Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2017: Nord­afri­kaner in Köln / Starker Staat / Aus­kunft zu Sch­mäh­ge­dicht

03.01.2017

Hat die Kölner Polizei in der Silvesternacht "racial profiling" betrieben? Außerdem in der Presseschau: Der Innenminister möchte zur Sicherheit einen starken Staat und auch das OVG zu Berlin verpflichtet das AA auf Böhmermann-Auskunft.

Thema des Tages

"Racial Profiling" in Köln? In der Silvesternacht überprüfte die Polizei in Köln mehrere Hundert Männer mutmaßlich nordafrikanischer Herkunft. Das Bundesinnenministerium hat nach dem Bericht der SZ (Constanze von Bullion/Sebastian Fischer) nun angekündigt, "sehr genau" prüfen zu wollen, ob das polizeiliche Vorgehen als sogenanntes "racial profiling" einzustufen ist. Mit dem Begriff würden polizeiliche Maßnahmen beschrieben, deren Anlass kein konkreter Tatverdacht, sondern äußere Merkmale wie die Hautfarbe einer Person seien. Derartiges sei nach der Europäischen Menschenrechtskonvention untersagt. In Deutschland ergebe sich das Verbot aus dem Gleichheitssatz, Artikel 3 Grundgesetz. Es gelte nicht absolut, wie Entscheidungen zur Zulässigkeit verdachtsunabhängiger Personenkontrollen in Grenznähe belegten. Das Konzept des "racial profilings" wird auch in einer Infobox der FAZ (Helene Bubrowski) erläutert. Hiernach sei die polizeiliche Zuhilfenahme von Erfahrungssätzen aus der letztjährigen Silvesternacht zulässig. Der in einem Polizei-Tweet verwendete Begriff "Nafris" sei "nicht etwa Beleg für eine rassistische Haltung", weil "konkrete Untersuchungen" belegten, "dass diese Gruppe überproportional viele Straftaten begeht".

Ähnlich argumentiert Daniel Decker (FAZ) im Leitartikel der Zeitung. Die Bezeichnung sei "das unschöne Codewort" für das Unbehagen, das auch ältere, aus Nordafrika stammende Menschen vor "der kriminellen Energie ihrer zumeist jungen Landsleute" empfinden würden. Auch nach Heribert Prantl (SZ) ist es falsch, den Polizeieinsatz als rassistisch zu brandmarken. Denn sei "gerade nicht ohne Sinn, Verstand und Verdacht kontrolliert worden", sondern zur Prävention und verhältnismäßig. Die in der polizeilichen Mitteilung verwendete Bezeichnung dagegen habe diesen Einsatz "bemakelt", weil das Kürzel gerade nicht nur für nordafrikanische Intensivtäter verwendet wurde, vielmehr für alle, "die irgendwie nordafrikanisch aussehen".

Christian Bangel (zeit.de) bedauert, dass "Menschen, die zur Kölner Silvesternacht noch Fragen haben, als Realitätsverweigerer und Ideologen der politischen Korrektheit angebrüllt" würden. Polizeiliche Zuschreibungen der nun wohl erlebten Art seien "mindestens stigmenfördernd" und widersprächen damit dem Geist eines Rechtsstaats.

Rechtspolitik

Starker Staat: Unter der Überschrift "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" unterbreitet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in einem Gastbeitrag für die FAZ zahlreiche Vorschläge, "um unser Land, aber auch Europa krisenfest zu machen". Hierzu gehörten Neuordnungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Ersterer benötige "eine Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden", aber auch für die Koordinierung großflächiger Katastrophenfälle. Weiter solle der Bund auch "eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung" abgelehnter Asylbewerber erhalten. Daneben müsse auch auf europäischer Ebene ein funktionierender "Massenzustrom-Mechanismus" geschaffen werden. Den Gastbeitrag fasst die FAZ (Eckart Lohse) in einem weiteren Artikel zusammen. Die Ministervorschläge seien als Auftakt der nach dem Anschlag von Berlin mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vereinbarten Beratung über Konsequenzen zu verstehen.

