Das BVerfG hat eine komplexe Formel zur Mindestbesoldung von Richtern entwickelt, der die untere Besoldungsstufe in Sachsen-Anhalt nicht standhält. Außerdem in der Presseschau: kurze Unterbrechung im Verfahren gegen Deutsche Bank-Vorstände, Sieg für Altkanzler Kohl im Zitate-Streit, die wichtigsten Fragen zur BND-Affäre und was "der Vorderpfälzer" für ein Schlag von Mensch ist.
Thema des Tages
BVerfG zu Richterbesoldung: In seinem Urteil vom gestrigen Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht erstmals eine verfassungsrechtliche Untergrenze für die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten festgeschrieben. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet, hat der Senat zu deren Berechnung eine "komplexe Formel" entworfen, die sich aus den Parametern Tariflöhne, Nominallohn, Verbraucherpreisindex, Besoldungsvergleich und Bundesdurchschnitt zusammensetzt. Die FAZ (Helene Bubrowski) erläutert, dass zudem das Ansehen und die "qualitätssichernde Funktion" der Alimentation mit einzubeziehen ist. Auf einer "dritten Prüfungsstufe" sind laut Kölner Stadtanzeiger (Christian Rath) schließlich Ausnahmekonstellationen, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der Schuldenbremse, zu berücksichtigen. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat die unterste Besoldungsgruppe im Land Sachsen-Anhalt – in den Jahren 2008 bis 2010 rund 3.300 Euro – als "evident unzureichend" angesehen, wohingegen in den weiteren zu entscheidenden Fällen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz kein Verstoß erkannt wurde. Weitere Berichte über das Urteil finden sich bei spiegel.de (Jochen Leffers) und im Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof).
Christian Rath (taz) und Wolfgang Janisch (SZ) halten die Bindung der Besoldung an die allgemeine Lohnentwicklung für sinnvoll. Angesichts des Streikverbots für Beamte müsse das Verfassungsgericht dabei als eine Art "Gewerkschaftsersatz" fungieren. Für Reinhard Müller (FAZ) geht es bei dem Urteil um die Wertschätzung einer funktionierenden Justiz, die auch in der Besoldung zum Ausdruck komme.
Einen anderen Aspekt stellt Rechtsprofessor Josef Franz Lindner auf lto.de heraus: Als "Höhepunkt einer Rechtsprechung, die sich als Rechtsschöpfung und Rechtsgestaltung versteht" könnte das Urteil "Wasser auf die Mühlen" derjenigen sein, die dem Bundesverfassungsgericht vorwerfen, sich als Ersatzgesetzgeber zu gerieren.
Rechtspolitik
Kirchliches Arbeitsrecht: Nach einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts in der katholischen Kirche soll eine Wiederverheiratung oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft für Mitarbeiter nur noch in "schwerwiegenden Fällen" arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Wie zeit.de (kna, sah) erläutert, hatte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis zwar erlaubt, jedoch hatte es kirchenintern Kritik daran gegeben. Die SZ (Matthias Drobinski) weist darauf hin, dass die Neuerungen erst greifen, wenn der Bischof eines Bistums sie dort ausdrücklich in Kraft setzt.
TTIP und Schiedsgerichte: Nach Berichten der FAZ (Hendrik Kafsack), der taz und der SZ will EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mittelfristig einen feststehenden multilateralen Gerichtshof für Investorenschutz schaffen. Als erster Schritt soll in dem geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA ein bilaterales Berufungsgericht sowie die Einführung unabhängiger Schiedsgerichte festgeschrieben werden. Darüber hinaus sehe der Vorschlag Malmströms weitgehende Transparenzpflichten vor und stelle klar, dass der Investorenschutz keinen Vorrang vor der Verabschiedung neuer, nichtdiskriminierender Gesetze hat.
