Der Jahrestag der Aufdeckung des "Nationalsozialistischen Untergrunds" und das beispiellose Versagen der Ermittlungsbehörden dominieren die Wochenend- und Montagspresse. Daneben in der Presseschau das BVerfG ohne Mutwillensgebühr, ein BSG-Grundsatzurteil zur Rückzahlung von Sozialleistungen, das VG Halle hält Richterbesoldung für zu niedrig – und ein BND-Mann beim Grenzübertritt.
NSU-Jubiläum: Vor einem Jahr flog der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) auf. Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Tanjev Schultz) widmet dem "verhängnisvollen Unvermögen" von Politik, Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten das Thema des Tages. Die Samstags-FAZ (Peter Carstens) konzentriert sich auf die Arbeit des Ermittlungsausschusses des Bundestags. Der Spiegel (Maik Baumgärtner/Sven Röbel/Holger Stark; Vorabmeldung auf spiegel.de) zitiert derweil aus einem bislang unbekannten Thesenpapier des Bundeskriminalamts, das den V-Leuten der Nachrichtendienste eine Aufstachelung der rechtsextremen Szene vorwirft.
Tanjev Schultz (Samstags-SZ) fragt sich in einem separaten Kommentar, wo der "Aufstand der Anständigen in den Behörden" bleibe. Es sei ein "Versagen nach dem Versagen" festzustellen, es mangele an "Demut und echtem Aufklärungswillen". Jasper von Altenbokum (Montags-FAZ) fürchtet angesichts der "Kluft" zwischen Parlamentariern und Sicherheitsbehörden "eine Vertrauenskrise zwischen Gesellschaft und Staat", für die der Untersuchungsausschuss die "Bühne" sei. Wolle man das verhindern, dürfe man "Polizisten und Verfassungsschützer nicht unter einen absurden Generalverdacht" des latenten Rassismus stellen. Maike Rademaker (FTD) fordert dagegen ein "nationales politisches Bekenntnis" zum "Einwanderungsland" Deutschland – allen voran seitens des Innenministers. Auch Daniel Bax (Montags-taz) fordert als "das Mindeste" einen "Mentalitätswandel" in den Behörden und befürwortet eine Migrantenquote bei der Polizei.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Kein Rassismus & mehr Videoüberwachung: Im Interview mit dem Spiegel verwahrt sich Bundespolizeipräsident Dieter Romann im Hinblick auf den Racial-profiling-Prozess vor dem Koblenzer Oberverwaltungsgerichts gegen Rassismusvorwürfe gegenüber der Bundespolizei und fordert einen Ausbau der Videoüberwachung in Deutschland. Dabei wolle er keinen Überwachungsstaat, sondern "lediglich, dass der öffentliche Raum sicherer wird".
Sicherungsverwahrung: Nach einem Bericht des Focus (Daniel Goffart) setzt sich Thomas Kutschaty (SPD), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, für eine Neuregelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ein. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regelungen für verfassungswidrig erklärt hatte, sei noch bis Ende Mai 2013 Zeit für eine verfassungskonforme Neuregelung – dann sei die Übergangsfrist vorbei und müssten die bislang verfassungswidrig Inhaftierten freigelassen werden. Politisch tobe ein Streit der Landesminister mit der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
Flüchtlingsrecht: Als "menschen- und verfassungsfeindliches Abschreckungsrecht" kritisiert Heribert Prantl (Montags-SZ) das deutsche Flüchtlingsrecht. Während sich im Ausländerrecht einiges zum Besseren entwickelt habe, sei das Flüchtlingsrecht auf dem Stand des "Asylkompromisses" von 1992 eingefroren – ein Kompromiss, der dazu gedient habe, Flüchtlinge möglichst schlecht zu behandeln und abzuschrecken. Das sei "eines Rechts- und Sozialstaats nicht würdig".
Betreuungsgeld: Die SPD will ihre politische Opposition gegen das Betreuungsgeld notfalls auch mit den Mitteln des Verfassungsrechts fortführen – und plant bei dessen Einführung eine Klage beim Bundesverfassungsgericht, berichtet die Montags-FAZ (Kerstin Schwenn). Das Betreuungsgeld verletze die staatliche Neutralitätspflicht in Erziehungsfragen.
Keine BVerfG-Gebühr: Es wird wohl keine "Mutwillensgebühr" für aussichtslose Verfassungsbeschwerden am Bundesverfassungsgericht eingeführt. Nach einem Bericht der Montags-taz (Christian Rath) wollen Bundesregierung und Bundestag entsprechende Wünsche des Gerichts nicht umsetzen. Allerdings gebe es einen kleinen Bundestags-Arbeitskreis, der sich Gedanken über die Entlastung des Gerichts mache.
