Die juristische Presseschau vom 3. Juli 2012: Kopfloser Verfassungsschutz – Karlsruhe ganz Ohr – Besteuerte Tierliebe

03.07.2012

Verfassungsschutzpräsident Fromm ist zurückgetreten – und heizt dadurch die Debatte um eine Reform des Dienstes und dessen Versagen bei den NSU-Ermittlungen weiter an. Außerdem in der Presseschau: Schlichtungsstelle für Flugreisen, BVerfG verhandelt Euro-Rettung, verbotene Anwaltswerbung – und warum die Besteuerung von Tierliebe ein Menschenrechtsverstoß sein soll.

Fromm-Rücktritt: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Erich Fromm, ist wegen der Rolle seines Amtes im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die NSU-Terroristen zurückgetreten. Ausführlich berichten FAZ (Günter Bannas) und SZ (Annette Ramelsberger).

Die FAZ (Claus Peter Müller) beleuchtet noch einmal die Rolle der Verfassungsschützer beim Scheitern der NSU-Ermittlungen.

Jasper von Altenbokum (FAZ) sieht in dem Rücktritt Fromms einen "stillen Protest" des Präsidenten gegen das eigene Amt, verwahrt sich aber gegen Kritik am "System Verfassungsschutz". Tanjev Schultz (SZ) begrüßt den Rücktritt als wichtiges Signal, das angesichts der Ermittlungspannen "jetzt geboten" gewesen sei. Die FTD sieht in Fromm zwar "kein klassisches Bauernopfer", fordert aber weitere Konsequenzen.

Ein Porträt des Zurückgetretenen bringt das Handelsblatt (Johannes Bockenheimer).

Weitere Themen – Rechtspolitik

EU-Patent: Anlässlich der nun gefällten Entscheidung zum Sitz des Europäischen Patentgerichts in Paris setzt sich der Rechtsanwalt Martin Quodbach auf lto.de mit dem langen Weg zum einheitlichen EU-Patent auseinander. Zwar sei der Streit um den Sitz nun beigelegt, die Zuständigkeit der Nebenstellen in München und London, die Gerichtssprache und die Vorlagepflicht aber seien nach wie vor ungeklärt.

Währenddessen hat das EU-Parlament eine für Mittwoch geplante Abstimmung über das EU-Patentrecht verschoben – aus Protest gegen die Nichtkonsultierung bei der Streichung einiger Rechtsschutzbestimmungen, berichtet knapp die FTD.

Schlichtungsstelle Flugreisen: Ab Spätherbst soll nach dem Willen von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eine neue Schlichtungsstelle für Flugreisen ihre Arbeit aufnehmen. Diese wird für Verspätungen, Annullierungen und Probleme mit dem Handgepäck zuständig sein – allerdings nur subsidiär und nicht für Geschäftsreisende. Der Gesetzentwurf soll am morgigen Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden, berichtet die FTD.

Mediationsgesetz: Im Interview mit dem Handelsblatt (Heike Anger) verteidigt Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger die mit dem neuen Mediationsgesetz verbundenen Änderungen.

Weitere Themen – Justiz

ESM/Fiskalpakt: Das Bundesverfassungsgericht wird am 10. Juli mündlich über ESM und Fiskalpakt verhandeln. Dass in einem Eilverfahren überhaupt eine mündliche Verhandlung anberaumt werde, könne als Zeichen dafür gelten, welches Gewicht das Gericht der Sache beimesse, spekuliert die FAZ (Stephan Löwenstein/Michael Martens) in ihrem Bericht. Die taz (Christian Rath) erläutert derweil die Besonderheiten eines Eilverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, während die FAZ (Joachim Jahn) in einem weiteren Artikel die "Koalition der Kläger" vorstellt.

Reinhard Müller (FAZ) meint, in dem Verfahren gehe es "ums Ganze" - das Verfassungsgericht müsse nun mit der Bürde klarkommen, die es sich durch vergangene Entscheidungen selbst aufgeladen habe. Als "Kummerkasten der Nation" bezeichnet denn auch die FTD (Timo Pache) das Karlsruher Gericht und erläutert die eingereichten Klagen und mögliche Konsequenzen.

Abgelaufene Durchsuchungsbeschlüsse: Mit dem automatischen Außerkrafttreten von Durchsuchungsbeschlüssen sechs Monate nach ihrem Erlass beschäftigt sich lawblog.de (Udo Vetter). Auf diese Rechtsfolge habe jüngst das Bundesverfassungsgericht noch einmal in einem Beschluss hingewiesen; Hintergrund sei die Verhinderung der Hortung von Durchsuchungsbeschlüssen "auf Vorrat".

