnete Abschiebung konnte bislang wegen einer teilweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nicht vollzogen werden. Dass sich das Bundesverfassungsgericht dabei auf mögliche Gefahren in der Türkei berief, mochte das VG nicht nachvollziehen, sei das Land doch Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention, so lto.de (Tanja Podolski) über den Beschluss. Nach diesem verkenne das Bundesverfassungsgericht auch, dass sich der Mann als Terrorist selbst "außerhalb der Rechtsordnung des GG der Bundesrepublik Deutschland" gestellt habe.

Recht in der Welt

Malta  "Lifeline"-Kapitän: Im Strafverfahren gegen den deutschen "Lifeline"-Kapitän Claus-Peter Reisch auf Malta beschrieben Zeugen von Polizei und Küstenwache ihre Kommunikation mit dem Angeklagten. Über den zweiten Verhandlungstag berichtet die taz (Christian Jakob). Das Verfahren wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.

Rumänien – Amtsmissbrauch: Mit den Stimmen der Regierungspartei hat das rumänische Parlament zahlreiche Änderungen des Strafgesetzbuches beschlossen. Herausragend sei die neue Definition des Amtsmissbrauchs, erläutert die FAZ (Reinhard Veser). Von der neuen Fassung dürfe vor allem Parteichef Liviu Dragnea profitieren, der vor zwei Wochen erstinstanzlich wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Der erwarteten Kritik von Präsident Klaus Johannis solle durch ein Amtsenthebungsverfahren begegnet werden. Während seiner Dauer wäre der Präsident vom Amt suspendiert.

Neuseeland – Kim Dotcom: Ein neuseeländisches Berufungsgericht hat bestätigt, dass der Internetunternehmer Kim Dotcom in die USA ausgeliefert werden kann. Nach der Meldung der FAZ (Jonas Jansen) plant der deutschstämmige Unternehmer die Anrufung des Obersten Gerichtshofs Neuseelands.

Sonstiges

Männerquote: Die aktuelle Stellenausschreibung der Hamburger Staatsanwaltschaft, nach der auf Grundlage des Hamburgischen Gleichstellungsgesetzes Männer gegenüber Frauen bei gleicher Qualifikation vorrangig berücksichtigt werden, erfährt nach dem Bericht der taz-Nord (Hannes Stepputat) gewerkschaftliche Kritik. Auf verfassungsblog.de äußert Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Zweifel an der Verfassungskonformität des Vorhabens. Im Gegensatz zu Frauenquoten reagiere die Idee nicht auf eine "strukturelle Benachteiligung". Die Ausschreibung erfolge allein wegen der zahlenmäßigen Unterrepräsentanz von Männern im genannten Bereich und könne schon keinen verfassungslegitimen Grund für sich in Anspruch nehmen.

Raubkunst-Kommission: Auf einer Veranstaltung der Universität Bonn berichtete Hans-Jürgen Papier, vormaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, über seine jetzige Tätigkeit als Vorsitzender der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter. Die Erklärungen des früheren Verfassungsrichters zu den geringen Entscheidungszahlen der Kommission und deren Charakter als Schiedsgericht überzeugten die FAZ (Patrick Bahners) im Feuilleton nur bedingt.

Nebenkosten: Nach einer der FAZ (Marcus Jung) vorliegenden Untersuchung des Legal-Tech-Start-ups "Mineko" weisen knapp drei Viertel aller Miet-Nebenkostenabrechnungen Fehler auf. Der häufigste Fehler in den untersuchten Abrechnungen seien falsche Verteilerschlüssel gewesen.

Zeitumstellung: Bis zum 16. August sind EU-Bürger dazu aufgerufen, in einer Online-Abstimmung der EU-Kommission ihre Meinung über den Fortbestand der Sommerzeit-Umstellung kundzutun. Dies berichtet die FAZ.

Wegerecht: Die SZ (Jochen Bettzieche) erklärt Grunddienstbarkeiten wie Wege- und Leitungsrecht.

Das Letzte zum Schluss

Lady Liberty: Die Freiheitsstatue ist weltbekannt. Von der US-amerikanischen Post wurde sie 2010 als Briefmarkenmotiv ausgewählt. Das verwendete Foto zeigte allerdings eine Replik, die im Spielerparadies Las Vegas steht. Der Schöpfer dieser Kopie kann sich nach Meldung von spiegel.de nach der Entscheidung eines Bundesgerichts nun über mehr als 3,5 Millionen Dollar wegen Verletzung seines Urheberrechts freuen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Juli 2018: Urheberrechtsreform vertagt / BGH erklärt Urteilsabfassung / Hamburger Männerquote . In: Legal Tribune Online, 06.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29599/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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