Weitere Themen – Justiz
BVerfG – Anti-Terror-Datei: Am Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsmäßigkeit der Anti-Terror-Datei, einer Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, verhandeln. Die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) liefert eine ausführliche Vorberichterstattung und verdeutlicht, dass es in dem Verfahren im Prinzip um die gesamte "Sicherheitsarchitektur" gehe.
Im Feuilleton der FAS beschäftigt sich Frank Rieger umfassend mit der Thematik geheimdienstlicher Datenerhebung – und sieht in der Anti-Terror-Datei den Versuch, "die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten auszuhebeln". "Eine der grundlegenden Lehren aus der deutschen Geschichte" werde so "ignoriert und ad acta gelegt."
BSG zu Arbeitslosengeld für Straftäter: Das Bundessozialgericht hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Jobcenter Sozialleistungen nicht allein deswegen zurückfordern dürfen, weil sie wegen der Inhaftierung eines Straftäters nötig geworden waren. In dem Fall hatte die Familie eines Straftäters Sozialleistungen erhalten, weil dieser in Folge seiner Untersuchungshaft seine Arbeit verloren hatte. Die Samstags-FAZ (Corinna Budras) berichtet.
VG Berlin zu Flüchtlingsprotest: Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Auflagen der Versammlungsbehörde gegenüber den hungerstreikenden Flüchtlingen auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin für rechtmäßig erklärt. Den Flüchtlingen war insbesondere untersagt worden, Übernachtungsutensilien zu nutzen. Das berichtet die Samstags-FAZ (Mechthild Küpper); auch lto.de fasst das Urteil zusammen.
VG Halle – Richterbesoldung verfassungswidrig: Das Verwaltungsgericht Halle ist davon überzeugt, dass die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten in Sachsen-Anhalt verfassungswidrig niedrig ist – und hat auf die Klage dreier Richter und eines Staatsanwalts hin das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, wie blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) berichtet.
LG München – Gerichtssaal-Todesschütze: Vor dem Landgericht München soll heute der Prozess gegen den Mann beginnen, der im Januar im Dachauer Amtsgericht einen Staatsanwalt erschossen hat. Ob der an Diabetes erkrankte Mann überhaupt verhandlungsfähig sei, werde sich erst am Morgen entscheiden, so die Montags-SZ (Susi Wimmer) im München-Teil.
Deals im Strafprozess: Im "sonntaz"-Teil der Samstags-taz finden sich als "Streit der Woche" Pro- und Contra-Stellungnahmen zur Zulässigkeit von "Deals" im Strafprozess. Unter den Kommentatoren finden sich unter anderen Ex-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) und der SZ-Innenpolitik-Chef und Mitglied der Chefredaktion Heribert Prantl.
Der Spiegel (Vorabmeldung auf spiegel.de) zitiert aus der schriftlichen Stellungnahme der Bundesanwaltschaft. Demnach spreche sich Generalbundesanwalt Harald Range für "restriktivere Anwendungen" der gesetzlichen Vorschriften aus.
Kachelmann-Prozess: In einem Kommentar zum Schadensersatzprozess des Wettermoderators Jörg Kachelmann gegen seine Ex-Geliebte wegen Falschbeschuldigungen geht Gisela Friedrichsen im Spiegel der Aufarbeitung solcher Fälle durch die Justiz nach und kritisiert die Untätigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten.
OVG Koblenz zu Racial Profiling: In der Kolumne "Ein SPRUCH" meint Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel), dass es bei dem Verfahren des Oberverwaltungsgerichts Koblenz zu polizeilichen Kontrollen aufgrund der Hautfarbe nicht "ganz fair" zugegangen sei. Es habe Aussage gegen Aussage, Klischee gegen Klischee gestanden. Schließlich habe das Klischee des "Rassisten in Uniform" gesiegt.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Prozess zum Kandahar-Massaker: Eine ausführlichen Reportage widmet der Spiegel (Guido Mingels) dem Strafprozess gegen den mutmaßlichen Täter des "Kandahar-Massakers", Robert Bales. Diesem werde vorgeworfen, im März dieses Jahres im Dorf Najiban in Afghanistan ein Massaker angerichtet und insgesamt 16 Menschen getötet zu haben.
USA – Google will Geheimhaltung: Nach einem Bericht der FTD (Annika Graf) bemüht sich der US-Suchmaschinenkonzern Google bei seinem Patentprozess gegen den Softwarekonzern Microsoft vor einem Gericht in Seattle um "verschlossene Türen": Verschiedene Dokumente sollten geheimgehalten und die Verhandlung teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden.