Schwimmunterricht: Die muslimische Familie, die mit ihrem Antrag auf Befreiung ihrer neunjährigen Tochter vor dem Oberverwaltungsgericht Bremen gescheitert war, will jetzt vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das meldet knapp die taz.

Bordell-Besteuerung: Bordelle haben keinen Anspruch auf eine Veranlagung nach dem für Hotels gültigen ermäßigten Umsatzsteuersatz. Das hat laut spiegel.de das Finanzgericht Düsseldorf entschieden.

Gartenschau-Kosten: Für Straßenarbeiten, die im Zusammenhang mit der Bundesgartenschau 2011 angefallen sind, darf die Stadt Koblenz keine Anliegerbeiträge verlangen, da der Stadt keine eigenen Investitionsaufwendungen entstanden seien. So laut lto.de das Oberverwaltungsgericht Koblenz in einem Beschluss.

Kachelmann vs. Schwarzer: Alice Schwarzer ist mit ihrem Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung des Fernseh-Wetterexperten Jörg Kachelmann gescheitert. Sie hatte in der Zeitschrift Emma nahegelegt, der freigesprochene Kachelmann habe seine Ex-Freundin vergewaltigt. Zur Entscheidung des Landgerichts Köln knapp lto.de.

Haftung für Limited: Mit der "Haftungsfalle Ltd." beschäftigt sich Ulrich Noack auf dem Handelsblatt Rechtsboard. Die persönliche Haftung werde in dem Moment begründet, in dem eine Limited vom Amts wegen aus dem Register gelöscht, ihre Geschäfte aber weitergeführt würden. Eine solche Löschung könne bei Nichteinhaltung bestimmter Pflichten sehr schnell erfolgen.

Kartellrecht-Laienrichter: Vor dem Hintergrund einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung, die kartellrechtliche Streitigkeiten nicht mehr den Handels-, sondern den allgemeinen Zivilkammern zuweisen möchte, beschäftigt sich blog.beck.de (Rolf Hempel) mit der Frage, wie sinnvoll die Mitwirkung von Laienrichtern in kartellrechtlichen Verfahren ist.

Anwaltswerbung: Angelehnt an eine jüngere Entscheidung des Münchner Oberlandesgerichts setzt sich der Rechtsanwalt Marcus Creutz für das Handelsblatt mit dem Direktwerbeverbot für Anwälte auseinander – und fordert dessen Abschaffung.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Libyen – IStGH-Mitarbeiter: Die vier in Libyen festgehaltenen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs sind wieder auf freiem Fuß. Das meldet spiegel.de.

Sonstiges

Religionsfreiheit: Die Welt bringt heute einen pointierten Beitrag des Princeton-Professors Peter Singer, in dem dieser sich kritisch zum "fortlaufenden Missbrauch" der Religionsfreiheit durch Religionsgruppen positioniert, die sich unter Berufung auf ihren Glauben staatlichen Regelungen entziehen wollen.

Cyberkrieg: Anlässlich einer Cyberkrieg-Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes führt spiegel.de (Thomas Darnstaedt) ein Interview mit der Völkerrechtlerin Cordula Droege. Erörtert wird wird unter anderem, ob Cyberkrieg einen "Krieg" im Sinne des Völkerrechts darstellen kann und welche Regeln gegebenenfalls gelten.

Plagiats-Stellungnahme: Mit der Stellungnahme der Autoren des in Teilen plagiierten Lehrbuchs "Juristische Arbeitstechniken und Methoden" setzt sich der Journalist Hermann Horstkotte auf lto.de auseinander und stellt kurz die (urheber)rechtlichen Rahmenbedingungen akademischer Zitierregeln sowie die Sanktionspraxis der Universitäten vor.

Das Letzte zum Schluss

Besteuerte Tierliebe: Ein Anwalt aus Lüneburg klagt gegen die Hundesteuer – vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Seine Argumentation: Die Hundesteuer sei als "Steuer für Tierliebe" unethisch – und damit willkürlich und diskriminierend. Unterstützt werde sein Gang vor Gericht von mehr als 81.000 Unterstützern der Initiative "Stoppt die Hundesteuer", berichtet die SZ.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)


Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Juli 2012: Kopfloser Verfassungsschutz – Karlsruhe ganz Ohr – Besteuerte Tierliebe . In: Legal Tribune Online, 03.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6519/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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