Die juristische Presseschau vom 4. Juli 2018: Zschäpes letztes Wort / Ums­trit­tene Urhe­ber­rechts­re­form / Neuer Ver­fas­sungs­richter

04.07.2018

Vor dem OLG München bestreitet Beate Zschäpe eine rechte Gesinnung. Außerdem in der Presseschau: Die EU-Urheberrechtsreform bleibt kontrovers und der Name des neuen Verfassungsrichters wird bekannt.

 

Thema des Tages

OLG München – NSU: Zum Abschluss des NSU-Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München hat sich Beate Zschäpe am 437. Verhandlungstag mit einer persönlichen Erklärung an das Gericht gewandt. In ihrem letzten Wort hat die Hauptangeklagte wie zuvor schon ihre Verteidigung eine Mittäterschaft im Sinne der Anklage bestritten. Dabei wolle sie Verantwortung für ihre Fehler und das von ihr verursachte Leid übernehmen. Warum und nach welchem Muster Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihre Opfer aussuchten, wisse sie allerdings auch nicht. Von der Gesinnung ihrer Mitangeklagten habe sie sich losgesagt. Über die Erklärung berichten u.a. SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Karin Truscheit), tagesschau.de (Frank Bräutigam) und Welt (Gisela Friedrichsen).

Die SZ (Annette Ramelsberger u.a.) veröffentlicht die Erklärung Zschäpes im Wortlaut. zeit.de (Tom Sunderland) mutmaßt, dass die Angeklagte mit ihren letzten Worten beabsichtigt habe, "noch einmal Opfer sein (zu) dürfen". Die Erklärung habe den vorherigen, von ihren Anwälten vorgetragenen Stellungnahmen nichts hinzugefügt. Dass sie etwas an einer Verurteilung zu lebenslanger Haft ändere, sei "praktisch undenkbar". Womöglich glaube Zschäpe, "sie könne aus eigener Kraft ein anderes Bild von sich in der Öffentlichkeit zeichnen". Das Urteil ist für den Mittwoch kommender Woche geplant. Auch Christian Rath (taz) rechnet im Leitartikel mit einer Verurteilung im Sinne der "mutigen" Anklage. Durch ihr Verhalten im Prozess habe sich Zschäpe die von ihr "präsentierte Opferrolle" verbaut. Sie habe nicht nur "jahrelang ihre Anwälte schikaniert und gegeneinander" ausgespielt, auch jede ihrer Einlassungen habe "wie ein taktisches Manöver" gewirkt.

Rechtspolitik

Flüchtlingspolitik: Der Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, Constantin Hruschka, analysiert für lto.de den Gehalt der jüngsten Beschlüsse des Europäischen Rats zur Migration und des sogenannten "Masterplans Migration" aus dem Bundesinnenministerium. Gemein sei beiden Werken der "Wille, die Ankunft von Schutzsuchenden in Europa weitgehend zu verhindern". Zudem werde versucht, "die Verantwortung für angekommene auf Drittstaaten auszulagern". Die hierzu geplanten Mittel, etwa die Schaffung von exterritorialen Lagern verschiedener Bezeichnung seien rechtlich zweifelhaft und auch praktisch nur schwer vorstellbar. Demgegenüber legen in einem Beitrag für lto.de Florian Albrecht und Frank Braun, Oberregierungsrat und Rechtsprofessor, dar, dass die Zurückschiebung von aus sicheren Drittstaaten eingereisten Flüchtlingen zwingende rechtliche Verpflichtung der an Recht und Gesetz gebundenen Bundespolizei sei. Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen entsprächen der geltenden Rechtslage. Soweit diese den "Gerechtigkeits- oder Moralvorstellungen der Politik" widersprächen, sei die Politik gehalten, das Recht zu ändern.

Analysen zum Inhalt der unionsintern erzielten Einigung im sogenannten Asylstreit bringen Welt (Marcel Leubecher), taz (Christian Rath) und tagesschau.de (Kolja Schwartz). Nach dem Leitartikel von Constanze von Bullion (SZ) stellt die erzielte Einigung "eine Zäsur in der Geschichte Europas" dar. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werde sichtbar, welchen Einfluss "die europäische Rechte" nun besitze. Diese Bewegung habe es vermocht, die europäische Werteunion zu einer Auslagerung des "Weltproblems Flucht" und seiner Folgen zu veranlassen.

Fachkräfte-Zuwanderung: Die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet über Regierungspläne für ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz. Hierdurch würde etwa Pflegekräften aus Nicht-EU-Ländern der Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche erleichtert.

Mietpreisbremse: Die noch im Referentenentwurfsstadium befindliche Reform von Regelungen zur Begrenzung von Mieterhöhungen sorgt für erneuten Streit in der Regierungskoalition. Unionsvertreter bemängelten, dass der vom Bundesjustizministerium formulierte Entwurf über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags hinausgehe, so lto.de (Hasso Suliak) in einer ausführlichen Darstellung der vorgesehenen Regelungen. deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) und FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichten ebenfalls.

Urheberrecht: netzpolitik.org (Tomas Rudl/Alexander Fanta) warnt vor "Einschränkungen der Freiheit im Netz", sollte das EU-Parlaments am morgigen Donnerstag der geplanten Urheberrechtsreform zustimmen. Die bisherige Entwurfsfassung entspreche mit den vorgesehenen Upload-Filtern "weitgehend den Forderungen der Verlagslobby und anderer Rechteinhaber". In einem Gastbeitrag für den Medien-Teil der FAZ behauptet dagegen die Europaabgeordnete Helga Trüpel (Grüne), die geplanten Änderungen dienten lediglich dazu, dass "die digitalen Monopolisten auf die faire Bezahlung von Kreativen verpflichtet werden". Der von diesen Monopolisten vertretene "neoliberale Freiheitsbegriff" stehe einem "verantwortlichen Freiheitsbegriff" von Künstlern, Journalisten und Zeitungsverlegern entgegen. Ein ausführlicher Beitrag von deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig) stellt die Argumente von Befürwortern und Gegnern der Reform sowie die ins Auge gefasste technische Methodik dar.

Justiz

EuGH – Rundfunkbeitrag: Auf Vorlage des Landgerichts Tübingen verhandelt der Europäische Gerichtshofs am heutigen Mittwoch zur Vereinbarkeit des deutschen Rundfunkbeitrages mit EU-Recht. Den in der deutschen Öffentlichkeit "noch nicht sehr präsenten" Ausgangsfall stellt die BadZ (Christian Rath) dar.

EuGH – Urheberrecht: Auch lto.de (Markus Sehl) stellt nun ausführlich die am gestrigen Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelten Urheberrechtssachen zu einem "Kraftwerk"-Sampling, den sogenannten Afghanistan-Papieren und einem Volker-Beck-Text vor.

BVerfG – Nord Stream 2: Nach Meldung der taz hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 eingelegt. Vor einem Monat hatte das Oberverwaltungsgericht Greifswald einem vom Nabu erhobenen Eilantrag gegen den Bau, der nach Ansicht des Vereins Meerestiere und -pflanzen gefährdet, verworfen.

BGH zu Rückflugkosten: Nach einer von lto.de und der FAZ (Marcus Jung) gemeldeten Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann ein Reiseveranstalter dazu verpflichtet sein, die Kosten eines eigenmächtig gebuchten Rückfluges zu tragen. Zwar hätte die siegreiche Klägerfamilie dem beklagten Unternehmen grundsätzlich eine Frist setzen müssen. Dies sei hier aber wegen eines unwirksamen entsprechenden Hinweises in den AGB des Veranstalters entbehrlich gewesen. Der Bericht des Hbl (Laura de la Motte) zum Urteil stellt auch andere reiserechtliche Entscheidungen zu Mängelansprüchen von Urlaubern vor und macht darauf aufmerksam, dass das am 1. Juli in Kraft getretene EU-weite Reiserecht insoweit die Rechtsstellung von Urlaubern gestärkt habe.