Kriminalstatistik: Wie zeit.de meldet, ist laut Informationen der Passauer Neuen Presse die Anzahl antisemitischer Straftaten im vergangenen Jahr um rund 25 Prozent gestiegen. Die Zeitung beruft sich auf die neue Kriminalstatistik, die am heutigen Mittwoch vorgestellt werden soll. Nach Meldung der Welt (mlu) ergibt sich aus der Statistik zudem für Wohnungseinbrüche mit einer Anzahl von rund 152.000 ein neuer Rekordwert.
Justiz
LG München I – Deutsche Bank: Vor dem Landgericht München I wurde am Dienstag der Prozess gegen Jürgen Fitschen und weitere, frühere Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank wegen versuchtem Prozessbetrug bzw. falscher uneidlicher Aussage im Zivilverfahren um die Pleite der Mediengruppe des Leo Kirch fortgesetzt. Nach Bericht der FAZ (Joachim Jahn) hat das Gericht die Staatsanwaltschaft dabei "heftig gerüffelt", weil diese zum Auftakt des Verhandlungstags einen weiteren Aktenordner mit Beweismaterial zusammen mit zehn DVDs mit eingescannten Mails und Protokollen vorgelegt hat. Wie auch die SZ (Klaus Otto) schildert, habe es kurz geschienen, als würde der Prozess platzen. Weil dies keiner der Beteiligten gewollt habe, habe man sich schließlich geeinigt, den für nächste Woche geplanten Verhandlungstag ausfallen zu lassen.
Nach Schilderungen der Welt (Gerhard Hegmann) und des Handelsblatts (Kerstin Leitel/Michael Brächer) wurde von Verteidigerseite zudem beantragt, Oberstaatsanwältin Christiane Serini abzulösen. Da diese in den weiteren Verhandlungstagen mehrfach als Zeugin geladen sei, sei sie "nicht objektiv unbefangen".
OLG Köln zu Helmut Kohl: In Verfahren des Altkanzlers Helmut Kohl gegen seinen früheren Ghostwriter Heribert Schwan über die Verwendung von Kohl-Zitaten in Schwans Buch "Vermächtnis – die Kohl-Protokolle" hat das Oberlandesgericht Köln nach Berichten von lto.de (Tanja Podolski), dem Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) und der SZ (Bernd Dörries) das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Köln bestätigt und darüber hinaus noch den Abdruck weiterer Zitate verboten. Wie auch die Vorinstanz habe das Gericht eine konkludente vertragliche Geheimhaltungspflicht Schwans angenommen. Der Streit zwischen Kohl und Schwan um die Herausgabe der Tonbänder mit den Interviewaufzeichnungen, ist aktuell beim Bundesgerichtshof anhängig. Auch zeit.de (Ludwig Greven) und Die Welt (Kristian Frigelj) berichten.
OLG München – NSU: Die taz (Andreas Speit/Konrad Litschko) rekapituliert die zwei Jahre der Hauptverhandlung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, die am 6. Mai 2013 begonnen hat. Die Verteidiger von Beate Zschäpe sähen nach über 500 befragten Zeugen keine Grundlage für die Anklage mehr; etwa sei Zschäpes Funktion als "Finanzverwalterin" der Gruppe nicht belegt. Die Opferanwälte hielten in ihrem Zwischenfazit demgegenüber alle Anklagepunkte für erwiesen.
Desweiteren führt die taz (Konrad Litschko) ein Interview mit Ombudsfrau der Opferangehörigen, Barbara John, über die Hoffnung der Familien auf eine Aussage Zschäpes und die Forderung eines neuen Untersuchungsausschusses im Bundestag.
BGH zu Verbraucher- bzw. Bankenrecht: lto.de informiert über zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs über die Rechte von Bankkunden. Zu einem mit einer Lebensversicherung besicherten Darlehen urteilte das Gericht, es liege kein verbundenes Rechtsgeschäft nach § 358 Abs. 3 BGB vor. Den wesentlichen Entscheidungsinhalt referiert auch das Handelsblatt (Ozan Demircan).
Im zweiten Urteil hielten die Richter die Kündigungsklausel einer bayerischen Sparkasse für zu unbestimmt, weil nicht hinreichend deutlich werde, dass das Institut Girokonten von Privatkunden nur im Ausnahmefall und aus wichtigem Grund kündigen darf. Auch über diese Entscheidung berichtet das Handelsblatt (F. Drost/A. Rezmer/S. Schier) in einem separaten Beitrag.
