Die juristische Presseschau vom 3. bis 5. März 2012: Acht Projekte der Koalition – Ehrenhausdurchsuchung bei Wulff – Räuberische Strafjustiz in Russland

05.03.2012

Manche sprechen schon von einem schwarz-gelben Reformrausch. Vom Sorgerecht bis zur Suizidhilfe hat die Koalition am Sonntag acht rechtspolitische Projekte beschlossen. Außerdem in der Presseschau: die Vorzugsbehandlung für den Ex-Bundespräsident, die politische Betrugsbekämpfung in Russland und wie die Polizei einen Geist fangen konnte.

Rechtspolitische Koalitionspläne: Am Sonntag Abend traf sich der schwarz-gelbe Koalitionsausschuss in Berlin. Man erwartete nicht viel, doch dann wurden vor allem rechtspolitische Pläne beschlossen, wie welt.de (Thorsten Jungholt/Jan Hildebrandt) berichtet:

  • Eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll dem Kartellamt mehr Macht geben.
  • Im Grundgesetz soll das Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik gestrichen werden.
  • Nichteheliche Väter sollen das gemeinsame Sorgerecht vor Gericht erstreiten können.
  • Im Urheberrecht soll ein kleines Leistungsschutzrecht eingeführt werden, bei dem Suchmaschinenbetreiber für Verlinkungen an Verwertungsgesellschaften zahlen.
  • Im Jugendstrafrecht soll ein vierwöchiger Warnschussarrest neben Bewährungsstrafen verhängt werden können.
  • Im Presserecht soll die Strafbarkeit der Beihilfe zum Geheimnisverrat eingeschränkt werden.
  • Die Kronzeugenregelung im Strafrecht soll künftig einen inneren Zusammenhang zwischen der aufgedeckten Tat und der milder zu bestrafenden Tat aufweisen.
  • Die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung soll strafbar werden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Islam-Unterricht verfassungswidrig?: In einem Gastbeitrag für die Samstags-FAZ wirft der hessische Kultusminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) die Frage auf, ob das nordrhein-westfälische Modell des schulischen Islam-Unterrichts dem Grundgesetz entspricht. Er kritisiert, dass dort nicht Religionsgemeinschaften die Inhalte des Unterrichts bestimmen, sondern der Staat in Zusammenarbeit mit einem Beirat, dem islamische Verbände angehören. So werde der Islam zur "gelenkten Religion".

BVerfG-Mutwillensgebühr: Das überlastete Bundesverfassungsgericht wirbt derzeit für eine Gebühr, die bei unsinnigen Verfassungsbeschwerden verhängt werden soll. Wie der Spiegel meldet, soll ein Viertel bis ein Drittel der jährlich 6.000 Bürgerklagen davon betroffen sein.

EGMR-Reform: Der Verfassungsblog (Max Steinbeis) stellt die wichtigsten Punkte des englischen Vorschlags zur Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor.

Korruption und Politik: Der Spiegel stellt die Frage, "wo genau die Grenze zur Vorteilsannahme verläuft" - nach der Wulff-Affäre mit ihren vielen kleinen Gefälligkeiten sei die Verunsicherung der Politiker groß. Die CDU gebe langsam ihren Widerstand gegen die Bestrafung der Abgeordnetenbestechung auf. Außerdem zeichne sich ab, dass künftig Sponsoring in den Rechenschaftsberichten der Parteien ausdrücklich ausgewiesen werden muss. Philipp Alvares de Souza Soares fordert auf zeit.de ein Anti-Korruptionsgesetz für Abgeordnete.

Weitere Themen - Justiz

BFH zu Showgewinnen: Der Bundesfinanzhof will, dass Siegprämien aus Fernsehshows wie Big Brother als Arbeitseinkommen versteuert werden und nicht wie Lottogewinne steuerfrei bleiben. Die Samstags-SZ (Andreas Jalsovec)  berichtet über einen entsprechenden BFH-Gerichtsbescheid, der aber noch nicht rechtskräftig ist.

BVerfG zu Beratungshilfe: beck.blog.de (Hans-Jochem Meyer) stellt einen jüngst veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dar. Danach muss an Hartz-IV-Empfänger keine Beratungshilfe gezahlt werden, wenn diese sich in der konkreten Frage auch bei der kostenlosen Rechtsberatung der Rentenversicherung informieren können.

BSG zu versicherungsfremden Leistungen: Rechtsprofessor Reimund Schmidt-de Caluwe bespricht auf lto.de ein Urteil des Bundessozialgerichts. Danach müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dulden, dass aus ihren Beiträgen für die Arbeitslosenversicherung auch Eingliederungshilfen für Hartz IV-Empfänger finanziert werden. Der Bezug zu den Aufgaben der Arbeitsförderung sei gerade noch gewahrt.

Gagfah-Vergleich: Die Stadt Dresden und der Wohnungskonzern Gagfah haben sich in ihrem Zivilstreit verglichen. Das meldet u.a. FAZ.net. Gagfah hatte der Stadt Dresden 47.000 städtische Wohnungen abgekauft, dann aber die vereinbarte Sozialcharta verletzt. Dresden verlangte dafür eine Vertragsstrafe von rund einer Milliarde Euro und bekommt jetzt 40 Millionen Euro und weitere Zugeständnisse gegenüber den Mietern.

