Auch im neuen Jahr hagelt es Kritik am NetzDG. Außerdem in der Presseschau: Bei der justiziellen Aufarbeitung der G20-Ausschreitungen beschreitet die StA juristisches Neuland und Verwaltungsrichter-Bund-Vorsitzender Seegmüller im Interview.
Thema des Tages
NetzDG: Die vorübergehende Sperrung des Twitter-Accounts der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch (AfD) setzt eine neue Runde der Kritik am nun geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Bewegung. Unter anderem netzpolitik.org (Constanze Kurz) und deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) beschreiben das Verfahren bei der Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte und die Kritik an der Regelung. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) gibt die Einschätzung des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes der Informationswirtschaft Bitkom, Bernhard Rohleder, wieder, der das Gesetz für verfassungswidrig hält. Durch die Löschung von Inhalten werde auch die Strafverfolgung erschwert, insofern handele es sich bei dem Gesetz um "amtlich verordnete Strafvereitelung", so Rohleder. Einen ausführlichen Beitrag zur Kritik am Gesetz bringt auch das Hbl (Johannes Steger). Rechtsprofessor Marc Liesching mutmaßt auf community.beck.de, dass das mit dem Gesetz "eingeführte faktisch-vorzensorische System" die Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken "schleichend und weitgehend unbemerkt abschaffen" wird.
In einem Kommentar beklagt Hendrik Wieduwilt (FAZ), dass die Kommunikation im Netz durch die neuen Bestimmungen "unfreier" und "befangen" geworden sei. Catrin Bialek (Hbl) betont dagegen, dass das Gesetz nötig, in seiner gegenwärtigen Form aber nicht ausreichend sei. Den Fernsehbetrieb kontrollierten Landesmedienanstalten, es sei nicht ersichtlich, warum sich der Staat aus Überwachung von Netzinhalten heraushalte. Auch Heribert Prantl (SZ) meint, dass der Staat es nicht Facebook überlassen dürfe, "die Grenzen der Meinungsfreiheit zu ziehen". Das Gesetz sei nötig gewesen, um "Twitter und Co." zu einem Vorgehen gegen Online-Hetze zu bewegen. Nun müsse die Justiz in die Lage versetzt werden, "Recht und Rechtsschutz im Netz" zu gewährleisten.
Aus Anlass der Debatte porträtiert die FAZ (Eckart Lohse) den amtierenden Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).
Rechtspolitik
Altersfeststellung: Die FAZ (Kim Björn Becker/Rüdiger Soldt) beschreibt das medizinische Verfahren einer Altersfeststellung und die rechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Anordnung. Zu den Forderungen nach einfachen Untersuchungen oder gar einer Beweislastumkehr beim Altersnachweis von Flüchtlingen veröffentlicht die taz (Martin Reeh/Martin Kaul) zwei Kommentare, die Pro und Kontra vertreten.
Glücksspielrecht: Das neue Jahr beginnt ohne die ins Auge gefasste Reform des Glücksspielstaatsvertrages. In einem ausführlichen Betrag für lto.de erklären die Rechtsanwälte Peter Dünchheim und Carsten Bringmann die Gründe für den Verzug und appellieren an die zuständigen Bundesländer, die dringend gebotene "grundlegende und systematische, kohärente Überarbeitung" des Staatsvertrages nun endlich in Angriff zu nehmen.
Geoblocking/Online-Handel: Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben sich auf den Entwurf einer Geoblocking-Verordnung verständigt, durch die Hindernisse im grenzüberschreitenden Online-Handel beseitigt werden sollen. Die Rechtsanwälte Sebastian Hack und Thomas Peter stellen auf lto.de die mutmaßlichen Inhalte der Verordnung vor und beschreiben den für Händler zu betreibenden Aufwand.
Angriffe auf Einsatzkräfte: Nach Übergriffen auf Polizisten und Feuerwehrleute in der Silvesternacht hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) laut Meldung von zeit.de gefordert, tätliche Angriffe "härter" zu bestrafen.
E-Government: Das Hbl (Dana Heide) wirft einen vertieften Blick auf den Stand der Bemühungen, die deutsche Verwaltung zu digitalisieren. Die Regierung habe zwar zum Abschluss ihrer regulären Amtszeit durch eine Grundgesetzänderung die Einrichtung eines bundes- und länderübergreifenden Bürgerportals ermöglicht. Weitere, im Koalitionsvertrag von 2013 vereinbarte Schritte zur Digitalisierung, ließen aber immer noch auf sich warten.
