Protestieren, aber nicht campen. Verstößt die Hamburger Polizei mit dieser Lageeinschätzung gegen die Auffassung der Gerichte? Außerdem in der Presseschau: Kanzlerin muss Gästeliste offenlegen und Sonderermittler berichtet zum Fall Amri.
Thema des Tages
VG Hamburg zu G-20-Protestcamp: In der Nacht zum Montag hat die Hamburger Polizei den Aufbau von Übernachtungszelten auf dem G-20-Protestcamp gewaltsam verhindert. Zuvor hatte das Hamburger Verwaltungsgericht polizeiliche Auflagen zum Camp auf der Halbinsel Entenwerder aufgehoben, schreibt die FAZ (Frank Pergande). Im Anschluss durchgeführte Kooperationsgespräche zwischen Polizei und Veranstaltern seien jedoch ergebnislos geblieben, woraufhin der Versuch, Wohnzelte zu errichten, unterbunden wurde. Die hierzu ergangene Verfügung der Versammlungsbehörde erklärte das Verwaltungsgericht in einer weiteren Entscheidung für rechtens, fasst spiegel.de die Entwicklungen zusammen. Die in der Anzahl begrenzt zugelassenen Zelte müssten der Öffentlichkeit permanent zugänglich sein und dürften darüber hinaus auch auch als Ruherückzugszone genutzt werden. Duschen oder Küchen dürften allerdings nicht eingerichtet werden. Weitere Berichte bringen etwa taz (Malte Kreutzfeldt u.a.) und spiegel.de (Jörg Diehl/Vanessa Steinmetz).
Die taz (Christian Rath) beschreibt die Entwicklung der Protestcamp-Rechtsprechung der letzten Tage. "Gehört das Übernachten in Zelten zu einem Protestcamp, oder genügt es, wenn es Workshop-Zelte gibt?", das sei inzwischen die entscheidende juristische Frage.
Frank Drieschner (zeit.de) zeigt Verständnis für die polizeiliche Argumentation, nach der Übernachtungscamps vorwiegend von der "extremistischen gewaltorientierten Szene" genutzt würden. Umso befremdlicher sei es, wenn vor Gericht mit zu befürchtenden Schäden der Grünanlagen und deren eingeschränkter Nutzung für die Öffentlichkeit argumentiert werde. Hierdurch bestätige man dem autonomen Milieu und dessen Nachwuchs, sich "im gemeinsamen Kampf gegen einen Polizeistaat" zu befinden. Für Reinhard Müller (FAZ) gehört auch "Berufsprotestlertum" zu den zu ertragenden Begleiterscheinungen eines Gipfeltreffens. Zu bedauern sei aber, dass über diese Demonstranten hinaus vor allem "prügelsüchtige Gruppen, denen eigentlich sonst nichts fehlt", das Bild derartiger Veranstaltungen prägten. Im Leitartikel erinnert Matthias Drobinski (SZ) schließlich daran, dass es hierzulande keine "Demonstrationsgnade", vielmehr ein Demonstrationsrecht gebe. Auch wenn argumentative Zuspitzungen von Protestierern bisweilen "nerven", bewiesen genügend historische Vorbilder, dass auch Minderheiten am Ende Recht behalten könnten. Dieses Erbe gefährdeten Organisatoren, "wenn sie sich nicht von Gewalttätern trennen".
G-20-Vorbereitungen: Über die vom Amtsgericht Hamburg bei der Gefangenensammelstelle eingerichtete Nebenstelle berichtet lto.de. Die taz-Nord (Andre Zuschlag) stellt den von "freiwilligen Juristen" eingerichteten anwaltlichen Notdienst vor.