Schadensersatz-Prozess gegen GdF: Am morgigen Dienstag wird am Amtsgericht Frankfurt/Main eine Klage von mehreren Airlines gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung verhandelt. 2009 waren Fluglotsen  am Stuttgarter Flughafen trotz Friedenspflicht in einen Unterstützerstreik getreten, was später gerichtlich als rechtswidrig festgestellt wurde. Wenn die GdF in solchen Fällen jeweils Schadensersatz zahlen müsste, wäre ihre Existenz bedroht, vermutet die FTD (Ulf Brychcy) in ihrem Vorbericht.

Kapitalabfindung für Unfallopfer?: Die seit einem Unfall schwerbehinderte Sarah T. kämpft weiter für eine Kapitalabfindung in Höhe von 7,6 Millionen Euro, weil sie mit der rentenartigen Abwicklung des Schadensersatzes durch die Versicherung Generali unzufrieden ist. Sarah T. will laut FTD (Anja Krüger) ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs erreichen. Beim Landgericht Hamburg ist sie bereits gescheitert, das Oberlandesgericht Hamburg hat ihr eben die Prozesskostenhilfe verweigert.

Auslagenersatz für Gauweiler: Max Steinbeis kommentiert im Verfassungsblog den Versuch Peter Gauweilers, in seinem Verfassungsgerichts-Verfahren gegen den EU-Rettungsschirm einen so hohen Auslagenersatz zu bekommen, dass er damit reich werden könne.

EuGH und Acta: Nach der EU-Komission hat nun auch das Europäische Parlament ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zum Acta-Abkommen angefordert, berichtet die Samstags-taz (Ruth Reichstein). Acta ist ein internationaler Vertrag zum Schutz gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen.

Hausdurchsuchung bei Wulff: Udo Vetter (lawblog) fragt sich, ob der Ex-Bundespräsident im konsensualen Vorgehen der Staatsanwaltschaft eine "Vorzugsbehandlung" oder sogar eine "Ehrenhausdurchsuchung" erhalten hat.

Buback und Becker: Der Spiegel fasst den bisherigen Verlauf des Prozesses gegen Ex-RAFlerin Verena Becker wegen des Mordes am damaligen Generalbundesanwalt Buback zusammen. Der Prozess werde wohl mit einer Enttäuschung für den Sohn Michael Buback enden, der als Nebenkläger herausfinden wollte, wer seinen Vater erschossen hat.

Betrug bei der Pflege: Die FAS (Katrin Hummel, Kurzversion auf faz.net) schildert ausführlich, wie kriminelle Pflegedienste die Sozialversicherungen ausnehmen. Die Staatsanwaltschaften seien bisher mit dem Delikt überfordert.

Betrug mit Aktien: Die Montags-SZ (Klaus Ott) berichtet über Ermittlungen der Münchener Staatsanwaltschaft gegen 37 Aktienhändler, denen Kursmanipulation und Betrug vorgeworden wird. Die meisten seien im Ausland untergetaucht oder hätten bereits von dort aus agiert.

Richterwechsel am BVerfG: Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über den Festakt anlässlich des Ausscheidens der Richter Rudolf Mellinghoff und Udo Di Fabio.  Mellinghoff habe dabei vor allem die Überlastung der Justiz und des BVerfG kritisiert. In der Samstags-FAZ (Reinhard Müller) kommt vor allem Udo Di Fabio zu Wort, der den "institutionellen Eigensinn" des Bundesverfassungsgerichts lobte.

Streit unter Anwälten: Der Spiegel (Kurzfassung auf spiegel.de) schildert den Streit zwischen den prominenten schleswig-holsteinischen Anwälten Wolfgang Kubicki (FDP) und Trutz Graf von Kerssenbrock (CDU). Wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit der Auflösung einer Anwaltssozietät beharken sie sich jetzt mit Strafanzeigen.

Anwaltsmarkt: In einem langen Kommentar beschreibt Joachim Jahn (Samstags-FAZ) das "Prekariat im Anwaltsstand". Angesichts von Brüsseler Deregulierungsbestrebungen könnten die Anwälte ihre Stellung nur bewahren, wenn sie Fortbildungspflichten einführten und die Fachanwaltsbezeichnungen nicht entwerteten.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Politische Betrugsbekämpfung in Russland: Die Samstags-FAZ (Kerstin Holm) stellt ausführlich eine Selbsthilfegruppe mutmaßlicher Justizopfer vor. Nach deren Darstellung sitze rund ein Drittel der Häftlinge, die in Russland wegen betrügerischer Machenschaften verurteilt wurden, zu Unrecht ein. "Die meisten hätten eine Firma oder eine Wohnung besessen, die für einflussreiche Leute attraktiv waren."

Das Letzte zum Schluss

Polizei auf Geisterjagd: spiegel.de (Johanna Lutteroth) erinnert an den Geist "Chopper" der vor 30 Jahren monatelang in einer bayerischen Zahnarztpraxis Patienten und Medien ängstigte und amüsierte. Erst die polizeiliche Sonderkommission "Geist" überführte die Zahnarzthelferin, die mit Billigung des Zahnarztes, per Stimmakrobatik den Geist gespielt hatte.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. bis 5. März 2012: Acht Projekte der Koalition – Ehrenhausdurchsuchung bei Wulff – Räuberische Strafjustiz in Russland . In: Legal Tribune Online, 05.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5691/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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