Eine neue Studie zur Gewaltkriminalität befeuert Diskussion um Flüchtlingspolitik. Außerdem in der Presseschau: Weitere Kritik am NetzDG, Aufklärung des JVA-Ausbruchs, BRAK entschuldigt sich für beA-Panne.
Thema des Tages
Kriminalität von Flüchtlingen: Die am gestrigen Tag vorgestellte Studie zur Gewalt in Deutschland im Auftrag des Bundesfamilienministeriums stellt einen Zusammenhang zwischen einem Anstieg von Gewaltdelikten und dem Zuzug von Flüchtlingen her. Der Kriminologe Christian Pfeiffer und die Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften untersuchten hierzu Datenmaterial aus dem Land Niedersachsen. Als Ursachen nannten die Forscher die Zugehörigkeit der Zugezogenen zur Gruppe junger Männer, die insgesamt verstärkt straffällig werde. Zudem spielten Faktoren wie Unterbringung, erhöhte Anzeigebereitschaft gegen Flüchtlinge sowie fehlender Bezugspunkt zu weiblichen Personen eine Rolle. Betroffen seien insbesondere Asylsuchende mit geringer Bleibeperspektive, etwa aus nordafrikanischen Staaten. Die FAZ (Karin Truscheit), taz (Andrea Scharpen/Konrad Litschko) und Hbl (F. Specht/M. Scheppe) berichten.
Roland Preuss (SZ) konstatiert, man könne wegen des Kriminalitätsrisikos nicht allen eine Bleibeperspektive anbieten, man brauche Rückkehrangebote, Kredite, Prämien und notfalls Abschiebungen. Christian Geyer (FAZ) kritisiert das deterministische Denken des Studienverantwortlichen, das ein Gruppenschicksal zur Kriminalität statuiere. Christian Pfeiffer habe es nicht geschafft, die von ihm aufgestellten Einflussfaktoren und Korrelationen in wissenschaftlich angemessener Weise zu betrachten. Für Anna Lehmann (taz) spricht die Studie für den Familiennachzug.
Rechtspolitik
Bürgerversicherung: In der Debatte um die Einführung der Bürgerversicherung bringt das Hbl (Eva Fischer u.a.) eine ausführliche Grafik zu den Kosten, Versichertenzahlen und Reaktionen aus der Bevölkerung. Die Mehrheit der Bürger befürworte die Zusammenlegung der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung.
Werner Bartens (SZ) kritisiert die Überversorgung und das Abkassieren von privat Versicherten. Es sei an der Zeit die bizarren Exzesse zu beenden.
Altersfeststellung: Bundesinnenminister Thomas des Mazière (CDU) hat sich für die Altersfeststellung bei potenziell minderjährigen Flüchtlingen ausgesprochen, wenn eindeutige Dokumente fehlen. Das meldet die FAZ. Die Zeit (Alexander Tieg) interviewt den Rechtsmediziner Klaus Püschel, der ebenfalls für eine verbindliche Altersprüfung plädiert. community.beck.de (Prof. Dr. Henning Ernst Müller) kritisiert die Forderung nach einer Art Beweislastumkehr. Eine solche sei im Strafrecht nicht möglich, denn der Staat muss dem Beschuldigten die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Bestrafung nachweisen. Sonst gelte noch immer der Grundsatz in dubio pro reo.
Wahlrechtsreform Ba-Wü: Die Reform des baden-württembergischen Wahlrechts zum Landesparlament wird gegebenenfalls nicht kommen, mutmaßt die FAZ (Rüdiger Soldt). Die Abgeordneten der CDU seien in der Mehrheit gegen die im Koalitionsvertrag mit den Grünen vereinbarten Änderungen. Danach sollte ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste eingeführt werden, was die Bestimmung der Hälfte der Abgeordneten per Landesliste erlauben würde.
NetzDG: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verteidigt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und die Löschung von Hassbotschaften in sozialen Netzwerken, meldet die FAZ. Die Meinungsfreiheit ende da, wo das Strafrecht anfange. Im Interview mit der SZ (Wolfgang Janisch) spricht sich der Rechtsprofessor Matthias Jahn für einen zurückhaltenden Einsatz des Strafrechts aus, da die Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei. Nachdem der Twitter-Account des Satiremagazins Titanic fälschlicherweise gesperrt worden ist, weil es die Afd-Abgeordnete Beatrix von Storch parodierte, kritisiert die FAZ (Michael Hanfeld) das Gesetz als Realsatire. Über die Rechtswidrigkeit eines Beitrags sollte ein Richter und nicht "irgendwer bei Twitter oder Facebook" entscheiden.
Strafbarkeit von Antisemitismus: Volker Beck beanstandet in einem Gastbeitrag in der FAZ fehlendes Problembewusstsein der deutschen Justiz im Umgang mit Antisemitismus. Während Gerichte in Angriffen auf Synagogen keine antisemitischen Taten erkennen könnten, würden Kritikern von Antisemiten die Meinungsäußerung untersagt. Die Gesetze zur Hasskriminalität und Volksverhetzung sollten harmonisiert werden, damit Rechtsanwender nicht mit unterschiedlichen Definitionen hantieren müssen.
Justiz
JVA Plötzensee – Ausbruch: Nach dem Gefangenenausbruch aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee hat Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) die Forderung nach seinem Rücktritt abgelehnt und stattdessen die Einsetzung einer externen Kommission zur Aufklärung der Vorgänge angekündigt, berichten die SZ (Hannah Beitzer), spiegel.de (Anna Reimann) und die taz (Andreas Hergeth/Bert Schulz). focus.de (Kim Schibilla) gibt die Kritik des Bundes der Strafvollzugsbediensteten am gravierenden Personalmangel wieder.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert anlässlich des Ausbruchs aus dem offenen Vollzug, dass es sich um Gefangene gehandelt hat, die bloß ihre Geldstrafe nicht zahlen konnten. Die Vollstreckung durch Haft sei "schädlich und primitiv".
LG Köln – Deutsche Bank/Postbank: Die FAZ (Marcus Jung) berichtet von einer neuen Klage gegen die Deutsche Bank wegen möglicher Absprachen mit der Deutschen Post bei der Übernahme der Postbank im Jahr 2008. Die Altaktionäre fordern eine Nachzahlung von 740 Millionen Euro, weil die Deutsche Bank zu wenig geboten habe.
LG Berlin – Datenklau aus Ministerium: Die SZ (Markus Grill/Katrin Langhans) schildert den beginnenden Prozess gegen den Lobbyisten Thomas Ballartz und einen Computerspezialisten aus dem Gesundheitsministerium wegen Ausspähens von Daten. Ballartz soll von dem IT-Mitarbeiter über mehrere Jahre interne Papiere des Gesundheitsministeriums für insgesamt 26.000 Euro abgekauft haben, um diese für seine Pharmalobbytätigkeit zu nutzen.
LG Duisburg – Loveparade: Der Vorsitzende Richter im Loveparade-Prozess Mario Plein lehnte am Mittwoch zahlreiche Anträge der Verteidigung ab, meldet lto.de. Die Beiziehung weiterer 33 Ordner des Innenministeriums trügen nicht zur Aufklärung bei, außerdem komme eine Aussetzung des Verfahrens nicht in Betracht, da genügend Zeit zur Einarbeitung in die Akten verbleibe.
Arbeitsgericht Frankfurt – Kopftuch: Die Zeit (Elisabeth Raether) schildert den Fall einer Muslima aus Frankfurt, die vor dem Arbeitsgericht Frankfurt gegen den Bezirksverband Hessen-Süd der Arbeiterwohlfahrt klagte, weil dieser sie wegen ihres Kopftuchs nicht in der Kinderbetreuung beschäftigen wollte. Nun habe die Frankfurter AWO ihr eine andere Arbeitsstelle angeboten.
Recht in der Welt
USA – Völkerrecht: Rechtsprofessor Oliver Dörr untersucht im Staat-und-Recht-Teil der FAZ, inwiefern das außenpolitische Handeln des US-Präsidenten Donald Trump mit dem Völkerrecht vereinbar ist. In der Mehrzahl der Fälle, wie etwa dem Austritt aus der UNESCO und dem Aufkündigen des Klimaabkommens sei dies der Fall. Dagegen habe das Atomabkommen durch die Resolution des Sicherheitsrats völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt.
Polen – EU-Kommission: Assistenzprofessor Maciej Taborowski untersucht auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die von der EU-Kommission im Dezember angekündigten Maßnahmen gegen Polen, unter anderem das eingeleitete Verfahren nach Art. 7 EUV. Die Kommission setze damit mehr auf den politischen Druck durch andere Mitgliedsstaaten.
Chile – Verfassungsreform: Promotionsstudentin Svenja Bonnecke erläutert auf verfassungsblog.de den Prozess um die Verfassungsreform in Chile. Im Fokus steht die breite Beteiligung der Bevölkerung in einem speziellen Verfahren, das allerdings auch Kritik auf sich gezogen habe. Bemängelt wurde etwa die überwiegend städtische Herkunft der Beteiligten, sowie die Art und Weise der Diskussion um Werte, Rechte und Pflichten.
Sonstiges
beA: Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet, hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer für die Panne rund um die Einführung des elektronischen Anwaltspostfachs beA entschuldigt. Man werde den Dienstleister Atos zur Lieferung einer sicheren Lösung anhalten und zusätzlich externe Experten mit der Überprüfung beauftragen.
Vereinsausschluss von Afd-Wählern: Die FAZ (Marlene Grunert) erklärt, dass der Fußballverein Eintracht Frankfurt Afd-Wähler rechtmäßig ausschließen kann. Es gebe keinen Aufnahmezwang für Vereine und keinen Anspruch auf Mitgliedschaft. Es bedürfe aber einer Satzungsänderung durch die Vereinsmitglieder.
GFF: In einem Teil des FAZ-Einspruch-Podcast (Constantin van Lijnden) erklärt der Richter Ulf Buermeyer die Arbeit der von ihm mitgegründeten Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die GFF unterstützt Kläger bei Verfassungsbeschwerden und bei anderen Gerichtsprozessen im Sinne der strategischen Prozessführung.
Militarisierung der Polizei: Professorin Daniela Winkler und die wissenschaftliche Hilfskraft Florian Bollmann kritisieren auf lto.de die zunehmende Bewaffnung und martialisches Auftreten der Polizei aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Problematisch sei das einschüchternde Auftreten im Hinblick auf die Geeignetheit sowie in der Gesamtabwägung.
Amoklauf an Schulen: swr.de (Bernd Wolf) geht der Frage nach, warum Schüler Amokläufe begehen und interviewt hierfür die Rechtsprofessorin Britta Bannenberg, die einen Schwerpunkt ihrer Forschung auf Kriminologie und Amokläufe gelegt hat.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
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Die juristische Presseschau vom 4. Januar 2018: Kriminalität und Flüchtlinge / Ausbruch aus JVA / Ausschluss von Afd-Wählern . In: Legal Tribune Online, 04.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26265/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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