EuGH zu EU-Patentamt: Nach Bericht der FAZ (Hendrik Kafsack) ist Spanien mit zwei Klagen zum EU-Patentamt vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert. Die angefochtene Begrenzung der Verfahrenssprachen auf Englisch, Französisch und Deutsch sei zulässig, weil dadurch Kosten für Übersetzungen gesenkt und auf diese Weise kleinen Unternehmen ein besserer Zugang zum Patentschutz gewährt werde. Zudem wurde die Klage, in der Spanien die Rechtsgrundlage für die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes in Frage stellte, zurückgewiesen.
EuG zu Sky und Skype: Das Gericht der Europäischen Union hat eine Klage des Telefonie-Software- Betreibers Skype gegen einen Beschluss des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (HABM) aus den Jahren 2004 und 2005 zurückgewiesen. Das HABM hatte die Anmeldung der Wort- und Bildzeichen SKYPE als Gemeinschaftsmarke auf Widerspruch des Bezahlsenders Sky verweigert, weil Verwechslungsgefahr mit dessen zuvor registrierter Marke bestehe. Die "allemal lesenswerten" sprachwissenschaftlichen Ausführungen des Gerichts fasst lto.de (Tanja Podolski) zusammen.
ArbG Berlin zu Kündigung nach Mindestlohnforderung: Einem Arbeitnehmer in Berlin wurde gekündigt, nachdem er seinen Arbeitgeber aufgefordert hatte, den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Die im Gegenzug vorgeschlagene Arbeitszeitreduzierung hatte der Arbeitnehmer abgelehnt. Nach Urteil des Arbeitsgerichts Berlin verstößt die Kündigung gegen das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot, so dass sie unwirksam ist. Rechtsanwalt Marc Rosenau skizziert die Entscheidung auf dem Handelsblatt-Rechtsboard.
Befangenheit von Richtern: Bundesrichter Thomas Fischer widmet sich in seiner aktuellen zeit.de-Kolumne dem Thema der Befangenheit von Richtern. Er erläutert den Grund für den Richterausschluss wegen der Besorgnis von Befangenheit, die näheren Voraussetzungen sowie die Zuständigkeiten bei der Entscheidung. Kritisch äußert er sich zudem zu der Regelung der StPO, nach der das Gericht nach Zulassung der Anklage im Zwischenverfahren auch im Hauptverfahren zuständig bleibt.
Recht in der Welt
Frankreich – Überwachungsgesetz: Nach Meldung von spiegel.de hat die französische Nationalversammlung ein Gesetz verabschiedet, das die französischen Geheimdienste mit neuen Möglichkeiten der Internet-Überwachung "im Stil der NSA" ausstattet. Erlaubt sein soll danach etwa die Speicherung von Internet-Metadaten mithilfe von Black Boxes, welche die Dienste bei Internet-Providern aufstellen dürfen. Aufgrund anhaltender Kritik habe Präsident François Hollande angekündigt, vor Inkrafttreten selbst den Verfassungsrat zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes anrufen zu wollen.
IGH – Bolivien/Chile: Auch die SZ (Boris Herrmann) berichtet nun über Streit über die bolivianisch-chilenische Grenze, der vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag/Niederlande ausgetragen wird. Historischer Hintergrund ist der Salpeterkrieg zwischen beiden Ländern im Jahre 1879, infolge dessen Bolivien ein Binnenstaat wurde. In einem Abkommen von 1904 erkannte das Land den Grenzverlauf an, argumentiert aber nun, dass der Vertrag unter Zwang unterzeichnet worden und deshalb ungültig sei.