Unternehmensverantwortung: Ausgehend von der gegenwärtig beim Oberlandesgericht Hamm anhängigen Klage eines peruanischen Kleinbauern gegen den Stromkonzern RWE wegen nachteiliger Folgen des Klimawandels betont Dieter Fockenbrock (Hbl) im Leitartikel "ernst zu nehmende" Haftungsrisiken für Unternehmen. Gegenwärtig würden freiwillige Zusagen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards "zunehmend" durch staatliche Regeln ersetzt. Die Wirtschaft sollte sich daher Verantwortung "selbst in die Geschäftsordnung" schreiben und danach handeln, sonst täten dies andere.
MiFID II: Das nun geltende Finanzregulierungspaket "MiFID II" macht Banken neue und strengere Auflagen bei der Anlageberatung. Nachdem Helene Bubrowski (FAZ-Einspruch) in einem Selbstversuch damit gescheitert ist, bei "einer deutschen Bank mit Tradition" Aktien von Coca-Cola zu kaufen, kommt sie zu dem Schluss, dass auch die jetzigen Regelungen das tatsächliche Problem – die provisionsbedingte Abhängigkeit von Finanzberatern gegenüber den Anbietern von Finanzprodukten – nicht beseitigen.
Lohntransparenz: Ab dem 6. Januar gilt ein individueller Auskunftsanspruch nach dem neuen Entgelttranparenzgesetz. Der FAZ-Einspruch (Corinna Budras) erklärt das Verfahren und mögliche Probleme.
Unternehmensmitbestimmung: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch beschreibt Rechtsprofessor Volker Rieble eine "unbeabsichtigte Reform der Unternehmensmitbestimmung". Während etablierte Interessen hierzulande tatsächlich notwendige Reformen verhinderten, sorge "der Handlungsdruck der Rechtsanwender für eine Evolution" der betrieblichen Mitbestimmung. An der Societas Europaea etwa beiße sich das deutsche Mitbestimmungsrecht "die Zähne aus".
Justiz
LAG Hessen zu Tonaufnahme: Die heimliche Tonaufnahme eines Personalgesprächs kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Dies entschied nach Meldung von lto.de das Hessische Landesarbeitsgericht.
LG Bielefeld zu Online-Rechtsdienstleister: Dem Online-Rechtsdienstleister "abfindungsheld.de" ist nach einem jetzt bekannt gewordenen Urteil des Landgerichts Bielefeld aus dem vergangenen Monat die Verwendung mehrerer vom örtlichen Anwaltsverein beanstandeter Werbeaussagen untersagt worden. Die Plattform hatte unter anderem damit geworben, "günstiger als jeder Anwalt" zu sein, berichtet lto.de.
AG Hamburg-Altona – G20-Ausschreitungen: Am heutigen Mittwoch wird am Amtsgericht Hamburg-Altona das Strafverfahren gegen Fabio V. fortgesetzt. Dem Italiener wird unter anderem schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Die taz (Christian Rath) macht darauf aufmerksam, dass sich zahlreiche weitere Teilnehmer der auch von V. besuchten Demonstration ebenfalls Ermittlungen auf Grundlage dieses Strafvorwurfs ausgesetzt sehen. Dabei sei es mehr als fraglich, ob die bloße Teilnahme an einer unfriedlichen Versammlung die tatbestandlichen Voraussetzungen und die hierzu vom Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen erfülle.
VG Hamburg zu G20-Einsatz: Ende November des vergangenen Jahres gab das Verwaltungsgericht Hamburg der Feststellungsklage einer von der polizeilichen Festsetzung eines Busses der Jugendorganisation "Die Falken" im Vorfeld der Proteste gegen den G20-Gipfel Betroffenen statt. Das Anerkenntnisurteil hatte gleichzeitig eine negative Kostenfolge für die Klägerin. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Schwander erläutert auf juwiss.de vertieft die rechtlichen Grundlagen des verwaltungsprozessualen Anerkenntnisurteils und dessen spannungsreiche Beziehung zur grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie. Der entschiedene Fall lege einen intensiven Grundrechtseingriff nahe, die allgemein gehaltene Entschuldigung des Hamburger Innensenators lasse das diesbezügliche Feststellungsinteresse nicht ohne weiteres entfallen.
