Die juristische Presseschau vom 3. März 2021: BVerfG zu Ceta-Klage / Corona-Runden bleiben geheim / EuGH zu Richter-Ernen­nungen in Polen

03.03.2021

Das BVerfG weist Klage gegen Ceta-Stellungnahme des Bundestags als unzulässig ab. Die Protokolle der Bund-Länder-Corona-Verhandlungen bleiben geheim. Der EuGH verweist Streit über Richter-Ernennungen an polnisches Gericht zurück.

Thema des Tages

BVerfG zu Ceta und Bundestag: In einer ersten Hauptsacheentscheidung zum Freihandelsabkommen Ceta hat das Bundesverfassungsgericht einen von der Linken-Fraktion im Bundestag angestrengtes Organstreitverfahren gegen den Bundestag als unzulässig, weil unsubstaniiert, verworfen. Die Fraktion hatte geltend gemacht, der Bundestag hätte der Bundesregierung konkreter die Grenzen der Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von Ceta aufzeigen und dazu ein Mandatsgesetz beschließen müssen. Das BVerfG stellte klar, dass der von der Fraktion geltend gemachte Ultra-Vires-Akt auch durch das  geforderte Mandatsgesetz nicht zu heilen gewesen wäre. Der Zweite Senat schildert, welche Mittel dem Bundestag gegen Ultra-Vires Akte der EU zur Verfügung stehen. Die Richter wiesen auch den Vorwurf zurück, der Bundestag habe bei Ceta seine Integrationsverantwortung nicht ausreichend wahrgenommen. Ob die EU indes beim Abschluss des Ceta-Vertrages außerhalb ihrer Kompetenzen gehandelt habe, wird vom BVerfG in einem zweiten Verfahren geprüft. Ein Verhandlungstermin ist noch nicht bekannt. Es berichten LTO (Annelie Kaufmann), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und swr.de (Klaus Hempel)

Nach Einschätzung von Wolfgang Janisch (SZ) lässt sich aus der jetzigen, "konsequenten" Entscheidung keine inhaltliche Tendenz "für das eigentliche Karlsruher Ceta-Verfahren" ablesen. Obgleich sie nun verloren hat, mag die Linke dem "europaskeptischen Zweiten Senat" immerhin Stichworte geliefert haben.

Rechtspolitik

Corona - Beschränkungen/Transparenz: Vor der am heutigen Mittwoch anstehende nächsten Beratungsrunde zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof), dass die bei den Konferenzen angefertigten Gesprächsprotokolle nach dem Willen des Bundeskanzleramts nicht öffentlich werden dürfen. Ein Antrag des Tagesspiegels nach dem Informationsfreiheitsgesetz sei abschlägig beschieden worden, weil ein "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" betroffen sei. Öffentlich gemacht werden könnten die Diskussionen bestenfalls nach Bewältigung der Pandemie. Die Zeitung hat gegen den Bescheid Widerspruch erhoben.

Corona und Demokratie: Reinhard Müller (FAZ) widerspricht im Leitartikel der Annahme, liberale Demokratien seien nicht zur Pandemiebekämpfung geeignet. Wer etwa "das totalitäre China" zum Vorbild ausersehe, sollte auch anerkennen, dass "ein bisschen Autokratie" nicht gehe. Gerade das Ringen nach Lösungen, gekoppelt mit einem "Abwägen von Rechten, Werten und Interessen" seien Wesensmerkmale von Demokratien.

Corona – Insolvenzrecht: Kathrin Werner (SZ) prognostiziert eine Pleitewelle nach dem Außerkrafttreten des bislang bis Ende April geltenden Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes. Dessen Ansatz sei zwar löblich, wenn lebensfähige Unternehmen über die Pandemie hinweg gerettet werden. Der Staat habe aber nicht die Aufgabe, "Pleiten zu vermeiden" oder hinauszuzögern, wenn das Unternehmen ohnehin nicht mehr lebensfähig war, weil es dann weiter Verträge schließe, die es eventuell gar nicht einhalten kann. Dies werde durch den komplizierten Regelungsgehalt des Gesetzes – beruhend auf der "Unfähigkeit vieler Juristen, einfach zu schreiben" – verschleiert.

Weisungsrecht ggü. Staatsanwaltschaft: Aus Anlass der aktuellen Diskussion über die nach dem EuGH-Urteil zum Europäischen Haftbefehl wohl gebotene Reform des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwaltschaften unternimmt Rechtsreferendar Matthias Honer im FAZ-Einspruch eine verfassungsrechtliche Analyse seiner Funktion.

Lieferketten und Menschenrechte: Vor dem für den heutigen Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluss für den Entwurf eines Lieferkettengesetzes berichtet nun auch die FAZ (Dietrich Creutzburg/Manfred Schäfers) über Kritik. Diese entzünde sich zunächst an dem ungewöhnlichen Tempo, das Verbänden die Möglichkeit fundierter Stellungnahmen genommen habe. Das Vorhaben erfahre dagegen Unterstützung des EU-Justizkommissars Didier Reynders. Er erklärte gegenüber der FAZ (Hendrick Kafsack), dass die Kommission mit ihrem für Juni geplanten eigenen Vorschlag sogar über die deutschen Regelungen hinausgehen wolle.

Suizidhilfe: Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum gesetzlichen Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe klargestellt, dass wegen der Freiheit zum Suizid auch eine entsprechende Unterstützung Sterbewilliger möglich sein muss. Der SWR-RadioReportRecht (Kolja Schwartz) erinnert an das Urteil und spricht mit der FDP-Abgeordneten Katrin Helling-Plahr über ihren Suizidhilfe-Gesetzentwurf.

BremPolG/Verdeckte Ermittler: Eine Novellierung des Bremischen Polizeigesetzes untersagt es verdeckt ermittelnden Personen, unter ihrer Legende sexuelle Handlungen vorzunehmen und Liebesverhältnisse einzugehen. LTO (Christian Rath) interviewt Rechtsprofessorin Kirsten Wiese zu Anlass, Inhalt und Reichweite der Neuregelung. Bei taktisch motivierten Liebesverhaltnissen sei die Menschenwürde verletzt. Wiese schlägt dem Bundesgesetzgeber vor, auch in der Strafprozessordnung und im Bundesverfassungsschutzgesetz derart persönliche Nähebeziehungen explizit zu untersagen.

Bundesfinanzhof: Nach Bericht der FAZ (Helene Bubrowski) hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die bislang vakanten Stellen des Präsidenten des Bundesfinanzhofs nun mit Hans-Josef Thesling, bislang Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Justizministerium, und die der Vizepräsidentin mit Anke Morsch, früher Staatssekretärin im saarländischen Justizministerium, besetzt.

Dass hierbei von der Regel, den Senatsvorsitz von Bundesgerichten mit Mitgliedern des betreffenden Gerichts zu besetzen, abgewichen wurde, stößt auf die Kritik von Klaus Rennert. In einem Interview mit der FAZ (Helene Bubrowski) vermisst der Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes sachliche Gründe für die Abweichung und beschreibt den Nutzen interner Ernennungen.

Justiz

EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: In einem Urteil zu einer estländischen Vorlage hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs erneut die Vorgaben an die rechtliche Zulässigkeit von Vorratsdatenspeicherungen (VDS) präzisiert. Das Urteil lese sich wie eine "Gebrauchsanleitung", wie eine VDS europarechtskonform eingeführt werden könne, so LTO (Markus Sehl). Die jetzigen Feststellungen dürften auch beim Treffen der EU-Justizminister in zwei Wochen diskutiert werden. Das Bundesjustizministerium habe dagegen auf ein noch beim EuGH anhängiges Verfahren verwiesen. Auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichtes werde dort über das derzeit ausgesetzte deutsche Gesetz entschieden.