Burundi – dritte Amtszeit für Präsidenten: Die taz (Dominic Johnson) meldet, dass das Verfassungsgericht Burundis das Bestreben von Präsident Pierre Nkunruziza, bei den Wahlen im Juni zu einer dritten Amtszeit anzutreten, für rechtmäßig erklärt hat. Zwar sehe die Verfassung nur zwei Amtszeiten vor; die Richter seien allerdings der Argumentation der regierenden ehemaligen Hutu-Rebellenbewegung gefolgt, wonach die erste Amtszeit nicht zähle, da Nkunruziza nur indirekt im Rahmen des Friedensvertrags zur Beendigung von Burundis Bürgerkrieg ins Amt gewählt wurde. Das Urteil verschärfe die politische Krise des Landes.
USA – Deutsche Bank: Nach Informationen des Handelsblatts (K. Slodczyk/M. Maisch) lassen Unterlagen der US-Justiz zum Liborskandal, infolge dessen die Deutsche Bank eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar zahlte, Führungskräfte der Deutschen Bank in einem ungünstigen Licht erscheinen. Die Unterlagen belegten nach US-Ermittlern, dass auch Führungskräfte auf Auffälligkeiten am Zinsmarkt aufmerksam gemacht wurden und nichts dagegen unternahmen.
Sonstiges
BND-Affäre: Zur BND-Affäre gibt die taz (Christian Rath) eine Übersicht zu den bisherigen Erkenntnissen und den wichtigsten Fragen. Danach übermittelte der BND der NSA E-Mails, SMS und Telefonate, die sie über die Abhörstation im bayerischen Bad Aibling mit Hilfe von der NSA gelieferten sogenannten Selektoren – beispielsweise Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen von Zielpersonen, aber wohl auch verdächtige Begriffe wie bestimmte Sprengstoffzutaten – erfasst hatte. Um 2005 fielen problematische Selektoren auf, etwa im Zusammenhang mit der Firma EADS. In der Folge legte der BND eine Datei über von ihm abgelehnte Selektoren an und glich diese mit den neu gelieferten NSA-Selektoren ab. Unklar ist, wie das Kanzleramt reagierte, und welches Wissen es etwa über die Ablehnungsdatei hatte.
Wie spiegel.de meldet, hat Österreich derweil bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen geheimdienstlicher Tätigkeit zum Schaden Österreichs Anzeige gegen Unbekannt erstattet, weil das Land ins Visier der Ausspähungen geraten sein könnte.
Algorithmus zu Mitarbeiterüberwachung: Die Rechtsanwälte Alexander Bissels und Pauline Moritz befassen sich auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ mit einem mathematischen Algorithmus, über den zukünftiges Fehlverhalten von Mitarbeitern vorausgesagt werden können soll. Die Einführung einer solchen Form der Mitarbeiterüberwachung in Deutschland werfe komplexe Fragestellungen einerseits im Hinblick auf die Zulässigkeit der Datenerhebung an sich auf. Rechtlich problematisch sei andererseits auch die Verknüpfung der Informationen, um daraus gezielte Erkenntnisse – beispielsweise auf eine spätere Regelverletzung – zu gewinnen.
Verhaltensregeln im Internet: Bei der Netzkonferenz re:publica gibt es mit dem sogenannten Law Lab erstmals eine ganze Vortragsreihe von Juristen, die erklären, was beim Posten, Bloggen, Kommentieren erlaubt ist, und was zu Problemen führen könnte. spiegel.de (Markus Böhm/Judith Horchert) stellt die wichtigsten Hinweise zusammen.
Das Letzte zum Schluss
LG Mannheim zu "dem Vorderpfälzer": Wie kann "der Vorderpfälzer an sich" beschrieben werden? Das Landgericht Mannheim scheint es zu wissen, wie justillion.de (Arnd Diringer) anhand eines Urteils aus dem Jahr 1997 nachweist: "Es sind Menschen von, wie man meinen könnte, heiterer Gemütsart und jovialen Umgangsformen, dabei jedoch mit einer geradezu extremen Antriebsarmut, deren chronischer Unfleiß sich naturgemäß erschwerend auf ihr berufliches Fortkommen auswirkt."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Mai 2015: Mindestbesoldung für Richter – Pause für Fitschen & Co – Sieg für Helmut Kohl . In: Legal Tribune Online, 06.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15455/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag