Die Bund-Länder-Oppositions-Gespräche zur Asylpolitik brachten noch keine Ergebnisse. Die Bundesregierung bringt heute Reallabore für digitale Zivilprozesse auf den Weg. Die EU-Kommission darf Fusionen nur verbieten, wenn sie zuständig ist.
Thema des Tages
Asyl: Bei einem Arbeitstreffen zwischen Vertreter:innen von Bundesregierung, Ländern und CDU/CSU konnten sich die Teilnehmenden vorerst nicht über neue Maßnahmen zur Verhinderung irregulärer Migration verständigen. Die Regierung verwies auf das vorige Woche vorgestellte Sicherheitspaket, wonach u.a. Dublin-Flüchtlingen, die eine Aufnahmezusage des zuständigen EU-Staates haben, in Deutschland keine Sozialleistungen mehr gewährt werden sollen. Die CDU/CSU fordert, dass Flüchtlinge, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, erst gar nicht aufgenommen und entgegen der Dublin-III-Verordnung an der Grenze zurückgewiesen werden. Die Bundesregierung will klären, ob und wie dies rechtlich ermöglicht werden kann. Nächste Woche soll erneut verhandelt werden. Die SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion) berichtet.
Das Hbl (Heike Anger) unterzieht aktuelle Vorschläge einem Faktencheck. Die Welt (Klaus Geiger) beschreibt, dass und wie "sich Deutschland und Europa in der Asylpolitik über Jahrzehnte in ein Dickicht rechtlicher Bestimmungen manövriert und sich quasi juristisch selbst gefesselt haben." Der Beitrag nennt diesbezüglich etwa ein "sehr weitgehendes Urteil" des Bundesverfassungsgerichts von 2012, das entschieden hatte, "dass auch für Asylbewerber immer der Menschenwürde-Artikel des Grundgesetzes gilt" und auf dieser Grundlage die Gewährleistung eines menschenwürdegerechten Existenzminimums auch für abgelehnte Asylbewerber einforderte. spiegel.de bringt in Frage-und-Antwort-Form eine Übersicht zum Inhalt von Art. 16a Grundgesetz, der 1993 durch den von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten sogenannten Asylkompromiss entstand. Das in der Diskussion um die Einschränkung von Rechten von Flüchtlingen oft angeführte dänische Beispiel untersucht nun auch die SZ (Alex Rühl). Tatsächlich habe es die sozialdemokratische Regierung Dänemarks geschafft, durch drastische Maßnahmen die Zahl von Asylantragsteller:innen enorm zu senken. Dass sich das Königreich bei der Asyl- und Migrationspolitik nicht an EU-Standards orientieren muss, beruht jedoch auf Sonderrechten, die dem Land nach dem zunächst gescheiterten Maastricht-Referendum 1992 gewährt wurden.
Rechtspolitik
Digitaler Zivilprozess: LTO (Markus Sehl) liegt der überarbeitete Gesetzentwurf zur Entwicklung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit vor, der am heutigen Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen werden soll. Danach soll es ab dem nächsten Jahr möglich sein, amtsgerichtliche Verfahren an ausgewählten Standorten ausschließlich digital zu führen. Als Anreiz sei eine ermäßigte Verfahrensgebühr vorgesehen. Regelmäßige Evaluierungen sollen das auf zehn Jahre angelegte Projekt begleiten.
Gemeinnützigkeit: Rechtsanwalt Christian Kirchhain und Rechtsprofessor Sebastian Unger begrüßen im Recht und Steuern-Teil der FAZ die nun wieder in Gang gekommenen Bemühungen der Bundesregierung zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Leider habe das Bundeskabinett in seinem Ende Juli ergangenen Entwurfsbeschluss "die Axt an einen zentralen, jahrzehntelang geltenden Grundsatz", das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung, angelegt. Zwar sei es löblich, Bürokratie abbauen zu wollen. Die ersatzlose Streichung des Prinzips trage hierzu aber nicht bei, weil sich zahllose Folgeprobleme ergeben.
Mord/Femizid: Stephan Klenner (FAZ) spricht sich im Leitartikel gegen die pauschale Verwendung des Begriffs Femizid für Fälle von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang für eine Frau aus. Tatsächlich sei die juristische Einordnung derartiger Fälle komplex und zu Recht einer strengen Prüfung unterworfen, ohne dass es hierfür eines "Sonderstraftatbestandes" brauche. Der Schutz von Frauen vor tödlicher Partnerschaftsgewalt gelinge besser über eine Ergänzung der Mordmerkmale um das Merkmal der körperlichen Überlegenheit, wie sie jüngst von der CDU/CSU vorgeschlagen wurde.
Justiz
EuGH zu Fusionskontrolle: Die EU-Kommission durfte die Übernahme des US-Unternehmens Grail durch das US-Unternehmen Illumina nicht untersagen, weil Grail nicht auf EU-Märkten aktiv ist und deshalb keine Befugnis der EU-Kommission zur Verfahrenseröffnung bestanden habe. Dies entschied der Europäische Gerichtshof und urteilte damit anders als zuvor das EU-Gericht. Die EU-Kommission und auch das EuG waren von einer Wettbewerbsrelevanz der Fusion ausgegangen und hatten auf Prüfungsanträge nationaler Wettbewerbsbehörden verwiesen. Der EuGH stellte klar, dass auch die nationalen Behörden nicht zuständig waren und deshalb keine Verweisungsanträge stellen konnten. FAZ (Werner Mussler) und beck-aktuell berichten.
