Die juristische Presseschau vom 4. November 2020: Freie Fahrt für Feh­marn­belt­tunnel / Ergän­zung des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes? / Folter-Fotos am OLG Kob­lenz

04.11.2020

Die USA wählt, das BVerwG genehmigt den Bau des Fehmarnbelttunnels. Mit der gesetzlichen Präzisierung der Eingriffsermächtigungen nach dem Infektionsschutzgesetz könnte es schnell gehen und Bildbeweise zu Folter in Syrien am OLG Koblenz.

Thema des Tages

BVerwG zu Fehmarnbelttunnel: Wie nach der umfangreichen Verhandlung erwartet, hat das Bundesverwaltungsgericht alle Klagen gegen die Planfeststellung des Fehmarnbelttunnels, der Dänemark und Deutschland verbinden soll, abgewiesen. Auf naturschutzrechtliche Belange sei hinreichend Rücksicht genommen worden. Der Umgang mit jüngst entdeckten neuen Riffen im Meeresboden könne in einem ergänzenden Planungsverfahren geklärt werden. Der von den Klägern ebenfalls bezweifelte wirtschaftliche Bedarf sei im deutsch-dänischen Staatsvertrag gesetzlich festgeschrieben und jedenfalls nicht evident falsch ermittelt worden. Mit dem Bau des Tunnels, der 2029 fertiggestellt sein soll, kann jetzt begonnen werden. Es berichten die FAZ (Christian Müssgens), die taz (Christian Rath), die Welt (Olaf Preuss) und LTO.

Nach Kai Schöneberg (taz) gibt das Urteil "einer gigantischen Fehlinvestition mit eingebautem Öko-GAU" den Weg frei, für Matthias Wyssuwa (FAZ) sollte es dagegen die Zuversicht unterstützen, "dass man mit großen Infrastrukturprojekten große Schritte in die Zukunft gehen kann."

Rechtspolitik

Infektionsschutzgesetz: Noch in dieser Woche soll der Bundestag über eine Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes beraten, durch die Maßnahmen wie Gaststättenschließungen auf eine hinreichend genau formulierte gesetzliche Grundlage gestellt werden sollen. Über die zur Einfügung eines neuen Paragraphen 28a in der Regierungskoalition erzielte Einigung berichten LTO sowie die FAZ (Corinna Budras). Nach Informationen von spiegel.de (Timo Lehmann/Christian Teevs) sollen in der neuen Bestimmung explizit auch Beherbergungsverbote ermöglicht werden.

Corona-Maßnahmen: Die FAZ (Christian Geyer) widerspricht in ihrem Geisteswissenschaften-Teil der von Rechtsprofessor Friedhelm Hase in der "Juristenzeitung" dargelegten Einschätzung, verfassungsrechtliche Beiträge zum staatlichen Umgang mit dem Coronavirus hätten "das politische, legislatorische und administrative Handeln offenbar fast nirgendwo erreicht" und seien "nahezu ungehört verhallt". Gerade die jüngsten Auftritte der Kanzlerin belegten, dass politischen Entscheidungsträgern sehr wohl die Notwendigkeit einer Begründung für grundrechtsbeschränkende Maßnahmen bewusst sei. Auch bei Gerichten seien "spärliche Begründungen" mittlerweile nicht mehr wohlgelitten.

Hasskriminalität: Die Bundesregierung arbeitet "mit Nachdruck" an der Behebung der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angemeldeten verfassungsrechtlichen Bedenken zum Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, einen Zeitplan könne sie jedoch nicht bestimmen. Dies geht aus der Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Grünenfraktion hervor, über die spiegel.de (Max Hoppenstedt) berichtet.

RA-Gebühren: Am kommenden Freitag befasst sich der Bundesrat mit dem Vorschlag, die für das nächste Jahr geplante Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren auf das Jahr 2023 zu verschieben. In einem der FAZ (Corinna Budras) vorliegenden Schreiben protestieren Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein bei den Ministerpräsidenten gegen eine Verschiebung. Die "überfällige Gebührenanpassung" sei "sehr moderat" und sichere auch in Pandemiezeiten den nur durch die Anwaltschaft zu gewährleistenden Zugang zum Recht.

EU-Rechtsstaatlichkeit: Nach Bericht der SZ (Matthias Kolb) zeichnet sich auf europäischer Ebene eine Lösung zur umstrittenen Frage des Umgangs mit Mitgliedstaaten, die grundsätzliche Probleme bei der Rechtsstaatlichkeit aufweisen, ab. Nach den von Parlament und Mitgliedstaaten am morgigen Donnerstag beendeten Gesprächen könne eine qualifizierte Mehrheit von 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren, eine von der EU-Kommission vorgeschlagene Kürzung von Geldern verhängen.