BGH zu D&O-Versicherung: Die Rechtsanwälte Frank Grell und Stefan Patzer begrüßen in einem Gastbeitrag für den Recht-und- Steuern-Teil der FAZ das Mitte November ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem sogenannte D&O-Versicherungen in der Regel auch Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung abdecken. Gerade angesichts der enormen Bewegung, in der sich das Insolvenzrecht gegenwärtig befinde, sei "Klarheit" zu begrüßen.

OLG München – Anschläge von Waldkraiburg: Zum Auftakt des Verfahrens gegen Muharrem D., dem mehrere terroristische Anschläge in Waldkraiburg vorgeworfen werden, hat sich der Angeklagte am Oberlandesgericht München weitgehend geständig und reuig gezeigt. Nach jahrelanger Radikalisierung zum IS-Anhänger sei ihm erst in der Untersuchungshaft zu Bewusstsein gekommen, "dass die Welt bunt ist", so die SZ (Annette Ramelsberger) zu den bisweilen widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten.

KG Berlin zu Ibiza-Video/Auslieferung: Nach Meldung der SZ soll der mutmaßliche Drahtzieher des sogenannten Ibiza-Videos nach Österreich ausgeliefert werden. Dies habe das Berliner Kammergericht entschieden.

BayVGH zu Corona-Testpflicht: Die auf dem Verordnungswege erlassene Pflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sich mindestens dreimal wöchentlich auf das Corona-Virus testen zu lassen, ist nach einer Eilentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vorläufig außer Kraft gesetzt. Der erforderliche Verdacht einer Ansteckung bestehe für die Betroffenen nicht ohne Weiteres, schreibt LTO über den Beschluss. Die Testpflicht für Besucher wurde in einem weiteren Beschluss dagegen aufrechterhalten.

LSG BaWü zu Rundfunkbeitrag: Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Berufung einer Frau abgewiesen, die eine Ermäßigung ihres Rundfunkbeitrags erstreiten wollte. LTO berichtet, dass die Schwerbehinderte geltend gemacht habe, aufgrund ihres Zustands keine Filme mehr schauen zu können, ohne sich dabei aggressiv zu verhalten. Sie meide daher öffentliche Veranstaltungen wie Kinos oder Theater. Nach Ansicht des LSG würde allerdings der Zweck der Ermäßigung – gesellschaftliche Teilhabe – in sein Gegenteil verkehrt, wenn sie besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung diente.

LG Berlin zu Kudamm-Raser: In der nächsten Entscheidung zu den sogenannten Kudamm-Rasern hat das Landgericht Berlin einen Beteiligten des Rennens von vor mehr als fünf Jahren nun ebenfalls zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Nachdem der Fahrer des Kollisionsfahrzeugs rechtskräftig wegen Mordes verurteilt worden ist, wurde der andere Raser nun wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung zu 13 Jahren Haft verurteilt. LTO (Alexander Cremer/Pia Lorenz) stellt auch den bisherigen Verfahrensgang dar. In der jetzigen Entscheidung habe die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten "keine täterschaftliche Mitverantwortung" für den Tod des verstorbenen Rentners anzulasten vermocht. Dass nicht der Angeklagte, sondern sein Rennpartner diesen Tod unmittelbar verursacht habe, sei aber letztlich vom Zufall abhängig gewesen, was eine Versuch-Verurteilung rechtfertige. Die Verteidigung habe eine Revision bereits angekündigt.

GBA – Kashoggi/bin Salman: Wegen der Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi 2018 hat die Organisation "Reporter ohne Grenzen" eine Strafanzeige gegen fünf hochrangige saudi-arabische Würdenträger, unter ihnen Kronprinz Mohammed bin Salman, beim Generalbundesanwalt erstattet. Die Angezeigten hätten sich durch die von ihnen verantwortete Ermordung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht, berichtet zdf.de (Christian Deker). Die Tat reihe sich ein in eine seit Jahren anhaltende Verfolgung von Journalisten im Königreich, so die SZ (Wolfgang Janisch/Paul-Anton Krüger) in einem Hintergrundbericht, der auch die Reichweite des Völkerstrafgesetzbuches thematisiert.