VGH BW zu linksunten.indymedia: Wegen Unbestimmtheit hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die gegen den Verein linksunten.indymedia verfügten Beschlagnahmeanordnungen als rechtswidrig aufgehoben. Gleichzeitig stellte das Gericht fest, dass die angeordneten Durchsuchungen von Personen im indymedia-Umfeld rechtmäßig waren. Dies meldet lto.de.

LG Paderborn – Höxter: Im Strafverfahren um Mord und Missbrauch in einem Haus in Höxter hat eine neue psychiatrische Gutachterin der beiden Angeklagten ihre Erkenntnisse zum Angeklagten Wilfried W. dargestellt. W. habe einen extrem niedrigen Intelligenzquotienten und "das moralische Urteilsvermögen eines Grundschulkindes", schreibt die FAZ (Katrin Hummel) über die Aussagen der Psychiaterin, nach deren Einschätzung Angelika W. "die federführende Instanz" und "treibende Kraft" bei den zur Verhandlung stehenden Taten gewesen sei. Ihre Begutachtung werde am heutigen Mittwoch vorgestellt. Über die Zeugenaussage der Gutachterin berichtet auch die Welt (Kristian Frigelj).

Verfassungsrichter: Die FAZ (Helene Bubrowski) meldet, dass der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) Bundesrichter Henning Radtke als Nachfolger von Michael Eichberger für eine Richterstelle im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts vorschlägt. Die Wahl solle am kommenden Freitag im Bundesrat stattfinden. Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt den zukünftigen Verfassungsrichter als "Konservativen mit Gestaltungswillen" vor.

Fachanwalt Sportrecht? Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht im Deutschen Anwaltverein wirbt für die Einführung eines neuen Fachanwaltstitels. Bei der im November anstehenden Entscheidung der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer spräche zwar "die nicht enden wollende Hausse der Sportindustrie" und ein entsprechend weites Betätigungsfeld der Sportrechtler für den Titel, schreibt der FAZ-Einspruch (Christoph Becker). Zudem existiere auch eine etablierte Gerichtsbarkeit mit dem CAS an der Spitze. Gleichzeitig berührten die betroffenen Bereiche aber auch Rechtsgebiete bereits vorhandener Fachanwaltschaften.

Anwaltliches Berufsrecht: Für den FAZ-Einspruch stellt der Akademische Rat Christian Deckenbrock einige Ausprägungen des berufsrechtlichen Verbots der anwaltlichen Vertretung widerstreitender Interessen und hierzu ergangene Rechtsprechung vor.

Schiedsgerichtsbarkeit: Rechtsanwältin Birgit Spießhofer erinnert in einer Kolumne für den FAZ-Einspruch daran, dass mit der Achmea-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom März diesen Jahres faktisch die Schiedsklauseln der Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten "gekippt" worden seien. Eine gangbare Alternative sei indes nicht in Sicht und angesichts der Entwicklungen im internationalen Recht gegenwärtig auch nicht realistisch.

Recht in der Welt

EU – Polen/Ungarn: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch wendet sich Michael Meyer-Resende, Geschäftsführer der NGO Democracy Reporting International, gegen den Eindruck, in Polen und Ungarn werde eine "illiberale Demokratie" errichtet. Tatsächlich unterminierten die von den Regierungen dieser Länder unternommenen Maßnahmen "die Demokratie als solche". Statt wie behauptet "dem Volkswillen" oder "der Mehrheit" zu mehr Einfluss zu verhelfen, unternähmen die jetzigen Machthaber alles, um sicherzustellen, "dass in Zukunft andere Mehrheiten zentrale Bereiche der Politik gar nicht mehr beeinflussen können".

Polen – Justizreform: Mit dem gestrigen Dienstag ist die bisherige Präsidentin des polnischen Obersten Gerichts, Małgorzata Gersdorf, in den Ruhestand versetzt worden. Diese und andere Auswirkungen der Justizreform im Nachbarland beschreibt die SZ (Florian Hassel).

Polen – Wahlrecht: In einem englischsprachigen Beitrag stellt Assistenzprofessor Ryszard Balicki auf verfassungsblog.de die von der polnischen Regierung geplanten Änderungen der Bestimmungen zur Wahl des Europäischen Parlaments vor.

USA – Anwaltsgehälter: Unter US-amerikanischen Anwälten ist "von einer möglichen Blasenbildung die Rede", schreibt der FAZ-Einspruch (Marcus Jung). Grund seien die wiederum kräftig angezogenen Einstiegsgehälter, die Großkanzleien Berufanfängern zahlten. Einzelne Geschäftmodelle im Kanzleimarkt würden hierdurch unter Druck gesetzt, wobei auch nicht absehbar sei, ob Unternehmen weiterhin die hohen Kosten externer Rechtsberatung tragen wollten. Durch die rückläufige Zahl von Juristen mit beiden Examina seien steigende Einstiegsgehälter auch bei Junganwälten in Deutschland zu verzeichnen, wenngleich sich ein Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten in den USA immer noch verbiete.

Juristische Ausbildung

Europarecht: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch spricht sich Rechtsprofessor Gernot Sydow dafür aus, die bisher in der juristischen Ausbildung gängige Vermittlung des Europarechts aufzuheben. "In Zeiten des multilevel constitutionalism, in einem Mehrebenensystem" sei es angebracht, Verfassungsrecht so zu lehren, "wie es dem heutigen Stand der Rechtsentwicklung entspricht". Daher solle das klassische deutsche Staats- und Verfassungsrecht gemeinsam mit dem Europarecht, das im Übrigen kein Rechtsgebiet, sondern eine "Rechtsschicht" sei, "gelehrt und gelernt" werden.

Sonstiges

Wirtschaftssanktionen: Die Rechtsanwälte Bernd R. Mayer und Michael Albrecht legen in einem Gastbeitrag für den Recht-und-Steuern-Teil der FAZ dar, welchen Schwierigkeiten sich deutsche Unternehmen beim Umgang mit Sanktionsanordnungen der USA gegenübersehen. Zwar verbiete eine Bestimmung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung aus dem Jahr 1992 die Beteiligung an einem fremden Boykott gegen einen anderen Staat. Gleichzeitig eröffneten verfahrensrechtliche EU-Vorschriften zivilrechtliche Haftungsrisiken. Die EU wolle nun ihr sogenanntes Blocking Statute insoweit erweitern, dass potentiell betroffene Unternehmen sowohl bei amerikanischen Behörden als auch der EU-Kommission Ausnahmegenehmigungen beantragen könnten.

Völkerrechtsgeschichte: In ihrem Geisteswissenschaften-Teil berichtet die FAZ (Miloš Vec) über eine internationale Tagung im niederländischen Tilburg, bei der Völkerrechtshistoriker die juristisch innovative Wirkung der Pariser Friedensverträge von 1919/20 zu bewerten suchten.

Das Letzte zum Schluss

Gefahrenabwehr: Während sich die Regierung über die Aufgaben von Grenzschützern streitet, kümmert sich die Polizei in Thüringen um Probleme des Alltags. justillon.de berichtet über einen Einsatz in Erfurt, bei dem reglose Igel gerettet. Die Tiere hatten sich offenbar an einer beschädigten Eierlikörflasche zu schaffen gemacht.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Juli 2018: Zschäpes letztes Wort / Umstrittene Urheberrechtsreform / Neuer Verfassungsrichter . In: Legal Tribune Online, 04.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29533/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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