In einem separaten Kommentar macht Werner Mussler (FAZ) die scheidende Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager für das Ergebnis verantwortlich. Wie schon in Beihilfefällen seien der Dänin vor allem "viele spektakuläre Entscheidungen" wichtig, nun hinterlasse sie "einen juristischen Scherbenhaufen".
BGH zu Heimtücke bei Angriff mit Auto: Das Mordmerkmal Heimtücke kann nicht bereits deshalb verneint werden, weil der Angreifende den Motor des von ihm gelenkten Fahrzeugs unmittelbar vor dem Angriff aufheulen ließ. Erforderlich sei, das die Angegriffenen die vom Auto ausgehende Gefahr als solche auch wahrnahmen. Dies entschied der Bundesgerichtshof im Juni. Das Landgericht Aachen muss einen entsprechenden Fall nun erneut verhandeln. beck-aktuell berichtet.
OLG Köln zu Mithaftung bei Verkehrsunfall: Wie schon die Vorinstanz entschied in der vergangenen Woche auch das Oberlandesgericht Köln, dass eine auf dem Rücksitz nicht angeschnallte Mitfahrerin keine Mithaftung für die bei einem schweren Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen der Beifahrerin trifft. Zwar entfalte die Gurtpflicht grundsätzlich auch drittschützende Wirkung. Diese trete angesichts der Schwere des Verschuldens des beim Unfall verstorbenen Verursachers jedoch vollständig zurück. LTO berichtet.
OLG Frankfurt/M. - Umsturzpläne/Reuß: Zum Abschluss ihrer auf sechs Verhandlungstage angesetzten Einlassung hat Birgit Malsack-Winkemann am Oberlandesgericht Frankfurt/M. erneut die Vorwürfe der Anklage bestritten. Sie sei daran interessiert, dass ihr Name und ihre Ehre reingewaschen werde, zitiert tagesschau.de (Egzona Hyseni/Alexander Holzer) die frühere Richterin, die sich bei der Fortsetzung des Verfahrens nun Fragen stellen muss.
LSG Hessen zu Männerbrüsten: Die operative Entfernung einer Gynäkomastie, bei der die männliche Brust über den Durchschnitt hinaus anschwillt, ist nach einem nun veröffentlichten Urteil des Hessischen Landessozialgerichts von Ende Juli, keine Krankenkassenleistung. Soweit weder orthopädische noch dermatologische Beschwerden vorlägen, weise die Störung keinen Krankheitswert auf. Sie wirke auch nicht entstellend, da sie durch Kleidung verdeckt werden könne, so laut LTO das Gericht.
LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Über die Eröffnung des Strafverfahrens gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn am Landgericht Braunschweig berichten u.a. FAZ (Susanne Preuß), Hbl (René Bender/Volker Votsmeier), tagesschau.de (Kolja Schwartz) und LTO. Die Verlesung der drei Anklagepunkte durch die Staatsanwaltschaft nahm den gesamten ersten Verhandlungstag in Anspruch. Am heutigen Mittwoch soll der Prozess mit einer Erklärung Winterkorns fortgeführt werden. Insgesamt sind bis zum September des nächsten Jahres 89 Verhandlungstage geplant.
LG Hamburg zu G 20-Ausschreitungen/Rondenbarg: Das Landgericht Hamburg hat zwei Teilnehmende des sogenannten Rondenbarg-Protestzuges gegen den G 20-Gipfel im Jahr 2017 zu Geldstrafen in Höhe von jeweils 90 Tagessätzen u.a. wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach 24 Verhandlungstagen kam die Kammer zu dem Schluss, dass sich die Angeklagten gewalttätige Übergriffe aus dem Pulk ihres Demonstrationszuges zurechnen lassen müssen, da dessen Auftritt auf Einschüchterung angelegt gewesen sei und sie wussten, worauf sie sich einlassen. taz (Katharina Schipkowski) und zeit.de (Elke Spanner) berichten.
AG Hamburg zu § 353d StGB: Das Amtsgericht Hamburg hat einen Investigativjournalisten wegen verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Dem von Gerhard Strate verteidigten Journalisten war die wörtliche Zitierung zweier Halbsätze eines Landgerichtsbeschlusses vorgeworfen worden. In und außerhalb des Prozesses äußerte der Verurteilte die Vermutung, dass die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen persönlichem Ärger des Hamburger Generalstaatsanwalts entsprangen, den er im beanstandeten sowie anderen Artikeln mehrfach kritisiert hatte. Die SZ (Jana Stegemann) berichtet.