EU-Mindestlohn: Den soeben vorgelegten EU-Richtlinienentwurf für die Kriterien bei der Festlegung von Mindestlöhnen kritisiert Rechtsprofessor Gregor Thüsing in einem ausführlichen Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch. Der EU fehle für die angedachte europarechtliche Überprüfbarkeit der Mindestlohngesetzgebung "schlicht die Gesetzgebungskompetenz", außerdem widerspreche die Initiative dem Gedanken der Subsidiarität.

Jagd: Das Bundeskabinett berät am heutigen Mittwoch über den Entwurf eines neuen Bundesjagdgesetzes. Vertieft beschreibt die FAZ (Reinhard Bingener) die hierbei zutage getretenen Konflikte zwischen Jägern und Waldbesitzern: Während erstere einen hohen Wildbestand gesichert sehen wollen, plädieren letztere für die Aufforstung speziell von Mischwäldern, die als klimastabil gelten. Nach Meinung von Rudolf Neumaier (SZ) folgt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) mit dem "weltfremden und tierfeindlichen" Entwurf "der Forstwirtschaftslobby und deren Mantra vom bösen Reh". Die Jäger würden so zu "Schädlingsbekämpfern" degradiert.

Algorithmen: Ein von zeit.de berichteter Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums verpflichtet Onlinehändler wie Amazon zur Offenlegung ihrer wesentlichen Rankingkriterien. Daneben solle auch mehr Transparenz bei der Anwendung von Algorithmen bei der Preiskalkulation von Wiederverkäufern auf Ticketbörsen erreicht werden.

Justiz

BGH zu Leasing-Fahrzeug: LTO berichtet über eine nun veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs von Ende September zum Fahrzeug-Leasing. Verliert ein geleastes Auto im Laufe der Vertragszeit über Erwarten an Wert, ist dieses Risiko grundsätzlich vom Leasingnehmer zu tragen. Nach dem jetzigen Urteil kann er sich hierbei jedoch Zahlungen von Versicherungen an den Leasinggeber anrechnen lassen, die nicht in eine Reparatur geflossen sind.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im Prozess gegen mutmaßliche Folterer des syrischen Assad-Regimes spielt am Oberlandesgericht Koblenz auch eine außer Landes geschmuggelte Foto-Sammlung eine Rolle. Unter der Bezeichnung "Caesar-Files" finden sich Aufnahmen von knapp 7.000 Leichen, die von einem Militärfotografen angefertigt und anschließend heimlich kopiert worden seien, schreibt die taz (Sabine am Orde) in einer ausführlichen Reportage, die auch vertieft auf die Aussagen von Sachverständigen zu diesen Bildern und deren Herkunft eingeht. Daneben berichtet die taz (Dominic Johnson) über den Jahresbericht der Dokumentationsinitiative Syria Justice and Accountability Centre, die weltweit 92 laufende oder abgeschlossene Prozesse, Ermittlungsverfahren oder Strafanzeigen gegen Syrer wegen Kriegsverbrechen ermittelt hat. Nach einer Beschwerde der niederländischen Regierung wegen der Verletzung der UN-Antifolterkonvention könnte Syrien zudem auch noch ein Verfahren am Internationalen Gerichtshof drohen.

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Verfahren zur Tötung Walter Lübckes wurde Dirk Waldschmidt, der zunächst mandatierte Rechtsanwalt des Hauptangeklagten Stephan E., als Zeuge vernommen. Der frühere NPD-Funktionär gab unter Androhung einer Beugehaft an, sich mit E. nach dessen ersten Geständnis allgemein über eine "Gefangenenhilfe" der rechten Szene unterhalten zu haben, bestritt jedoch diesbezügliche Versprechungen an seinen damaligen Mandanten, so die FAZ (Marlene Grunert). spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet ebenfalls von der Vernehmung des Anwalts.

OLG Naumburg – Anschlag auf Synagoge: Am Oberlandesgericht Naumburg erläuterten eine Psychologin und ein Psychiater ihre Einschätzungen zur Schuldfähigkeit des wegen des Anschlags auf die Hallenser Synagoge angeklagten Stephan B. Dieser besitze eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit schweren seelischen Abartigkeiten, schreibt die FAZ (Mona Jaeger). Seine Schuldfähigkeit sei aber nicht beeinträchtigt. Ferner bestehe die Wahrscheinlichkeit neuerlicher Taten, sollte B. die Möglichkeit hierzu bekommen.