Rechtspolitik
Abstammung: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet nun zu dem am heutigen Dienstag vorgestellten Abschlussbericht des vom Bundesjustizministerium eingesetzten Arbeitskreises Abstammungsrecht. In einem separaten Kommentar bezeichnet Wolfgang Janisch (SZ) den Bericht einerseits als "grundvernünftig", andererseits aber auch als "ärgerlich". Zwar sei es einzusehen, wenn familienrechtliche Reformen behutsam vollzogen würden, die "wirklich brisanten Themen" wie Leihmutterschaft und Eizellenspende habe der Bericht aber auftragsgemäß ausgespart. Aktuelle Entwicklungen bewiesen Regelungsbedarf in diesen Bereichen.
Digitales Antidiskriminierungsgesetz: Mithilfe eines sogenannten digitalen Antidiskriminierungsgesetzes will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verhindern, dass Softwareentscheidungen Teile der Bevölkerung benachteiligten. Zu diesem Zweck müssten auch ein Transparenzgebot für Algorithmen durchgesetzt sowie die Gründung einer Digitalagentur als Aufsichtsbehörde erwogen werden, schreibt zeit.de (Patrick Beuth). Diesen Aufgaben sollte sich die nächste Bundesregierung stellen. Der Bericht der FAZ (Hendrik Wieduwilt) referiert die Kritik von Experten, die unter anderem die Schaffung eines "weiteren technikbezogenen Fachrechts" mit unklarem Anwendungsbereich bemängelten. In einem separaten Kommentar bezeichnet Hendrik Wieduwilt (FAZ) die Vorschläge als "digitalen Populismus", der das fehlende Verständnis der meisten Menschen für die technischen Hintergründe von Internetdiensten ausnutze.
NetzDG: Nach Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes beabsichtigen die Regierungsparteien für die kommende Legislaturperiode die Schaffung eines Rechtsanspruchs zur Wiederherstellung unrechtmäßig gelöschter Einträge. Im Interview mit der taz (Christian Rath) erläutert Johannes Fechner (SPD), rechtspolitischer Sprecher seiner Bundestagsfraktion, die Inhalte dieses Plans und den Grund für die Nichtaufnahme in das NetzDG.
Justiz
BVerfG – Ehe für alle: Die begrenzten Chancen, auf verfassungsgerichtlichem Wege die in der letzten Woche beschlossene gesetzliche Öffnung der Ehe anzugreifen, werden nun auch von spiegel.de (Dietmar Hipp) dargestellt. Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf (community.beck.de) kommt in einer verfassungsrechtlichen Analyse zu dem Ergebnis, dass die neu geregelte Ehe einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten werde.
BGH zu Ikea-Bett: In der vergangenen Woche musste sich der Ikea-Konzern vor dem Bundesgerichtshof in Auseinandersetzung über Design-Rechte an dem von ihm vertriebenen Bettmodell "Malm" geschlagen geben. Rechtsanwalt Max Wächter erläutert auf lto.de die Hintergründe des Falls.
OLG Brandenburg – Spaghettimonster: Am kommenden Freitag befasst sich das Oberlandesgericht Brandenburg in einer Berufungsverhandlung mit dem Anliegen des Vereins "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters", Hinweise auf die von ihm veranstaltete "Nudelmesse" an Ortseingangsschildern anzubringen. Die taz-Berlin berichtet.
LG Stuttgart – Schlecker: Im Verfahren gegen Anton Schlecker und seine Kinder hat ein Zeuge beschrieben, dass ein zwei Jahre vor der schließlichen Insolvenz implementiertes Konzept einen "Turnaround" ermöglicht hätte. Auf halbem Wege und aus unerfindlichen Gründen habe die Familie das Projekt jedoch abgeblasen, schreibt die SZ (Stefan Mayr) über die Vernehmung des Unternehmensberaters.
LG Berlin – "U-Bahn-Treter": Das vor dem Landgericht Berlin geführte Strafverfahren gegen den sogenannten U-Bahn-Treter wird nach Bericht der taz-Berlin erst am kommenden Donnerstag fortgesetzt. Bis dahin entscheide das Gericht zu einem Antrag der Verteidigung, die Vernehmung des psychiatrischen Gutachters unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzunehmen.
VG Berlin zu Gästeliste der Kanzlerin: Das Verwaltungsgericht Berlin hat einem gegen das Bundeskanzleramt gerichteten Eilantrag der Transparenzinitiative abgeordnetenwatch.de stattgegeben. Hiernach muss preisgegeben werden, wann und aus welchem Anlass nicht-private Abendessen im Kanzleramt stattfinden. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, dass nach Einschätzung des Gerichts die beantragten Informationen keine laufenden Vorgänge beträfen und auch keine Rückschlüsse auf die Willensbildung der Kanzlerin zuließen. Nach dem Bericht der FAZ (Eckart Lohse) hat das Kanzleramt bereits Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Recht in der Welt
Frankreich – Staatsumbau: Vor der Versammlung beider Parlamentskammern hat der französische Präsident Emmanuel Macron "einen massiven Umbau der staatlichen Institutionen" angekündigt, berichtet zeit.de. Hierzu gehörten Änderungen des Wahlrechts oder auch die Abschaffung des Sondergerichts für Amtsvergehen von Ministern. Falls sich die Parlamentarier den Neuerungen verweigerten, würde eine Volksabstimmung angesetzt. Christian Wernicke (SZ) begrüßt die Idee, "das brutal harte Mehrheitswahlrecht aufzuweichen". Die letzten Wahlen in Frankreich hätten bewiesen, dass die Demokraten im Land stark genug seien und "mehr Demokratie wagen" könnten.
Türkei – Haftbedingungen: Die taz (Umur Yedikardes) schreibt über das Schicksal von mehr als 500 Kindern, die sich wegen angeblicher Beteiligung ihrer Mütter am gescheiterten Putsch im vergangenen Jahr in türkischen Gefängnissen befinden.
Sonstiges
Fall Amri: Der vom Berliner Senat eingesetzte Sonderermittler hat in seinem nun vorgestellten Zwischenbericht bestätigt, dass Ermittlungsakten zu Anis Amri manipuliert worden sind. Nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz sei ein Vermerk erstellt worden, der die Erkenntnisse zu Amris Tätigkeit als Drogendealer milder darstellte, schreibt die SZ (Jens Schneider). Hinweise auf ein flächendeckendes Fehlverhalten im Landeskriminalamt Berlin habe der frühere Bundesanwalt nicht erkennen können. Einzelheiten zu den polizeilichen Ermittlungserkenntnissen berichtet die taz (Sabine am Orde).
Arbeitsrecht: In einer Seite-Drei-Reportage beschreibt die SZ (Nicolas Richter u.a.) fragwürdige Methoden von Arbeitgebern beim Umgang mit als unbotmäßig empfundenen Betriebsratsmitgliedern. Um Kündigungsgründe zu finden, würden Privatdetektive eingesetzt. Ein früherer Privatermittler beschreibt zudem, dass der Rechtsanwalt Helmut Naujoks, ein engagierter Vertreter von Arbeitgeberinteressen, in mehrere derartige Fälle involviert sei.
Finanzbetrug: Die SZ (Markus Zydra) bringt eine Reportage über Geschädigte von Finanzbetrügern, die beklagen, dass ihnen zustehende Schadensersatzansprüche nicht wirksam durchgesetzt werden könnten. In einem Interview mit der SZ (Felicitas Wilke) erläutert Christian Urban, Jurist der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Gründe hierfür und Vorsichtsmaßnahmen für Verbraucher.
Das Letzte zum Schluss
Obskure Strafanzeige: Über eine ungewöhnliche Anzeige berichtet Rechtsanwalt Thomas Will (ra-will.com). Ein 18-jähriger Saarländer sah sich durch eine Prostituierte betrogen. Deren Dienste hatte der Jüngling für eine volle Stunde in Anspruch nehmen wollen und auch bezahlt. "Gegen seinen Willen" habe die Frau jedoch bereits nach zehn Minuten einen Höhepunkt bewirkt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Juli 2017: Polizei gegen campen / Zu Gast bei der Kanzlerin / Zwischenbericht zu Amri . In: Legal Tribune Online, 04.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22794/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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