Gefährder: Reinhard Müller (FAZ) räsoniert im Leitartikel des Blattes über den angemessenen Umgang mit Gefährdern. Das von den USA in Guantanamo eingerichtete Lager sei ein Versuch gewesen, "ein Problem in den Griff zu bekommen, vor dem der Westen immer noch" stehe, habe sich wegen eines fehlenden Entscheidungsgremiums jedoch als "höchst kontraproduktiv" erwiesen. Aktuell sei "aus rechtsstaatlicher Sicht nur schwer zu verstehen", warum abschiebepflichtige Gefährder nicht in Haft genommen würden. Daneben müssten Aufrufe zum "Heiligen Krieg" auch als Volksverhetzung bestraft werden.

Grenzkontrollen: Belgische Pläne zur Registrierung grenzüberschreitender Reisen auch mit Bus oder Bahnen bezeichnet Ronen Steinke (SZ) in einem Kommentar als einen Rückschritt "für einen way of life, der Islamisten wie Nationalisten missfällt". Eine Flucht wie jene des mutmaßlichen Attentäters von Berlin wäre durch die namentliche Registrierung sicherlich schwieriger geworden. Gleichzeitig bedeuteten diese aber auch einen weiteren "Abschied von der Selbstverständlichkeit, mit der eine Generation ihren Kontinent als offensten der Erde kennengelernt hat".

Mindestlohnausnahmen: Wer Pflicht- oder Ausbildungspraktika absolviert, unterliegt nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Dass somit auch Flüchtlinge geringer bezahlt werden können, stellt ein Praxisleitfaden des Bundesarbeitsministeriums klar, über den die taz (Simone Schmollack) berichtet. Nach dem Kommentar von Thomas Öchsner (SZ) ist gegen die Rechtslage nichts einzuwenden. Weil die Praxisphase zeitlich befristet sei, könne daraus kein "Billiglohnmodell" entstehen. Für Ulrike Herrmann (taz) ist dagegen in Ermangelung effektiver Kontrollmechanismen "Missbrauch zu erwarten".

Mängelhaftung: Der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung kaufrechtlicher Mängelhaftung stößt "in zentralen Punkten" noch immer auf Kritik des Zentralverbandes Deutsches Handwerk. Über diese berichtet die FAZ (Henrike Roßbach) exklusiv.

Bundesarchivgesetz: In ihrem Feuilleton äußert die SZ (Rudolf Neumaier) Verständnis für die Kritik von Archivaren und Historiker am aktuellen Entwurf zur Reform des Bundesarchivgesetzes. Das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) im vergangenen Jahr verkündete Ziel erhöhter Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit sei verfehlt worden, etwa weil Behörden nach wie vor nicht verpflichtet würden, ihre Unterlagen Archiven tatsächlich anbieten zu müssen.

Urheberrecht: Die Rechtsprofessoren Matthias Leistner und Axel Metzger unterbreiten in einem Gastbeitrag für den Medien-Teil der FAZ einen Vorschlag für eine Urheberrechtsreform. Weil Rechtsverletzungen gegenwärtig üblicherweise in der Privatsphäre von Nutzern stattfänden, bedürften Änderungen stärker noch als bei klassischen Eigentumsrechten einer gewissen gesellschaftlichen Akzeptanz. Diese ließe sich herstellen, indem ähnlich wie bei dem Kompromiss zur Freistellung privater Kopien vor gut 50 Jahren zunächst die nichtkommerzielle Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke auf Plattformen wie Youtube "auf Grundlage einer vergütungspflichtigen Urheberrechtsschranke freigestellt werden". Daneben müssten Rolle und Funktion einzelner Plattformen strukturell geklärt werden.

Emissionshandel: Die geplante Reform des europäischen Emissionshandelsystems verzögert sich nun doch. Grund seien Beschlüsse, die der Umweltausschuss des Europaparlaments kurz vor Weihnachten getroffen habe, berichtet das Hbl (Klaus Stratmann). Nach diesen würde etwa die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten beschnitten werden. Das Europäische Parlament stimme im Februar über die Beschlüsse ab.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2017: Nordafrikaner in Köln / Starker Staat / Auskunft zu Schmähgedicht . In: Legal Tribune Online, 03.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21631/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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