Recht in der Welt

EuGH – Polen: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann das von der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS reformierte Verfahren zur Ernennung von Richtern und zu dessen gerichtlicher Kontrolle gegen Unionsrecht verstoßen. Ob das nach einer Vorlage des Obersten Verwaltungsgerichts erneut veränderte polnische Recht gegen die Verpflichtung zur Schaffung erforderlicher und wirksamer Rechtsbehelfe verstoße, müsse nun vom Vorlagegericht entschieden werden. Stelle es hierbei "systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit" der neu ernannten Richter fest, müssten die polnischen Bestimmungen "unangewendet" bleiben. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO.

Florian Hassel (SZ) befürchtet, dass auch das zu erwartende Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts "höchstwahrscheinlich nichts" an der fortlaufenden Beseitigung des Rechtsstaats in Polen ändern werde. Die EU müsse sich vorwerfen lassen, "faktisch nichts, jedenfalls nicht Wirksames" gegen diese Entwicklung unternommen zu haben. Statt empfindlicher Bußgelder wegen der Missachtung der EuGH-Anordnung zur Disziplinarkammer zu verhängen, setze die jetzige Kommission die "Realpolitik" ihrer Vorgängerin fort.

EGMR - Österreich, Klima und MS: Ein Österreicher will im April beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen, weil er in Österreich sein Recht auf Gesundheit nicht im Zusammenhang mit Umwelteinwirkungen einklagen kann, meldet spiegel.de. Der Mann leidet an einer temperaturabhängigen Form von Multipler Sklerose, weshalb er ab einer Temperatur von 25 Grad auf den Rollstuhl angewiesen ist,

IStGH – Palästina: Mit der Anfang Februar ergangenen Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, in der dieser seine Zuständigkeit auch für die seit 1967 besetzten Gebiete Palästinas bejaht, befasst sich vertieft nun auch Rechtsprofessor Kai Ambos im Verfassungsblog. Nach Ansicht des Autors sei die Prüfung der Staatlichkeit Palästinas vorschnell zugunsten der Annahme einer Vertragsstaatlichkeit auf Grundlage des Rom-Statuts abgebrochen worden. Auch angesichts der keineswegs einstimmigen Entscheidung der Vorverfahrenskammer I des Strafgerichtshofes dürfte die Frage der Zuständigkeit und damit Zulässigkeit von Ermittlungen in den besetzten Gebieten weiterhin aufgeworfen werden.

China - Hongkong: Seit Beginn der Woche wird gegen 47 Politiker und Aktivisten in Hongkong wegen des Vorwurfs der Verschwörung zum Umsturz verhandelt. Nach dem ausführlichen Bericht von spiegel.de (Bernhard Zand) steht das Verfahren für den Beginn "einer Prozesslawine", die Hongkongs Justiz nach dem Inkrafttreten des umstrittenen Sicherheitsgesetzes erreicht hat.

Das Letzte zum Schluss

Praktikums-Ärger: Wer schon mal in einem Praktikum weniger als die vollste Zufriedenheit der jeweiligen Chefs verursacht hat, kann bei dieser Meldung von bild.de (Axel Lier) aufatmen: Weil ein Praktikant in der JVA Heidering bei Berlin ein Foto eines Schlüssels für Zellen- und Durchgangstüren über WhatsApp verschickte, mussten in der Anstalt umgehend 600 Schlüssel ausgetauscht werden. Die Arbeit band 20 Angestellte, der Schaden wird auf 50.000 Euro geschätzt. Dem Praktikanten wurde ein Hausverbot erteilt, das Praktikum beendet.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. März 2021: BVerfG zu Ceta-Klage / Corona-Runden bleiben geheim / EuGH zu Richter-Ernennungen in Polen . In: Legal Tribune Online, 03.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44404/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen