Die juristische Presseschau vom 3. bis 4. Oktober 2019: Lösch­pflich­ten für Social-Media-Platt­formen / Fair­ness für "Das Boot"-Kame­ra­mann? / Benach­tei­li­gung Ost­deut­scher

04.10.2019

Der EuGH etabliert Löschpflichten in Bezug auf rechtswidrige Beleidigungen für Betreiber sozialer Netzwerke. Außerdem in der Presseschau: "Das Boot" vor dem BGH und das AGG hilft nicht bei Mobbing wegen ostdeutscher Herkunft.

Thema des Tages

EuGH zu Online-Beleidigungen: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Online-Dienste wie Facebook durch gerichtliche Urteile gezwungen werden können, bei einer rechtswidrigen Beleidigung das Hochladen wort- oder sinngleicher Äußerungen mittels Filtern zu verhindern. Anderenfalls könnte ein Urteil leicht durch eine Umformulierung durch den Nutzer umgangen werden. Es liege jedoch nur dann eine sinngleiche Äußerung vor, wenn sie sich mit Mitteln der Technik aufspüren lasse und Facebook keine neue Bewertung vornehmen müsse. Unter Berücksichtigung des relevanten internationalen Rechts kann durch nationale Gerichte sogar eine weltweite Löschung veranlasst werden. Die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr stehe einer entsprechenden Praxis nicht entgegen. Berichte über das Urteil finden sich auf zdf.de (Felix Zimmerman), in der SZ (Wolfgang Janisch) und auf tagesschau.de (Klaus Hempel).

Wolfgang Janisch (SZ) meint, das Urteil zeige, dass die Justiz sehr viel entschiedener gegen ehrverletzende Äußerungen im Internet vorgehen könne, als sie es bisher leiste. Längst sei klar geworden, dass sich Beschimpfungen und Hetzreden nur eindämmen ließen, wenn man die Betreiber sozialer Medien stärker in die Pflicht nehme. Der EuGH stärke somit das "Prinzip Verantwortung". Auch Christian Rath (BadZ) findet das Urteil "juristisch überzeugend". Wenn ein Löschen "sinngleicher" Äußerungen gefordert werde, laufe dies aber in der Regel leer.

Rechtspolitik

Namensrecht: Bundesinnen- und Bundesjustizministerium haben 2018 eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, die Vorschläge zur Novellierung des vergleichsweise strengen deutschen Namensrechts ausarbeiten soll. Das Hbl (Katharina Schneider) stellt die Rechtslage in Deutschland dar und erläutert, welche Gesetzesänderungen diskutiert werden. Zu Wort kommen unter anderem die Rechtsprofessoren Anatol Dutta und Tobias Helms, die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sind. Dutta diagnostiziert eine "Prinzipienlosigkeit und mangelnde Konsistenz" des deutschen Namensrechts.

"Mietendeckel" Berlin: Die taz (Malene Gürgen) meldet, dass der Berliner Senat am 15. Oktober entscheiden will, ob die Hauptstadt einen sogenannten Mietendeckel bekommt. Die SZ (Jan Heidtmann) berichtet über die durch das Thema verursachten Spannungen innerhalb der rot-rot-grünen Regierungskoalition.

Justiz

EGMR zu Holocaust-Leugnung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Beschwerde des ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs abgewiesen. Die von ihm getätigten Aussagen stellten absichtliche Unwahrheiten zur Verleumdung von Juden und Leugnung des Holocaust dar. Dies sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern stehe "den Werten der Konvention selbst" entgegen, so der EGMR laut zeit.de (Alexandra Endes).

BGH – Schulte-Kellinghaus: Der Fall des "langsamen Richters" Thomas Schulte-Kellinghaus gelangt erneut zum Bundesgerichtshof. Schulte-Kellinghaus hat Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Dienstgerichtshofs für Richter am Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt, der befunden hatte, eine Ermahnung, Fälle künftig rascher zu bearbeiten, beeinträchtige ihn nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit. lto.de berichtet.

BGH zu Partner-Haftung: Einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zufolge, über die lto.de (Maximilian Amos) ausführlich berichtet, befreit es den Partner einer Rechtsanwaltskanzlei nicht von der Haftung für Fehler in der Prozessführung, dass er das Mandat an einen Kollegen abgegeben hat, noch bevor der Fehler gemacht wurde.

BGH – "Das Boot": Vor dem Bundesgerichtshof ist am vergangenen Mittwoch die Klage des Kameramannes Jost Vacano verhandelt worden, der für eine angemessene finanzielle Beteiligung am Erlös der Filmproduktion "Das Boot" streitet. Grundlage der Auseinandersetzung ist ein 2002 ins Urheberrechtsgesetz (UrhG) eingefügter "Fairnessparagraf", der für bestimmte Berufsgruppen eine nachträgliche angemessene Beteiligung am Filmerfolg gewährt, wenn ihr Lohn im "auffälligen Missverhältnis" zum Erlös steht. Es berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).