LG Bremen – Bamf-Skandal: Vor einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bremen Anklage gegen die ehemalige Leiterin der örtlichen Stelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen gewerbsmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung erhoben. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist bis zum heutigen Tag nicht entschieden. Die taz (Benno Schirrmeister) berichtet, der Verteidigung der Angeschuldigten sei es gelungen zu rekonstruieren, dass in einem der in der Anklageschrift aufgeführten Fälle der Widerruf eines Asylbescheides verwaltungsgerichtlich aufgehoben wurde. In übrigen Fällen verweigere das Bamf eine Akteneinsicht.

LG Osnabrück zu Promillegrenzen bei E-Scootern: Da sie als elektrische Kleinfahrzeuge gelten, sind bei der Benutzung von E-Scootern auch die bei anderen Kraftfahrzeugen geltenden strafrechtlichen Promillegrenzen einschlägig. Von einer absoluten Fahruntüchtigkeit sei somit ab einem Wert von 1,1 Promille auszugehen, so das Landgericht Osnabrück in einem Beschluss von Mitte Oktober, über den LTO berichtet. In seinem Bericht macht lawblog (Udo Vetter) darauf aufmerksam, dass das Bayerische Oberste Landesgericht bereits im Sommer ähnlich geurteilt hatte.

VG Berlin – Dieter Hallervorden und Corona: Die FAZ (Simon Strauss, Zusammenfassung auf faz.net) hat erfahren, dass der Komiker Dieter Hallervorden als Betreiber des Berliner Schlosspark-Theaters beim Verwaltungsgericht Berlin einen Eilrechtsschutz gegen die coronabedingte Schließungsverfügung beantragt hat. Der Antrag werde mit der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit begründet.

Recht in der Welt

USA – Präsidentschaftswahl: Zu der in der vergangenen Nacht abgehaltenen Präsidentschaftswahl in den USA erklärt Rechtsprofessor James Fowkes auf LTO Zustandekommen und Funktionsweise des Wahlkollegiums. Dessen Natur als föderaler Kompromiss ermögliche die zuletzt bei Donald Trumps Wahl 2016 zutage getretene Erscheinung, dass der Kandidat mit der höchsten Gesamtstimmenzahl nicht notwendigerweise gewinne.

USA – IStGH: 72 Staaten, unter ihnen die Bundesrepublik, haben in einer gemeinsamen Erklärung vor der UN-Vollversammlung die von den USA ausgesprochenen Sanktionen gegen Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs verurteilt. Wegen Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in Afghanistan hatten die USA Anfang September Sanktionen u.a. gegen Fatou Bensouda, die Chefanklägerin des Gerichts, verhängt. spiegel.de berichtet.

USA – Bayer: Dem Bayer-Konzern kommen seine Rechtsstreitigkeiten wegen des glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittels RoundUp teurer zu stehen als bislang angenommen. Wie das Hbl (Bert Fröndhoff) schreibt, habe Bayer 80.000 Klagen in den USA für einen Betrag von bis zu zehn Milliarden Euro außergerichtlich beilegen können. Eine Einigung bezüglich zukünftiger Forderungen stehe aber nach wie vor aus.

Norwegen – Ölbohrungen: Ab dem heutigen Mittwoch und bis zur nächsten Woche verhandelt der Oberste Gerichtshof Norwegens über eine Klage von Umweltschutzorganisationen gegen die Vergabe von Ölbohrlizenzen in der Arktis. Nach einer Abweisung in der unteren Instanz hätten neue Enthüllungen über eine fragwürdige Informationspolitik des zuständigen Ministeriums dem Anliegen der Kläger neuen Auftrieb versetzt, schreibt die SZ (Kai Strittmatter).

Juristische Ausbildung

Sketchnotes: Das Erfassen und Verstehen von Rechtsproblemen fällt Vielen durch Visualisierung leichter. Über bloße Skizzen hinaus können dabei Sketchnotes verwendet werden, LTO (Sabine Olschner) weiß hierzu Genaueres.

Sonstiges

Wirecard-Haftung: Nach einem der FAZ (Marcus Jung) vorliegenden Gutachten von Rechtsprofessor Moritz Renner können sich Anleger des insolventen Wirecard-Unternehmens gegen die Bundesrepublik auf einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch stützen. Grund hierfür sei die mangelhafte Umsetzung der Transparenzrichtlinie, so Renner zum Gutachten. Die Schutzgemeinschaft für Kapitalanleger beabsichtige, dieses Gutachten zur Grundlage einer "nicht vor Frühjahr 2021" beim Landgericht Berlin einzureichenden Schadensersatzklage zu machen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. November 2020: Freie Fahrt für Fehmarnbelttunnel / Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes? / Folter-Fotos am OLG Koblenz . In: Legal Tribune Online, 04.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43309/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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