Die juristische Presseschau vom 11. Mai 2021: Kein Anspruch wegen Agent Orange / AfD rüf­felt BVerfG / EGMR zu Polens Jus­tiz­re­form

11.05.2021

Ein französisches Gericht weist Schadensersatzansprüche wegen der Herstellung von Agent Orange als unzulässig ab. Die AfD vermutet eine politische Agenda des Bundesverfassungsgerichts. Der EGMR verurteilte Polen wegen seiner Justizreform.

Thema des Tages

Frankreich – Agent Orange: Ein französisches Gericht in Évry hat eine Schadensersatzklage gegen insgesamt 14 Chemie-Unternehmen wegen der Herstellung des giftigen Entlaubungsmittels Agent Orange, das im Vietnamkrieg als Kriegswaffe eingesetzt worden war, als unzulässig abgewiesen. Das Gericht folgte damit der Argumentation der Unternehmen, zu denen auch der Bayer-Konzern gehört. Die Unternehmen argumentierten, sie hätten damals im Auftrag der USA gehandelt und ein französisches Gericht könne nicht über die Verteidigungspolitik eines anderen Staates urteilen. Die Unternehmen konnten sich daher auf Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen. Die Klägerin, eine 79-jährige ehemalige Widerstandskämpferin, kündigte an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Es berichten SZ (Leo Klimm), FAZ (Michaela Wiegel), taz (Christine Longin) und spiegel.de.

Rechtspolitik

IT-Sicherheitsgesetz 2.0: Auf LTO gibt Rechtsanwalt Werner Thienemann einen vertieften Überblick über Regelungen des "IT-Sicherheitsgesetzes 2.0", dem am Freitag der Bundesrat zustimmte. In dem Gesetz, das sich gegen Cyber-Angriffe auf IT-Infrastrukturen richtet, werden unter anderem die Pflichten der Betreiber kritischer Infrastrukturen erweitert. Gleiches gilt für Unternehmen mit erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Insbesondere soll künftig die Verwendung sogenannter kritischer Komponenten verboten werden können, also von in kritischer Infrastruktur eingesetzten IT-Produkten von hoher Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens.

Befristete Arbeitsverträge: Der emeritierte Rechtsprofessor Manfred Löwisch kritisiert auf Hbl-Rechtsboard einen Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Änderung des allgemeinen Befristungsrechts und die darin enthaltene Quote sachgrundloser Befristungen. Die Regelung bringe einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand mit sich und verfehle den Zweck, einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis der Unternehmen nach Flexibilität und dem Bestandschutz der Arbeitsverhältnisse herzustellen. Dies gelte auch für das im Entwurf enthaltene Zitiergebot, wonach in der schriftlichen Vereinbarung die rechtliche Grundlage der Befristung anzugeben sein soll.

Kulturgesetzbuch NRW: Die FAZ (Reiner Burger) schreibt über die Pläne der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für ein Kulturgesetzbuch. Es soll eine Zusammenschau der wichtigsten die Kultur betreffenden Regelungen darstellen. Zudem verpflichtet sich das Land zur Förderung der Provenienzforschung und es werden feste Honoraruntergrenzen für freischaffende Künstler geschaffen. Das Gesetz fungiert auch als Abwehrinstrument gegen Überlegungen des Bundes zur Schaffung eines "Bundeskulturministeriums" nach der kommenden Bundestagswahl. 

Wettbewerbsrecht: Angesichts der Herausforderungen durch die Macht großer Digitalkonzerne denkt die FAZ (Werner Mussler) über die deutsche Tradition der Wettbewerbskontrolle nach und schildert Ansätze von Bundesregierung und EU-Kommission zur Weiterentwicklung des Kartellrechts. So kann das Bundeskartellamt nun Unternehmen "mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb" bestimmte Verhaltensweisen untersagen. Nach dem geplanten "Digital Markets Act" der EU-Kommission sollen explizit für Digitalmärkte typische Verhaltensweisen verboten werden können.

Lieferkettengesetz: Der emeritierte Rechtsprofessor Klaus Hopt kritisiert im Hbl den Regierungsentwurf zu einem Lieferkettengesetz. Auf der Grundlage des Entwurfes sei für Unternehmen nicht klar, was genau zu tun ist. Die Begrenzung auf deutsche Unternehmen bedeute einen gravierenden Wettbewerbs- und Standortnachteil. Es gelte, ein Übermaß an Pflichten zu vermeiden. 

BauGB und Mieterschutz: Nun schreibt auch das Hbl (Kerstin Leitel) über das am vergangenen Freitag vom Bundestag verabschiedete "Baulandmobilisierungsgesetz" und die darin enthaltene Erschwerung einer Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Vor diesem Hintergrund wird eingehend das in § 577 des Bürgerlichen Gesetzbuches enthaltene Vorkaufsrecht des Mieters erläutert. Die Immobilienbranche meint, durch das neue Gesetz werde dieses Vorkaufsrecht nun faktisch abgeschafft. 