OLG Oldenburg zu Blitzer-Messdaten: Nach einer Entscheidung des Oldenburger Oberlandesgerichts sind Messungen von Blitzgeräten auch ohne die Speicherung der Messdaten vor Gericht verwertbar. Das Gericht stellt sich damit laut lawblog.de (Udo Vetter) einer Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs entgegen.

OLG Braunschweig – KapMuG-Verfahren VW: Der SZ zufolge sind im Musterverfahren von VW-Anlegern vor dem Oberlandesgericht Braunschweig insgesamt vier Termine aufgehoben worden, da sich Gericht und Parteien vor dem nächsten Termin mit umfangreichen Privatgutachten beschäftigen müssen.

LAG Berlin-Brandenburg zu GdP-Betriebsrätin: Die Suspendierung der Betriebsratsvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) war einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zufolge rechtswidrig. Es habe keinen "gewichtigen Grund" zur Suspendierung geben, so das Gericht laut FAZ (Rüdiger Soldt). Hintergrund des Streits ist interne Kritik am Führungsstil des Vorsitzenden der GdP, Oliver Malchow.

LG Hannover zu Kindesmisshandlung: Das Landgericht Hannover hat eine Frau wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen, Freiheitsberaubung und Verletzung der Fürsorgepflicht zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie hatte ihre Tochter unter anderem mehrfach in eine Hundebox gesperrt und ihr mit einem Elektrohalsband für Hunde Stromstöße versetzt. spiegel.de berichtet.

LG Berlin zu Künast-Beschimpfungen: Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat laut lto.de (Markus Sehl) gegen einen Beschluss des Landgerichts Berlin aus der vergangenen Woche Beschwerde eingelegt. Dem Beschluss zufolge waren gegen Künast gerichtete Beschimpfungen im Internet nicht als strafbare Beleidigungen anzusehen.

LG Ravensburg zu Missbrauch: Ein Schulbusfahrer ist vom Landgericht Ravensburg wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er habe "seine Stellung als Busfahrer ausgenutzt, um in Kontakt mit Kindern zu kommen", so der Vorsitzende Richter laut spiegel.de. Insgesamt geht es um sechs Jungen und ein Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren, die der Mann zu sexuellen Handlungen verleitete.

LG Potsdam zu Brandanschlag: Das Landgericht Potsdam hat nach Bericht von zeit.de einen ehemaligen NPD-Politiker zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte im August 2015 im brandenburgischen Nauen eine Sporthalle angezündet, die als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden sollte. Zudem hatte er das Auto eines polnischen Staatsbürgers beschädigt. Ein früheres Urteil in dieser Sache war wegen Befangenheit eines Schöffen vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden.

LG Kassel zu Smartphone-Beschlagnahme: Die taz (Christian Rath) erläutert einen Beschluss des Landgerichts Kassel, nach dem die Kasseler Polizei einer 35-Jährigen Frau ihr Smartphone zurückgeben muss. Die Frau hatte eine Polizeikontrolle bei einer Demonstration gefilmt, daraufhin war ihr Smartphone wegen mutmaßlicher Verletzung der "Vertraulichkeit des Wortes" nach § 201 Strafgesetzbuch (StGB) als Beweismittel beschlagnahmt worden. Das Landgericht lehnte nun bereits den Verdacht einer Straftat ab und hielt die Beschlagnahme jedenfalls für unverhältnismäßig.

LG Stuttgart – Windreich: Im Verfahren um die Insolvenz des Windparkentwicklers Windreich hat das Stuttgarter Landgericht laut SZ das Verfahren gegen zwei Angeklagte wegen geringer Schuld gegen Zahlung einer Geldauflage vorläufig eingestellt.

ArbG Berlin zu ostdeutscher Herkunft: Das Arbeitsgericht Berlin mit einer am Mittwoch veröffentlichen Entscheidung die Klage eines Journalisten abgewiesen, der geltend gemacht hatte, wegen seiner ostdeutschen Herkunft stigmatisiert und gedemütigt worden zu sein. Dem Gericht zufolge steht dem Kläger eine Entscheidung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht zu, weil Menschen ostdeutscher Herkunft nicht "Mitglieder einer ethnischen Gruppe" oder "Träger einer einheitlichen Weltanschauung" im Sinne von § 1 AGG seien. Deshalb könne der Kläger auch nicht aus diesen Gründen benachteiligt worden sein. Es berichten die Berlin-taz (Manuela Heim), community.beck.de (Markus Stoffels) und lto.de.

Justiz-Überlastung: Die Richtervertretungen in Schleswig-Holstein und Hamburg klagen laut lto.de über Personalmangel, insbesondere im Bereich der Geschäftsstellen. Sie sind, laut Ulrich Fieber von der Neuen Richtervereinigung Schleswig-Holstein, die "Achilles-Ferse der Justiz" und "seit Jahren überlastet".

Daten-Infrastruktur: Am Kammergericht Berlin ist infolge eines Hackerangriffs bereits seit mehreren Tagen das Computersystem lahmgelegt. Nun sind die Mitarbeiter auf Telefon, Fax und Papier angewiesen. FAZ und lto.de berichten.

Recht in der Welt

WTO zu Airbus-Subventionen: Die Welthandelsorganisation hat Subventionen der Europäischen Union für Airbus für rechtswidrig erklärt und am Mittwoch Vergeltungsmaßnahmen der USA auf Wareneinfuhren im Wert von 7,5 Milliarden Dollar im Jahr genehmigt. Es berichten taz (Eric Bonse/Felix Lee), FAZ (Christian Schubert) und spiegel.de.

Felix Lee (taz) begrüßt das Urteil und mahnt zu besonnener Reaktion. Die Europäer sollten sauber trennen, welche Strafzölle berechtigt seien und welche nicht. Hubert Wetzel (SZ) meint im Leitartikel, es sage viel aus über den Zustand der Welt, dass man sich über das Urteil freuen müsse. Das Entscheidende sei, dass es überhaupt ein Urteil gab. Dennoch sei es "ein letztes Echo aus einer verblassenden Epoche" des Multilateralismus.

Polen – Fremdwährungskredite: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ein Urteil zu Krediten gesprochen, die in Fremdwährung zu tilgen sind. Im Ausgangsverfahren ging es um den Schweizer Franken, dessen Wechselkurs nachträglich erheblich stieg und polnische Bankkunden in Schwierigkeiten brachte. Der EuGH entschied nun, dass eine unwirksame Fremdwährungsklausel zur Nichtigkeit des geschlossenen Kreditvertrags führt. Die Lücken des Kreditvertrags lassen sich nicht durch allgemeine Bestimmungen des polnischen Rechts ersetzen. Dies berichten die FAZ (Mark Fehr) und die SZ.

Sonstiges

Postüberwachung: lto.de (Martin Rath) berichtet über umfangreiche Telefon- und Postüberwachung in der Frühphase der Bundesrepublik und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1969, die der Praxis mit ein Ende setzte. In der vor 50 Jahren erlassenen Entscheidung befand das BVerfG, dass aus der DDR stammende Schriften zwar auf der Grundlage von Straftatbeständen des Staatsschutzes eingezogen werden könnten. Zugleich sei jedoch die Informationsfreiheit der Empfänger zu beachten.

Klimakrise: In einem Beitrag für voelkerrechtsblog.org erläutert der Rechtswissenschaftler Stephan Gerbig (in englischer Sprache) anlässlich einer von 16 Kindern aus der ganzen Welt beim UN-Kinderrechtausschuss eingereichten Individualbeschwerde prozedurale Aspekte des Verfahrens. Im konkreten Fall soll erreicht werden, dass der UN-Kinderrechtsausschuss feststellt, dass die Klimakrise auch eine Krise der Rechte der Kinder ist. Die dem Verfahren unterworfenen Länder sollen als für die Klimakrise verantwortlich erklärt und so dazu gebracht werden, nationale Gesetze am Maßstab der wissenschaftlichen Erkenntnisse neu auszurichten.

Pensionskassen: In einem Beitrag für lto.de erläutert der Rechtsanwalt Tobias Neufeld ausführlich die prekäre finanzielle Lage regulierter Pensionskassen und beantwortet die Frage, was Arbeitgeber tun können, wenn die Kassen die versprochenen Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften und deshalb Pensionsleistungen gekürzt oder Kapitalmittel nachgeschossen werden müssen.

Äußerungsrechte von Soldaten: Die Welt (Kaja Klapsa) bringt anlässlich des Falles von Generalmajor Reinhardt Zudrop ein Interview mit dem Rechtsprofessor Josef Franz Lindner, der sich zu der Frage äußert, ob ein General der Bundeswehr öffentlich vor der AfD warnen darf. Lindner verneint dies unter Verweis auf das Beamten- und das Soldatenrecht. Dieses sei in dieser Hinsicht streng und lasse im dienstlichen Kontext auch keine Äußerung "als Privatperson" zu.

Das Letzte zum Schluss

Notorischer Bankräuber: In der SZ (Peter Burghard) findet sich ein Bericht über das Verfahren gegen den 71-jährigen Michael Jauernik, genannt "Richard Gier", vor dem Landgericht Hamburg. Er soll drei Hamburger Sparkassen überfallen und einen Bankangestellten lebensgefährlich verletzt haben. Sein letztes Wort vor Gericht erstreckte sich über 20 Stunden und fünf Verhandlungstage, bis die Vorsitzende Richterin verlas: "So, es ergeht folgender Kammerbeschluss: Dem Angeklagten wird das Wort entzogen".

 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. bis 4. Oktober 2019: Löschpflichten für Social-Media-Plattformen / Fairness für "Das Boot"-Kameramann? / Benachteiligung Ostdeutscher . In: Legal Tribune Online, 04.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37989/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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