Österreich – Benko verurteilt: Der österreichische Immobilienentwickler René Benko ist vom Wiener Straflandesgericht wegen eines Korruptionsdelikts zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, so die Samstags-FAZ (Michaela Seiser).
In einem separaten Kommentar meint Seiser, die Verurteilung werde dem Ruf des rasant aufgestiegenen "Jungspunds" schweren Schaden zufügen.
Rumänien – Rechtsstaats-Konflikt mit EU: Der Konflikt zwischen Rumänien und der EU in Rechtsstaatsfragen verschärft sich. Der rumänische Senat lehnt es ab, einem rechtskräftig wegen Verstoßes gegen Unvereinbarkeitskriterien verurteilten Senator das Mandat zu entziehen; die EU-Kommission kritisiert dies als rechtsstaatswidrige Missachtung von Gerichtsurteilen. Die Montags-FAZ (Karl-Peter Schwarz) berichtet.
Reinhard Veser (Montags-FAZ) sieht im Vorgehen der Kommission ein unverzichtbares Eintreten für rechtsstaatliche Mindeststandards. Schon um Nachahmer abzuschrecken, müsse Brüssel "alle – wenigen – ihm zur Verfügung stehenden Mittel" nutzen.
Griechenland – Journalist freigesprochen: Über den Freispruch des Journalisten Kostas Vaxevanis und die Hintergründe des Prozesses wegen der Veröffentlichung einer "Steuersünderliste" berichtet die Samstags-taz (Jannis Papadimitriou).
Sonstiges
Schöffen: Im "Beruf und Chance"-Teil von Samstags-FAZ und FAS beschäftigt sich Lena Schipper mit dem Schöffenamt. Die Wahl zum ehrenamtlichen Richter könne "jeden treffen" – die Vereinbarkeit des Amtes mit dem Beruf gestalte sich aber oft schwierig.
Verfassungstreue im Islamlehrer-Beirat: Die Montags-SZ (Hermann Horstkotte) schildert auf der "Schule und Hochschule"-Seite, warum ein Stuhl des Beirats des neuen Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster zunächst frei bleibt – der von der islamischen Dachorganisation "Koordinationsrat der Muslime" vorgeschlagene Mann habe die vom Bundesbildungsministerium durchgeführte Prüfung der Verfassungstreue nicht bestanden.
Zu hohe Anwaltskosten: Viele Unternehmer halten die Honorare internationaler Wirtschaftskanzleien für zu hoch. Über eine entsprechende Umfrage der Kommunikationsagentur "Faktenkontor" berichtet die Montags-FAZ (Corinna Budras). In einem weiteren Artikel zeigt Budras auf, wie Kanzleien mit dem Thema umgehen und stellt das Modell eines kanzleiinternen "Honorarbeauftragten" vor.
Corporate Governance Kodex: Eine Studie des Jenaer Wirtschaftsrechtlers Walter Bayer zum Deutschen Corporate Governance Kodex, einem Regelwerk zur "guten Unternehmensführung", stellt die Montags-FAZ (Joachim Jahn) vor. Danach gebe es eine Reihe von Aktiengesellschaften, die den Kodex pauschal ablehnten.
Samenspende und Unterhalt: Mit den möglichen unterhaltsrechtlichen Folgen einer Samenspende beschäftigt sich der Familienrechtler Herbert Grziwotz auf lto.de. So könnten Samenspender gerichtlich als Vater festgestellt und dadurch unterhaltspflichtig werden.
Blinde Strafverteidigerin: zeit.de (Marie-Charlotte Maas) widmet sich in einem Porträt der blinden Berliner Strafverteidigerin Pamela Pabst. Viele Mandanten schätzten es, von ihr gar nicht erst nach dem Aussehen beurteilt werden zu können, so die Anwältin.
Das Letzte zum Schluss
BND-Schlepper: Über einen Grenzzwischenfall der zweifelhafteren Art berichtet der Spiegel: An der deutsch-polnischen Grenze sei ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes bei der Einreise nach Deutschland mit zwei asiatischen Mitfahrern ohne Aufenthaltserlaubnis kontrolliert worden – nachdem er unter Vorzeigen seines Dienstausweises versucht hatte, einer Kontrolle zu entgehen. Seine Stellungnahme: Die Mitfahrer seien ihm durch eine Mitfahrzentrale vermittelt worden. Es laufen dienst- und strafrechtliche Ermittlungen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. bis 5. November 2012: NSU hat Geburtstag – BVerfG weiter gebührenfrei – Richterbesoldung verfassungswidrig? . In: Legal Tribune Online, 05.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7453/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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