AG Arnsberg – DSGVO-Anfragen: In einem von beck-aktuell berichteten Vorlagebeschluss von Ende Juli will das Amtsgericht Arnsberg vom Europäischen Gerichtshof geklärt haben, unter welchen Voraussetzungen Auskunftsersuchen auf Grundlage der EU-Datenschutzgrundverordnung als rechtsmissbräuchlich verweigert werden können. Im konkreten Fall geht es um einen Mann, der es sich wohl zum Geschäftsmodell gemacht hat, Anfragen an Unternehmen zu den über ihn gespeicherten Daten zu stellen, um damit Verletzungen der DSGVO zu provozieren und dann Schadenersatz zu verlangen.
Zivilverfahren: Für beck-aktuell analysiert Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, die nun vorliegenden Eingangszahlen der deutschen Zivilgerichtsbarkeit. Die absoluten Zahlen wiesen einen leichten Anstieg auf, dessen "Treiber" Fluggastklagen sein dürften. Deren Anzahl überstieg im vergangenen Jahr an Amtsgerichten bereits jene von Verkehrsunfallsachen.
Recht in der Welt
IStGH – Wladimir Putin: Ein Hintergrundbericht der FAZ (Jochen Stahnke) erklärt die Missachtung des vom Internationalen Strafgerichtshof ausgestellten Haftbefehls gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin durch die Mongolei mit "Realpolitik". Das Land sei zwingend auf die Einfuhr russischen Öls angewiesen und zudem auch durch seine Lage eingeschränkt: Auch ein festgenommener russischer Präsident müsste auf dem Weg nach Den Haag entweder über den chinesischen oder den russischen Luftraum transportiert werden.
Frankreich – Vergewaltigung als Angebot: Nun berichten auch FAZ (Michaela Wiegel) und spiegel.de (Britta Sandberg) über den französischen Strafprozess gegen einen Rentner, der seine sedierte Frau dutzende Male anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten hatte. Die Geschädigte habe auf der Öffentlichkeit des Verfahrens bestanden, um ihrem Ex-Mann und die anderen Angeklagten, deren Übergriffe vom Hauptangeklagten gefilmt und penibel archiviert wurden, der öffentlichen Schande preiszugeben. Der Prozess ist bis in den Dezember terminiert.
Brasilien – X: In einer ausführlichen Analyse der Auseinandersetzung zwischen dem X-Chef Elon Musk und der brasilianischen Justiz kommt zeit.de (Thomas Fischermann) zu dem Schluss, dass "beide immer mal wieder recht" hätten. Während sich die Plattform bereits seit längerem gegen die Umsetzung richterlicher Anordnungen zur Sperrung von Konten oder Löschungen von Beiträgen widersetzt und den im Land vorhandenen "regulatorischen Wilden Westen" nach besten Kräfte ausnutze, nutze Bundesrichter Alexandre de Moraes die ihm zur Verfügung stehenden Mittel bis zum Äußersten – oder darüber hinaus – aus.
Sonstiges
Mobbing von Kindern: Rechtsanwalt René Rosenau schreibt auf LTO über anwaltliche Handlungsoptionen, wenn Eltern Schutz für ihre in Schule oder sozialen Netzwerke gemobbten Kinder suchen. Neben zivilrechtlichen Ansprüchen, Strafanzeigen und einer Inpflichtnahme der Schule sei stets zu bedenken, dass "anwaltliche Maßnahmen jedenfalls nicht die erste oder beste Lösung" darstellten.
BfDI Specht-Riemenschneider: Ein Kurzporträt der neuen Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit bringt nun auch netzpolitik.org (Markus Reuter). Die Rechtsprofessorin benannte auf ihrem ersten Auftritt nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten die Themenfelder Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Sicherheit als Schwerpunkte ihrer nun beginnenden Amtszeit. Auch die FAZ berichtete über den Auftritt.
Verlust der Staatsangehörigkeit: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Maria Martha Gerdes befasst sich auf dem Verfassungsblog mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 Staatsangehörigkeitsgesetz, der erlaubt, Doppelstaatler:innen die deutsche Staatsangehörigkeit bei Teilnahme an terroristischen Kampfhandlungen im Ausland zu entziehen. Nach Ansicht der Autorin enthält diese Regelung ein beträchtliches Diskriminierungs- und Missbrauchspotenzial.
Reisemängel: Der SWR-RadioReportRecht (Egzona Hyseni) erklärt in dieser Woche, welche Ansprüche sich aus mangelhaften Urlaubsleistungen ergeben und wie diese durchgesetzt werden können.
"Hab ich Recht?": Denise Dahmen (beck-aktuell) hat sich die erste Folge des am heutigen Mittwoch startenden ZDF-Infotainment-Formats "Hab ich Recht? Drei Richter für alle Fälle" angesehen und hält es für einen "verdienstvollen Versuch der Rechtskommunikation." Dass die gastgebenden Richter:innen ihre Hinweise aber immer nur allgemein und ohne konkreten Rechtsrat erteilen können und zudem fast ausschließlich außergerichtliche Lösungen zu favorisieren scheinen, ergebe jedoch “insgesamt ein unstimmiges Bild."
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 4. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55336 (abgerufen am: 19.09.2024 )
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