Robert Seegmüller: Der FAZ-Einspruch (Alexander Haneke) interviewt den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen Robert Seegmüller zur Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Asylklagen, gesetzgeberischen Versäumnissen und Verbesserungsmöglichkeiten bei der Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung auf diesem Gebiet sowie Änderungswünschen an das materielle Recht.
Recht in der Welt
Polen – Sexualstraftäter: Das polnische Justizministerium hat zum Jahresbeginn ein Register mit Namen, Anschriften und Bildern verurteilter Sexualstraftäter online gestellt, meldet bild.de.
Spanien – Katalonien: In einem ausführlichen Beitrag auf verfassungsblog.de fasst Rechtsprofessor Jose Luis Marti (in englischer Sprache) die Ereignisse des vergangenen Herbstes in der spanischen Provinz Katalonien zusammen und legt dar, warum die EU sich aktiver um eine Konfliktbeilegung bemühen sollte.
Moldau – Präsident: Nach Meldung von spiegel.de hat das Verfassungsgericht der Republik Moldau die Befugnisse des Präsidenten Igor Dodon vorübergehend ausgesetzt. Grund sei die Weigerung des Präsidenten, die Ernennung mehrerer Minister zu bestätigen.
Türkei – Deniz Yücel: Äußerungen des türkischen Außenministers ließen vermuten, dass nun doch bald eine Anklage gegen den Journalisten Deniz Yücel erhoben werde, schreibt die SZ (Christiane Schlötzer).
USA – Terrorismus: Die SZ (Katrin Werner) stellt einen US-amerikanischen Tierrechtsaktivisten vor, der nach dem Einbruch in einen Nerz-Zuchtbetrieb auf Grundlage des "Animal Enterprise Terrorism Act" verurteilt wurde und somit nun als Terrorist gelte. Der Tierschützer ist nun mit dem Versuch gescheitert, das Gesetz wegen eines unzulässigen Eingriffs in die Meinungsfreiheit als verfassungswidrig erklären zu lassen.
Sonstiges
beA: Nach Meldung des FAZ-Einspruchs (Hendrik Wieduwilt) erwägt die Bundesrechtsanwaltskammer bei der bislang gescheiterten Einführung des Anwaltspostfachs beA eine "komplette Neustrukturierung" des Projekts.
Prozessrisikoanalyse: Der Anwalt Jörg Risse hat gemeinsam mit dem Unternehmensjuristen Matthias Morawietz ein Praxisbuch zur "Prozessrisikoanalyse" herausgebracht. FAZ-Einspruch (Marcus Jung) stellt das im Buch behandelte Prinzip, im Wege der Risikoanalyse die Erfolgswahrscheinlichkeit gerichtlicher Verfahren zu bestimmen, vor.
"Kurze Vollzeit": Die IG Metall fordert in ihren gegenwärtigen Tarifverhandlungen unter anderem einen Anspruch auf eine befristete 28-Stunden-Woche für Vollzeitbeschäftigte, teilweise mit Lohnzuschuss durch den Arbeitgeber. Eine solche "kurze Vollzeit" ist nach Einschätzung eines vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall in Auftrag gegebenen Gutachtens von Rechtsprofessor Clemens Höpfner rechtswidrig, weil hierdurch verschiedene Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund unterschiedlich hoch vergütet würden. Es berichten SZ (Henrike Roßbach) und FAZ (Dietrich Creutzburg).
Das Letzte zum Schluss
Lehrer-Kritik: Kritikfähigkeit gehört wahrscheinlich auch bei Lehrern zu gewünschten Kompetenzen. Dies musste eine Kölner Lehrerin nun erfahren: justillon.de berichtet, dass das Landgericht Köln ihre mit 30.000 Euro bezifferte Schmerzensgeldklage abwies. Beklagt war ein Elternjahrgangssprecher, der auf Bitten der Schulleitung Beschwerden am Unterrichtsverhalten der Klägerin in einem Schreiben zusammengefasst hatte.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
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Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2018: NetzDG am Pranger / Landfriedensbruch durch Teilnahme? / Seegmüller im Interview . In: Legal Tribune Online, 03.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26131/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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