TKÜ Verfassungsschutz: Am vergangenen Freitag beriet der Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts, durch das dem Geheimdienst ermöglicht werden soll, verschlüsselte Chatnachrichten zu lesen. netzpolitik.org (Andre Meister) veröffentlicht ein internes BKA-Dokument, aus dem hervorgeht, dass Polizei und Geheimdienste auch ohne "Staatstrojaner" seit Jahren in der Lage sind, verschlüsselte Kommunikation von Messengern mitzulesen. 

Integrität in der Politik: Der Rechtsprofessor Matthias Rossi nimmt im Gespräch mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) Stellung zu verschiedenen Maßnahmen, die als Konsequenzen aus "Masken-" und "Aserbaidschan-Affäre" diskutiert werden. Eine Heraufstufung der Abgeordnetenbestechung zum Verbrechen und ein Verbot von Spenden an Abgeordnete oder Kandidaten hält er für nicht sinnvoll. Gut wäre aus seiner Sicht ein verbindlicher Verhaltenskodex, wie er von CDU/CSU vorgeschlagen wird, und auch die Einführung des geplanten Lobbyregisters.

Maßnahmenpaket gegen Rechts: zeit.de (Lenz Jacobsen u.a.) stellt die in einem Abschlussbericht festgehaltenen Ergebnisse des vor einem Jahr eingerichteten Kabinettsauschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vor. Dazu gehören die derzeit auf Eis liegende Streichung des Begriffs der "Rasse" aus dem Grundgesetz, die Berufung eines "Rassismusbeauftragten" der Bundesregierung sowie eine konsequente disziplinarrechtliche Ahnung extremistischer Bestrebungen im öffentlichen Dienst. 

Umsetzung von EU-Recht: Der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zufolge sind Stand Mitte April dieses Jahres 80 Vertragsverletzungsverfahren wegen der Verletzung von EU-Recht gegen Deutschland anhängig. Dabei betreffen die meisten Verfahren das Bundeswirtschaftsministerium mit 16 anhängigen Verfahren, gefolgt von Finanz-, Umwelt- und Verkehrsministerium (jeweils 15 Fälle). Dies berichtet das Hbl (Heike Anger)

Justiz

BVerfG: Die AfD im Bundestag kritisierte das Engagement des Bundesverfassungsgerichts für einen Demokratie-Wettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Unter dem Motto "Wir ist Plural" und der Leitfrage "Wie engagiert Ihr Euch für die demokratischen Werte des Grundgesetzes?" sollen 15 Projekte ausgezeichnet werden. In der Jury sitzt u.a. Verfassungsrichterin Sibylle Kessal-Wulf. Auf der Webseite des Wettbewerbs ruft BVerfG-Vizepräsidenten Doris König zur Teilnahme auf. Die AfD sieht in der Unterstützung des Wettbewerbs eine Kampfansage gegen die politische Ausrichtung der AfD. Damit zeige sich "einmal mehr, dass sich dieses Gericht nicht als objektiver Sachwalter der Verfassung, sondern als Akteur auf der politischen Bühne sieht", so AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner. Politiker:innen von Linken, Grünen und FDP verteidigten das BVerfG. LTO (Hasso Suliak) berichtet.*

BGH zu Schneeballsystemen: Einer nun veröffentlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs von Februar dieses Jahres zufolge muss, wer Geld über ein Schneeballsystem anlegt und dabei Schaden nimmt, zunächst keine Beweise vor Gericht vorlegen. Es genügt, wenn der Geschädigte Umstände vorträgt, die das Betreiben eines Schneeballsystems "als naheliegend erscheinen" lassen. Die Beklagte trifft dann eine sekundäre Beweislast, so der BGH laut FAZ (Marcus Jung)

OLG Stuttgart zu Protokollaufzeichnung: zpoblog.de (Benedikt Windau) stellt eine Entscheidung des Stuttgarter Oberlandesgerichts zur Möglichkeit der Akteneinsicht in die vorläufige Protokollaufzeichnung im Sinne des § 160a Zivilprozessordnung vor. Diese Möglichkeit besteht demnach auch ohne besonderes rechtliches Interesse. So könnten Zweifel am Inhalt des endgültigen Protokolls gegebenenfalls schnell geklärt werden.

VG Berlin zu AfD-naher Stiftung: Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Eilbeschluss entschieden, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung keinen Anspruch auf Erwähnung auf der Website des Bundesinnenministeriums (BMI) hat. Ein solcher Anspruch folge weder aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot noch aus dem Neutralitätsgebot im Bereich politischer Willensbildung. Die Verwaltungspraxis des BMI, nur solche politischen Stiftungen auf der Website zu listen, die Förderungen aus Haushaltsmitteln erhalten, sei nicht erkennbar sachwidrig. Es berichtet LTO

LG Stuttgart – Maple Bank: Der Insolvenzverwalter der Maple Bank hat sich in einem Vergleich außergerichtlich mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY geeinigt. EY war für die Abschlussprüfung des 2016 insolvent gegangenen Bankhauses zuständig gewesen. In dem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart ging es um den Vorwurf, EY habe als Steuerberater falsch beraten und als Wirtschaftsprüfer widerrechtlich ein Testat erteilt. Zudem wollte der Insolvenzverwalter die Schadensersatzpflicht in Bezug auf Cum-Ex-Geschäfte festgestellt haben, an denen sich die Maple Bank beteiligt hatte. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung/Mark Wehr)

ArbG Herne zu Corona-Maske: Dem Arbeitsgericht Herne zufolge war die Versetzung einer Krankenschwester auf eine andere Station rechtmäßig, nachdem diese als Intensivkraft auf der Covid-Station Erholungsphasen in kürzeren Abständen gefordert hatte. Die Klinik habe den Sorgen der Frau über ihre Gesundheit Rechnung getragen, weil diese auf der anderen Station nicht durchgehend eine FFP2-Maske tragen müsse. Über die Entscheidung schreibt beck-community (Markus Stoffels)

AG Düsseldorf – Kreuz im Garten: Ein sieben Meter hohes beleuchtetes Kreuz muss aus dem Garten eines Hauses in Düsseldorf entfernt werden. Es hatte die Nachbarin beim Einschlafen behindert. Das Amtsgericht Düsseldorf entschied, das Kreuz gehöre wegen seiner Größe und Beleuchtungsintensität nicht zur normalen Gestaltung eines Gartens, so spiegel.de

Recht in der Welt

EGMR/Polen – Justizreform: Der Doktorand Mathieu Leloup erläutert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) das in der vergangenen Woche ergangene "Xero Flor"-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, in dem dieser zu dem Schluss kam, dass der polnische Verfassungsgerichtshof in seiner derzeitigen Zusammensetzung nicht als "tribunal established by law" angesehen werden kann. Der Ernennungsprozess von drei Verfassungsrichtern im Jahr 2015 sei nicht rechtmäßig erfolgt. 

Der EGMR hat zudem in Bezug auf fünf noch anhängige Fälle Fragen zur Unabhängigkeit der Justiz an Polen geschickt. Dabei geht es vor allem um den sogenannten Landesjustizrat. LTO zufolge will das Gericht nun Beschwerden gegen Teile der polnischen Justizreform vorrangig behandeln.  

Schweiz – Masken-Geschäfte: Die SZ (Isabel Pfaff) schreibt über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Zürich im Zusammenhang mit Schutzmasken-Verkäufen der Firma Emix Trading AG. Diese hatte unter anderem den Schweizer Bundesbehörden im März 2020 gut zehn Millionen OP-Masken sowie knapp 1,5 Millionen FFP2-Masken zu einem Stückpreis zwischen 8,50 und 9,90 Franken verkauft. Die Ermittlungen kreisen um den hohen Verkaufspreis, aber auch um eine möglicherweise nur geringe Filterleistung der Masken. 

Sonstiges

Corona – Impfpriorisierung/Anwälte: Laut beck-aktuell setzt sich der Deutsche Anwaltverein für ein bundesweites Impfangebot für alle Rechtsanwält:innen ein. In Gruppe 3 ("erhöhte Priorität") der Corona-Impfverordnung des Bundes (Gruppe 3) sind u.a. Personen erfasst, die "in besonders relevanter Position in der Justiz und Rechtspflege tätig sind". Die Frage, ob alle Anwälte dazu gehören, wird in den Bundesländern unterschiedlich beantwortet.

Umsetzung der Istanbul-Konvention: Die taz (Carolina Schwarz) beklagt anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen eine mangelhafte Umsetzung in Deutschland. Insbesondere für geflüchtete, wohnungslose und behinderte Frauen sowie LGBTIQ sei der Zugang zu Prävention, Schutz, Beratung und Recht noch mangelhaft. So fehlten eine von der Konvention vorgeschriebene Koordinierungsstelle ebenso wie Frauenhausplätze, wirksamere Maßnahmen gegen "digitale Gewalt" und sensiblere Ermittlungsmethoden bei geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Mängel zeigten sich nun bei der zunehmenden Gewalt gegen Frauen in der Corona-Pandemie. 

Das Letzte zum Schluss 

Der Impfschurke: Wer einen 190cm bis 195cm großen, athletisch gebauten und hochdeutsch sprechenden Mann mit sechs vorgefertigten Impfspritzen der Firma "Moderna" sichtet, sollte sich bei der Polizei in Soest melden. Frisch geimpft ist der Mann jedenfalls mit den Spritzen in der Hand aus dem Impfzentrum geflüchtet, wie spiegel.de weiß. 


*Zusammenfassung geändert am 11.5. um 9.00
 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Mai 2021: Kein Anspruch wegen Agent Orange / AfD rüffelt BVerfG / EGMR zu Polens Justizreform . In: Legal Tribune Online, 11.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44932/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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